European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00039.25M.0429.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Teilurteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Dem Kostenrekurs der beklagten Partei gegen die Kostenentscheidung des Erstgerichts wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.827,12 EUR (darin enthalten 304,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 3.125,90 EUR (darin 266,65 EUR USt und 1.526 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Mit Testament vom 3. 8. 2017 setzte der Vater der Streitteile die Beklagte zur Alleinerbin ein und ordnete die Minderung des Pflichtteils der Klägerin auf die Hälfte an. Mit Übergabsvertrag vom 24. 7. 2020 übertrug er seine Liegenschaft mit dem darauf befindlichen Wohnhaus der Beklagten.
[2] Nach dem Tod des Vaters begehrte die Klägerin mit einer am 20. 1. 2022 beim Bezirksgericht Wels eingebrachten Klage von der Beklagten die Auskunft über sämtliche vom Verstorbenen erhaltenen Schenkungen sowie die Duldung der Schätzung dieser Vermögenswerte. Die Beklagte erteilte daraufhin Auskunft über die erhaltenen Zuwendungen, darunter auch die Liegenschaft und mehrere Schusswaffen, und verpflichtete sich zur Duldung der Schätzung dieser Vermögenswerte, soweit sie am Tag der Schätzung noch in ihrem Eigentum stehen, woraufhin die Klägerin die Klage auf Kosten einschränkte.
[3] Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Stufenklage – soweit im zweiten Rechtsgang noch verfahrensgegenständlich – die Duldung der Schätzung der Liegenschaft und mehrerer Schusswaffen sowie die Zahlung des sich daraus ergebenden Pflichtteils.
[4] Die Beklagte machte der Klägerin daraufhin in der Tagsatzung vom 12. 4. 2023 das Angebot, der Befundaufnahme und Schätzung der Liegenschaft einmalig innerhalb der nächsten sechs Monate zuzustimmen und das Ergebnis allfälligen Pflichtteilsansprüchen der Klägerin zugrundezulegen. Dieses Angebot wurde von der Klägerin angenommen. Die Schätzung der Liegenschaft scheiterte jedoch daran, dass die Beklagte dem Sachverständigen keine Vollmacht zur Einsicht in den Bauakt erteilte.
[5] Die Klägerin brachte deshalb vor, dass die Beklagte sowohl im Vorprozess vor dem Bezirksgericht Wels als auch im gegenständlichen Verfahren eine Duldung der Schätzung zugesagt, in weiterer Folge aber eine Schätzung mehrfach verhindert habe, was auf ein bewusstes Zurückhalten von Informationen schließen lasse. In der Tagsatzung vom 12. 6. 2024 erstatte die Klägerin zudem folgendes Vorbringen: „Soweit Art XLII EGZPO ein Nebenrecht auf Duldung der Schätzung der geschenkten Objekte einräumt, stützt sich die Klägerin auf die vertraglichen Vereinbarungen zwischen den Streitteilen.“
[6] Die Beklagte wendet ein, dass der Klägerin das Rechtsschutzinteresse an einer Schätzung fehle, zumal sie ihren Pflichtteil auch sogleich mit Leistungsklage durchsetzen könne. Die Beklagte habe lediglich eine Schätzung der noch in ihrem Eigentum stehenden Gegenstände zugesagt. Im Übrigen habe sie die Befundaufnahme durch den Sachverständigen nicht vereitelt. Eine Einsichtnahme in den Bauakt sei nicht vereinbart worden.
[7] Mit dem angefochtenen Teilurteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagte dazu, die Schätzung der Liegenschaft und der Schusswaffen zu dulden. Die Duldungspflicht der Beklagten ergebe sich aus ihren Zusagen sowohl vor dem Bezirksgerichts Wels als auch im gegenständlichen Verfahren und umfasse nach dem Zweck der Vereinbarung auch die Einsicht in den Bauakt. Dass die Beklagte nicht mehr Eigentümerin der Liegenschaft oder der genannten Waffen wäre, habe nicht festgestellt werden können. Die Kosten des Verfahrens hob es gegeneinander auf und verpflichtete die Beklagte zur Zahlung der halben Pauschalgebühr.
[8] Dagegen richtete sich eine mit einem hilfsweisen Kostenrekurs verbundene Berufung der Beklagten.
[9] Nachdem das Erstgericht mitgeteilt hatte, dass kein Grund für eine amtswegige Berichtigung des Protokolls vom 12. 6. 2024 bestehe und eine solche auch von den Parteien nicht beantragt worden sei, änderte das Berufungsgericht die Entscheidung dahin ab, dass die Klage zur Gänze abgewiesen werde. Den hilfsweise erhobenen Kostenrekurs erledigte es folgerichtig nicht.
[10] Da kein Widerspruch erhoben worden sei, liefere das Protokoll vom 12. 6. 2024 den vollen Beweis über den Verlauf und Inhalt der Verhandlung, wobei dem Berufungsgericht eine amtswegige Berichtigung untersagt sei. Aus Art XLII EGZPO könne keine Verpflichtung des Geschenknehmers abgeleitet werden, eine Schätzung der ihm geschenkten Sache zu dulden. Da die Klägerin vertragliche Ansprüche gegenüber der Beklagten ausdrücklich nur unter der Voraussetzung geltend gemacht habe, dass auch Art XLII EGZPO ein solches Nebenrecht einräume, sei das Klagebegehren abzuweisen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
[11] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die Entscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben und das Teilurteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Sie macht geltend, dass ihr Vorbringen in der Tagsatzung vom 12. 6. 2024 entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts dahin zu verstehen sei, dass sie ihre Klage auch auf die getroffenen Vereinbarungen stütze.
[12] Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision ist aufgrund einer auch im Einzelfall korrekturbedürftigen Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zulässig, sie ist dementsprechend auch berechtigt.
[14] 1. Die Auslegung des Vorbringens einer Partei in Bezug auf den geltend gemachten Anspruch ist eine Frage des Einzelfalls, der grundsätzlich keine zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt (RS0005103; RS0042828). Etwas anderes gilt aber, wenn es sich um eine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung handelt (RS0042828 [T23]). Das ist der Fall, wenn die Auslegung des Parteivorbringens mit seinem Wortlaut unvereinbar ist oder gegen die Denkgesetze verstößt (RS0042828 [T11, T31]) oder ein sonst unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0005103 [T2]; RS0042828 [T8, T27, T31]).
[15] 2. Bei der Auslegung von Prozesshandlungen sind objektive Maßstäbe anzulegen und nicht die Auslegungsregeln für Rechtsgeschäfte heranzuziehen (RS0097531). Entscheidend ist damit der objektive Erklärungswert und nicht der tatsächliche Wille der Partei (RS0017881; RS0097531). Die Auslegung darf sich aber nicht auf den bloßen Wortlaut des Vorbringens beschränken. Vielmehr kommt es darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Prozesszwecks und der dem Gericht und Gegner bekannten Prozess‑ und Aktenlage objektiv zu verstehen ist (RS0017881; RS0037416). Vor diesem Hintergrund muss insbesondere der Verzicht auf einen mit der Klage verfolgten Anspruch eindeutig erklärt werden (RS0039744).
[16] 3. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht seinen Auslegungsspielraum überschritten. Dies führt zur Wiederherstellung des Ersturteils.
[17] 3.1. Die Auslegung des Berufungsgerichts, die bloß den Wortlaut des Vorbringens der Klägerin vor Augen hat, unterstellt der Klägerin ein absurdes und sinnwidriges Prozessverhalten. Es besteht nämlich kein vernünftiger Grund, der einen Kläger dazu veranlassen könnte, einen vertraglichen Anspruch nur unter der Bedingung geltend zu machen, dass sich ein inhaltsgleicher Anspruch auch aus dem Gesetz ergibt. In einem solchen Fall wäre der Klage nämlich schon aufgrund des gesetzlichen Anspruchs stattzugeben, sodass das Vorbringen zum vertraglichen Anspruch von vornherein überflüssig wäre. Im vorliegenden Fall besteht auch kein Grund zur Annahme, dass die Klägerin auf die Geltendmachung ihres vertraglichen Anspruchs verzichten hätte wollen, zumal sie ihre Klage von Anfang an auf die vertraglichen Zusagen der Beklagten gestützt und dieses Vorbringen auch nie widerrufen hat. Unter Berücksichtigung des unverändert aufrechterhaltenen Rechtsschutzbegehrens durfte auch das Vorbringen der Klägerin in der Tagsatzung vom 12. 6. 2024 nur so verstanden werden, dass sie ihren Anspruch weiterhin sowohl auf Art XLII EGZPO als auch auf die vertraglichen Zusagen stützt.
[18] 3.2. Da der Wert einer Liegenschaft ganz wesentlich davon abhängt, ob das darauf befindliche Gebäude der erteilten Baubewilligung und allfälligen behördlichen Auflagen und Bedingungen entspricht, erfordert eine fachgerechte Schätzung einer solchen Liegenschaft auch die Einsicht in den Bauakt. Die Zusage der Beklagten, eine Schätzung der Liegenschaft durch einen Sachverständigen zu dulden, ist daher nach der redlichen Verkehrsauffassung schon im Hinblick auf den Zweck der Vereinbarung dahin zu verstehen, dass dem Sachverständigen nicht nur die Befundaufnahme vor Ort, sondern auch die Einsicht in den Bauakt ermöglicht wird.
[19] 3.3. Da die Beklagte dem Sachverständigen die Einsicht in den Bauakt verweigert und damit die Schätzung vorsätzlich vereitelt hat, ist ohne Bedeutung, dass sie ihre Zusage im vorliegenden Verfahren auf einen Schätztermin innerhalb der nächsten sechs Monate eingeschränkt hat. Die Berufung auf den Ablauf einer Frist verstößt nämlich gegen Treu und Glauben, wenn der Verpflichtete die Einhaltung der Frist selbst verhindert hat (RS0016824; RS0034537 [T1, T4, T18]). In einem solchen Fall muss der durch den Fristablauf Begünstigte das bereits erloschene Recht als bestehend hinnehmen und die Ausübung des Rechts auch nach verstrichener Frist zulassen (RS0016788).
[20] 3.4. Soweit die Beklagte einwendet, dass sie sich nur unter der Bedingung zur Duldung der Schätzung verpflichtet habe, dass die Gegenstände am Tag der Schätzung noch in ihrem Eigentum stehen, ist für sie nichts gewonnen, weil nicht festgestellt werden konnte, dass sie nicht mehr Eigentümerin der Liegenschaft oder der genannten Schusswaffen wäre. Grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen (RS0037797).
[21] 3.5. Es war daher das Teilurteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
4. Zur Entscheidung über den Kostenrekurs:
[22] 4.1. Hat das Berufungsgericht einer Berufung stattgegeben und das erstgerichtliche Urteil abgeändert, wodurch ein gegen dieses Urteil erhobener Kostenrekurs gegenstandslos wurde, und stellt der Oberste Gerichtshof das erstinstanzliche Urteil wieder her, so hat der Oberste Gerichtshof auch über den Kostenrekurs zu entscheiden (RS0036069 [T1]).
[23] 4.2. Soweit die Beklagte meint, dass die Obsiegensquote erst nach dem Endurteil feststehe und die Kostenentscheidung deshalb vorzubehalten gewesen wäre, ist ihr entgegenzuhalten, dass das den Auskunftsanspruch bejahende Teilurteil im Hinblick auf die Kostenentscheidung einem Endurteil gleichzuhalten ist, sodass das Erstgericht sogleich über die Kosten abzusprechen hatte (RS0121609; Konecny in Fasching/Konecny 3Art XLII EGZPO Rz 129). Die Rechtsansicht der Beklagten, dass die Klägerin bis zu ihrer Zusage im gegenständlichen Verfahren als unterliegend anzusehen wäre, ist schon deshalb unzutreffend, weil sich die Klägerin schon in der Klage auf die Zusage der Beklagten im Verfahren vor dem Bezirksgericht Wels stützte.
[24] 4.3. Die Beklagte macht weiters geltend, dass die Klägerin im ersten Rechtsgang mit ihrem auf Offenlegung weiterer Schenkungen gerichteten Klagebegehren unterlegen ist und im fortgesetzten Verfahren auch das auf Duldung der Schätzung gerichtete Klagebegehren dahin eingeschränkt habe, dass es nur mehr die Liegenschaft und die genannten Waffen betroffen habe. Damit dringt sie ebenfalls nicht durch:
[25] Lassen sich die Obsiegensquoten nicht eindeutig rechnerisch bestimmen, so hat das Gericht das Verhältnis des erfolgreichen und des abgewiesenen Begehrens nach freiem Ermessen zu bemessen (RS0035831). Dem Gericht kommt bei seiner Beurteilung ein erheblicher Spielraum zu. Im Zuge dieser Beurteilung ist vor allem die unterschiedliche rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung der jeweiligen Teilbegehren von Bedeutung, aber auch der jeweilige Verfahrensaufwand (RS0035831 [T6]).
[26] Da das Begehren auf Schätzung weiterer – bislang unbekannter – Schenkungen durch die Abweisung des Offenlegungsbegehrens zumindest faktisch hinfällig wurde, durfte das Erstgericht zumindest für den Verfahrensabschnitt bis zum Teilurteil des Berufungsgerichts, mit welchem das Offenlegungsbegehren abgewiesen wurde, von einem annähernd gleichteiligen Prozesserfolg und einer Kostenaufhebung nach § 43 Abs 1 ZPO ausgehen. Ob der Klägerin im folgenden Verfahrensabschnitt, der nur mehr den Anspruch auf Duldung der Schätzung betraf, aufgrund ihres überwiegenden bzw nach Klagseinschränkung vollständigen Obsiegens Kosten zuzusprechen gewesen wären, kann dahingestellt bleiben, weil die Kostenentscheidung nur von der Beklagten bekämpft wurde. Es war daher die erstgerichtliche Kostenentscheidung zu bestätigen.
[27] 5. Die Kostenentscheidung im Rechtsmittelverfahren beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Da die Klägerin in der Tagsatzung vom 12. 6. 2024 erklärte ihr Klagebegehren, welches sie unmittelbar zuvor mit 15.000 EUR bewertet hatte, zu „modifizieren“, war davon auszugehen, dass diese Bewertung auch für das enger gefasste Klagebegehren gelten soll. Die Beantwortung des Kostenrekurses ist mit dem für die Berufungsbeantwortung gebührenden Kostenersatz abgegolten (RS0087844).
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