OGH 4Ob106/24b

OGH4Ob106/24b18.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * Ges.m.b.H., *, vertreten durch Hon.-Prof. Dr. Clemens Thiele, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei * GmbH, *, vertreten durch die HULE BACHMAYR-HEYDA NORDBERG Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung, Urteilsveröffentlichung, Rechnungslegung und Zahlung (Stufenklage) sowie Auskunftserteilung (Gesamtstreitwert 56.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. Mai 2024, GZ 1 R 35/24k-62, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0040OB00106.24B.0318.001

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Gewerblicher Rechtsschutz

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Streitteile vertreiben jeweils Heizsocken, an die ein Akku angeschlossen werden kann. Für die Klägerin ist folgendes Gemeinschaftsgeschmacksmuster für „Strümpfe“ eingetragen:

[2] Der Anschlussbereich am Bund der Socken der Beklagten ist wie folgt gestaltet:

 

[3] Die Vorinstanzen wiesen übereinstimmend eine auf die VO (EG) Nr 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV) sowie auf lauterkeitsrechtlichen Schutz vor Nachahmung gemäß § 1, § 2 (Abs 3 Z 1) und § 9 Abs 3 UWG gestützte Klage ab. Dafür verwiesen sie auf ihre bereits im Provisorialverfahren vertretene und vom Obersten Gerichtshof im Rahmen eines Zurückweisungsbeschlusses zu 4 Ob 72/21y (Anm von Henning Hartwig, Produkt- oder Designschutz?, ÖBl 2023/2; Hirsch,ÖBl 2022/38; Grötschl,ecolex 2022/107) gebilligte Rechtsansicht, wonach ein unterschiedlicher Gesamteindruck vorliege und auch keine Verwechslungsgefahr, insbesondere weil die Druckknöpfe technisch bedingt seien.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die außerordentliche Revision der Klägerin, mit der sie eine Klagsstattgebung erreichen will, ist mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und daher zurückweisen.

[5] 1. Der Einwand der Nichtigkeitder Berufungsentscheidung wegen falscher Gerichtsbesetzung geht ins Leere, weil sich aus dem Kopf klar ergibt, dass zwar über einen Rekurs (zu 1 R 18/24k) mit drei Berufsrichtern entschieden wurde, in der Hauptsache jedoch mit einem fachmännischen Laienrichter gemäß § 8 Abs 2 JN.

[6] 2. Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt die Klägerin, dass sich das Berufungsgericht nicht (ausreichend) mit ihrer Mängel- und Beweisrüge auseinandergesetzt habe und es an wesentlichen Feststellungen fehle.

[7] Die Wertung, ob das von der Beklagten vertriebene Produkt – dessen Aufmachung mittels Wiedergabe von Fotos festgestellt wurde, sich aus den vorgelegten Augenscheinsgegenständen ergibt und im Übrigen unstrittig ist – in das Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin eingreift oder eine unlautere Nachahmung darstellt, ist jedoch vorrangig eine Rechtsfrage. Auch (vermeintliche) sekundäre Feststellungsmängel sind der Rechtsrüge zuzuordnen (vgl RS0043304 [T6]).

3. Zum Gemeinschaftsgeschmacksmuster:

[8] 3.1 Als weitere Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens bzw Begründungsmangel macht die Revision einen Verstoß gegen die Bindungswirkung nach Art 86 Abs 5 GGV geltend, weil die Vorinstanzen von der Rechtsansicht der Nichtigkeitsabteilung und der (dritten) Beschwerdekammer des EUIPO im von der Beklagten angestrengten Nichtigkeitsverfahren abgewichen seien.

[9] Die Art 85 ff GGV regeln jedoch nur die Rechtsgültigkeit eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters, von der die Vorinstanzen ohnedies ausgingen.

[10] 3.2 Beizupflichten ist der Klägerin, dass die Schutzfähigkeit eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters und die Verletzungsfrage grundsätzlich nach denselben Prüfungskriterien zu beurteilen sind, nämlich danach, ob beim informierten Benutzer (im direkten Vergleich) ein anderer Gesamteindruck erweckt wird (vgl RS0122070, RS0120720). Dieser „informierte Benutzer“ unterscheidet sich durch ein gewisses Maß an Kenntnissen und Aufgeschlossenheit für Designfragen vom „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der betreffenden Waren- oder Dienstleistungen“, wenn auch nicht Wissen und Fähigkeiten eines Fachmanns anzulegen sind (RS0122068).

[11] Da es sich bei der Beurteilung, ob ein informierter Benutzer einen unterschiedlichen Gesamteindruck gewinnt, um eine typische Frage des Einzelfalls handelt, wird damit – von Fällen korrekturbedürftiger Fehlbeurteilungen abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgeworfen (vgl RS0120720 [T2], RS0122070 [T1]).

[12] Die Anrufung des Obersten Gerichtshofs ist zudem nur zulässig, wenn die Entscheidung gerade von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, die angeschnittene Rechtsfrage also für die Entscheidung präjudiziell ist (vgl RS0088931; 4 Ob 125/24x).

[13] 3.3.1 Auch wenn man – wie die Nichtigkeitsabteilung und die (dritte) Beschwerdekammer des EUIPO – davon ausgeht, dass die Entscheidung der Klägerin für drei Druckknöpfe undderen konkrete Anordnung in vertikaler Reihe nicht rein technisch bedingt ist iSd Art 8 Abs 1 GGV (offenlassend hinsichtlich Abs 2), liegt nicht automatisch derselbe Gesamteindruck und damit ein Eingriff vor.

[14] 3.3.2 Schutzgegenstand des Gemeinschaftsgeschmacksmusters der Klägerin ist ein Abschlussbund aus einem Strumpfstoff, auf dem ein Rechteck aus festem Stoff im Hochformat positioniert ist, auf dem wiederum drei (mit stern- und punktförmigen Einkerbungen verzierte) Druckknopf-Ösen senkrecht angeordnet sind; quer darunter befinden sich Pflegehinweise und Verbraucherinformationen in weißer Schrift bzw als Piktogramme.

[15] Die Klägerin argumentiert, dass der Grad der Gestaltungsfreiheit und damit der Schutzumfang iSd Art 10 Abs 2 GGV „durchschnittlich“ sei (zur Wechselwirkung s RS0122071) und der Gesamteindruck hier durch jene Gestaltungsmerkmale geprägt werde, die die grundlegende Formgebung beträfen.

[16] Auch wenn man mit der Klägerin von sichtbaren Elementen und nicht ausschließlich technisch bedingten Merkmalen iSd Art 4, 8 GGV sowie einem durchschnittlichen Schutzumfang ausgeht, wird ein informierter Benutzer von (Heiz-)Strümpfen das Feld mit den Ösen und Anleitungen am Bund aber zumindest als technisch und rechtlich beeinflusst wahrnehmen. Für den von der Klägerin gewünschten „Umkehrschluss“, dass die Ösen als rein verzierendes und deswegen den Gesamteindruck prägendes Element angesehen werden (wie etwa der offenkundig rein dekorative „Burlington-Clip“), gibt es keine Grundlage.

[17] Der Senat verwies bereits im Provisorialverfahren darauf, dass das Design der Klägerin zu einem schlichten und eleganten Eindruck führt, während die Druckknöpfe der Beklagten (die einen geringfügig anderen Abstand haben) auf drei Seiten von Beschreibungen, Anleitungen und ihrer Wortmarke umgeben sind. Dies erweckt beim klägerischen Muster den Eindruck eines langgezogenen Streifens, beim Socken der Beklagten nähert sich das Rechteck hingegen einem Quadrat oder gedrungenem Raster. Das Augenmerk wird beim Rechteck der Beklagten auf die sich vom schwarzen Untergrund prägnant abhebende weiße Schrift gelegt und deren Positionierung zu den Ösen, nicht auf den Abstand zwischen den Ösen. Dieser Unterschied ist so ausgeprägt, dass man ihn als für den Gesamteindruck maßgeblich ansehen und davon ausgehend einen Eingriff verneinen kann.

[18] Die Einbeziehung der Ösen in die Ermittlung des Gesamteindrucks würde daher zu keinem für die Klägerin günstigeren Ergebnis führen.

4. Zum lauterkeitsrechtlichen Schutz gegen Nachahmung:

[19] 4.1 Mit ihrem Eventualbegehren will die Klägerin der Beklagten verbieten, Heizsocken und/oder beheizbare Strümpfe mit drei Druckknopfleisten [sic] in folgendem [rechts] oder ähnlichem Aussehen in Österreich zu vertreiben und/oder in Verkehr zu bringen, die dem Erzeugnis „heatsocks“ der Klägerin [links] nachgeahmt bzw verwechselbar ähnlich sind:

 

[20] Nach den Feststellungen haben die Verpackungen und die Socken der Streitteile [auch; die Anschlussleiste befindet sich jeweils unter einer umgeklappten Stulpe] folgendes Aussehen (links Klägerin, rechts Beklagte):

 

 

[21] 4.2 Die Revision führt eine Verletzung von „§§ 1, 2 und § 9 UWG“ ins Treffen und argumentiert mit zwei Stoßrichtungen, nämlich einerseits mit einer „Irreführung“ und andererseits mit einem ausbeuterischen „Einschieben in eine fremde Serie“, weil es der Beklagten gerade auf eine Kompatibilität ankomme (was im Provisorialverfahren aus formalen Gründen nicht geprüft wurde). Sie verweist darauf, dass es für den lauterkeitsrechtlichen Schutz auf den Eindruck eines Durchschnittsverbrauchers ankomme, und rügt, dass sich die Vorinstanzen nicht mit der von ihr vorgelegten Studie bzw dazu geltend gemachten Mängel- und Beweisrügen auseinandergesetzt hätten. Demnach komme ihr „Marktführerschaft“ zu und ihren Socken eine „gewisse Verkehrsbekanntheit“ im Sinn einer wettbewerblichen Eigenart; 13 % der Befragten [von denen 8 % bereits Heizsocken verwendet haben] würden die beiden Socken [laut Klagebegehren] für „sehr ähnlich“ halten, weitere 49 % für „eher ähnlich“ und 48 % würden „keine markanten Unterschiede“ zwischen den Fabrikaten sehen.

[22] 4.3.1 Der Senat wies bereits im Provisorialverfahren darauf hin, dass im Interesse der Wettbewerbsfreiheit vom Grundsatz der Nachahmungsfreiheit auszugehen ist (RS0132651; jüngst 4 Ob 194/24v).

[23] Das Anbieten einer Nachahmung kann lauterkeitswidrig sein, wenn besondere Begleitumstände in Form eines unlauteren Verhaltens des Mitbewerbers hinzutreten, wie etwa eine sklavische Nachahmung bzw eine glatte Leistungsübernahme, eine vermeidbare Herkunftstäuschung oder eine unangemessene Ausnützung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts (RS0078130; 4 Ob 80/19xMagnum Double mwN).

[24] 4.3.2 Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist eine Rechtsfrage; eine Beweisaufnahme über die Anschauung der angesprochenen Verkehrskreise zur Verwechselbarkeit mehrerer Zeichen oder Produktaufmachungen ist nach ständiger Rechtsprechung nicht erforderlich, wenn – wie hier – die allgemeine Lebenserfahrung ausreicht (vgl RS0043640 [T3, T6]; RS0043518). Ob bei einer Nachahmung im Einzelfall Verwechslungseignung besteht, ist keine erhebliche Rechtsfrage (RS0042805).

[25] Wenn man die Heizsocken aus der Sicht eines Durchschnittsanwenders mit etwas erhöhter Aufmerksamkeit betrachtet, wird sich diesem erschließen, dass die Druckknöpfe zur Befestigung der Wärmequelle dienen und das „Bedienelement“ zweckmäßiger Weise möglichst weit oben liegen sollte, sodass der Druckknopfleiste samt Hinweisen auch aus lauterkeitsrechtlicher Perspektive kein besonderer Stellenwert zukommt.Selbst wenn man eine wettbewerbliche Eigenart der Socken der Klägerin unterstellt, wäre sie nach den Revisionsausführungen nur gering, sodass bereits geringe Abweichungen die Gefahr von Verwechslungen ausschließen (vgl RS0078676 [T2], RS0078169; 4 Ob 80/19xMagnum Double). Damit ist die Entscheidung des Berufungsgerichts aber jedenfalls vertretbar, angesichts der mannigfaltigen Unterschiede in der Gesamtgestaltung der Socken eine Verwechslungsgefahr zu verneinen.

[26] 4.3.3 Dass sogar ein nicht unerheblicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise die Druckknopfleiste (oder die Gestaltung der Socken insgesamt) kennen und als Hinweis auf ein bestimmtes Unternehmen iSd § 2 Abs 3 Z 1 UWG und § 9 Abs 3 UWG verstehen würde (vgl RS0127266), ergab sich im Verfahren nicht und wird von der Revision auch nicht mehr vertreten.

[27] 4.3.4 Eine bewusste Nachahmung (vgl RS0078297, RS0114533, 4 Ob 80/19xMagnum Double) der Anzahl und Position der Druckknöpfe wird von der Revision zwar mehrfach unterstellt, ergibt sich jedoch ebenso wenig aus dem festgestellten Sachverhalt. Sekundäre Feststellungsmängel zu konkreten Tatsachen, aus denen die von der Klägerin behauptete Intention abzuleiten wäre, wonach es der Beklagten [zurechenbaren Personen] gerade um die Austauschbarkeit gehe, werden nicht geltend gemacht. Auch die Ausführungen zum (überragend) guten Ruf der Klägerin und ihrer Heizsocken finden keine Deckung in den Verfahrensergebnissen.

[28] 4.3.5 Die Beklagte vertreibt schließlich keine „Wechselsocken“ zur Nutzung mit Akkus der Klägerin. Vielmehr bietet sie unter ihrer – auf Socken und Verpackung prominent platzierten und sich vom Firmenschlagwort der Klägerin deutlich unterscheidenden – Marke bzw ihrem Logo ein eigenes System an bestehend aus Socken und Akkus, das „bloß“ kompatibel ist (wobei diese Kompatibilität laut Klagsvorbringen nur scheinbar gegeben ist).

[29] Diese Konstellation ist mit jener vergleichbar, wie sie zu 4 Ob 196/00b beurteilt wurde. Dort wurde bereits ein (schlecht) kompatibles, aber grundsätzlich eigenständiges Klemmbausteinsystem auch im Hinblick auf den Nachahmungsschutz nach § 1 und § 9 Abs 3 UWG und trotz „überragender Verkehrsgeltung“ des klagenden Markterschließers für zulässig angesehen.

[30] Erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO stellen sich daher in diesem Zusammenhang nicht, sodass auch kein näheres Eingehen auf die Kritik an der Fallgruppe „Einschieben in eine fremde Serie“ erforderlich ist.

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