OGH 2Ob241/77

OGH2Ob241/7715.12.1977

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wittmann als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fedra, Dr. Reithofer und Dr. Scheiderbauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A*, Private, *, vertreten durch Dr. Norbert Schöner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) E* Versicherungs‑Aktiengesellschaft, *, 2.) M*, Angestellter, *, beide vertreten durch Dr. Franz Dobersberger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Schadenersatzes infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS. Wien als Berufungsgerichtes vom 30. September 1977, GZ. 42 R 548/77‑12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 31. Mai 1977, GZ. 36 C 1301/77‑8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0020OB00241.77.1215.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und in Abänderung des angefochtenen Urteils das Ersturteil wieder hergestellt.

Die Klägerin hat den Beklagten die Kosten des Berufungsverfahrens von 1.850,‑‑ S (davon 132,‑‑ S Umsatzsteuer und 44,‑‑ S Barauslagen) sowie des Revisionsverfahrens von 2.130,50 S (davon 140,‑‑ S Umsatzsteuer und 240,‑‑ S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 18. Februar 1976 wurde die Klägerin als Fußgängerin in Wien im Kreuzungsbereich Parkring – Schubertring – Johannesgasse vom Zweitbeklagten, der seinen bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten PKW. lenkte, niedergestoßen und verletzt. Sie begehrte den Ersatz von einem Viertel ihres mit 37.223,04 S und 115.174 Pesetas bezifferten Schadens.

Das Strafverfahren gegen den Zweitbeklagten wurde nach § 90 StPO eingestellt.

Das Erstgericht schränkte die Verhandlung auf den Grund des Anspruches ein und wies die Klage ab.

Das Berufungsgericht entschied jedoch, daß der Anspruch der Klägerin dem Grunde nach zu Recht bestehe.

Die Beklagten erheben Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Die Untergerichte sind von folgenden Feststellungen ausgegangen:

Der Zweitbeklagte fuhr gegen 20:15 Uhr auf dem Parkring auf dem äußersten linken Fahrstreifen mit einer Geschwindigkeit von 56 bis 57 km/h, eher etwas weniger, in Richtung Oper; er hatte an seinem PKW M‑ & S‑Reifen montiert. Die Fahrbahn war trocken, die Straßenbeleuchtung eingeschaltet. Es herrschte Kolonnenverkehr in allen drei Fahrstreifen. Als der Zweitbeklagte etwa 28 m von der späteren Kontaktstelle entfernt war, konnte er erstmals die Klägerin erkennen, die im Laufschritt bei Rotlicht für ihre Richtung den Zebrastreifen überquerte und sich gerade ca. 4 bis 5 m von der späteren Kontaktstelle entfernt befand. Die Klägerin war außerdem schwerer erkennbar, weil sie zur Gänze schwarz angezogen war. Früher konnte der Zweitbeklagte sie nicht sehen, weil ihm die Sicht durch ein Fahrzeug in der mittleren Fahrspur verdeckt war. Der Zweitbeklagte reagierte sofort durch eine Notbremsung und durch Verreißen seines Wagens nach links, konnte aber den Kontakt mit der Klägerin nicht mehr vermeiden. Der Kontakt erfolgte an der rechten hinteren Tür des PKWs. Wäre der Zweitbeklagte nur mit 50 km/h gefahren, wäre es ebenfalls zum Kontakt gekommen, wobei die Klägerin vom Frontteil des Wagens erfaßt worden wäre.

Das Erstgericht meinte, daß die Klägerin den Unfall durch ihren Verstoß gegen § 76 Abs. 3 StVO 1960 allein verschuldet habe; ein meßbares Mitverschulden des Zweitbeklagten habe nicht nachgewiesen werden können, zumal die geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung nicht unfallkausal gewesen sei.

Das Berufungsgericht führte jedoch aus, daß der Klagsanspruch auch auf das Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz gestützt werde. Die Ersatzpflicht könnte nur nach § 9 Abs. 1 EKHG ausgeschlossen werden, wobei der Beweis für die Beobachtung jeder gebotenen Sorgfalt dem Halter obliege. Dieser Beweis sei nicht erbracht worden, denn die – wenn auch nicht sehr erhebliche – Überschreitung der im Ortsgebiet zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Zweitbeklagten schließe die Annahme aus, der Zweitbeklagte habe die äußerste Sorgfalt beachtet. Darauf, ob die Unfallfolgen bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h und frontalem Kontakt geringer gewesen wären komme es in diesem Zusammenhang nicht an. In Anbetracht des schwerwiegenden Mitverschuldens der Klägerin sei die Haftung der Beklagten mit einem Viertel anzunehmen.

Die Revisionswerber bringen vor, die vielseitigen Verstöße der Klägerin gegen elementare Verkehrsvorschriften seien so schwerwiegend, daß die geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitung des Zweitbeklagten unbeachtlich bleibe. Wäre der Zweitbeklagte langsamer gefahren, hätte er die Fußgängerin frontal erfaßt und schwer verletzt.

Der Erstbeklagte hat immerhin die im Ortsverkehr zulässige absolute Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um etwa 10 % überschritten, was besagt, daß ihm der Beweis der Beachtung jeglicher Sorgfalt nach § 9 (2) EKHG nicht gelungen ist, so daß er nach §§ 7 (1) EKHG, 1304 ABGB, haftet. Gegenüber dem krassen Verschulden der Klägerin tritt jedoch sein Fehlverhalten derart zurück, daß es bei der Schadensteilung zu vernachlässigen ist.

Demnach war das Ersturteil wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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