OGH 4Ob590/76

OGH4Ob590/7630.11.1976

Der Oberste Gerichtshof hatals Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Leidenfrost als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurzinger, Dr. Friedl, Dr. Resch und Dr. Kuderna als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O* Gesellschaft mbH, *, vertreten durch Dr. Franz Mathes und Dr. Manfred Peisteiner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, wider die beklagten Parteien 1) E*, Gastwirt, * und 2) R*, reg. Gen.m.b.H., *, beide vertreten durch Dr. Roger Haarmann, Rechtsanwalt in Liezen, unter Beitritt als Nebenintervenientin auf Seite der zweitbeklagten Partei durch die L* reg. Gen. mbH, *, vertreten durch Dr. Alois Kitzmüller, Rechtsanwalt in Liezen, wegen Entfernung und Räumung einer Liegenschaft, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 23. Juni 1976, GZ 4 R 115/76-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 29. März 1976, GZ 8 Cg 279/75-21, teilweise bestätigt und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0040OB00590.76.1130.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten

 

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei kaufte mit Kaufvertrag vom 11. 12. 1973 von der L* die Liegenschaft EZ * KG *, bestehend aus dem Grundstück Nr 32, Baufläche mit Haus Nr.*, und dem Grundstück Nr 34, Garten. Die beiden Beklagten sind Eigentümer des westlich angrenzenden Grundstückes Nr 36, auf dem sich das Gebäude des Hotels „R*“ und der R* in * befinden.

Die klagende Partei behauptet, die Beklagten hätten bei der Errichtung ihres Gebäudes in den Jahren 1972 und 1973 die Grundgrenze nicht eingehalten und 3 m2 des Grundstückes der klagenden Partei verbaut. Überdies hätten sie eine Senkgrube mit einem Durchmesser von 2 m und einer Tiefe von ca. 4 m auf dem Grundstück der klagenden Partei Nr 32 errichtet. Weiters seien am Gebäude der Beklagten ein Regenvordach im Ausmaß von 3 m2 und 3 übereinander befindliche Stockwerksbalkone im Ausmaß von je 7,32 m Länge und je 1,83 m Breite angebracht worden, die in den Luftraum der klägerischen Liegenschaft ragten. Da die klagende Partei die Liegenschaft EZ * im guten Glauben frei von Lasten erworben habe, seien die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand schuldig, das Regenvordach und die drei Stockwerksbalkone zu entfernen, sowie das Grundstück Nr 34 von dem über die Grundgrenze reichenden Teil des Hauses der Beklagten und das Grundstück Nr 32 von der darauf errichteten Senkgrube zu räumen und geräumt zu übergeben. Für den Fall, daß der Räumungsanspruch verneint werde, beantragte die klagende Partei, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, in die Einverleibung des Miteigentums für die klagende Partei zu einem 4/1000 Anteil an der Liegenschaft EZ * mit dem Grundstück Nr 36 zu willigen.

Die beklagten Parteien gaben als richtig zu, daß ihr Gebäude durch einen Irrtum in einem spitzen Winkel zur Grenze errichtet worden sei, wodurch ein Teil der Mauer die Grenze geringfügig überrage, während der andere Teil einen ebensolchen Abstand zur Grenze aufweise. Die beklagten Parteien hätten in dieser Form gutgläubig den Grund der klagenden Partei in Anspruch genommen; es sei ihr die Bauführung auch nicht untersagt worden. Die klagende Partei habe daher lediglich Anspruch auf den gemeinen Wert des Grundes. Ihr Begehren auf Entfernung sei überdies sittenwidrig und nahezu undurchführbar, weil ein Bau, der Millionen gekostet habe, zum größten Teil abgetragen werden müßte. Das Regenvordach und die Balkone, die in den Luftraum der Nachbarliegenschaft ragten, sowie die Senkgrube, die sich auf der Liegenschaft der klagenden Partei befinde, seien mit ausdrücklicher Zustimmung der Rechtsvorgängerin der klagenden Partei errichtet worden. Dem vertragschließenden damaligen Gesellschafter und Geschäftsführer der klagenden Partei, Magister O*, seien diese Umstände bekannt gewesen; er sei auch von der L* ausdrücklich darauf hingewiesen worden.

Das Erstgericht wies die Hauptbegehren ab, unterließ aber eine Entscheidung über das Eventualbegehren. Es stellte im wesentlichen fest, daß die L* als damaliger Liegenschaftsanrainer mit dem Neubau des Hauses der Beklagten entsprechend den Bauplänen bis an die östliche Grundgrenze der Grundstücke Nr 32 und Nr 34 und auch mit der Errichtung der Kläranlage auf dem Grundstück Nr 32 einverstanden war. Auf Grund der Baupläne sei klar gewesen, daß die Obergeschoße über die tatsächliche Grundgrenze hinausragen werden. Anläßlich der Bauverhandlung am 25. 8. 1972, zu der auch die L* geladen gewesen sei, habe deren Vertreter keinen Einwand gegen die geplante Bauführung erhoben. Der Neubau sei entsprechend den Plänen im wesentlichen im Dezember 1973 beendet gewesen. Mit Kaufvertrag vom 11. 12. 1973 habe die klagende Partei, vertreten durch Magister O*, die Liegenschaft der L* EZ * erworben, wobei im Zuge der vorangegangenen Vorstandssitzung der L* im Rahmen der Offerteröffnung beschlossen worden war, die Liegenschaft dem Magister O* käuflich zu überlassen und zwar so, wie sie liegt und steht. Auf Grund des Lageplanes vom 14. 3. 1974 des Dipl.-Ing. Z* stellte sich heraus, daß hinsichtlich der östlichen Front des *gebäudes zwischen den Vermessungspunkten 21 X und 21, sowie 30 und 29 eine Überbauung des Grundstückes Nr 34 vorliegt, während diese Hausfront zwischen den Punkten 20 und 21 von der Grundstücksgrenze etwa 17 cm zurücksteht.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die klagende Partei von ihrer Voreigentümerin nicht mehr Rechte habe erwerben können als diese selbst gehabt habe. Da die L* den beklagten Parteien gestattet habe, entsprechend den Bauplänen bis an die Grundgrenze heranzubauen, habe sie auch ihre Zustimmung zu diesem Bau erteilt, wie er sich aus den Plänen ergab. Sie wäre daher, wenn sie ihre Liegenschaft nicht verkauft hätte, nicht berechtigt gewesen, die Entfernung der überragenden Balkone und der Senkgrube zu begehren.

Die klagende Partei könne durch den zwischenzeitigen Erwerb der Liegenschaft demgemäß nicht bessergestellt werden als ihre Voreigentümerin. Was die Überbauung der Liegenschaftsgrenze anlangt, so habe die klagende Partei die Liegenschaft von der Landgenossenschaft gekauft „wie sie liegt und steht“. Weil im damaligen Zeitpunkt das Gebäude der beklagten Parteien in seinen jetzigen Grenzen bereits vollkommen fertig gewesen sei, habe die klagende Partei auch nicht die Berechtigung, die Entfernung der überbauten Gebäudeteile verlangen zu können, weswegen das Klagebegehren abzuweisen gewesen sei.

Die Berufung der klagenden Partei hatte teilweise Erfolg. Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes hinsichtlich der Abweisung der Hauptbegehren mit Teilurteil, hob es aber im Kostenpunkt auf und trug dem Erstgericht eine Entscheidung über das Eventualbegehren und eine neuerliche Entscheidung im Kostenpunkt auf. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes, insbesondere jene, daß Magister O* das von den Beklagten errichtete Gebäude kannte und vom Herausragen der Balkone sowie der Erbauung der Senkgrube auf dem Grund der klagenden Partei wußte, als unbedenklich. Rechtlich teilte das Berufungsgericht die Auffassung, daß die L* der Bauführung entsprechend den vorgelegten Plänen bis unmittelbar an die Grundgrenze mit einem darüberhinausragenden Vordach und drei darüberhinausragenden Balkonen zugestimmt habe, weil sie gegen die vorgelegten Pläne und auch im Zuge der Errichtung des Bauwerkes der Beklagten keine Einwendungen erhoben habe. Da der allein zeichnungsberechtigte und geschäftsführende Gesellschafter der klagenden Partei zur Zeit des Abschlusses des Kaufvertrages bei gehöriger Aufmerksamkeit die Tatsache des Überragens des Vordaches und der Balkone in den Luftraum über der angekauften Liegenschaft leicht hätte feststellen können und von der Errichtung der Senkgrube tatsächlich Kenntnis gehabt hatte, könne sich die klagende Partei auch nicht auf einen lastenfreien Erwerb der gekauften Liegenschaft gemäß § 1500 ABGB berufen. Die Hauptbegehren seien daher zu Recht abgewiesen worden. Das Erstgericht hätte aber auch über das Eventualbegehren zu entscheiden gehabt; da es dies nicht getan habe, sei das Verfahren insoweit mangelhaft geblieben.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der klagenden Partei wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, sie im Sinn des Klagebegehrens abzuändern oder sie, allenfalls auch das Urteil des Erstgerichtes, aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, weil das Urteil des Erstgerichtes teilweise aufgehoben wurde. Einer Angabe des Wertes des Streitgegenstandes in der Revision (§§ 502 Abs 2 Z 3 und 506 Abs 1 Z 2 ZPO) bedurfte es aus den in der zwischen denselben Parteien anhängig gewesenen Rechtssache zu 4 Ob 589/76 dargelegten Gründen nicht.

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die klagende Partei macht im wesentlichen geltend, daß sie die Liegenschaft EZ * KG * mit den Grundstücken Nr 32 und Nr 34 gutgläubig, nämlich mit den Grenzen nach dem Grundbuch stand und frei von einem Recht der Beklagten, in den Luftraum über diese Grundstücke hinein oder über die Grenze des Grundstückes zu bauen oder auf einem dieser Grundstücke eine Senkgrube zu errichten, erworben habe.

Demgegenüber ist auf den festgestellten Sachverhalt zu verweisen, wonach dem Vertreter der klagenden Partei Magister O* anläßlich des Erwerbes der Liegenschaft EZ * von den Vertretern der Voreigentümerin und Verkäuferin erklärt wurde, daß die Liegenschaft „so wie sie liegt und steht" verkauft werde. Magister O* als alteingesessenem * war überdies bekannt, daß das Gebäude der Beklagten, das damals praktisch schon fertig war, bis etwa an die Grundgrenze herangebaut wurde; es war ihm auch aus der Natur bekannt, daß die Balkone hinausragten und sich an der Ostseite zwei Ausgänge befinden. Er hatte auch die Errichtung der Senkgrube gesehen.

Daraus folgt bereits, daß die klagende Partei weder die Entfernung des Regenvordaches und der Balkone noch die Räumung des erworbenen Grundstückes von dem über die Grenze nach dem Grundbuchstand reichenden Teil des Gebäudes der Beklagten oder von der auf dem erworbenen Grundstück errichteten Senkgrube verlangen kann. Die klagende Partei konnte nämlich beim Erwerb der Liegenschaft EZ * nicht mehr Rechte erwerben, als die Verkäuferin übertragen konnte und auch wollte. Der Umfang des Eigentumserwerbes an einer Liegenschaft richtet sich nicht nach dem Grundbuchstand, sondern nach dem (übereinstimmenden) Willen der Parteien bei Vertragsabschluß und der tatsächlich übergebenen Fläche (SZ 38/32, 26/216, EvBl. 1967/101, JB1 1958 45, RZ 1965 9, 1966 185 u.a.). Mit Rücksicht darauf, daß die Liegenschaft „so wie sie liegt und steht“ verkauft wurde und dem Vertreter der klagenden Partei der tatsächliche Verlauf der Grenze des von den Beklagten auf dem Nachbargrundstück errichteten Gebäudes und der Umstand, daß diese Gebäude etwa an die Grundgrenze herangebaut wurden, ebenso bekannt war wie die Tatsache, daß Balkone und ein Regenvordach über die allgemeine Baulinie des Gebäudes hinausragten und auf dem zu erwerbenden Grundstück von den Beklagten eine Senkgrube errichtet worden war, konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß die Liegenschaft EZ * von den Verkäufern nur in dem Ausmaß bis zur Begrenzung des Gebäudes und unter Berücksichtigung des Umstandes, daß die Balkone und das Regenvordach vorragten und sich auf dem Grundstück die von den Beklagten errichtete Senkgrube befindet, verkauft und übertragen werden sollen. Damit fehlt es aber schon an einem Titel für einen Erwerb jenes Teiles der Liegenschaft EZ *, der nach dem Stand des Grundbuches dazugehörte, auf dem aber das Gebäude der Beklagten hinausreichte. Für einen Erwerb der Liegenschaft EZ * frei von den Rechten der Beklagten hinsichtlich des Überbauens (durch Errichtung des Regenvordaches und der Balkone) und der Errichtung der Senkgrube fehlt aber auch ein entsprechender Parteiwille. Die klagende Partei kann daher die Räumung jenes Teiles der Liegenschaft EZ *, der nach dem Grundbuchstand noch dazugehörte, aber zur Errichtung des Gebäudes der Beklagten in Anspruch genommen worden war, schon deswegen nicht verlangen, weil sie diesen Teil mangels eines entsprechenden Willens der Voreigentümerin, ihn auf sie zu übertragen, gar nicht erworben hat.

Dasselbe gilt aber auch für das von der klagenden Partei behauptete Recht, die Entfernung des von den Beklagten errichteten Regenvordaches und der Balkone sowie die Beseitigung der Senkgrube zu verlangen. Auch ein solches Recht wurde ihr von der Voreigentümerin nicht übertragen.

Auf einen Schutz nach § 1500 ABGB kann sich die Klägerin aber nicht berufen, weil ihrem Vertreter die tatsächlichen Verhältnisse nicht nur bekannt sein mußten, sondern nach dem festgestellten Sachverhalt sogar tatsächlich bekannt waren. Eine Berufung auf eine Gutgläubigkeit als Voraussetzung eines Erwerbes „im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher" hinsichtlich einer Freiheit der zu erwerbenden Liegenschaft von Rechten ist aber schon dann nicht mehr möglich, wenn Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit des Erwerbers den wahren, vom Grundbuchstand abweichenden, Sachverhalt erkennen lassen (RZ 1962 83, JB1 1955 522, SZ 28/64 u.a.).

Die L* als Verkäuferin der Liegenschaft EZ * wollte aber nicht nur die von der klagenden Partei behaupteten Rechte nicht übertragen, sie hätte dies auch nicht können, weil sie diese Rechte selbst nicht hatte. Hinsichtlich des Bauens der Beklagten über die Grenze nach dem Grundbuchstand auf die Liegenschaft EZ * ist nämlich festzuhalten, daß die Vertreter der L* von der Bauausführung Kenntnis hatten und dieser nicht widersprachen. Die Beklagten waren somit „redliche Bauführer“ im Sinn des § 418 ABGB, weil sie auf Grund des Verhaltens der L* vertrauen konnten und auch darauf vertrauten, daß sie dort, wo sie bauen wollten und dann auch tatsächlich gebaut haben, auch bauen dürfen (SZ 28/35, 32/137, EvBl. 1963 307, JB1 1976 43). Die L* hat durch ihr Verhalten ihren Willen, gegen die Bauführung der Beklagten keinen Einwand zu erheben, zweifelsfrei zu erkennen gegeben. Damit sind die Voraussetzungen für die Anwendung der Bestimmung des § 418 ABGB, letzter Satz, gegeben (SZ 37/184), wonach der Eigentümer des - vom Bauführer aus gesehen - fremden Grundes das Eigentum an dem Grund verliert, auf dem das aufgeführte Bauwerk steht, und nur mehr den gemeinen Wert dafür verlangen kann. Hinsichtlich der Errichtung des Regenvordaches und der Balkone waren ausdrückliche Vereinbarungen getroffen worden, nach denen, sie von der L* gestattet wurde, sodaß diese eine Beseitigung dieser Gebäudeteile schon aus diesem Grunde nicht verlangen konnte. Ob dies auch hinsichtlich der Errichtung der Senkgrube zutraf, ist nicht wesentlich, weil diese jedenfalls dadurch genehmigt wurde, daß sie die L* widerspruchslos hinnahm und der Bestand der Senkgrube dem Vertreter der klagenden Partei vor Erwerb der Liegenschaft EZ * bereits bekannt war. Wenn er sich unter diesen Umständen über die rechtlichen Verhältnisse nicht mehr erkundigte, kann sich die klagende Partei nicht mehr auf einen, gutgläubigen Erwerb der Lastenfreiheit der Liegenschaft EZ * berufen.

Der Revision, war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 52 Abs 2 und 392 ZPO.

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