OGH 4Ob1/25p

OGH4Ob1/25p18.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacherals Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstättenund den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * Privatstiftung, *, vertreten durch Dr. Corvin Hummer, Mag. Birke Schönknecht, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei *gesmbH, *, vertreten durch Mag. Dieter Koch, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, wegen Räumung (Streitwert 35.118,48 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 20. November 2024, GZ 39 R 139/24s‑14.3,mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 5. Mai 2024, GZ 49 C 25/24a‑7, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00001.25P.0318.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.764,24 EUR (darin enthalten 294,04 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die beklagte Mieterin kündigte das Bestandverhältnis für ihre Wohnung mit Schreiben vom 28. 9. 2023 per 31. 12. 2023 auf. Das Kündigungsschreiben ging der klagenden Vermieterin erst am 3. 10. 2023 zu, sodass die vertraglich vereinbarte dreimonatige Kündigungsfrist in diesem Zeitpunkt nicht mehr gewahrt war.

[2] Die Klägerin bestätigte den Erhalt des Kündigungsschreibens und das Ende des Mietverhältnisses per 31. 1. 2024.

[3] Die Beklagte ersuchte die Klägerin daraufhin, das Mietverhältnis per Ende Dezember 2023 oder Ende April 2024 zu beenden. Die Klägerin war dazu aber nicht bereit.

[4] Die Klägerin brachte am 7. 2. 2024 Räumungsklage ein.

[5] Die Beklagte wandte unter anderem ein, dass sie nur per 1. 1. oder 1. 4. 2024 in ihre neue Wohnung übersiedeln hätte können. Die Klägerin habe dies auch gewusst, sodass die termin- und fristwidrige Kündigung der Beklagten unwirksam sei.

[6] Die Vorinstanzen gaben der Räumungsklage statt. Gehe dem Vermieter eine schriftliche Kündigung erst nach Beginn der für den darin genannten Kündigungstermin einzuhaltenden Kündigungsfrist zu, so sei die Kündigung gemäß § 33 Abs 1 Satz 2 MRG zum ersten späteren Kündigungstermin wirksam, für den die Frist zu diesem Zeitpunkt noch offen sei. Dies sei hier der 31. 1. 2024.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision der Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig,aber nicht berechtigt.

[8] 1. Die Beklagte meint, dass die Bestimmung des § 33 Abs 1 MRG teleologisch zu reduzieren und nur anzuwenden sei, wenn eine Kündigung zum nächstmöglichen Termin auch tatsächlich im Interesse des Mieters liege. Die Bestimmung sei nämlich durch die Wohnrechtsnovelle 2006 (WRN 2006) geschaffen worden, um dem Mieter die Kündigung zu erleichtern.

[9] 1.1. Richtig ist, dass mit der WRN 2006 (BGBl 2006/124) die Mieterkündigung neu geregelt wurde: Statt der bisher auch für den Mieter geltenden Notwendigkeit, ein dem Kündigungsschutz des MRG unterliegendes Bestandverhältnis gerichtlich kündigen zu müssen, genügt nun die schriftliche außergerichtliche Kündigung (3 Ob 174/10z [Pkt 1]).

[10] Zugleich wurde in § 33 Abs 1 MRG der Satz 2 eingefügt, wonach verfristete Kündigungen nicht mehr unwirksam, sondern zum ersten späteren Kündigungstermin wirksam sein sollen.

[11] 1.2. Der Beklagten ist zwar zuzustimmen, dass die teleologische Reduktion ein zulässiges Werkzeug der Gesetzesauslegung ist. Sie kommt zur Anwendung, wenn der Wortlaut einer Norm über den eindeutigen Gesetzeszweck hinausgeht und stellt somit bei zu weit geratenen gesetzlichen Tatbeständen das Gegenstück zur Analogie dar. Sie verschafft der ratio legis Durchsetzung gegen einen überschießend weiten Gesetzeswortlaut, indem sich die (letztlich den Gesetzeswortlaut korrigierende) Auslegung am Gesetzeszweck orientiert (RS0008979; RS0134141).

[12] Eine teleologische Reduktion kann aber nur dann zur Anwendung kommen, wenn die Norm auch eine klar umschreibbare Fallgruppe umfasst, die von den Grundwertungen oder Zwecken des Gesetzes entgegen seinem Wortlaut gar nicht gemeint wird. Diese Fallgruppe muss sich von den „eigentlich gemeinten“ Fallgruppen so weit unterscheiden, dass die Gleichbehandlung sachlich ungerechtfertigt und willkürlich wäre (RS0106113 [T6]).

[13] 1.3. Die Neufassung der Vorschrift § 33 Abs 1 MRG sollte jedoch entgegen der Argumentation der Beklagten keineswegs eine einseitige Verbesserung der Rechtslage zugunsten des Mieters bewirken. Vielmehr heißt es in den Gesetzesmaterialien: „Mit den beiden hier vorgesehenen Änderungen werden im Bereich der Kündigung Formalismen zurückgedrängt und dadurch sowohl für den Mieter als auch für den Vermieter Erleichterungen bewirkt“ (RV 1183 BlgNR 22. GP  43). Gerade der neu geschaffene Satz 2, nach dem eine fristwidrige Kündigung nicht mehr unwirksam ist, sondern das Bestandverhältnis zum nächstmöglichen Termin auflöst, gilt nach dem Wortlaut gleichermaßen für die Vermieter- wie auch die Mieterkündigung. Der Gesetzgeber hatte dabei – wie sich aus den Materialien ergibt – insbesondere auch den Fall konkret vor Augen, dass die gerichtliche Zustellung einer Vermieterkündigung an den Mieter nicht so rechtzeitig erfolgt, dass die Kündigungsfrist gewahrt wird. Eine Verbesserung der Rechtsposition nur der Mieter war also gerade nicht Zweck der Novelle.

[14] 1.4. Außerdem wird aus der Revision auch nicht ersichtlich, wie eine Fallgruppe umschrieben werden könnte, für die eine fristwidrige Kündigung entgegen dem klaren Gesetzeswortlaut wirkungslos sein soll. Für die Beklagte mag aufgrund besonderer persönlicher Umstände eine Unwirksamkeit ihrer Kündigung vorteilhafter erschienen sein als eine Beendigung des Bestandverhältnisses einen Monat später. Eine allgemeine, auch für die Kündigungsempfänger intersubjektiv nachvollziehbare Regel ist daraus jedoch nicht abzuleiten.

[15] Eine Kenntnis der Vermieterin von diesen besonderen Umständen bei Zugang der Kündigung wurde im Übrigen von den Vorinstanzen nicht festgestellt und wird auch in der Revision nicht mehr thematisiert.

[16] 1.5. Zusammengefasst besteht daher kein Raum für eine teleologische Reduktion des § 33 Abs 1 Satz 2 MRG auf jene Fälle, in denen die Wirksamkeit der verfristeten Mieterkündigung zum nächsten möglichen Termin tatsächlich im Interesse des Mieters liegt.

[17] 2. Die Beklagte argumentiert, dass sie der Klägerin nach Erkennen der Fristwidrigkeit ihrer Kündigung prompt mitgeteilt habe, dass sie die Wohnung nicht zum 31. 1. 2024 räumen werde können. Die Klägerin habe daher nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte den 31. 1. 2024 als Endtermin des Bestandverhältnisses akzeptiere.

[18] 2.1. Eine Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, welche auf die künftige Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses gerichtet ist (vgl RS0020951). Sie bedarf keiner Annahme durch den Kündigungsempfänger (RS0020951 [T4]; RS0028555 [T3]). Da mit der Kündigung ein Gestaltungsrecht des Kündigenden ausgeübt wird, wird die Rechtslage bereits durch ihren Zugang geändert (RS0028555 [T8]), also das Dauerschuldverhältnis zum (zulässigen) Kündigungstermin beendet.

[19] 2.2. Im konkreten Fall bedeutet dies, dass der Zugang der Kündigung der Beklagten an die Klägerin am 3. 10. 2023 das Bestandverhältnis per 31. 1. 2024 beendete. Eine Zustimmung der Beklagten zu dem durch ihre eigene Kündigung bewirkten Ende des Bestandverhältnisses oder dem sich aus dem klaren Gesetzeswortlaut ergebenden Endtermin war daher nicht erforderlich.

[20] 3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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