European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1976:0020OB00223.76.1118.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Es wird keiner der beiden Revisionen Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit S 1.732,96 bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung (davon S 110,56 Umsatzsteuer und S 240,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Am 25. Dezember 1973 gegen 19 Uhr 15 kam es auf der Bundesstraße * in W* nördlich der O*straße zu einem Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem Personenkraftwagen Lancia Fulvia 1300, Dipl. Kfm. Dr. * D* mit seinem Personenkraftwagen Mercedes 220 und * E* mit dem Personenkraftwagen Fiat 125 beteiligt waren. Die Beklagte war der Haftpflichtversicherer des * E*, der noch am 25. 12. 1973 an den Folgen der Unfallsverletzungen verstorben ist.
Der Kläger erlitt durch den Unfall einen Schaden von S 42.987,76. Er verlangt von der Beklagten den Ersatz dieses Betrages samt Anhang mit der Behauptung, E* habe den Unfall verschuldet. Der Kläger sei hinter dem von Dr. D* gelenkten Personenkraftwagen gefahren; infolge eines Überholmanövers des E* sei der Wagen des Dr. D* ins Schleudern geraten, gegen einen Baum gefahren und dann zur Straßenmitte zurückgeschleudert worden; der nachfahrende Kläger habe sein Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig anhalten können und sei gegen den Wagen des Dr. D* gestoßen.
Die Beklagte bestritt nicht das Verschulden des E*, wendete aber ein, den Kläger treffe ein Mitverschulden im Ausmaße eines Drittels. Er sei mit einer im Hinblick auf die Verhältnisse überhöhten Geschwindigkeit gefahren und habe zum vorausfahrenden Fahrzeug einen zu geringen Abstand gehalten.
Das Erstgericht erkannte im Sinne des Begehrens. Es verneinte ein Mitverschulden des Klägers.
Die Berufung der Beklagten hatte teilweise Erfolg. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil auf der Grundlage einer Verschuldensteilung im Verhältnis 3 : 1 zu Lasten der Beklagten dahin ab, daß es dem Kläger nur S 32.240,82 s.A. zuerkannte und das Mehrbegehren von S 10.746,94 s.A. abwies.
Dagegen richten sich die Revisionen beider Teile, in denen jeweils unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wird. Der Kläger bekämpft das Berufungsurteil insoweit, als ihm nicht der gesamte begehrte Betrag zuerkannt wurde, und beantragt Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles, hilfsweise Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung. Die Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes insoweit, als das Mitverschulden des Klägers mit nur einem Viertel – statt mit einem Drittel – bemessen wurde, und beantragt Abänderung dahin, daß weitere S 3.582,31 s.A. abgewiesen werden; hilfsweise wird ebenfalls Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung beantragt.
Die Beklagte beantragt, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben. Der Kläger hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Keine der beiden Revisionen ist gerechtfertigt.
Der Entscheidung des Berufungsgerichtes liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger fuhr auf der Bundesstraße * von W* in Richtung S* mit einer Geschwindigkeit von 60 bis 70 km/h. Etwa an der Stelle, an der die bis dahin bestandene Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h aufgehoben wird, überholte ihn E* mit einer Geschwindigkeit von mindestens 75 km/h. Der Kläger sah in einer Entfernung von etwa 100 m die hinteren Begrenzungslichter des Mercedes 220 des Dr. D*. E* reihte sich zunächst vor dem Kläger in die rechte Fahrspur ein und überholte dann den Mercedes 220, der eine Geschwindigkeit von 50 km/h hatte. An dieser Stelle war die Fahrbahn schon eisglatt. Während E* den Mercedes 220 mit einem Seitenabstand von etwa 0,50 m überholte, geriet er ins Schleudern, kam mit dem Mercedes 220 in Kontakt, der nun ebenfalls ins Schleudern geriet und nach rechts gegen einen Alleebaum getrieben wurde. Er stieß mit der Frontseite gegen den Baum und wurde, mit dem Heck voraus, gegen die Straßenmitte zurückgestoßen. Der Wagen des E* schleuderte in der Folge ebenfalls gegen einen Alleebaum, wobei E* tödlich verletzt wurde.
Der Kläger bemerkte, daß der Wagen des E* in dem Augenblick, als seine Lichter beim Überholen auf gleicher Höhe mit denen des Mercedes 220 waren, plötzlich „zu tanzen anfing“, das heißt, daß die Lichter sich von rechts nach links und von links nach rechts bewegten. Dann verschwanden beide Fahrzeuge aus dem Gesichtsfeld des Klägers, so als ob sie eine scharfe Rechtskurve durchfahren hätten. Der Kläger nahm deshalb den Fuß vom Gaspedal und fuhr in Bremsbereitschaft weiter. Als er in die anschließende leichte Rechtskurve einfuhr, bemerkte er in einer Entfernung von 50 bis 60 m den Mercedes 220 zur Hälfte auf dem Bankett und zur anderen Hälfte auf der Fahrbahn, und zwar unbeleuchtet. Er hatte den Eindruck, daß der Wagen stehe. Als er sich auf 20 bis 30 m genähert hatte, hatte er den Eindruck, der Wagen „klebe an einem Baum“. Er begann mit einer Normalbremsung, um stehen zu bleiben und dem Lenker des Fahrzeuges allenfalls Hilfe zu leisten. Als er auf 10 bis 15 m herangekommen war, begann sich der Mecedes 220 plötzlich, mit dem Heck voraus, gegen die Straßenmitte zu bewegen. Der Kläger versuchte, nach links auszulenken, konnte aber nicht mehr verhindern, daß er mit dem rechten vorderen Eck seines Fahrzeuges gegen die rechte hintere Seite des sich noch langsam bewegenden Mercedes 220 stieß. Dieser wurde dadurch um 180 Grad gedreht, der Wagen des Klägers, der im Zeitpunkt des Anstoßes vom linken Fahrbahnrand etwa 1 m entfernt war, blieb ohne wesentliche Seitenversetzung nach einigen Metern stehen. Als der Kläger ausstieg, bemerkte er, daß die Fahrbahn hier glatt war. Die Straße war nicht bestreut. Erst jetzt bemerkte er auch den Wagen des E*. Der Kläger hatte vor dem Unfall das Fernlicht eingeschaltet.
Der Mercedes 220 war mit einer Geschwindigkeit von 25 km/h an den Baum gestoßen. Der Abdrehweg betrug 4 m, sodaß der Wagen in der Endlage mit der Straßenachse einen rechten Winkel bildete. Im Zeitpunkt des Kontaktes mit dem Wagen des Klägers hatte der Mercedes 220 nur mehr eine geringe Geschwindigkeit oder er stand schon, wurde aber durch den Anstoß auf 15 km/h beschleunigt.
Der Wagen des Klägers hatte beim Anstoß an den Mercedes 220 eine Geschwindigkeit von 28 km/h, die durch den Anstoß auf 15 km/h vermindert wurde. Der Kläger brachte sein Fahrzeug nach weiteren 11 m zum Stillstand.
Der Mercedes 220 mit seiner Länge von 4,70 m hatte die dort 7,40 m breite Straße zum größten Teil versperrt. Vom Anstoß des Wagens des E* an den Mercedes 220 bis zum Anstoß des Mercedes 220 an den Baum vergingen 4,28 Sekunden. Dann folgte eine Kompressionsphase am Baum von 0,25 Sekunden und bis zum Kontakt mit dem Wagen des Klägers weitere 1,2 Sekunden. Vom Anstoß des Wagens des E* an den Mercedes 220 bis zum Anstoß des Wagens des Klägers an den Mercedes 220 dauerte es somit 5,73 Sekunden. Der Kläger konnte aus der eingehaltenen Geschwindigkeit von 70 km/h sein Fahrzeug vor dem Mercedes 220 nicht mehr zum Stillstand bringen; auch ein Vorbeifahren am Heck des Mercedes war nicht möglich. Als sich dieser von dem Baum löste, war der Kläger von ihm noch rund 10 m entfernt.
Das Berufungsgericht nahm ein Mitverschulden des Klägers aus folgenden Erwägungen an:
Das dem Kläger aufgefallene Tanzen der Lichter des Wagens des E*, also ein sichtbarer Schleuderbeginn eines im Überholen begriffenen Fahrzeuges, stelle ein Anzeichen für eine Gefahrensituation dar. Dieser habe der Kläger durch bloßes „Gaswegnehmen“ nicht ausreichend Rechnung getragen. Hätte er seine Geschwindigkeit früher herabgesetzt, hätte zwar der Zusammenstoß nicht vermieden werden könne, aber es wären die Anstoßgeschwindigkeit und damit der entstandene Schaden geringer gewesen. Dieses Mitverschulden könne aber mit nicht mehr als einem Viertel angenommen werden.
Demgegenüber vertritt der Kläger in der Revision die Ansicht, das Tanzen der Schlußlichter des Wagens des E* habe wohl auf ein allfälliges Hindernis hingewiesen, es wäre aber deswegen von ihm ein sofortiges, gewaltsames Bremsen nicht zu verlangen gewesen; auf ein allfälliges Hindernis habe er sich aber ohnehin durch Gaswegnehmen eingestellt.
Die Beklagte hingegen führt aus, das Mitverschulden des Klägers wäre mit einem Drittel auszumessen gewesen. Er habe auf das eine Gefahrensituation anzeigende Tanzen der Lichter des Wagens des E* nicht entsprechend reagiert. Dazu komme, daß der Kläger die Vereisung der Fahrbahn infolge Unaufmerksamkeit nicht erkannt habe und mit einer für die Verhältnisse überhöhten Geschwindigkeit gefahren sei.
Diesen Ausführungen kann Berechtigung nicht zuerkannt werden. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß das „Tanzen der Lichter“ des Wagens des E* in einer Überholsituation eine Gefahrenlage anzeigte. Daß die beiden Fahrzeuge dann anschließend aus dem Gesichtskreis des Klägers entschwanden, bildete keinen Anhaltspunkt dafür, daß diese Gefahrenlage bereinigt worden wäre, sondern war ebenfalls in bedenklichem Sinne aufzufassen. Nimmt aber ein Fahrzeuglenker eine unklare Verkehrslage wahr, dann hat er seine Geschwindigkeit dieser Situation sofort anzupassen, das heißt, sie in der Regel herabzusetzen, und zwar so weit, daß es ihm möglich ist, bei Erkennen eines Hindernisses vor diesem und ohne Gefährdung von Personen sein Fahrzeug anzuhalten und allenfalls das Hindernis zu umfahren (ZVR 1964/96). Hiebei muß der Fahrer alle Hindernisse in Betracht ziehen, mit denen zu rechnen er bei Beachtung aller gegebenen Umstände begründete Veranlassung hat (ZVR 1967/208). Dieser Verpflichtung ist der Kläger indes nicht nachgekommen, sondern er hat sich damit begnügt, den Fuß vom Gaspedal zu nehmen, statt – den gegebenen Verhältnissen entsprechend – dosiert zu bremsen. Die Unterlassung einer Notbremsung wird ihm ohnehin nicht zum Vorwurf gemacht. Da bei größerer Geschwindigkeit eine geringere Wahrscheinlichkeit besteht, durch Abwehrhandlungen die Unfallsfolgen zu vermeiden oder geringer zu halten, hat das Berufungsgericht dem Kläger die verspätet gesetzte Bremsreaktion zu Recht als ein seinen Schadenersatzanspruch minderndes Mitverschulden angelastet.
Es kann aber auch der Beklagten nicht beigepflichtet werden, daß das Berufungsgericht dieses Mitverschulden zu gering bemessen hätte. Wie die Beklagte zugeben muß, hat das Berufungsgericht auch den Umstand, daß dem Kläger die Glätte der Fahrbahn erst nach dem Aussteigen aus seinem Fahrzeug aufgefallen ist, nicht übersehen. Es erscheint daher die von ihm eingehaltene Geschwindigkeit von zunächst 70 km/h überhöht. Dies ist aber kein Anlaß, dem Kläger einen höheren Mitverschuldensanteil anzulasten, weil sein Mitverschulden im Vergleich zu dem des E* immer noch gering erscheint, der unter den von der Beklagten angeführten ungünstigen Verhältnissen mit einer noch höheren Geschwindigkeit gefahren ist und ein Überholmanöver so fehlerhaft durchgeführt hat, daß es zum Zusammenstoß mit dem Mercedes 220 und in der Folge zu dem Anstoß des Wagens des Kläger an den Mercedes 220 kam.
Demzufolge mußte beiden Revisionen der Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.
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