European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00002.25W.0325.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Die Klägerin verfügte seit jeher über einen eigenen Schlüssel zur Wohnung ihrer Nachbarin, weil sie sich während der zahlreichen Reisen ihrer Nachbarin um die Pflanzen kümmerte. Als ihre Nachbarin gebrechlicher wurde, unterstützte die Klägerin sie im Alltag, erledigt ihre Einkäufe und besorgte alle finanziellen Angelegenheiten. Später half die Klägerin ihrer Nachbarin bei der Übersiedlung in ein Pflegeheim. Als ihre Nachbarin, die keine Erben hatte, der Klägerin ihre Wohnung schenken wollte, wollte die Klägerin einen Beitrag leisten, weshalb vereinbart wurde, dass die Nachbarin im Gegenzug eine Leibrente von 500 EUR monatlich erhalten soll. Die Nachbarin übergab der Klägerin daraufhin ihren Wohnungsschlüssel und sagte: „Ich schenke Ihnen meine Wohnung, geben Sie diesen Schlüssel nicht mehr her und passen Sie auf meine Wohnung auf.“ In weiterer Folge vereinbarte die Klägerin im Auftrag ihrer Nachbarin einen Termin bei einem Notar, wo ein verbücherungsfähiger Vertrag errichtet werden sollte, wozu es aber nicht mehr kam, weil die Nachbarin vorher verstarb.
[2] Die Vorinstanzen verpflichteten die beklagte Verlassenschaft dazu, der Einverleibung des Eigentums der Klägerin an der Wohnung zuzustimmen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die außerordentliche Revision der beklagten Verlassenschaft ist mangels einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
[4] 1. Das Berufungsgericht hat sich mit der Tatsachenrüge inhaltlich auseinandergesetzt und umfassende Überlegungen zur Beweiswürdigung angestellt, sodass die von der beklagten Verlassenschaft behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens nicht vorliegt. Soweit die beklagte Verlassenschaft meint, dass aufgrund der Aussagen des Zeugen anderslautende Feststellungen zu treffen gewesen wären, ist ihr entgegenzuhalten, dass die Beweiswürdigung im Revisionsverfahren nicht mehr überprüfbar ist (RS0043371).
[5] 2. Nach § 943 ABGB erwächst dem Geschenknehmer aus einem bloß mündlichen, ohne wirkliche Übergabe geschlossenen Schenkungsvertrag kein Klagerecht. § 943 ABGB gilt auch für gemischte Schenkungen (hier den Leibrentenvertrag), bei denen der unentgeltliche Teil des Geschäfts – wie hier – überwiegt (RS0019374). Der in der Revision behauptete Widerruf des Leibrentenvertrags lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen.
[6] 3. Das Erfordernis der wirklichen Übergabe dient dem Übereilungsschutz (2 Ob 122/17f [verst Senat] Punkt 4.1.d. mwN, 2 Ob 229/23z = RS0011143 [T11]). Unter wirklicher Übergabe im Sinn des § 943 ABGB ist bei Liegenschaften auch die außerbücherliche Übergabe zu verstehen (RS0011228). Das Gesetz verlangt die Verbücherung nämlich nur für den Eigentumserwerb, während der Besitz auch durch die tatsächliche Überlassung erworben werden kann (RS0018975 [T1]).
[7] 4. Das Erfordernis einer wirklichen Übergabe bedeutet, dass eine bloße Zusicherung oder ein bloßes Schenkungsversprechen nicht hinreicht (RS0011295 [T2]; RS0011383 [T6]). Das Gesetz verlangt vielmehr, dass die geschenkte Sache aus der physischen Verfügungsmacht des Übergebers willentlich in jene des Übernehmers übergeht (RS0011383; RS0104145). Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs muss die wirkliche Übergabe im Sinn des § 943 ABGB und § 1 NotAktG sinnfällig nach außen bemerkbar sein (RS0011383). Ob ein Dritter die Schenkung erkannt hat, ist aber nicht wesentlich (RS0011383 [T14]). Entgegen der Rechtsansicht der beklagten Verlassenschaft bedeutet dies keinen Widerspruch, weil die Wirksamkeit des Schenkungsversprechens damit nicht von der tatsächlichen Anwesenheit Dritter abhängig ist.
[8] 5. Wirkliche Übergabe im Sinn des Gesetzes ist sowohl die körperliche Übergabe als auch die Übergabe durch Zeichen (RS0011143). Welche Zeichen zu einer wirklichen Übergabe ausreichen, ist nach dem Zweck, den Geschenkgeber vor übereilten Entschließungen zu schützen, zu beurteilen (RS0011383 [T13]; RS0018975 [T4]). Aus der Übergabe mittels Zeichen muss der Übergang in die Verfügungsgewalt des Übernehmers aber unzweifelhaft und nach außen erkennbar sein (RS0011383 [T12]). Welche Zeichen ausreichen, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RS0011383 [T13, T23]; RS0018975) und bildet damit grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO.
[9] 6. Der Oberste Gerichtshof hat es zu 4 Ob 189/12s ausreichen lassen, dass der Geschenkgeber einen Notar mit der Errichtung des Schenkungsvertrags beauftragt und diesem einen Liegenschaftsschlüssel übergibt. Zu 8 Ob 129/22m ging der Oberste Gerichtshof von der wirksamen Schenkung einer Wohnung aus, weil der Geschenkgeber den Mietvertrag und den Schlüssel übergab und dem Geschenknehmer den Auftrag erteilte, sich um die Sanierung der Wohnung und die Reparatur der Heizung zu kümmern. Schließlich erblickte der Oberste Gerichtshof zu 2 Ob 229/23z in der Übergabe einer geräumten Wohnung samt Schlüssel und Verständigung der Hausverwaltung von der Übertragung eine wirkliche Übergabe.
[10] 7. Entgegen der Rechtsansicht der beklagten Verlassenschaft steht der Umstand, dass die Klägerin bereits zuvor über einen Schlüssel zur Wohnung verfügte, der Annahme einer wirklichen Übergabe nicht entgegen. Die Geschenkgeberin hat der Klägerin nämlich erst durch die Übergabe ihres eigenen Schlüssels die alleinige Verfügungsgewalt über die Wohnung eingeräumt. Auch wenn es darauf unter Umständen nicht zwingend ankommt (vgl 2 Ob 122/17f [verst Senat]), liegt darin jedenfalls ein zur Einigung über die (gemischte) Schenkung hinzutretendes Element, das den Übereilungsschutz gewährleistet. Da die Geschenkgeberin fortan keinen Zutritt zur Wohnung mehr hatte, ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die eine wirkliche Übergabe bejahten, von der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gedeckt. Die Ausführungen der beklagten Verlassenschaft zur wirklichen Übergabe unter Vorbehalt eines Nutzungsrechts gehen ins Leere, weil sich die Geschenkgeberin im vorliegenden Fall kein solches Nutzungsrecht vorbehalten hat.
[11] 8. Die außerordentliche Revision war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.
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