European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0040OB00522.76.0406.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben; es werden die Urteile der Untergerichte aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten erster Instanz zu behandeln.
Begründung:
Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 6. 4. 1975, 2 Cg 60/73‑9, geschieden. Am selben Tage haben die Streitteile im Ehescheidungsverfahren einen gerichtlichen Vergleich abgeschlossen, der unter anderem folgende Vereinbarungen enthält:
„2) Die Parteien teilen ihr gemeinsames Vermögen dahin, daß die Klägerin Alleineigentümerin der Häuser *, J*gasse * und M*gasse *, der Beklagte Alleineigentümer des Hauses H*straße * und des Weingartens wird, der von seinen Eltern herstammt. Die Parteien vereinbaren ferner, daß die in den Häusern befindlichen Gegenstände jeweils dem Eigentümer gehören, dem nach obiger Bestimmung die Grundstücke zufallen. Über diese Vereinbarung ist ein Vertrag zu errichten, dessen Kosten der Beklagte zahlt.
3) Die beklagte Partei übernimmt die Schulden, die ob dem Hause H*straße * intabuliert sind, in der Höhe von S 240.000,--, wobei die daraus folgenden weiteren Verpflichtungen dem Beklagten verbleiben. Hingegen übernimmt die Klägerin die übrigen Schulden. Beide Parteien halten einander wechselseitig für die nicht übernommenen Schulden schad- und klaglos.
4) Die vom Beklagten weggebrachten Gegenstände und Fahrnisse einschließlich des PKW Marke Volvo, polizeiliches Kennzeichen *, verbleiben sein Eigentum, wobei er auch die Schulden für den PKW zu tragen und die Klägerin schad- und klaglos zu halten hat.“
Das im Punkt 3) des Vergleiches genannte Haus J*gasse * (richtig: *) steht tatsächlich im grundbücherlichen Eigentum der B*genossenschaft, reg. Gen.m.b.H., deren Genossenschafter der Beklagte ist.
Die Klägerin stellt das Begehren, den Beklagten schuldig zu erkennen, auf seinen Anteil bei der genannten Genossenschaft zugunsten der Klägerin zu verzichten und die Zustimmung zu erteilen, daß die ihm gehörigen Genossenschaftsanteile an die Klägerin übertragen werden und dieser allein die Nutzungsrechte an der Liegenschaft *, J*gasse * und M*gasse *, EZ. * der Kat.Gem. *, zukommen. Sie bringt dazu vor, die Absicht der Parteien beim Vergleichsabschluß sei es gewesen, daß die Klägerin die Nutzungs- und Anwartschaftsrechte hinsichtlich dieses Hauses erhalten sollte.
Der Beklagte wendete ein, der Vergleich stelle eine untrennbare Einheit dar; sein Punkt 4) sei unerfüllbar, weil dem Beklagten das Kennzeichen des darin genannten PKW Volvo infolge von Zahlungsrückständen der Klägerin entzogen worden und der PKW dadurch dem Beklagten verlorengegangen sei. Dies ziehe die Unwirksamkeit des ganzen Vergleiches nach sich. Punkt 3) des Vergleiches sei auch für sich allein unerfüllbar, weil die Liegenschaften belastet seien und eine Mitübertragung der Lasten nicht vorgesehen sei. Die Klägerin habe die Realisierung des Vergleiches dadurch vereitelt, daß sie Geschäftsschulden nicht beglichen habe, sodaß auf den Liegenschaften grundbücherliche Einverleibungen erfolgten. Der Kläger trete deshalb vom Vergleich zurück. Schließlich stelle der Vergleich nur einen Vorvertrag dar. Das Recht, seine Zuhaltung zu begehren, sei gemäß § 936 ABGB bereits erloschen. Der Vergleich erfülle auch nicht die Formerfordernisse des Notariatszwangsgesetzes.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Auffassung, daß der Vergleich in seinen Einzelbestimmungen keine untrennbare Einheit darstelle, sodaß die Erfüllung des Klagebegehrens ohne Rücksicht auf die übrigen Vertragsbestimmungen gefordert werden könne. Wenn auch beim Vergleichsabschluß nicht berücksichtigt worden sei, daß Eigentümerin des Siedlungshauses die genannte Genossenschaft sei, bedeute die Vermögensaufteilung dennoch, daß die Klägerin alleinige Anspruchsberechtigte hinsichtlich des Hauses und damit Miteigentumsanwärterin werden sollte. Der Beklagte könne den Vertrag auch nicht durch einseitige Rücktrittserklärung aufheben.
Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht war der Auffassung, daß auf die Frage, ob der Vergleich eine untrennbare Einheit darstelle, nicht eingegangen werden brauche, weil inzwischen im Rechtsstreit 2 Cg 21/75 des Erstgerichtes (4 R 135/75 des Brufungsgerichtes) geklärt worden sei, daß die Einwendung des Beklagten, die Klägerin habe die Erfüllung des Punktes 4) des Vergleiches vereitelt, nicht berechtigt sei. Hinsichtlich der Belastungen sei eine Erörterung entbehrlich, weil die Parteien nach dem klaren Inhalt des Vergleiches vereinbart hätten, daß der Beklagte die Schulden in der Höhe von S 240,000,--, die ob dem Hause H*straße * einverleibt sind, die Klägerin aber alle übrigen Schulden übernehme und die Parteien sich gegenseitig für die nicht übernommenen Schulden schad- und klaglos halten. Die Erklärung des Beklagten in der Klage, vom Vergleich zurückzutreten, sei nicht wirksam gewesen, weil der Beklagte keine Nachfrist gesetzt habe und selbst nicht leistungsbereit gewesen sei. Ob die Übertragung der Genossenschaftsanteile des Beklagten auf die Klägerin überhaupt möglich sein werde, brauche im Erkenntnisverfahren noch nicht geprüft zu werden. Da diese Möglichkeit jedenfalls nicht von vorneherein ausgeschlossen werden könne, sei ein Rechtsschutzinteresse für die Klägerin zu bejahen. Der gerichtliche Vergleich ersetze auch die Norm des Notariatsaktes, sodaß der vom Beklagten behauptete Formmangel nicht gegeben sei. Der Vergleich sei auch nicht ein bloßer Vorvertrag, da nach dessen Inhalt bereits eine verbindliche Vereinbarung getroffen und lediglich die Errichtung formgerechter Urkunden für später vorgesehen worden sei. Der Vergleich sei daher bereits als Vertrag und nicht als Punktation zu beurteilen. Im übrigen seien die Vorschriften über die zeitliche Begrenzung der Verbindlichkeit eines Vorvertrages auf eine Punktation nicht anwendbar.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Abweisung des Klagebegehens abzuändern, oder es – allenfalls auch das Urteil des Erstgerichtes – aufzuheben.
Die klagende Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist berechtigt.
Der gerichtliche Vergleich, aus dem der Klagsanspruch abgeleitet wird, ist nicht nur eine Prozeßhandlung, sondern auch ein Vertrag (SZ 41/55, 40/115, 8 Ob 140/71 u.a.). Wenn für einen Vertrag über einen bestimmten Gegenstand die Form eines Notariatsaktes Gültigkeitserfordernis ist, dann wird der Formvorschrift auch durch Abschluß eines Prozeßvergleiches über diesen Gegenstand entsprochen (JBl 1968 32, 1971 263 u.a.). Der Einwand des Beklagten, daß der Vergleich schon wegen des Fehlens der Form eines Notariatsaktes nicht verbindlich sei, ist daher unrichtig.
Auch der weitere Einwand, auf der Erfüllung des Vergleiches könne von der Klägerin nicht mehr bestanden werden, weil die Erfüllung nicht innerhalb der für die Zuhaltung eines Vorvertrages gemäß § 956 ABGB vorgesehenen Frist von einem Jahr verlangt worden sei, ist nicht berechtigt. Hiebei ist es gleichgültig, ob der Vergleich als endgültiger Vertrag, bei dem nur noch die Ausfertigung formgerechter Urkunden für die Verbücherung offenblieb, oder als Punktation angesehen wird, weil die bei einem Vorvertrag vorgesehene zeitliche Begrenzung seiner Gültigkeit auch für die Punktation nicht gilt (EvBl 1974/247, SZ 34/169 u.a.). Als bloßer Vorvertrag kann aber der Vergleich der Streitteile nicht gewertet werden, weil es für einen Vorvertrag wesentlich ist, daß der Wille der Parteien darauf gerichtet ist, erst in Zukunft einen Vertrag – den Hauptvertrag – abschließen zu wollen und sie sich dazu verpflichten. Das läßt sich aber dem Inhalt des Vergleiches nicht entnehmen. Daraus ergibt sich vielmehr, daß sich die Parteien bereits durch den Vergleich selbst verpflichteten und nicht erst den Abschluß eines Hauptvertrages für die Zukunft vorsahen. In diesem Punkt ist den Ausführungen des Berufungsgerichtes über die Auslegung des Vertrages zuzustimmen. Ein vom Wortlaut des Vergleiches abweichender Parteiwille zu dieser Frage, wurde in erster Instanz nicht behauptet. Es wurde vielmehr lediglich vorgebracht, daß der Vertrag „rechtlich“ als Vorvertrag aufzufassen sei (AS. 10).
Hingegen wurde behauptet, daß der Vergleich nach dem Parteiwillen eine „untrennbare Einheit“ darstelle, sodaß die Unerfüllbarkeit eines Punktes die Ungültigkeit des ganzen Vergleiches zur Folge habe und diese deshalb eingetreten sei, weil die Klägerin die Erfüllung des Punktes 4) des Vergleiches vereitelt habe und eine Belastung der Liegenschaften durchgeführt worden sei, sodaß diese nicht so übertragen werden könnten, wie es vorgesehen gewesen sei. Dazu hat der Beklagte auch Beweise angeboten.
Das Berufungsgericht war der Auffassung, daß die Einwendung hinsichtlich der Vereitelung des Punktes 4) des Vergleiches durch die Klägerin schon deswegen nicht stichhältig sei, weil inzwischen im Rechtsstreit 2 Cg 21/75 des Erstgerichtes (4 R 133/75 des Berufungsgerichtes) festgestellt worden sei, daß diese Einwendung nicht berechtigt sei. Dem hält die Revision entgegen, daß der Inhalt dieses Aktes nicht zu berücksichtigen gewesen sei, weil er nicht verlesen worden sei. Richtig ist, daß eine Verlesung des Aktes laut Inhalt des Protokolles über die Berufungsverhandlung nicht vorgenommen wurde. Aus dem Inhalt des angeschlossenen Aktes ergibt sich aber, daß das Berufungsgericht im dortigen Fall in derselben Besetzung und am selben Tag entschied wie im vorliegenden. Der Inhalt der vom Berufungsgericht im angefochtenen Urteil bezogenen Entscheidung zu 4 R 133/75, war somit allen Senatsmitgliedern aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt und noch verläßlich in Erinnerung. Damit war er offenkundig im Sinne des § 269 ZPO, sodaß er weder bewiesen noch behauptet werden mußte, sondern vom Gericht auch von Amts wegen der Entscheidung zugrundezulegen war. Die Verlesung des Aktes wäre in diesem Falle nur ein leerer Formalismus (Fasching ZP III 266, ZBl 1929/19). Nach Inhalt der Entscheidung zu 4 R 133/75 des Berufungsgerichtes fällt es aber tatsächlich nicht der Klägerin zur Last, daß die Übertragung des Eigentums am PKW Volvo an den Beklagten laut Punkt 4) des Vergleiches unterblieb, sodaß der Beklagte nicht berechtigt ist, die Erfüllung des Vergleiches wegen der behaupteten Nichterfüllung des Punktes 4) durch die Klägerin abzulehnen. Dazu bedarf es somit auch keiner Erörterung der Frage mehr, ob der Vergleich „eine untrennbare Einheit“ darstellte.
Wohl aber ist diese Frage zu klären, insoweit sie sich auf die behaupteten Belastungen der Liegenschaften bezieht. Der Erstrichter verwies zwar darauf, daß der Vergleich vor dem (in der nunmehrigen Rechtssache) erkennenden Richter abgeschlossen worden sei, kommt aber nur durch Auslegung des Wortlautes und die Überlegung, daß es sonst jeder Ehegatte in der Hand hätte, die unwiderruflich getroffene Regelung der Vermögensverhältnisse dadurch außer Kraft zu setzen, daß er einen nebensächlichen Punkt unerfüllbar macht, zur „Feststellung“, daß der Vergleich in seinen einzelnen Punkten keine untrennbare Einheit darstelle. Damit wurde aber in Wahrheit der feststehende Wortlaut des Vergleiches rechtlich gewürdigt, sodaß das Ergebnis im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu überprüfen ist (8 Ob 140/71 u.a.). Dieses Ergebnis kann aber nicht ohne weiteres gebilligt werden, wenn auch der Wortlaut des Vergleiches dafür spricht, weil auch der Inhalt eines gerichtlichen Vergleiches, der auch ein Vertrag ist, nicht nach dem gebrauchten Wortlaut, sondern nach der Absicht der Parteien darüber, was sie tatsächlich gewollt haben, bestimmt wird (§ 914 ABGB, 8 Ob 140/71 u.a.). Wenn daher ein vom objektiven Gehalt des Wortlautes abweichender Inhalt des Vergleiches behauptet wird, muß dies mit den Parteien erörtert und dann beurteilt werden, ob die für die Richtigkeit dieser Behauptung angebotenen Beweise aufzunehmen sind. Dies hängt davon ab, ob nach den im Rahmen der Erörterung vorgebrachten konkreten Tatsachen die Möglichkeit besteht, daß tatsächlich der behauptete Inhalt des Vergleiches der ausdrücklich geäußerten oder nach den Umständen erkennbaren Absicht der Parteien entspricht. Dadurch, daß eine solche Absicht vor dem Richter bei Abschluß des gerichtlichen Vergleiches nicht geäußert wurde, wird diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen, weil die behauptete Parteienabsicht auch außerhalb der Tagsatzung, bei welcher der Vergleich abgeschlossen wurde, geäußert oder zu erkennen gegeben worden sein kann. Die Vereinbarung darüber, welche Schulden die Klägerin und welche der Beklagte zu übernehmen hat, und über die gegenseitige Schad- und Klagloshaltung schließt die Möglichkeit nicht aus, daß sich die Parteien darüber einig waren, daß die Liegenschaften ohne Belastungen oder ohne weitere Belastungen (ab Vergleichsabschluß) zu übertragen sind.
Zur Erörterung des Vorbringens des Beklagten zu dieser Frage, das allerdings noch näher bestimmt auszuführen sein wird, und allfälliger Beweisaufnahme bedarf es somit noch einer Verhandlung in erster Instanz, sodaß die Urteile der Untergerichte in Stattgebung der Revision aufzuheben waren.
Zu dem vom Beklagten erklärten Rücktritt ist darauf zu verweisen, daß das Recht des Rücktrittes von einem gerichtlichen Vergleich nur dann zusteht, wenn es ausdrücklich oder schlüssig vorbehalten wurde (EvBl 1966/131, 6 Ob 342/68, 8 Ob 140/71), Ob ein schlüssiger Vorbehalt gemacht wurde – ein ausdrücklicher wurde nicht einmal behauptet – kann erst nach Erörterung des Vorbringens des Beklagten über die Absicht der Parteien hinsichtlich des Unterbleibens einer Mitübertragung der Belastungen beurteilt werden. Richtig hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang aber darauf verwiesen, daß das Recht zum Rücktritt vom Vertrag jedenfalls nur dem vertragstreuen Teil zusteht (JBl 1963 571, HS 4284 u.a.), sodaß der Beklagte wegen des – behaupteten – bisherigen Verzuges der Klägerin nicht zurücktreten konnte, weil er auch selbst die Erfüllung des Vergleiches wegen der angeblichen Vereitlung des Punktes 4) durch die Klägerin zu Unrecht ablehnte.
Schließlich ist dem Berufungsgericht auch darin zuzustimmen, daß die Frage, ob die Genossenschaftsanteile des Beklagten überhaupt auf die Klägerin übertragen werden können, im Erkenntnisverfahren nicht erörtert zu werden braucht und das Rechtsschutzinteresse der Klägerin deswegen anzunehmen ist, weil diese Möglichkeit nicht von vorneherein ausgeschlossen werden kann. Die Revision bringt dagegen nichts Bestimmtes vor, sodaß ein Hinweis darauf genügt, daß eine Übertragung des Genossenschaftsanteiles an die Klägerin im Einverständnis mit der Genossenschaft für den Fall durchaus denkbar ist, daß die Verpflichtung des Beklagten, dem zuzustimmen, durch gerichtliche Entscheidung klargestellt wurde.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 ZPO.
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