European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00236.23D.0123.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung
Spruch:
I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Art 13 Abs 1 lit g der Richtlinie 2014/17 /ЕU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Februar 2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr 1093/2010 dahin auszulegen, dass ein Verstoß dagegen zu verneinen ist, wenn ein Kreditgeber, der Wohnbaukredite ohne und mit Hypothek, jeweils in mehreren Varianten anbietet (a. Kredite mit ausschließlichen Festzinsphasen, b. Kredite mit abwechselnd variablen Zinsen und Festzinsphasen und c. Kredite mit ausschließlich variablen Zinsen), jeweils ein (einziges) repräsentatives Beispiel für einen Wohnbaukredit ohne und für einen Wohnbaukredit mit Hypothek bereitstellt, oder erfordert die Bestimmung, dass für jede Verzinsungsform jeweils ein repräsentatives Beispiel anzuführen ist?
II. Das Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzt.
Begründung:
Zu I.:
A. Sachverhalt
[1] Der Kläger ist ein gemäß § 29 Abs 1 Konsumentenschutzgesetz (KSchG) zur Verbandsklage nach §§ 28, 28a KSchG berechtigter Verein. Die Beklagte ist eines der größten Bankinstitute Österreichs und bietet ihre Leistungen österreichweit an.
[2] Die Beklagte verwendet im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern ein „Produktinformationsblatt Wohnkredite, Stand: 22. 2. 2022“. Dieses umfasst sieben Seiten. Auf der ersten Seite wird über die Beklagte und über die Immobilienbewertung informiert. Es finden sich dort auch Warnhinweise allgemeiner Art, etwa das Anfallen von Verzugszinsen und Mahnkosten bei einem Zahlungsverzug. Außerdem wird auf das aktuell gültige Preisblatt für Entgelte und gesetzliche Gebühren für Verbraucher- und Kommerzkredite hingewiesen.
[3] Die Seiten zwei bis vier des Produktinformationsblattes behandeln Wohnbaukredite ohne Hypothek, abgeschlossen mit einem „repräsentativen Beispiel“, die Seiten fünf bis sieben Wohnbaukredite mit Hypothek, ebenfalls abgeschlossen mit einem repräsentativen Beispiel. Als repräsentatives Beispiel für einen Wohnbaukredit ohne Hypothek wird ein Kredit über 35.000 EUR mit einer Laufzeit von 180 Monaten und einem jährlichen Nominalzinssatz von 4,58 % variabel angeführt. Als repräsentatives Beispiel für einen Wohnbaukredit mit Hypothek wird ein Kredit über 200.000 EUR mit einer Laufzeit von 240 Monaten und einem jährlichen Nominalzinssatz von 0,5 % variabel angeführt. Beide Beispiele enthalten Angaben zur Höhe der Zinsenbelastung, des Effektivzinssatzes und der Gesamtbelastung.
[4] In der Produktpalette der Beklagten befinden sich neben Krediten mit ausschließlich variablen Zinsen auch Kredite mit ausschließlichen Festzinsphasen sowie Kredite mit abwechselnd variablen Zinsen und Festzinsphasen.
B. Vorbringen der Parteien
[5] Der Kläger begehrt unter anderem, der Beklagten zu verbieten, bei Hypothekar- und Immobilienkreditverträgen in den allgemeinen Informationen gemäß § 7 Hypothekar- und Immobilienkreditgesetz (HIKrG) den Abschluss von Kreditverträgen mit ausschließlich oder anfänglich für einen wesentlichen Teil der Vertragslaufzeit festen Zinssätzen anzubieten, ohne in diesen allgemeinen Informationen ein repräsentatives Beispiel des Gesamtkreditbetrags, der Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher, des vom Verbraucher zu zahlenden Gesamtbetrags und des effektiven Jahreszinssatzes für einen Kredit mit ausschließlich oder anfänglich festem Zinssatz anzugeben.
[6] Dem hielt die Beklagte entgegen, dass ihr Produktinformationsblatt nicht der detaillierten, auf „Einzelfälle“ und konkrete Kunden zugeschnittenen vorvertraglichen Aufklärung von Verbrauchern diene. Es könne nicht verlangt werden, dass zu jeder denkbaren Verzinsungsform ein eigenes Beispiel enthalten sei.
C. Bisheriges Verfahren
[7] Das Erstgericht gab unter anderem dem referierten Teilbegehren statt. Es fehle ein Beispiel für Kredite mit festem Zinssatz.
[8] Das Berufungsgericht wies die Klage ab. Das Gesetz verlange in § 7 Z 7 HIKrG nur „ein“ repräsentatives Beispiel zu den dort angeführten Informationen. Die Beklagte sei daher nicht verpflichtet gewesen, in ihr Produktinformationsblatt auch ein Beispiel eines Kredits mit festen Zinssätzen aufzunehmen.
Rechtliche Beurteilung
[9] Der Oberste Gerichtshof hat nunmehr über die Revision des Klägers zu entscheiden, womit dieser beantragt, das Urteil des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
D. Zur Vorlagefrage
[10] Die Richtlinie 2014/17 /ЕU gilt für a) Kreditverträge, die entweder durch eine Hypothek oder eine vergleichbare Sicherheit, die in einem Mitgliedstaat gewöhnlich für Wohnimmobilien genutzt wird, oder durch ein Recht an Wohnimmobilien besichert sind und b) Kreditverträge, die für den Erwerb oder die Erhaltung von Eigentumsrechten an einem Grundstück oder einem bestehenden oder geplanten Gebäude bestimmt sind (Art 3 Abs 1 Richtlinie 2014/17 /ЕU). Damit ist die Richtlinie hier anzuwenden.
[11] Nach Art 13 Richtlinie 2014/17 /ЕU stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Kreditgeber und gegebenenfalls gebundene Kreditvermittler oder deren benannte Vertreter jederzeit klare und verständliche allgemeine Informationen über Kreditverträge auf Papier oder auf einem anderen dauerhaften Datenträger oder in elektronischer Form bereitstellen. Zusätzlich können die Mitgliedstaaten vorschreiben, dass nicht gebundene Kreditvermittler allgemeine Informationen bereitstellen. Diese Informationen umfassen nach Art 13 Abs 1 lit g Richtlinie 2014/17 /ЕU zumindest ein repräsentatives Beispiel des Gesamtkreditbetrags, der Gesamtkosten des Kredits für den Verbraucher, des vom Verbraucher zu zahlenden Gesamtbetrags und des effektiven Jahreszinses.
[12] Die Bestimmung des Art 13 Abs 1 lit g Richtlinie 2014/17 /ЕU ist im österreichischen Recht durch § 7 Z 7 HIKrG idF BGBl I 2017/93 wortgleich umgesetzt.
[13] Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs reicht es im Anlassfall aus, dass die Beklagte jeweils ein Beispiel für einen Wohnbaukredit ohne und für einen Wohnbaukredit mit Hypothek angegeben hat. Die angebotenen Finanzprodukte wurden damit auch repräsentativ erklärt. Die Beklagte hat in ihrem Produktinformationsblatt mit ihren zwei Beispielen die Informationen zu ihren Produktpaletten plastisch veranschaulicht und damit die Anforderungen des § 7 Z 7 HIKrG (Art 13 Abs 1 lit g Richtlinie 2014/17 /ЕU) erfüllt. Das Gebot einer allgemeinen, abgeschwächten Information wäre überspannt, wenn zu jeder denkbaren Verzinsungsform Beispiele angeführt werden müssten. Damit wäre die Gefahr einer unübersichtlichen Darstellung verbunden, die dem Gebot der Klarheit und Verständlichkeit abträglich sein könnte.
[14] Diese Auslegung des Art 13 Abs 1 lit g der Richtlinie 2014/17 /ЕU ist aber nicht zwingend, weshalb dem Gerichtshof der Europäischen Union die im Spruch ersichtliche Frage zu stellen ist.
Zu II.:
[15] Der Ausspruch über die Aussetzung des Verfahrens bis zur Erledigung des Vorabentscheidungsersuchens beruht auf § 90a Abs 1 GOG.
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