OGH 3Ob512/76

OGH3Ob512/761.6.1976

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Winkelmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Kinzel, Dr. Reithofer, Dr. Stix und Dr. Schubert als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F* B*, Hotelier, *, vertreten durch Dr. Rudolf Wieser, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Firma T* Ltd., *, London, *, vertreten durch Dr. Jörg Christian Horwath, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 388.580,– s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 20. November 1975, GZ 2 R 353/75‑23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 28. Juli 1975, GZ 23 Cg 221/74‑18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

 

1.) den Beschluß gefaßt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0030OB00512.76.0601.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Die Revision wegen Nichtigkeit wird verworfen.

 

2.) zu Recht erkannt:

 

Im übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.026,80 (darin S 1.320,— Barauslagen und S 496,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten dieses Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt von der Beklagten für die mit dieser vereinbarte Beherbergung englischer Reisegruppen in seinem Hotel in der Wintersaison 1973/74 die Zahlung von S 388.580, — samt 10 % Zinsen seit 1. 3. 1974.

Die Beklagte wendete gegen die nicht bestrittene Klagsforderung eine Gegenforderung von S 1.000.000,— ein. Die Behauptung des Klägers, daß die Aufrechnung mit dieser strittigen Gegenforderung vertraglich ausgeschlossen worden sei, wurde von der Beklagten bestritten.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte im Sinne des Klagebegehrens zur Zahlung von S 388.580,— samt 10 % Zinsen seit 1. 3. 1974. Es stellte folgendes fest: Bei Abschluß der Vereinbarung für die Wintersaison 1973/74 bestanden zwischen den Streitteilen Abrechnungsdifferenzen. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hatte eine dem Kläger auf Grund des Vertrages vom 4. 10. 1971 zustehende Vorauszahlung von S 1.000.000,— an die Firma A* Ges.m.b.H. & Co. KG, zu Handen ihres Geschäftsführers, O* H*, geleistet. H* leitete die ihm zugekommene Zahlung nicht an den Kläger weiter. Er betrachtete die Zahlung als Leistung an die in der Zwischenzeit in Konkurs gegangene Firma A* Ges.m.b.H. & Co. KG. Der Kläger vertrat den Standpunkt, daß er sich diese Zahlung nicht anrechnen lassen müsse, da er H* zur Empfangnahme des Geldes nicht berechtigt habe. Die Beklagte war hingegen der Auffassung, daß die Zahlung schuldbefreiende Wirkung gegenüber dem Kläger habe, da dieser H* zum Geldempfang bevollmächtigt habe. In Kenntnis dieser Abrechnungsdifferenz vereinbarten die Streitteile dennoch für die Wintersaison 1973/74 die Übernahme von englischen Reisegruppen durch den Kläger. Auf dem Vertrag wurde die Klausel angefügt: „Dieser Vertrag ist gültig für 1973/74 ohne Rücksicht auf jede anderweitig getroffene Vereinbarung. Die Preise verstehen sich netto, ohne Abzug, zahlbar 3 Wochen nach Erhalt der Rechnungen“. Zu diesem Zusatz kam es auf folgende Weise: Die beklagte Partei wollte für die fragliche Wintersaison wieder Reisegruppen beim Kläger unterbringen. Eine Einigung kam vorerst nicht zustande, weil der Kläger verlangte, daß zunächst die Zahlung per S 1.000.000,— abgeklärt werde. Der Kläger wollte sich nicht – allenfalls am Saisonende – mit der Verrechnung der S 1.000.000,— gegenüber seiner Hotelrechnung herumstreiten müssen. Daraufhin vereinbarten der Kläger und der für die beklagte Partei verhandelnde I* K*, daß eine Gegenverrechnung zwischen der für die Wintersaison 1973/74 anfallenden Hotelrechnung des Klägers und der beklagterseits geleisteten Zahlung von S 1.000.000, – ausgeschlossen sein sollte. Über Rat des Rechtsfreundes des Klägers wurde diese Vereinbarung auch durch einen handschriftlichen Vermerk des I* K* auf der Vertragsurkunde mit dem Wortlaut der oben erwähnten Klausel festgehalten. Nur auf Grund dieser Einigung war der Kläger überhaupt bereit gewesen, einen neuerlichen Hotelvertrag abzuschließen.

Auf Grund des vereinbarten Kompensationsausschlusses gelangte das Erstgericht zur Klagsstattgebung, wobei es zur Aufrechnungseinrede nur in den Entscheidungsgründen Stellung nahm.

Die Beklagte bekämpfte dieses Urteil des Erstgerichtes mit Berufung wegen Nichtigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung.

Das Berufungsgericht verwarf die Nichtigkeitsberufung und wies den Antrag der Beklagten auf Unterbrechung des Rechtsstreites bis zur rechtskräftigen Erledigung des beim Landesgericht Innsbruck zu 17 Hv 49/75 gegen O* H* anhängigen Strafverfahren ab. Im übrigen gab es der Berufung nicht Folge und bestätigte das erstinstanzliche Urteil mit der Maßgabe, daß es folgendermaßen zu lauten habe:

„1.) Die Klagsforderung besteht mit S 388.580,— samt 10 % Zinsen seit 1. 3. 1974 zu Recht.

2.) Die Einwendung einer Gegenforderung in der Höhe von S 1.000.000,— durch die beklagte Partei wird abgewiesen.

3.) Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei ...... binnen 14 Tagen S 388.580,— samt 10 % Zinsen seit 1. 3. 1974 zu zahlen und die mit S 53.335,20 bestimmten Prozeßkosten ... zu ersetzen."

Das Berufungsgericht hatte gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes keine Bedenken. Es übernahm die Feststellung, daß die Streitteile für die Wintersaison 1973/74 ein Aufrechnungsverbot vereinbart haben, als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens. Eine Feststellung über den Umfang der Vertretungsmacht des für die Beklagte verhandelnden I* K* sei nicht erforderlich gewesen, weil die Beklagte in erster Instanz einen Mangel der Vertretungsmacht des Genannten nicht eingewendet habe. Die für sich allein betrachtet vielleicht undeutliche Klausel habe wegen völliger Klärung des Parteiwillens nicht mehr schaden können. Die Zulässigkeit des vertraglichen Kompensationsausschlusses sei in Lehre und Rechtsprechung allgemein anerkannt. Hilfsweise meinte das Berufungsgericht, die Beklagte habe selbst dafür sorgen müssen, daß der von ihr mit dem Abschluß von Hotelverträgen betraute I* K* nicht eine Vollmacht vorgebe, die er nicht besitze. Der Kläger habe auf Grund des äußeren Tatbestandes annehmen müssen, daß I* K* auch zum Abschluß der Vereinbarung des Kompensationsverbotes berechtigt gewesen sei. Überdies habe die Beklagte den von I* K* abgeschlossenen Vertrag nachträglich dadurch genehmigt, daß sie ihre Gäste im Hotel des Klägers untergebracht habe. Das angefochtene Urteil sei daher zu bestätigen, dessen Spruch aber dahin zu verdeutlichen, daß die Abweisung der Aufrechnungseinrede bereits im Spruch zum Ausdruck kommt.

Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz wendet sich die Revision der Beklagten aus den Revisionsgründen nach § 503 Z 1 bis 4 ZPO mit dem Antrag, das Klagebegehren in Abänderung des angefochtenen Urteiles abzuweisen. Hilfsweise stellt die Beklagte auch einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zugeben.

Rechtliche Beurteilung

Zur Revision wegen Nichtigkeit:

Die Revision rügt als Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO, daß das Urteil des Berufungsgerichtes in wesentlichen Punkten mit sich selbst im Widerspruch stehe. Das Berufungsgericht habe einerseits die Form des erstinstanzlichen Urteilsspruches als irgendwie vertretbar bezeichnet, andererseits aber der herrschenden Ansicht und der Nichtigkeitsberufung folgend, im neuformulierten Urteilsspruch über die eingewendete Gegenforderung gesondert abgesprochen und dennoch der Nichtigkeitsberufung nicht Folge gegeben.

Nach Lehre (Fasching, Komm. zu den Zivilprozeßgesetzen IV S. 136) und Rechtsprechung (JBl 1953 S. 627, EvBl 1958/11 u.a.) begründet nur ein Widerspruch im Urteilsspruch selbst, nicht aber ein Widerspruch in den Entscheidungsgründen eine Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 9 ZPO. Ein Widerspruch des Urteiles mit sich selbst besteht dann, wenn einzelne Aussprüche innerhalb des Spruches der Entscheidung einander logisch ausschließen. Davon kann hier nicht die Rede sein. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die „Verdeutlichung“ des erstinstanzlichen Urteilsspruches als sogenannte Maßgabebestätigung und nicht als Abänderung der angefochtenen Entscheidung zu beurteilen sei, kann nicht erfolgreich mit dem Nichtigkeitsgrund der angeführten Bestimmung bekämpft werden.

Nichtig im Sinne des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO soll das Berufungsurteil auch deshalb sein, weil es in entscheidenden Passagen hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen und seiner Begründung derart unsicher und unklar sei, daß diesem Mangel mit einer Berichtigung nicht abgeholfen werden könne. Die Fassung des Berufungsurteiles sei daher so mangelhaft, daß dessen Überprüfung nicht vorgenommen werden könne. Dieser Vorwurf ist gleichfalls unberechtigt. Das Berufungsgericht hat, wie die Revision selbst ausführt, klar zum Ausdruck gebracht, daß es die streitentscheidende Feststellung, zwischen den Streitteilen sei für die Wintersaison 1973/74 ein Aufrechnungsverbot vereinbart worden, übernimmt. Abgesehen davon, daß weder eine mangelhafte noch eine widerspruchsvolle Begründung Nichtigkeit des Urteiles bewirken würde, hat das Berufungsgericht auch das Ergebnis der von ihm vorgenommenen Überprüfung der erstrichterlichen Beweiswürdigung widerspruchsfrei dargelegt. Widerspruchsvoll sind nur die Beweisergebnisse, nicht die Feststellungen des Berufungsgerichtes. Es kann daher keineswegs gesagt werden, das Berufungsurteil sei gar nicht oder so unzureichend begründet, daß es sich nicht überprüfen lasse.

Der geltendgemachte Nichtigkeitsgrund liegt somit nicht vor, weshalb die Revision wegen Nichtigkeit zu verwerfen war.

Zur Revision aus den anderen Revisionsgründen:

Mit den Ausführungen der Mängelrüge, das Berufungsgericht habe von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgehend, den im Berufungsverfahren geltend gemachten Mangel des Verfahrens erster Instanz, nämlich daß die Vernehmung des Zeugen J* M* unterblieben sei, als nicht gegeben angesehen, wendet sich die Revision in Wahrheit gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes. Dies jedoch zu Unrecht, da – wie noch aufzuzeigen ist – der durch den genannten Zeugen unter Beweis gestellte Sachverhalt nicht entscheidungserheblich ist.

Weiter rügt die Revision als Verfahrensmangel, daß das Berufungsgericht den im Berufungsverfahren gestellten Unterbrechungsantrag der Beklagten abgewiesen habe. Abgesehen davon, daß die Abweisung eines Unterbrechungsantrages an sich unanfechtbar ist (§ 192 Abs 2 ZPO), soweit die Unterbrechung nicht im Gesetz zwingend vorgeschrieben ist (SZ 44/113 u.a.), was hier nicht zutrifft, handelt es sich bei dieser Entscheidung um eine solche, deren Anfechtung gemäß § 519 ZPO ausgeschlossen ist. Der Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO liegt daher jedenfalls nicht vor.

Eine Aktenwidrigkeit erblickt die Revision in der Annahme des Berufungsgerichtes, daß nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien die Aufrechnung ausgeschlossen sein sollte. Die Revision verkennt das Wesen des Revisionsgrundes der Aktenwidrigkeit, der nur dann vorliegt, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage gezogen werden, also auf einem bei der Darstellung der Beweisergebnisse unterlaufenen Irrtum beruhen, der aus den Akten selbst erkennbar und behebbar ist. Die bekämpfte Feststellung gründet sich jedoch auf die Aussagen der Zeugen H* B* und R* B*, sowie des Klägers als Partei, und auf Schlußfolgerungen tatsächlicher Natur, die weder auf einem mangelhaften Verfahren noch auf einer unlogischen Gedankentätigkeit beruhen. Von einer Aktenwidrigkeit dieser Feststellung kann also keine Rede sein.

Die Revision unternimmt in der Rechtsrüge den unzulässigen Versuch einer Bekämpfung der von den Vorinstanzen vorgenommenen Beweiswürdigung. Nach § 914 ABGB ist bei der Auslegung von Verträgen nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften, sondern es ist die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht. Es ist also nicht allein das maßgebend, was schriftlich geäußert wurde. Die von den Parteien im Zuge der Verhandlungen über den Abschluß eines Vertrages gegenseitig abgegebenen Erklärungen, sowie ihre diesen Erklärungen etwa nicht entsprechende, jedoch übereinstimmende Absicht, sind bei der Vertragsauslegung zu berücksichtigen. Diese Erklärungen und der übereinstimmende Parteiwille sind Gegenstand einer Tatsachenfeststellung. Im vorliegenden Fall haben die Untergerichte auf Grund des Ablaufes der dem schriftlichen Vertrag vorangegangenen Verhandlungen und der dabei abgegebenen Erklärungen der Verhandlungspartner festgestellt, daß der übereinstimmende Parteiwille auf den Ausschluß der Aufrechnung gerichtet war. Es handelt sich dabei um eine in dritter Instanz nicht mehr bekämpfbare Tatsachenfeststellung. Die Rechtsrüge ist, soweit sie nicht von dieser Feststellung ausgeht, nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Beklagte einen Mangel der Vertretungsmacht des I* K* in erster Instanz nicht eingewendet hat. Zwar behauptete der Zeuge I* K* zu einem Verzicht auf die Forderung der Beklagten nach Verrechnung der Vorauszahlung nicht berechtigt gewesen zu sein (AS 112), doch können Angaben von Zeugen Prozeßbehauptungen der Parteien nicht ersetzen. Richtig ist, daß die Rechtsmittelgerichte die rechtliche Beurteilung ohne Beschränkung auf die vom Rechtsmittelwerber geltend gemachten Gründe zu prüfen haben, wenn der Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend gemacht wurde. Diese allseitige Überprüfung kann aber, was die Revision übersieht, nur auf der Grundlage der Feststellungen der Tatsacheninstanzen und im Rahmen der in erster Instanz aufgestellten Tatsachenbehauptungen stattfinden. Wurde der Mangel der Vertretungsmacht des Zeugen K* in erster Instanz nicht behauptet und nicht eingewendet und auch vom Erstgericht keine dahingehende („überschießende“) Feststellung getroffen, so kann diese Frage vom Rechtsmittelgericht nicht aufgegriffen werden. Ein vertragliches Kompensationsverbot ist, wie auch die Revision einräumt, zulässig. Mit Rücksicht auf den festgestellten vereinbarten Kompensationsausschluß erübrigten sich aber die von der Beklagten beantragte Vernehmung des Zeugen J* M* und Feststellungen über den Bestand der Gegenforderung. Die Aufrechnungseinrede der Beklagten wurde daher mit Recht abgewiesen.

Der Vollständigkeit halber sei noch bemerkt, daß trotz des ausländischen Sitzes der beklagten Partei Anhaltspunkte für die Anwendung ausländischen Rechtes nicht gegeben sind. Nach der Aktenlage wurden sowohl der Vertrag vom 4. 10. 1971 (Beilage 3 und 4) als auch die Vereinbarung für die Wintersaison 1973/74 (Aussage des I* K* AS 68) in F*, also im Inland, geschlossen. Nach § 36 ABGB ist daher bei der Beurteilung der aus diesen Verträgen abgeleiteten Ansprüche österreichisches Recht anzuwenden.

Die Revision erweist sich daher als unberechtigt, sodaß ihr der Erfolg zu versagen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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