OGH 4Ob34/25s

OGH4Ob34/25s29.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Istjan, LL.M., Mag. Waldstätten, Dr. Stiefsohn und Mag. Böhm in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1. * (AZ 21 Cg 70/21m, führendes Verfahren), und 2. * (AZ 21 Cg 10/23s), beide vertreten durch die Aigner Rechtsanwalts-GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei * GmbH, *, vertreten durch die WOLF THEISS Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen 35.517,06 EUR sA (erstklagende Partei) und 15.142,54 EUR sA (zweitklagende Partei), über die außerordentliche Revision der erstklagenden Partei und die Revision der zweitklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 24. Oktober 2024, GZ 4 R 62/24b‑86, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 2. Februar 2024, GZ 21 Cg 70/21m‑79, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00034.25S.0929.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

DenRevisionen wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die W* Holding AG (idF: „Emittentin“) begab abJuni 2016 eine Unternehmensanleihe mit einem Gesamtvolumen von (bis zu) 10 Mio EUR, einer Laufzeit von fünf Jahren, einer Verzinsung von 5,25 % und einer Stückelung von 1.000 EUR je Teilschuldverschreibung. Der Erstkläger zeichnete am 9. 7. 2016 33 Stück der Anleihe, der Zweitkläger am 27. 7. 2016 14 Stück der Anleihe.

[2] Die beklagte Unternehmensberaterin war weder in die Begebung der Anleihe, die Erstellung der entsprechenden Prospekte noch in die Gestaltung und Festlegung des Inhalts der Werbemaßnahmen der Emittentin involviert.

[3] Am 6. 4. 2016 beauftragte die Emittentin die Beklagte mit der Bewertung der österreichischen Wortmarke „*“, der österreichischen Wortbildmarke „*“ und der Unionsmarke „*“ zum 31. 12. 2015. Dem Auftrag lagen neben dem Auftragsschreiben, in dem der Arbeitsumfang definiert wurde, die Allgemeinen Auftragsbedingungen der Beklagten vom 6. 4. 2011 (idF: „AAB“) zugrunde. In ihrem an dieEmittentin adressierten Gutachten vom 7. 6. 2016, das sowohl am Deckblatt als auch am Ende einer jeden Seite den Vermerk „Persönlich und streng vertraulich“ trägt, ermittelte die Beklagte einen Wert der Marken zum 31. 12. 2015 von 2,741 Mio bis 3,339 Mio EUR ohne Steuervorteil und von 3,436 Mio bis 4,186 Mio EUR mit Steuervorteil.

[4] Auf derselben vertraglichen Grundlage überprüfte die Beklagte im Auftrag der Emittentin die Markenbewertung zum 29. 11. 2016. Mit Schreiben vom 30. 11. 2016 teilte sie der Emittentin mit, den angegebenen Wert der Marken auch zum 29. 11. 2016 bestätigen zu können.

[5] Die Emittentin erwarb die Rechte an den bewerteten Marken um 3,12 Mio EUR und brachte sie mit dem Generalversammlungsbeschluss vom 7. 12. 2016 im Rahmen einer Kapitalerhöhung mit einem Wert von 3,12 Mio EUR als Sacheinlage in ihre Tochtergesellschaft W* AG (idF: „Tochtergesellschaft“) ein.

[6] Im Juni 2016 erstellte die Beklagte im Auftrag der Emittentin einen mit „Unterstützung bei der Überschuldungsprüfung im Sinne des Insolvenzrechts“ titulierten Bericht. Auch diesem Auftrag lagen die AAB zugrunde. Der an den Vorstand der Emittentin adressierte Bericht enthielt erneut den Vermerk „Persönlich und streng vertraulich“, sowohl am Deckblatt als auch am Ende einer jeden Seite, und zudem einen „Disclaimer“ mit auszugsweise folgendem Inhalt: „Dieser Bericht ist ausschließlich für den Auftraggeber ('Empfänger') bzw. zur Einsicht an den Abschlussprüfer der [Tochtergesellschaft] bestimmt, bzw. für Parteien die unsere Freigabeerklärung ('Release Letter') unterschrieben und uns ausgehändigt haben. Wir übernehmen keine Haftung gegenüber nicht berechtigten Empfängern unseres Berichts.“

[7] Im Oktober 2016 erstellte die Beklagte einen weiteren mit „Unterstützung bei der Überschuldungsprüfung im Sinne des Insolvenzrechts“ titulierten Bericht, neuerlich im Auftrag derEmittentin, unter Zugrundelegungder AAB. Wiederum enthielt der an den Vorstand der Emittentin adressierte Bericht den Vermerk „Persönlich und streng vertraulich“ sowie den zuvor erwähnten „Disclaimer“.

[8] Im Auftrag der Emittentin erstellte die Beklagte am 26. 7. 2017 schließlich einen Bericht mit dem Titel „Unterstützung bei der Erarbeitung und Plausibilisierung einer Fortbestehensprognose“.

[9] Der Abschlussprüfer der Emittentin versah deren Jahresabschluss zum 31. 12. 2015 mit einem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk.

[10] Der Erstkläger hatte bereits mehrmals in Anleihen und Objekte des W*-Konzerns investiert. Er hatte am 9. 7. 2016 rund 30.000 EUR zur Verfügung, die er neuerlich investieren wollte. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, welche Veranlagung der Erstkläger getätigt hätte, wenn er nicht die W*-Anleihe erworben hätte.

[11] Auch der Zweitkläger hatte bereits zuvor in eine Anleihe des W*-Konzerns investiert. Hätte er nicht die W*-Anleihe gezeichnet, hätte er Aktien eines bestimmten anderen Unternehmens erworben, mit denen er jährlich 6,72 % Rendite erzielt hätte.

[12] Die Gutachten und Berichte der Beklagten für die Emittentin waren den Klägern im Zeitpunkt ihrer Investitionen nicht bekannt.

[13] Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 2. 2. 2018 wurde über das Vermögen der Emittentin das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 16. 3. 2018 eröffnetedas Handelsgericht Wien auch das Insolvenzverfahren über das Vermögen ihrerTochtergesellschaft.

[14] DieKläger begehrten den Ersatzder von ihneninvestierten Beträge samt der entgangenen Zinsen aus einer Alternativinvestition (Erstkläger: 35.517,06 EUR sA; Zweitkläger: 15.142,54 EUR sA) Zug um Zug gegen Übertragung sämtlicher Rechte und Pflichten aus der erworbenen Anleihe, hilfsweise die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle Schäden aus dem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit der unrichtigen Bewertung der Markenrechte „*“, der unrichtigen Überschuldungsprüfung für die Emittentin und der Verschleppung der Insolvenz der Emittentin sowie aus deliktischem Verhalten im Zusammenhang mit der erworbenen Anleihe. Die Beklagte sei von der Geschäftsleitung der Emittentin als Sanierungsberaterin beigezogen worden und in sämtliche wesentliche unternehmerische Entscheidungen des Konzerns eingebunden gewesen. Sie habe in der Gesamtbetrachtung als faktische Geschäftsführerin auch der Emittentin agiert. In dem vom Geschäftsführer der Beklagten wissentlich falsch, jedenfalls aber nicht lege artis erstatteten Markenwertgutachten sei der Markenwert überhöht dargestellt worden. Das Gutachten habe dazu gedient, in der Bilanz der Emittentin künstlich Eigenkapital zu schaffen. Die Beklagte habe gewusst, dass die (völlig überhöht bewerteten) Markenrechte in eine Tochtergesellschaft der Emittentin eingebracht und in deren Bilanz zur Darstellung von Eigenkapital aktiviert werden sollten. Wäre die Bewertung der Markenrechte von Anfang an methodisch richtig erfolgt, hätte letztlich gar kein Markenwert ermittelt und im Eigenkapital der Emittentin ausgewiesen werden können und hätte deren Jahresabschluss zum 31. 12. 2015 letztlich keinen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erhalten. Die Beklagte habe es billigend in Kauf genommen, dass die in der Bilanz auszuweisenden Werte falsch sind und Anleger dadurch einen Schaden erleiden können. Zudem habe sie es – im Bewusstsein über die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse – schuldhaft unterlassen, auf die Stellung eines Insolvenzantrags hinzuwirken, und mit ihren wissentlich falschen Expertisen – zum Markenwert, zum Nichtvorliegen einer insolvenzrechtlichen Überschuldung, aber auch zur positiven Fortbestehensprognose – sämtliche Grundlagen dafür geschaffen, dass die Geschäftsleitung den Betrieb fortführen und weitere Anleihegelder am Kapitalmarkt einsammeln habe können. Bei Einleitung eines Insolvenzverfahrens wäre es zu keiner Begebung von Anleihen durch eine Gesellschaft der W*-Gruppe mehr gekommen. Die Kläger hätten auf die von der Emittentin veröffentlichten wirtschaftlichen Daten zu ihrer Bonität und zu ihrem Vermögen sowie zur Solvenz der Gesellschaft vertraut. Bei Kenntnis der bereits vorliegenden materiellen Insolvenz der Emittentin bzw der unrichtigen Darstellung der Bilanzkennzahlen der Emittentin, unter anderem des vorhandenen Eigenkapitals, und des Umstands, dass der darauf aufbauende uneingeschränkte Bestätigungsvermerk letztlich zu Unrecht erteilt worden sei, hätten die Kläger die Anleihen nicht erworben. Die Beklagte hafte nicht nur aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bzw wegen Verletzung objektiv‑rechtlicher Schutzpflichten sowie auf Grundlage von § 1300 ABGB, § 874 ABGB und § 1295 Abs 2 ABGB, sondern auch wegen Verschleppung der Insolvenz nach § 69 IO.

[15] Die Beklagtehält dem entgegen, sie sei von der Emittentin nur für die Erstellung einzelner in ihrem jeweiligen Auftragsumfang stark limitierter Arbeitsprodukte beigezogen worden, dies auf Basis der von der Auftraggeberin zur Verfügung gestellten Informationen und Unterlagen. Sie habe weder einen umfassenden Einblick in die Geschäftstätigkeit der Emittentin noch Einfluss auf die Geschäftsführung gehabt. Die (lege artis erstellten) Arbeitsprodukte seien für den ausschließlichen Gebrauch der Auftraggeberin bestimmt gewesen. Eine Haftung gegenüber Dritten sei explizit ausgeschlossen worden. Eine Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter scheide daher aus. Die Beklagte habe konkret auch nicht damit rechnen können, dass ihre Arbeitsprodukte Grundlage für eine Entscheidung zur Anleihezeichnung sein würden. Einen mittelbaren Rat an Anleihezeichner habe sie nicht gegeben. Eine Haftung wegen Insolvenzverschleppung scheitere schon daran, dass eine Delegierung der entsprechenden Verantwortung der Organe von Gesellschaften auf dritte Berater nicht in Betracht komme. Im Übrigen hätten die Kläger die Arbeitsprodukte der Beklagten gar nicht gekannt und zur Grundlage ihrer schadensauslösenden Disposition gemacht.

[16] Das Erstgerichtwies die Klagebegehren ab. Die Leistungen der Beklagten seien ausschließlich für den internen Gebrauch der Auftraggeberin bestimmt gewesen. Deshalb scheide die Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkungen bzw des Bestehens objektiv-rechtlicher Sorgfaltspflichten zugunsten der Kläger aus, zumal die Beklagte unter den gegebenen Umständen nicht davon ausgehen habe müssen, dass ihre Arbeitsprodukte auch Dritten als Entscheidungsgrundlage für ihre Vermögensdispositionen dienen würden. Im Übrigen setze die Haftung des Sachverständigen gegenüber Dritten letztlich voraus, dass diese auch tatsächlich auf das Gutachten vertraut und auf dieser Grundlage Vertrauensdispositionen getätigt hätten. Das sei bei den Veranlagungsentscheidungen der Kläger nicht der Fall gewesen. Damit scheitere aber von vornherein jede Haftung für eine allenfalls unrichtige Gutachtenserstellung, insbesondere auch nach §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB. Eine Haftung nach § 69 IO scheide für juristische Personen aus. Beim Erstkläger scheitere eine allfällige Haftung der Beklagten auch an der Negativfeststellung zur hypothetischen Alternativanlage.

[17] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Für eine Haftung der Beklagten reiche es gerade nicht aus, dass ihr Handeln für die Veranlagungsentscheidung der Kläger irgendwie relevant gewesen wäre. Auch ein allfälliges Vertrauen auf die Richtigkeit des Bestätigungsvermerks würde nicht zur Haftung der Beklagten führen, mögen deren Leistungen auch bei der Erteilung des Bestätigungsvermerks verwendet worden sein. Bei der Haftung des Abschlussprüfers werde von der Rechtsprechung mit dem Abstellen auf eine im Vertrauen (auf den Bestätigungsvermerk) getroffene Disposition des Geschädigten der vom Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter begünstigte Personenkreis bewusst eng gezogen. Diese Wertung müsse auch für die Haftung von Personen gelten, die dem Bestätigungsvermerk vorgelagerte Tätigkeiten vorgenommen haben. Dies entspreche auch den allgemeinen Grundsätzen der Haftung von Sachverständigen, wonach jene eine objektiv-rechtliche Sorgfaltspflicht zugunsten eines Dritten nur dann treffe, wenn sie damit rechnen müssten, dass ihr Gutachten die Grundlage für dessen Disposition bilden werde, seine Interessen also mitverfolgt werden. Das bloße Wissen, dass die darin enthaltene Information letztlich an Dritte gelangen werde, reiche nicht aus. Eine Haftung der Beklagten gegenüber dritten Anlegern setze demnach auch voraus, dass diese konkret auf die von der Beklagten erbrachten Leistungen (und nicht bloß auf möglicherweise darauf aufbauende Umstände wie zB die Richtigkeit des Bestätigungsvermerks) vertraut und auf dieser Grundlage Vermögensdispositionen getätigt hätten. Dies sei hier nicht der Fall, selbst wenn die Beklagte – entgegen den festgestellten Inhalten ihrer Arbeitsprodukte – damit rechnen hätte müssen, dass ihre Stellungnahmen Veranlagungsentscheidungen zugrunde gelegt würden. Ihr Verhalten stehe nicht mehr im Kausalzusammenhang mit dem Schaden der Kläger. Eine Haftung der Beklagten als Mittäterin (§§ 1301, 1302 ABGB) eines Verstoßes gegen § 69 IO setze voraus, dass von ihr eingesetzte Personen die Geschäfte der Emittentin in maßgebenden Umständen geführt hätten. Konkret scheitere eine Haftung der Beklagten wegen einer Beteiligung an einem Verstoß gegen § 69 IO schon daran, dassein solcher Verstoß für die Schäden der Kläger nicht kausal gewesen wäre. Es stehe nämlich nicht fest, dass der Vorstand der Emittentin einen Insolvenzantrag gestellt hätte, wenn die Überschuldungsprüfung einen Überschuldungsstatus ergeben hätte.

[18] Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die Revision nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfragen von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zu lösen gewesen seien. Für den Zweitkläger – der ihn betreffende Entscheidungsgegenstand überstieg 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR – änderte es diesen Ausspruch nachträglich ab und sprach aus, dass die Revision doch zulässig sei (§ 508 Abs 3 ZPO). Im Kontext der Entscheidung 9 Ob 7/23d gebe es keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Haftung des Erstellers eines Gutachtens, welches der Jahresabschlussprüfer lediglich im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung seiner Prüfung zugrunde legen habe können, wenn Gläubiger aufgrund dieser Prüfung Dispositionen tätigen.

[19] Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richten sich die außerordentliche Revision des Erstklägers und die Revision des Zweitklägers, jeweils mit dem Abänderungsantrag, dem Klagebegehren stattzugeben, und hilfsweise mit einem Aufhebungsantrag.

[20] Die Beklagte beantragt in ihren Revisionsbeantwortungen – jene zur außerordentlichen Revision des Erstklägers wurde ihr vom Obersten Gerichtshof freigestellt (§ 508a Abs 2 ZPO) – die Revisionen zurückzuweisen und hilfsweise ihnen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[21] Die Revisionen sind zulässig und jeweils im Sinn des Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Haftung gemäß §§ 1299, 1300 Satz 1 ABGB

[22] 1.1. Die Ersatzpflicht des Sachverständigen nach den §§ 1299 f ABGB für reine Vermögensschäden aus einem fahrlässig falsch erstellten Gutachten beschränkt sich grundsätzlich auf den aus dem Schuldverhältnis Berechtigten, also regelmäßig den Auftraggeber (RS0026234 [T7, T10]; RS0026645 ua; 8 Ob 51/08w; 8 Ob 96/19d ErwGr 1.1.).

[23] Eine Haftung gegenüber einem Dritten kommt allerdings dann in Betracht, wenn objektiv-rechtliche Schutzwirkungen auf ihn zu erstrecken sind (RS0026234 [T13]; 10 Ob 34/21d Rz 2). Eine – in Rechtsprechung und Lehre anerkannte – objektiv-rechtliche Sorgfaltspflicht zugunsten eines Dritten trifft den Sachverständigen dann, wenn er damit rechnen musste, dass sein Gutachten (seine Tätigkeit) die Grundlage für die Disposition des Dritten bilden wird (RS0106433; RS0026645 [T5]; RS0026234 [T4]). Der Dritte ist demnach geschützt, wenn ein Vertrauenstatbestand vorliegt, der für den Dritten eine Entscheidungsgrundlage darstellen soll. Ob dies der Fall ist, richtet sich vor allem nach der Verkehrsübung und dem Zweck des Gutachtens (RS0106433 [T2, T12]; RS0017178 [T10, T13]; RS0026558 [T2]). Ausschlaggebend ist, wie ein verständiger Informationsempfänger die Expertise auffassen durfte (RS0026645 [T15]; Karner, Haftung für Rat und Auskunft zwischen Vertrag und Delikt, in FS Koziol [2010] 695 [713] mwN).

[24] Dass der Auskunftgeber in abstracto damit rechnen muss, die Information werde irgendwie – auch durch Weitergabe durch den Besteller – an Außenstehende gelangen, reicht zu einer Haftung gegenüber dem Dritten hingegen noch nicht aus (RS0026569). Nicht in Frage kommt eine Verantwortlichkeit gegenüber beliebigen Personen, im Zweifel auch dann nicht, wenn der Gutachter weiß, dass seine Stellungnahme verbreitet werden soll (RS0026558 [T3]; 8 Ob 667/87 = RS0026564).

[25] Haftungsgrund ist nämlichgerade der geschaffene Vertrauenstatbestand in Form der Abgabe einer– nach dem objektiven Erklärungswert – erkennbar drittgerichteten Erklärung, die Dritten als Vertrauensbasis für etwaige Vermögensdispositionen dienen sollte (vgl 3 Ob 67/05g; 7 Ob 60/21f Rz 5 uva). Nur wenn sich also der Dritte ausgehend vom Inhalt und vom ersichtlichen Zweck der gutachterlichen Stellungnahme als Informationsadressat angesprochen fühlen durfte und dies für den Sachverständigen auch erkennbar war, kommt eine Ersatzpflicht in Frage (vgl auch Kletečka, Die Haftung von Gutachtern gegenüber Dritten, in FS Reischauer [2010] 287 [306 f]).

[26] Die Haftung setzt neben der Schaffung der erkennbaren Vertrauensbasis aber auch die konkrete Inanspruchnahme des Vertrauens des Dritten voraus (vgl Karner in FS Koziol 713 ff mwN): Es muss zu einer Enttäuschung ebendieser (trügerischen) Vertrauensbasis gekommen sein, indem der Geschädigte die schadensauslösende Disposition im konkreten Vertrauen auf die (auch) an ihn gerichtete Information gesetzt hat (deutlich idS – zur Haftung des Abschlussprüfers – 5 Ob 262/01t; 10 Ob 48/13a ErwGr 2.; 8 Ob 105/13v ErwGr 3.3. uva; RS0116077; RS0129123; vgl weiters 3 Ob 67/05g; 8 Ob 51/08w).

[27] Es reicht somit in diesem Zusammenhang nicht aus, dass das falsche Gutachten – im Sinn einer conditio sine qua non – auf irgendeine Weise kausal für die Vermögensdisposition des geschädigten Dritten war, diese Disposition also bei pflichtgemäßer Gutachtenserstellung unterblieben wäre (vgl zu fehlerhaften Bestätigungsvermerken des Abschlussprüfers 4 Ob 145/21h Rz 33; 6 Ob 126/23g Rz 13 f).

[28] Durch das Abstellen auf jene Dritten, die auf die falsche Expertise des Sachverständigen nicht nur vertrauen durften, sondern auch tatsächlich vertraut haben, wird der geschützte Personenkreis durch die Rechtsprechung – im Sinn einer Begrenzung der Zurechnung zur Vermeidung einer uferlosen Haftung für bloße Vermögensschäden gegenüber beliebigen Personen (vgl RS0026558 [T3]; RS0026564) – bewusst eng gezogen (4 Ob 145/21h Rz 33; näher dazu W. Doralt, Kausalität, konkretes Vertrauen und Verjährung, ZFR 2022/109, 216 ff; Pock, Anm zu 4 Ob 145/21h, EvBl 2022/94; zur Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vgl RS0022814).

[29] 1.2. Diese soeben dargestellten Erwägungen, insbesondere auch zur notwendigen Begrenzung der Haftung gegenüber Dritten, gelten nicht nur für die Haftung des Abschlussprüfers (oder des Sacheinlageprüfers; vgl RS0017178 [T11]), sondern im besonderen Maße auch für die Ersatzpflicht von im Vorfeld beigezogenen Sachverständigen, die mit ihren Vorarbeiten die Grundlagen für diese externen Prüfer aufbereiten. So hat der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung zu 3 Ob 230/12p (ErwGr II.1.) darauf hingewiesen, dass das Haftungsrisiko des Abschlussprüfers, anders als jenes sonstiger Sachverständiger, ohnedies bereits wegen der – auch auf die Dritthaftung anzuwendenden – gesetzlichen Haftungsbegrenzungen des § 275 UGB sowie der Möglichkeit der Versicherung mit diesen betraglichen Haftungsgrenzen beschränkt sei. Die Gefahr der Uferlosigkeit komme bei der Abschlussprüferhaftung demnach, anders als bei der allgemeinen Sachverständigenhaftung nach § 1300 ABGB, nicht zum Tragen. Ganz allgemein verweist auch Karner (in FS Koziol 716) mit Recht darauf, dass aufgrund der Streuwirkung von Informationen eine möglichst klare Abgrenzung des geschützten Personenkreises erforderlich sei, die dem Gutachter die Abschätzung des Haftungsrisikos ermögliche, so dass er sich einen ausreichenden Versicherungsschutz verschaffen und die Höhe des Entgelts angemessen bestimmen könne.

[30] Schon diese grundsätzlichen Überlegungen sprechen gegen den Rechtsstandpunkt der Kläger, in der vorliegenden Konstellation, in der die (mutmaßlich unrichtigen) Gutachtensergebnisse der Beklagten der Jahresabschlussprüfung in Ansehung der Emittentin nach Durchführung einer bloßen Plausibilitätskontrolle zugrunde gelegt hätten werden dürfen, komme es für die Ersatzpflicht der Beklagten entscheidend bloß darauf an, ob für sie erkennbar gewesen sei, dass im Zuge der späteren Abschlussprüfung auf ihre Vorarbeiten zurückgegriffen werden solle, während die konkrete Enttäuschung einer gerade gegenüber künftigen Anleihegläubigern geschaffenen Vertrauensbasis keine Voraussetzung für die Haftung sei.

[31] Aus der von den Klägern für ihre Position ins Treffen geführten Entscheidung zu 9 Ob 7/23d ergibt sich nichts Gegenteiliges. In diesem Verfahren war die Abschlussprüferin der Tochtergesellschaft der auch hier in Rede stehenden Emittentin für das Geschäftsjahr 2016 von einem Anleger auf Schadenersatz in Anspruch genommen worden, weil er die begebenen Anleihen im Vertrauen auf den im Mai 2017 fehlerhaft erteilten uneingeschränkten Bestätigungsvermerk gezeichnet habe. Der Oberste Gerichtshof verneinte eine Haftung im Wesentlichen unter Hinweis darauf, dass die Abschlussprüferin (bloß) zu einer Plausibilitätsprüfung des Markenwertgutachtens der (nunmehr) beklagten Sachverständigen verpflichtet gewesen und die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, sie habe dieser Verpflichtung entsprochen, nicht korrekturbedürftig sei. Dem Argument des dortigen Klägers, die Berücksichtigung von Gutachten führe zu einer „Auslagerung der Haftung“, hielt der 9. Senat entgegen, dies ändere nichts daran, dass nicht jede Bewertung im Prüfverfahren vom Abschlussprüfer eigenständig von Neuem vorzunehmen ist und oftmals auch nicht vorgenommen werden kann. Damit wird aber gerade keine Aussage darüber getroffen, unter welchen konkreten Voraussetzungen die Erstellerin des Markenwertgutachtens dem Anleger für seinen (reinen) Vermögensschaden zu haften hätte.

[32] Mit den zuvor angestellten Erwägungen zur Reichweite und zu den Voraussetzungen der Dritthaftung von Sachverständigen, deren Expertisen erkennbar Abschluss- bzw Sacheinlagenprüfern als Arbeitsgrundlage dienen sollen, steht die Entscheidung 10 Ob 57/03k in Einklang. Dort vertrat der 10. Senat die – von der Lehre gebilligte (vgl statt vieler Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.09 § 1299 Rz 49) – Auffassung, dass grundsätzlich keine Haftung des den Jahresabschluss einer Kapitalgesellschaft erstellenden Steuerberaters für fahrlässig verursachte Vermögensschäden Dritter besteht, weil der erstellte Jahresabschluss zunächst nicht nach außen gerichtet ist und regelmäßig auch nicht angenommen werden kann, dass der Steuerberater bereit ist, einer unbekannten Vielzahl von Gläubigern und Aktionären sowie potentiellen Aktienerwerbern und deren Geldgebern für die Richtigkeit des Jahresabschlusses einzustehen.

[33] 1.3. Vor dem Hintergrund dieser Leitlinien hat das Berufungsgericht die Haftung der Beklagten nach §§ 1299 f ABGB für fahrlässig verursachte (reine) Vermögensschäden der Kläger auf Basis der vorliegenden (gesicherten) Tatsachengrundlage mit Recht von vornherein verneint: Ausgehend vom Inhalt der gegenständlichen gutachterlichen Stellungnahmen der Beklagten musste einem verständigen Informationsempfänger unzweifelhaft klar sein, dass diese Expertisen schon nach deren Natur und Zweck nicht als neutral gehaltene Informationsschreiben (auch) an potentielle Gläubiger der späteren Emittentin gerichtet, sondern jeweils nur für die interne Verwendung im W*-Konzern freigegeben worden waren (vgl auch 8 Ob 96/19d ErwGr 2.3.; weiters 4 Ob 249/14t). Die Beklagte hat damit keinen Vertrauenstatbestand geschaffen, aufgrund dessen sie mit entsprechenden (Vertrauens-)Dispositionen Dritter zu rechnen hatte. Abgesehen davon ist es aber ausgehend vom Urteilssachverhalt auch zu keiner konkreten Enttäuschung eines Vertrauens der Kläger gerade auf die Richtigkeit der Expertisen der Beklagten gekommen.

2. Haftung gemäß § 1295 Abs 2, § 1300 Satz 2 ABGB

[34] 2.1. Die Kläger stützen sich im Verfahren allerdings nicht nur auf eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung der Beklagten durch das Schaffen einer (trügerischen) Vertrauensbasis für künftige Anleihegläubiger. Sie lasten der Beklagten sinngemäß an, ihre Expertisen für die Emittentin wissentlich falsch erstellt zu haben, damit diese darauf aufbauend ihre Anleihe mit vordergründig hervorragenden Bilanzkennzahlen bewerben habe können. Die Schädigung künftiger Anleger habe sie dabei billigend in Kauf genommen.

[35] In der Sache berufen sich die Kläger damit auf eine sittenwidrige Schädigung der Anleihegläubiger der Emittentin durch bewusste Fehldarstellung des Markenwerts und der wirtschaftlichen Situation des Konzerns in ihren Gutachten, mit denen letztlich mittelbar auf den späteren Investitionsentschluss der Anleger Einfluss genommen worden sei.

[36] 2.2. Soweit nun die Vorinstanzen auch in diesem Zusammenhang erkennbar auf eintatsächliches Vertrauen der Kläger gerade auf die konkreten gutachterlichen Stellungnahmen der Beklagten als Entscheidungsgrundlage für den schadensauslösenden Investitionsentschluss abstellten, bedarf diese Rechtsansicht der Korrektur:

[37] Die zuvor angeführten Erwägungen, die eine entsprechende Begrenzung der Zurechnung bei fahrlässig verursachten (reinen) Vermögensschäden Dritter durch falsche Gutachten notwendig erscheinen lassen, namentlich die angesprochene Streuwirkung von Informationen, die – zur Vermeidung der Uferlosigkeit der Haftung und zur Ermöglichung einer Vorabeinschätzung des Haftungsrisikos durch den Gutachter – eine möglichst klare Abgrenzung des geschützten Personenkreises erforderlich macht, kommen hier nämlich nicht zum Tragen: Es besteht kein Grund, einen Gutachter, der – nach den Prozessbehauptungen der Kläger – wissentlich unrichtige Expertisen erstellt und dabei zugleich die Schädigung einer vorweg nicht näher eingrenzbaren Zahl von dritten Anlegern in seinen Vorsatz aufgenommen hat, vor einer Haftungsausuferung zu schützen.

[38] Nach allgemeinen Grundsätzen der Deliktshaftung genießt bloßes Vermögen Schutz vor vorsätzlicher Schädigung iSd § 1295 Abs 2 ABGB (RS0016754; RS0023122; RS0022813 [T4, T5] ua). Nichts anderes gilt im hier in Rede stehenden Bereich der Sachverständigenhaftung bei wissentlicher Unrichtigkeit der erteilten Information iSd § 1300 Satz 2 ABGB im Fall der (zumindest bedingt) vorsätzlichen Schädigung dritter Personen (vgl Kletečka in FS Reischauer 295 mwN). So wird denn auch in der Rechtsprechung auf die ausnahmsweise deliktische Verantwortlichkeit des Sachverständigen gegenüber beliebigen Dritten – unabhängig von der Verletzung spezifischer Sorgfaltspflichten aus einer (vertraglichen oder gesetzlichen) Sonderbeziehung – bei absichtlicher, sittenwidriger Schadenszufügung hingewiesen (vgl RS0026234 [T1, T2]) und zugleich betont, dass eine deliktische Haftung gegenüber Dritten für reine Vermögensschäden bei (zumindest bedingtem) Vorsatz des Beklagten in Betracht kommt (idS RS0026234 [T7]).

[39] Auf die zur Haftung des Sachverständigen gegenüber Dritten aus Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bzw wegen Verletzung objektiv-rechtlicher Schutzpflichten entwickelten Grundsätze, insbesondere zu den Haftungsvoraussetzungen der Schaffung einer Vertrauensbasis und der im konkreten Vertrauen darauf (also auf das Gutachten) getätigten Vermögensdisposition des Geschädigten, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (deutlich idS bereits 8 Ob 51/08w; 8 Ob 96/19d ErwGr 1.1. und 2.1.: „darüber hinaus […]“; weiters 6 Ob 205/19v ErwGr 1.4.). Es reicht vielmehr eine schlichte Kausalität des inkriminierten Verhaltens für den Eintritt des Schadens.

[40] 2.3. Damit erweist sich die Rechtssache schon in diesem Punkt als nicht spruchreif. Die gesicherte Feststellungsgrundlage reicht zur Beurteilung des erhobenen Vorwurfs der (bedingt) vorsätzlichen Schädigung potentieller Anleihegläubiger durch wissentlich falsche Gutachten der Beklagten nicht aus.

[41] Das Erstgericht hat keine hinreichenden Feststellungen zu den näheren Umständen des Zustandekommens sowie der Abwicklung der fraglichen Gutachtensaufträge und namentlich zu den damit einhergehenden Vorstellungen des mit der Gutachtenserstellung befassten Geschäftsführers der Beklagten, aber auch zu den Fragen getroffen, ob die erstellten Gutachten unrichtig und zudem auf irgendeine Weise ursächlich für den Investitionsentschluss der Kläger gewesen sind.

3. Haftung gemäß § 69 IO iVm § 1301 ABGB

[42] 3.1. Einer Ergänzung bedarf der Urteilssachverhalt aber auch in Ansehung des weiteren im Klagevortrag erhobenen Fehlverhaltensvorwurfs der Verletzung der Bestimmung des § 69 IO, der, träfe er zu, zu einer Ersatzpflicht der Beklagten führen würde, zumal es auch insoweit – entgegen der erkennbaren Rechtsauffassung der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung – auf ein konkretes Vertrauen der Kläger auf die erstellten Gutachten jeweils nicht ankommt.

[43] Die Kläger kommen in den Revisionen auf ihr in erster Instanz erstattetes Prozessvorbringen, die Beklagte hätte selbst die Verpflichtung getroffen, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Emittentin bzw ihrer Tochtergesellschaft zu stellen, jedenfalls aber (als faktische Geschäftsführerin dieser Gesellschaften) auf einen solchen Antrag hinwirken müssen, nicht mehr zurück.

[44] Allerdings halten sie auch noch im Revisionsverfahren ihren Vorwurf aufrecht, die Beklagte habe zur Verletzung der Insolvenzantragspflicht iSd § 1301 ABGB beigetragen, indem sie – im Wissen um die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaften – mit ihren wissentlich falschen Expertisen sämtliche Grundlagen dafür geschaffen habe, damit die Geschäftsleitung von der tatsächlich erforderlichen Antragstellung absehen und weitere Anleihegelder auf dem Kapitalmarkt einsammeln habe können.

[45] 3.2. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die angesprochene Beteiligung an einer Verletzung des § 69 IO würde unter anderem die Führung der Geschäfte der Gesellschaft durch von der Beklagten eingesetzte Personen voraussetzen, was die Kläger jedoch nicht einmal behauptethätten, hält einer Überprüfung nicht stand:

[46] Das Prozessvorbringen der Kläger in Zusammenhang mit der vor Begebung der Anleihen unterbliebenen Insolvenzantragstellung läuft auf den Vorwurf der Bewirkung einer Vermögensschädigung durchbewusstes Verleiten, zumindest aber durch bewusstes Fördern der Begehung des in Rede stehenden Insolvenzdelikts durch den unmittelbaren Täter hinaus. Mehr ist aber zu einer Haftung als „Gehilfe“ iSd § 1301 ABGB nach ständiger Rechtsprechung nicht erforderlich: Der Gehilfe muss – wie es § 12 StGB und § 7 VStG formulieren – zur Ausführung der Tat beitragen oder diese erleichtern (4 Ob 194/05s mwN; RS0031329 [T7]). Adäquate Verursachung reicht für die Haftung nicht aus. Wer selbst nicht tatbestandsmäßig handelt, sondern nur einen sonstigen Tatbeitrag leistet, haftet daher nur dann, wenn er den Täter bewusst fördert. Dies setzt voraus, dass ihm die Tatumstände, die den Gesetzesverstoß begründen, bekannt sind oder er eine diesbezügliche Prüfpflicht verletzt. Diese ist auf grobe und auffallende Verstöße beschränkt (10 Ob 86/14s ErwGr 5.2.; RS0026577 [T7, T8, T9]; RS0031329 [T8, T10]). Auch juristische Personen können sich – aufgrund des ihnen zuzurechnenden Verhaltens ihrer Organe und Repräsentanten – als Mittäter an einer Schutzgesetzverletzung beteiligen (vgl 10 Ob 86/14s ErwGr 5.5.; RS0079765 [T12, T14]; RS0009113 [T25, T33]).

[47] 3.3. Die Ansicht des Berufungsgerichts, eine Haftung der Beklagten wegen der Beteiligung an einer Verletzung des § 69 IO scheitere am Fehlen der Kausalität, ist ebenfalls nicht zu teilen: Es stimmt zwar, dass eine Haftung nach §§ 1301, 1302 ABGB nicht in Frage kommt, wenn sich die mangelnde Kausalität des Verhaltens des „Mittäters“ ausdrücklich nachweisen lässt (RS0026674 [T4]). Dieser Nachweis ist der Beklagten aber nicht gelungen, weil das Erstgericht zu diesem Thema eine Negativfeststellung getroffen hat: Das Erstgericht konnte nicht feststellen, ob der Vorstand der Emittentin einen Insolvenzantrag gestellt hätte, wenn die Überschuldungsprüfung zu einem Überschuldungsstatus geführt hätte.

[48] 3.4. Ausgehend davon hätten die Vorinstanzen auch den hinreichend substanziierten Vorwurf der Mittäterschaft der Beklagten bei der Verletzung des § 69 IO zu klären gehabt.

4. Ergebnis und Kosten

[49] 4.1. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Ausführungen erweist sich eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zur Klärung der Haftung der Beklagten wegen vorsätzlicher Schädigung sowie wegen Beteiligung an einer Verletzung des § 69 IO als erforderlich. Die Rechtssache ist aus diesem Grund zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

4.2. In Ansehung des Erstklägers wird das Erstgericht dabei auch zu beachten haben:

[50] Ein geschädigter Anleger, der das Kapital jedenfalls angelegt hätte – was bei einem vorgefassten Anlageentschluss im Regelfall anzunehmen ist –, hat nach der ständigen Rechtsprechung nicht nur zu behaupten und zu beweisen, dass er ohne das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des Schädigers die tatsächlich gezeichnete Anlage nicht erworben hätte, sondern auch die hypothetische Alternativanlage und deren Entwicklung (4 Ob 67/12z, ErwGr 5.3.; 7 Ob 221/13w; 3 Ob 109/19d, ErwGr 1.). Dieser Rechtsprechung liegt die Auffassung zugrunde, dass der rechnerische Schaden nicht bereits der Erwerb einer „falschen“ Anlageform, sondern erst der zu einem bestimmten Termin (Verkauf der Papiere; Schluss der Verhandlung bei Wertlosigkeit der Anlage) bestehende Unterschied zwischen dem tatsächlichen und dem hypothetischen Vermögensstand ist. In Bezug auf diesen Schaden ist die Kausalität zu prüfen (8 Ob 2/17b, ErwGr 2.).

[51] Dem geschädigten Anleger kommt aber zugute, dass wegen der Unmöglichkeit eines exakten Nachweises von Ereignissen, die tatsächlich nicht stattgefunden haben, keine strengen Anforderungen an den Beweis des hypothetischen Kausalverlaufs zu stellen sind. Das Beweismaß für den hypothetischen Kausalverlauf ist jenes der überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Dieses liegt unter dem Regelbeweismaß der ZPO (hohe Wahrscheinlichkeit). Gelingt dem Geschädigten dieser Beweis, steht dem Schädiger der Nachweis offen, dass ein anderer Verlauf wahrscheinlicher gewesen wäre (vgl 4 Ob 67/12z, ErwGr 6.; 8 Ob 2/17b, ErwGr 2.; 3 Ob 191/17k, ErwGr V.1.).

[52] Die Negativfeststellung des Erstgerichts zur hypothetischen Alternativanlage des Erstklägers beruht, wie die Revision richtig vorbringt, offenkundig auf dem Regelbeweismaß der ZPO. Sie kann daher die abweisende Entscheidung in Ansehung des Erstklägers nicht tragen. Bei der neuerlichen Entscheidung wird das Erstgericht allfällige Feststellungen zur hypothetischen Alternativanlage des Erstklägers unter Anwendung des richtigen Beweismaßes (überwiegende Wahrscheinlichkeit) zu treffen haben.

[53] 4.3. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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