European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0030OB00137.24D.0911.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
I. Das Verfahren wird fortgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Art 2 Nr 6 und Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs‑VO 692/2008/EG (iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG ) dahin auszulegen, dass eine emissionsmindernde Einrichtung (Steuerprogramm zur Regenerierung des Speicherkatalysators im Vorbereitungszyklus), die als kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem gilt, weil eine Regeneration (Reinigungsvorgang) mindestens einmal während einer Prüfung Typ I erfolgt, nachdem sie bereits mindestens einmal während des Zyklus zur Vorbereitung des Fahrzeugs stattgefunden hat (Precon bzw Vorkonditionierung), eine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG ist?
2. a) Ist Art 5 Abs 2 lit c VO 715/2007/EG (iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sowie Art 2 Nr 6 und Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs‑VO 692/2008/EG ) dahin auszulegen, dass (gegebenenfalls) eine solche Abschalteinrichtung zulässig ist, weil die Bedingungen im maßgebenden Verfahren zur Prüfung der Emissionen im Wesentlichen eingehalten sind?
b) Ist Art 5 Abs 1 VO 715/2007/EG (iVm Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG sowie Art 2 Nr 6 und Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs‑VO 692/2008/EG ) dahin auszulegen, dass (gegebenenfalls) eine solche Abschalteinrichtung zulässig ist, wenn die emissionsrelevante Wirkungsweise, die sie im Prüfverfahren (Zulassungstest) aufweist, in der überwiegenden Zahl der Fälle auch unter normalen Betriebsbedingungen (im Realbetrieb) gegeben ist?
3. Ist Abs 2.20 und Anhang 13 Abs 3 UNECE (iVm Anhang III Abs 3.13.1. und Art 2 Nr 6 Durchführungs-VO 692/2008/EG ) dahin auszulegen, dass die in Anhang 13 Abs 3 Satz 2 UNECE normierte Anordnung, wonach der Schalter (zur Verhinderung oder Ermöglichung des Regenerierungsvorgangs) während der Vorkonditionierungszyklen nur betätigt werden darf, um die Regenerierung zu verhindern, nur für das besondere Prüfverfahren nach Anhang 13 UNECE und damit für die Emissionsprüfungbei einem Fahrzeug mit einem periodischen Regenerierungssystem, nicht aber auch für ein Fahrzeug mit einem kontinuierlichen Regenerationssystem maßgebend ist?
III. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Begründung:
Zu I.:
[1] Der Oberste Gerichtshof hat die Vorlagefragen bereits mit Beschluss vom 6. 9. 2023 zu 3 Ob 33/23h an den EuGH (C‑592/23 , Volkswagen) herangetragen. Da in diesem Verfahren die Revision zurückgezogen wurde, musste der Oberste Gerichtshof auch das dortige Vorabentscheidungsersuchen zurückziehen, weshalb dieses nunmehr im hier vorliegenden Verfahren, das mit Beschluss vom 5. 10. 2023 unterbrochen wurde, eingebracht werden muss.
[2] Aufgrund des Wegfalls der Grundlage für die Verfahrensunterbrechung ist das vorliegende Verfahren fortzusetzen (vgl § 90a Abs 1 GOG).
Zu II.:
A. Sachverhalt
[3] Der Kläger erwarb am 26. 1. 2016 bei einem KFZ-Händler einen PKW Skoda Octavia Combi 4x4 Scout TDI um den Kaufpreis von 31.299 EUR. Das Fahrzeug ist mit einem Motor vom Typ EA288 (EU‑6 NSK) ausgestattet; für das Fahrzeug ist die Abgasnorm Euro 6 maßgebend. Die EU‑Typengenehmigung für das Fahrzeug ist nach wie vor aufrecht.
[4] Der Motor des Fahrzeugs verfügt über eine „Precon“ (Vorkonditionierung). Dabei handelt es sich um ein Steuerprogramm zur Fahrkurvenerkennung mit prüfzyklusabhängiger Regeneration des NOx‑Speicherkatalysators. Dieser Katalysator kann einen bestimmten Anteil der Stickoxyde während der Normalfahrt chemisch speichern. Er muss durch Verbrennung regelmäßig regeneriert werden, um seine Funktionsfähigkeit zu erhalten. Die Regenerierung erfolgt nach einer bestimmten Fahrstrecke bzw bei vollständiger Sättigung des Katalysators während des laufenden Betriebs.
[5] Zudem ist im Zusammenhang mit dem Speicherkatalysator eine Precon (Vorkonditionierung) mit Fahrkurvenerkennung implementiert. Bei Prüfung der Abgaswerte am Prüfstand wird entsprechend den europäischen Prüfvorschriften durch einen genormten Prüfzyklus (NEFZ) ein bestimmtes Fahrverhalten des Fahrzeugs simuliert, das über einen Zeitraum von 1.180 Sekunden und einer Strecke von etwa 11 km Phasen der Beschleunigung, des konstanten Fahrens und der Verzögerung im städtischen und außerstädtischen Bereich entspricht. Durch die Precon wird der Prüfzyklus erkannt und eine Regenerierung des NOx‑Speicherkatalysators durchgeführt. Der Prüfzyklus beginnt daher mit frisch regeneriertem NOx‑Speicherkatalysator. Dies führt dazu, dass es während der etwa elf Kilometer langen Fahrkurve in den 1.180 Sekunden des Prüfzyklus zu zwei Regenerierungen des NOx‑Speicherkatalysators kommt und nicht – wie dies ohne Regenerierung in der Vorkonditionierungsphase der Fall wäre – zu möglichen drei Regenerierungen. Rein rechnerisch kann es im Realbetrieb mehr als zweimal zu einer Regenerierung kommen, was mit einer kurzfristigen Schadstofferhöhung verbunden ist.
B. Prozessstandpunkte der Parteien und bisheriges Verfahren
[6] Der Kläger begehrte Schadenersatz aus deliktischer Schädigung durch die Beklagte. Der Schaden liege darin, dass im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Bei Kenntnis der wahren Umstände hätte er das Fahrzeug nicht um den gezahlten Kaufpreis erworben. Vielmehr hätte er um 30 % des Kaufpreises weniger gezahlt.
[7] Die Beklagte entgegnete, dass der vorliegende Motortyp EA288 mit keiner unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sei. Um vergleichbare Messwerte zu erzielen, bewirke die Precon, dass die sonst fahrstreckenabhängige Regenerierung des NOx‑Speicherkatalysators während der Vorkonditionierung stattfinde, damit der Prüfzyklus repräsentativ sei.
[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, weil der Kläger keinen Schaden erlitten habe. Sollte der Kläger das Fahrzeug am Gebrauchtwagenmarkt verkaufen wollen, so drohe ihm aufgrund des Abgasskandals kein Preisabschlag.
[9] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der Erwerber eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs könne nach der Rechtsprechung auch den objektiven Minderwert verlangen. Das geringere rechtliche Interesse bestehe in einem solchen Fall – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der objektiv eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs. Die Ansicht des Erstgerichts, dass dem Kläger kein Schaden entstanden sei, könne daher nicht aufrecht erhalten werden. Damit sei für den Kläger aber nichts gewonnen, weil die beanstandete Fahrkurvenerkennung (Precon) nicht als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 5 der VO 715/2007/EG zu qualifizieren sei. Diese führe nämlich nicht zwingend dazu, dass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten seien, verringert werde, weil auch im Realbetrieb eines Fahrzeugs denkbar sei, dass der Katalysator am Ende einer vorangegangenen Fahrt regeneriert werde, sodass die anschließende Realfahrt mit gereinigtem Katalysator beginne. Die Vorkonditionierung stelle daher sicher, dass die Werte der einzelnen NEFZ‑Messungen vergleichbar seien.
[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.
Rechtliche Beurteilung
[11] Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
C. Relevante Rechtsvorschriften
VO 715/2007/EG über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge:
„Art 3 Nr 10:
Im Sinne dieser Verordnung und ihrer Durchführungsmaßnahmen bezeichnet der Ausdruck:
'Abschalteinrichtung' ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.“
VO 692/2008/EG der Kommission zur Durchführung und Änderung der VO 715/2007/EG (kurz Durchführungs‑VO):
„Art 2 Nr 6:
Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:
'periodisch arbeitendes Regenerationssystem' Katalysatoren, Partikelfilter oder andere emissionsmindernde Einrichtungen, bei denen nach weniger als 4000 km bei normalem Fahrzeugbetrieb ein periodischer Regenerationsvorgang erforderlich ist.
Anhang III: Prüfung der durchschnittlichen Abgasemissionen bei Umgebungsbedingungen
...
3. Technische Vorschriften
...
3.13. Technische Vorschriften für ein Fahrzeug mit einem periodisch arbeitenden Regenerationssystem
3.13.1. Die technischen Vorschriften entsprechen denen von Anhang 13 Absatz 3 der UNECE-Regelung Nr 83 mit den in den Absätzen 3.13.2. bis 3.13.4. beschriebenen Ausnahmen.
…
3.13.4. Bei einer periodisch arbeitenden Regenerationseinrichtung können die Emissionsgrenzwerte während der Zyklen überschritten werden, in denen eine Regeneration erfolgt. Erfolgt bei einer emissionsmindernden Einrichtung eine Regeneration mindestens einmal während einer Prüfung Typ 1, nachdem sie bereits mindestens einmal während des Zyklus zur Vorbereitung des Fahrzeugs stattgefunden hat, so gilt das System als kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem, für das kein besonderes Prüfverfahren erforderlich ist.“
Regelung Nr 83 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa [UNECE] – Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Fahrzeuge hinsichtlich der Emission von Schadstoffen aus dem Motor entsprechend den Kraftstofferfordernissen des Motors (kurz UNECE):
„Abs 2.20.:
Für die Zwecke dieser Verordnung bedeutet
'System mit periodischer Regenerierung' eine emissionsmindernde Einrichtung (z. B. einen Katalysator oder einen Partikelfilter), bei der nach weniger als 4 000 km bei normalem Fahrzeugbetrieb ein periodischer Regenerierungsvorgang erforderlich ist. Während der Zyklen, in denen eine Regenerierung erfolgt, können die Emissionsgrenzwerte überschritten werden. Erfolgt bei einer emissionsmindernden Einrichtung eine Regenerierung mindestens einmal während einer Prüfung Typ I, nachdem sie bereits mindestens einmal während des Zyklus zur Vorbereitung des Fahrzeugs vorgenommen wurde, dann gilt das System als System mit kontinuierlicher Regenerierung, für das kein besonderes Prüfverfahren erforderlich ist. Anhang 13 dieser Regelung gilt nicht für Systeme mit kontinuierlicher Regenerierung.
Anhang 13: Verfahren für die Emissionsprüfung an einem Fahrzeug mit einem System mit periodischer Regenerierung
…
3. Prüfverfahren
In dem Fahrzeug darf ein Schalter vorhanden sein, mit dem der Regenerierungsvorgang verhindert oder ermöglicht wird, allerdings darf dies keine Auswirkungen auf die ursprüngliche Motoreinstellung haben. Dieser Schalter darf nur dann betätigt werden, wenn die Regenerierung während der Beladung des Regenerierungssystems und während der Vorkonditionierungszyklen verhindert werden soll. Bei der Messung der Emissionen während der Regenerierungsphase darf er jedoch nicht betätigt werden; in diesem Fall ist die Emissionsprüfung mit dem unveränderten Erstausrüster-Steuergerät durchzuführen.“
D. Vorbemerkungen
[12] Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt maßgebend von der Auslegung von Art 3 Nr 10, Art 5 Abs 1 und 2 VO 715/2007/EG , Art 2 Nr 6 und Anhang III Abs 3.13.1. und 3.13.4. Durchführungs‑VO sowie Abs 2.20. und Anhang 13 Abs 3 UNECE ab. Nach der Beurteilung des Obersten Gerichtshofs besteht im Hinblick auf die Vorlagefragen kein „acte clair“, weshalb die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung geboten ist.
[13] Im Verfahren ist nicht strittig, dass im Fahrzeug des Klägers ein Dieselmotor vom Typ EA288 verbaut ist, für den die Abgasnorm Euro 6 maßgebend ist. Im Verfahren ist vor allem fraglich, ob es sich bei der implementierten Precon mit Fahrkurvenerkennung (Steuerprogramm zur Regenerierung des Katalysators im Vorbereitungszyklus) um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 iVm Art 5 VO 715/2007/EG handelt.
E. Begründung der Vorlage
[14] 1.1 Frage 1 bezieht sich darauf, ob ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem (im Unterschied zu einem bloß periodisch arbeitenden Regenerationssystem) überhaupt eine Abschalteinrichtung sein kann. Der Oberste Gerichtshof geht nämlich davon aus, dass es sich bei der in Rede stehenden Precon (Steuerprogramm zur Regenerierung des Speicherkatalysators im Vorbereitungszyklus, sodass der eigentliche Prüfzyklus Typ I mit regeneriertem Katalysator beginnt) um ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem handelt. Nach den Feststellungen sind sowohl die Voraussetzungen nach Art 2 Nr 6 Durchführungs‑VO als auch jene nach Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs‑VO für ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem erfüllt.
[15] 1.2 Art 2 Nr 6 Durchführungs‑VO (inhaltsgleich mit Abs 2.10. Satz 1 UNECE) definiert das periodisch arbeitende Regenerationssystem. An diese Bestimmung knüpft Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs‑VO an; Satz 1 entspricht dabei Abs 2.10. Satz 2 UNECE. Satz 2 (inhaltsgleich mit Abs 2.10. Satz 3 UNECE) definiert das kontinuierlich arbeitende Regenerationssystem als besondere Form eines periodisch arbeitenden Regenerationssystems und normiert, dass für ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem kein besonderes Prüfverfahren erforderlich ist.
[16] Es ist somit zwischen einem periodisch arbeitenden und einem kontinuierlich arbeitenden Regenerationssystem zu unterscheiden. Die Besonderheit eines kontinuierlich arbeitenden Regenerationssystems besteht darin, dass eine Regeneration mindestens einmal während einer Prüfung Typ 1 erfolgt, nachdem sie bereits mindestens einmal während des Zyklus zur Vorbereitung des Fahrzeugs stattgefunden hat.
[17] Die Anordnung, dass für ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem kein besonderes Prüfverfahren erforderlich ist, bedeutet, dass Anhang 13 Abs 3 UNECE (iVm Anhang III Abs 3.13.1. Durchführungs‑VO) nicht anzuwenden ist. Das Prüfverfahren nach Anhang 13 Abs 3 UNECE gilt daher nur für Fahrzeuge mit einem periodisch arbeitenden Regenerationssystem, nicht aber für Fahrzeuge mit einem kontinuierlich arbeitenden Regenerationssystem. Diese Zusammenhänge werden zweifelsfrei durch (die inhaltsgleichen Regelungen des) Abs 2.20. UNECE bestätigt. Darin wird explizit festgehalten, dass Anhang 13 UNECE für Systeme mit kontinuierlicher Regenerierung nicht gilt. Für ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem gilt damit das Prüfverfahren nach Anhang 4A UNECE. In diesem Fall erfolgen die Abgasmessungen nur im eigentlichen Prüfzyklus. Demgegenüber gibt es bei periodisch arbeitenden Regenerationssystemen weitere Prüfzyklen (Vorbereitungszyklus; Regenerationszyklus).
[18] 1.3 Aufgrund der rechtlichen Fiktion nach Anhang III Abs 3.13.4. Satz 2 Durchführungs‑VO, wonach die beschriebene besondere Form eines periodisch arbeitenden Regenerationssystems als kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem gilt, ist für den Prüfbetrieb (am Prüfstand) zu unterstellen, dass sich das Regenerationssystem laufend (durchgehend) in Funktion befindet. Die Steuerung des Regenerationsvorgangs ist für die Abgasmessung damit unberücksichtigt zu lassen, sodass nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs von einer gleichbleibenden (einheitlichen) messrelevanten Funktionsweise (und Wirkungsweise) des Motors auszugehen ist.
[19] Wenn die einheitliche Funktionsweise des Motors aufgrund der beschriebenen rechtlichen Fiktion für den Prüfbetrieb gilt, muss dies auch für den Realbetrieb gelten, weil ein aussagekräftiger Vergleich zum Realbetrieb (mit nachteiligen rechtlichen Konsequenzen bei emissionsrelevanten Veränderungen) nur bei Vorliegen derselben Ausgangsbedingungen in Bezug auf die Funktionsweise des Emissionskontrollsystems möglich ist. Aus diesem Grund liegt es nahe, bei einem kontinuierlich arbeitenden Regenerationssystem auch für den Realbetrieb von einem durchgehend in Funktion befindlichen Regenerationssystem auszugehen.
[20] Dies würde bedeuten, dass durch ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem kein Teil des Emissionskontrollsystems in seiner Funktion aktiviert, verändert, verzögert oder deaktiviert wird, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems im Realbetrieb verringert wird. Folgt man diesem Ansatz, so würde es sich bei einem solchen kontinuierlichen Regenerationssystem um keine Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG handeln.
[21] 2.1 Die Fragen 2. a) und b) betreffen das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes, selbst wenn vom Vorliegen einer Abschalteinrichtung ausgegangen werden sollte.
[22] 2.2 Art 5 Abs 2 lit c VO 715/2007/EG sieht einen ausdrücklichen (geschriebenen) Rechtfertigungsgrund vor, wenn trotz Abschalteinrichtung die Bedingungen für das jeweilige Prüfverfahren im Wesentlichen eingehalten sind. Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs‑VO sieht die Verwendung einer Precon (Steuerprogramm zur Regenerierung des Katalysators im Vorbereitungszyklus) ausdrücklich vor und normiert, dass unter bestimmten, im Anlassfall gegebenen Voraussetzungen das Regenerationssystem als kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem gilt, was dazu führt, dass eine Prüfung Typ 1 stattzufinden hat. Die hier fraglichen Prüfungsbedingungen sehen demnach für die Anwendbarkeit eines bestimmten Zulassungstests (Typ 1) vor, dass während des Vorbereitungszyklus mindestens einmal eine Regeneration der emissionsmindernden Einrichtung (Katalysator) stattfinden muss. Wenn diese Bedingung in den Normen für das maßgebende Prüfverfahren vorgeschrieben ist, so muss auch der Ausnahmetatbestand nach Art 5 Abs 2 lit c VO 715/2007/EG erfüllt sein.
[23] 2.3 Nach Art 5 Abs 1 VO 715/2007/EG müssen die das Emissionsverhalten beeinflussenden Bauteile sicherstellen, dass das Fahrzeug auch unter normalen Betriebsbedingungen der VO 715/2007/EG entspricht, insbesondere also die Grenzwerte eingehalten werden. In diesem Zusammenhang hat der Europäische Gerichtshof in der Entscheidung zu C‑693/18 , CLCV, Rn 99, ausgesprochen, dass Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG dahin auszulegen ist, dass eine Software, die die Höhe der Fahrzeugemissionen anhand der von ihr ermittelten Fahrbedingungen verändert und die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte nur unter Bedingungen gewährleistet, die denen der Zulassungstests entsprechen, eine Abschalteinrichtung ist, und zwar auch dann, wenn die Verbesserung der Leistung des Emissionskontrollsystems punktuell auch unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs beobachtet werden kann. Dies bedeutet e contrario, dass eine Abschalteinrichtung zulässig sein muss, wenn das Emissionsverhalten, das im Prüfzyklus vorliegt, zum überwiegenden Teil bzw in der Mehrzahl der Fälle auch im Realbetrieb gegeben ist.
[24] Dies ist bei der zu beurteilenden Precon der Fall, weil während des eigentlichen Prüfzyklus eine zweimalige Regenerierung stattfindet, während im Realbetrieb rein rechnerisch mehr als zweimal eine Regenerierung erfolgen kann. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt allerdings auch im Realbetrieb eine Regenerierung des Katalysators derart, dass die Verhältnisse gleich wie im Prüfzyklus sind.
[25] Bei einer überwiegend gleichen Wirkungsweise der emissionsmindernden Einrichtung (Katalysator) im Realbetrieb wie im Prüfbetrieb kann nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs nicht davon gesprochen werden, dass die Emissionsminderung lediglich punktuell auch im Realbetrieb beobachtet werden kann.
[26] 3. Frage 3 bezieht sich auf den Einwand, dass es sich bei der Precon um kein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem handle, weil der vorhandene Schalter zur Verhinderung oder Ermöglichung des Regenerationsvorgangs während des Vorbereitungszyklus betätigt werde, um die Regeneration des Katalysators auszulösen und nicht nur dazu, um diese zu verhindern (vgl Anhang 13 Abs 3 UNECE; siehe auch Abs 3.2.3.).
[27] Anhang 13 Abs 3 UNECE gilt zwar für ein periodisch arbeitendes Regenerationssystem (mit den besonderen Prüfverfahren nach Anhang 13 UNECE), nicht aber für ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem (Prüfung Typ I nach Anhang 4A UNECE). Für ein kontinuierlich arbeitendes Regenerationssystem ist nach Anhang III Abs 3.13.4. Durchführungs‑VO (inhaltsgleich mit Abs 2.20. Satz 3 UNECE) nämlich ausdrücklich vorgesehen, dass auch im Vorbereitungszyklus mindestens einmal eine Regeneration des Katalysators stattfinden muss. Dass diese Regeneration bewusst ausgelöst wird und der eigentliche Prüfzyklus daher mit leerem Katalysator beginnt, ist daher vorgeschrieben und nicht schädlich.
Zu III.:
[28] Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens gründet sich auf § 90a Abs 1 GOG.
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