OGH 2Ob88/77

OGH2Ob88/7712.5.1977

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wittmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler, Dr. Fedra, Dr. Dienst und Dr. Scheiderbauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H*, Arbeiter *, vertreten durch Dr. Adolf Ortner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei W*-Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Gert Kastner und Dr. Hermann Tscharre, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 27. Jänner 1977, GZ 2 R 3/77‑14 womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 28. Oktober 1976, GZ 6 Cg 127/77‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0020OB00088.71.0512.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

„Es wird festgestellt, daß die beklagte Partei dem Kläger für alle Schäden aus dem Unfall vom 27. Februar 1973, beschränkt auf die Haftungssummen des EKHG, haftet.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 6.439,50 (darin S 477,-- Umsatzsteuer, keine Barauslagen) bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, dem Kläger die mit S 3.499,20 (darin S 259,20 Umsatzsteuer, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 2.099,52 (darin S 155,52 Umsatzsteuer, keine Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahren binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

Begründung:

Am 27. Februar 1973 lenkte A* einen von ihm selbst gehaltenen und bei der Versicherungsanstalt der *versicherungs-AG haftpflichtversicherten PKW Opel Rekord, *, auf der V*-Landesstraße von U* in Richtung I*. Um einen möglichen Auffahrunfall zu vermeiden (vor ihm fuhr ein von F* gelenkter PKW, der sein Tempo herabsetzte und links abzubiegen beabsichtigte), lenkte A* seinen PKW nach links. Dort stieß er mit dem ihm entgegenkommenden PKW Steyr-Puch 500, *, gelenkt und gehalten von An*, haftpflichtversichert bei der beklagten Partei, zusammen. Infolge des Zusammenstoßes fing der PKW des An* Feuer und brannte sodann aus. Der in diesem PKW als Insasse mitfahrende Kläger wurde dabei schwer verletzt.

Gegen den wegen Übertretung nach § 335 StG rechtskräftig verurteilten A* und dessen Haftpflichtversicherer strengte der Kläger einen Rechtsstreit auf Ersatz seines Schadens und Feststellung der Haftung für künftige Schäden an, der (unter 8 Cg 177/74 des Landesgerichtes Innsbruck) noch anhängig ist.

Mit der vorliegenden Klage, und zwar mit der Begründung, auch An* und damit die beklagte Partei hafte ihm nach den Bestimmungen des EKHG, begehrt der Kläger gegenüber der beklagten Partei die Feststellung der Haftung für alle Schäden aus dem Unfall vom 27. Februar 1973, beschränkt auf die Haftungssummen des EKHG. Der Kläger stützt die Klage insbesondere darauf, daß eine Haftungsbefreiung nach § 9 EKHG deshalb ausscheide, weil der Unfall auch auf einen Fehler in der Beschaffenheit des Kraftfahrzeuges zurückzuführen sei, nämlich auf einen besonders gefährlichen Zustand desselben. Bei der Wagentype Steyr-Puch 500 sei der Benzintank an einer besonders exponierten und gefährlichen Stelle am Bug des Fahrzeuges montiert. Beim Unfall habe sich der dort mitgeführte hochexplosive Treibstoff entzündet. In Verbindung mit der Fortbewegungsgeschwindigkeit, die mit einem derartigen PKW erreicht werde, ergebe sich eine typische Gefährlichkeit, der gerade mit den Bestimmungen des EKHG Rechnung getragen werden solle. Der Kläger gibt als richtig zu (Außerstreitstellung Seite 27 des Aktes), daß An* kein Verschulden am Unfallshergang treffe und der Genannte mit Ausnahme des geltend gemachten Verhaltens (Benützung eines typischerweise gefährlichen PKWs) jede erdenkliche Sorgfalt eingehalten habe, um den Unfall zu vermeiden.

Die beklagte Partei bestritt ihre Haftung und beantragte Klagsabweisung.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es nahm als erwiesen an, daß bei der Wagentype Steyr-Puch 500 der Benzintank im Frontteil des Fahrzeuges angebracht ist. Bei dem serienmäßig erzeugten und ordnungsgemäß zum Verkehr zugelassenen Fahrzeug sei aber kein Fehler in seiner Beschaffenheit zu erkennen. Die Entzündung sei vielmehr erst durch den Zusammenstoß erfolgt. Es liege somit ein unabwendbares Ereignis nach § 9 EKHG vor.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil. Von einem Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeuges könne im gegenständlichen Fall nicht gesprochen werden.

Ein solcher läge nur vor, wenn der zum Unfall führende Mangel nach dem Stand der Technik und Wissenschaft vermieden werden hätte können. Unvermeidbare Fehler, die jedem Fahrzeug anhaften, seien dagegen keine Fehler in der Beschaffenheit. Aber auch nicht jeder vermeidbare Mangel dürfe als Fehler in der Beschaffenheit angesehen werden, vielmehr sei auf die zumutbare technische Ausgestaltung und damit auf den Durchschnittstypus des Kraftfahrzeuges abzustellen. Welche Eigenschaften ein Kraftfahrzeug haben muß, ergebe sich aus den Zulassungsvorschriften. Entspreche es den Beschaffenheitsvorschriften, könne von einer Fehlerhaftigkeit des Fahrzeuges nicht die Rede sein.

Es liege aber auch nicht der Fall einer durch das Verhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten (A*) ausgelösten außergewöhnlichen Betriebsgefahr im Sinne des § 9 Abs. 2 EKHG vor. Der klagsgegenständliche Unfall sei nicht den Fällen vergleichbar, wo etwa ein PKW ungelenkt weiterfährt, weil der Lenker durch einen Insektenstich an der Lenkung verhindert ist, oder wo ein Omnibus unbelenkt weiterfährt, nachdem der Omnibuslenker durch den Angriff eines Fahrgastes am Lenken gehindert wurde. Es sei auch nicht so, daß nach einer von einem Dritten veranlaßten Ausweichlenkung ein Kraftfahrzeug schleudernd weiterfährt oder in einem Eisenbahnzug durch eine Schnellbremsung die von einem Tier oder einem Selbstmörder ausgelöst wurde, die mit einer solchen Schnellbremsung typischerweise verbundenen Folgen eintreten. Vielmehr sei der PKW, in dem der Kläger saß, bis zuletzt in normaler Fahrweise gefahren und es habe bis zum letzten Augenblick die Hoffnung bestanden, daß der rechtswidrig fahrende PKW (A*) doch noch irgend wohin ausweichen würde. Erst als beim PKW des An* durch den allein vom Gegenfahrzeug verursachten Aufprall praktisch ein Betriebsstillstand erzwungen worden war, sei als Folge des Aufpralls, also der mechanischen Einwirkung von außen und nicht etwa infolge einer vom PKW des An* selbst ausgehenden Betriebsgefahr, der Treibstoff im Tank „ins Brennen“ geraten. Durch einen entsprechenden Anprall am Benzintank, wo immer sich dieser befinde, werde immer auch die Gefahr eines Brandes entstehen. Diese Brandgefahr sei als gewöhnliche Betriebsgefahr anzusehen. Dass bei der gegenständlichen Wagentype der Benzintank vorne angebracht ist, bedeutet bei Frontalzusammenstößen eine gewisse Erhöhung dieser gewöhnlichen Betriebsgefahr, aber noch keine außergewöhnliche Betriebsgefahr im Sinne des § 9 EKHG, wie es umgekehrt bei Auffahrunfällen eine dementsprechende Verminderung dieser Gefahr bedeuten würde. Es könne daher nicht gesagt werden, daß bei jedem Steyr-Puch 500, dem ein Fahrzeug auf seiner Seite entgegenkommt, schon eine außergewöhnliche Betriebsgefahr entsteht.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes, mit dem auch gemäß § 500 Abs. 2 ZPO ausgesprochen wurde, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000,-- übersteige, erhebt der Kläger Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne der Klagsstattgebung.

Die beklagte Partei erstattete eine Revisionsbeantwortung. Sie beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist gerechtfertigt.

Der Revisionswerber erblickt die unrichtige rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes in der Annahme der Haftungsbefreiung der beklagten Partei wegen eines unabwendbaren Ereignisses im Sinne des § 9 EKHG, obwohl der Unfall und die äußerst schweren Verletzungen des Klägers unmittelbar auf die außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen seien, in die der PKW An* durch den Zusammenstoß geriet. Diese außergewöhnliche Betriebsgefahr habe A* ausgelöst; daß Brandgefahr einer gewöhnlichen Betriebsgefahr entspreche, sei verfehlt.

Den Revisionsausführungen ist beizupflichten. Nach § 9 Abs. 2 EKHG ist die Ersatzpflicht des Halters auch dann nicht ausgeschlossen, wenn der Unfall unmittelbar auf eine außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen ist, die durch das Verhalten eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten oder eines Tieres ausgelöst wurde. „Aus § 9 Abs. 2 EKHG ergibt sich die Wertung, daß der Schaden noch immer dem Halter und nicht dem Geschädigten zuzurechnen ist, wenn der Unfall zwar durch ein außerhalb der Sphäre des Halters liegendes Ereignis verursacht wurde, aber eine außergewöhnliche Betriebsgefahr mitgewirkt hat. Eine Ausnahme wird nur gemacht, wenn das Verhalten des Geschädigten selbst die außergewöhnliche Betriebsgefahr herbeiführte; dann hat er selbst den Schaden zu tragen und nicht der Halter. Da auch die höhere Gewalt außerhalb der Sphäre des Halters liegt, es für die Schutzwürdigkeit des Geschädigten ganz gleichgültig ist, ob die außergewöhnliche Betriebsgefahr durch ein Tier oder höhere Gewalt verursacht wurde und schließlich die Zurechnung des Schadens zum Halter wegen der besonderen außergewöhnlichen Gefährlichkeit erfolgt und es dabei keine Rolle spielt, wie es zur außergewöhnlichen Betriebsgefahr kommt, muß man zu dem Ergebnis gelangen, daß der Halter bei Vorliegen außergewöhnlicher Betriebsgefahr auch für höhere Gewalt haftet“ (Koziol Haftpflichtrecht II 458). Die Berufung auf den Haftungsbefreiungsgrund versagt daher dort, wo die den Schaden unmittelbar verursachende Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges, die durch das Verhalten des Dritten oder eines Tieres ausgelöst wurde, zu einer außergewöhnlichen wird. Dies ist dann der Fall, wenn die durch die Eigentümlichkeit des gefährlichen Betriebes bestehende, für den Schaden unmittelbar ursächliche Gefahr gegenüber dem Eingriff des Dritten oder des Tieres übergewichtig und damit als Schadensursache verselbständigt wird (vergl. EB der RV in Veit, EKHG3 Anm. 1 zu § 9; Edlbacher in ÖJZ 1959, 316). Die Frage, ob der Unfall unmittelbar durch eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ausgelöst wurde, kann immer nur an Hand der Umstände des einzelnen Falles gelöst werden (vgl. Veit aaO Anm. 1 am Ende).

Unmittelbar ursächlich für den Schaden des Klägers war die Explosion des Benzintanks des von der beklagten Partei versicherten PKWs, in dem der Kläger mitfuhr. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, Explosions‑ bzw. Brandgefahr entspreche der mit dem Betrieb des Kraftfahrzeuges verbundenen gewöhnlichen Gefahr, kann weder im allgemeinen noch im besonderen Falle geteilt werden. Die gewöhnliche Betriebsgefahr des gegenständlichen Fahrzeuges kam vor dem Zusammenstoß und der dadurch bedingten Entzündung des Benzins lediglich in der Geschwindigkeit zum Ausdruck. Sie wurde erst dadurch zu einer außergewöhnlichen, daß der Tank infolge des Zusammenstoßes mit dem von A* gelenkten PKW explodierte und der PKW An* in Brand geriet (vgl ZVR l975/273). Ist somit aber davon auszugehen, daß der Unfall unmittelbar auf die – durch einen Dritten (A*) ausgelöste – außergewöhnliche Betriebsgefahr zurückzuführen ist, kann sich die beklagte Partei nicht mit Erfolg auf den Haftungsbefreiungsgrund des § 9 EKHG berufen. Da auch das rechtliche Interesse des Klägers an der Feststellung wegen der drohenden Verjährung nicht verneint werden kann, erweist sich die Revision als gerechtfertigt.

Die Abänderung des Urteils in der Hauptsache zog die Abänderung der Kostenentscheidungen nach sich. Der Zuspruch der gesamten Verfahrenskosten an den Kläger beruht hinsichtlich der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens auf § 41 ZPO, hinsichtlich der des Rechtsmittelverfahrens in zweiter und dritter Instanz auch auf § 50 ZPO.

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