OGH 2Ob217/24m

OGH2Ob217/24m21.1.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat MMag. Sloboda als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und Mag. Fitz als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Karl‑Heinz Plankel, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei H*, vertreten durch Dr. Michael Brandauer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen 26.000 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 525 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. September 2024, GZ 1 R 77/24v‑147, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 4. März 2024, GZ 57 Cg 93/19t‑141, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00217.24M.0121.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Schadenersatz nach Verkehrsunfall

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.828,63 EUR (darin enthalten 471,44 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 531,02 EUR (darin enthalten 228 EUR Barauslagen und 50,50 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Vater der Klägerin, zu dem sie ein besonders enges und emotionales Verhältnis hatte, wurde bei einem Verkehrsunfall mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW schwer verletzt und verstarb noch am Unfallstag.

[2] Die Klägerin erlitt aufgrund des Unfalltodes ihres Vaters eine krankheitswertige Trauerstörung, die mit einem Verlust an Lebensfreude und einer Reduktion der Lebensqualität einherging.

[3] Die Klägerin begehrt unter Hinweis auf ihr enges familiäres Naheverhältnis zum Getöteten und die aufgrund des Unfalltodes erlittene psychische Beeinträchtigung von Krankheitswert Trauerschmerzengeld, Schockschadenersatz und die Feststellung der Haftung der Beklagten.

[4] Die Beklagte wendet das alleinige Verschulden des Getöteten ein.

[5] Das Erstgericht bejahte (nur) die Gefährdungshaftung der Beklagten, lastete dem Getöteten ein Mitverschulden im Ausmaß von drei Viertel an und sprach der Klägerin unter Abweisung des Zahlungsmehr‑ und Feststellungsbegehrens Schockschadenersatz von 525 EUR zu.

[6] Das von beiden Seiten angerufene Berufungsgericht änderte das Urteil dahin ab, dass es die Klage zur Gänze abwies. Es teilte die Ansicht des Erstgerichts, dass die Beklagte mangels Verschuldens der Lenkerin des bei ihr haftpflichtversicherten Fahrzeugs lediglich nach den Bestimmungen des EKHG hafte und den Getöteten ein Mitverschulden von drei Viertel treffe. Ein Ersatz des bloßen Seelenschmerzes über den Verlust naher Angehöriger, der zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung im Sinne des § 1325 ABGB geführt habe, komme bei bloßer Gefährdungshaftung nicht in Betracht. Der bei der Klägerin eingetretene Krankheitswert erreichende Schockschaden sei zwar grundsätzlich auch im Rahmen der Gefährdungshaftung ersatzfähig. Allerdings bedürfe es eines besonders starken Zurechnungsgrundes. Die Verletzungshandlung müsse gegenüber dem Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheinen, einen Schockschaden herbeizuführen. Mit Ausnahme der Gefährdungshaftung liege aber keine Verletzungshandlung der Lenkerin des bei der Beklagten haftpflichtversicherten Fahrzeugs vor, aus der sich ein besonderer Unrechtsgehalt der Schädigungshandlung ergebe.

[7] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage zu, ob bei reiner Gefährdungshaftung das Hinzukommen eines weiteren erschwerenden Zurechnungsgrundes in der Verletzungshandlung selbst Voraussetzung für den Ersatz von Schockschäden Dritter sei oder ob – völlig losgelöst von der Verletzungshandlung – ausschließlich die Schwere des zum Schock führenden Schadens eine Ersatzpflicht auslöse.

[8] Gegen die Abweisung des Begehrens auf Schockschadenersatz im Umfang von 525 EUR richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und berechtigt.

[11] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist allein die Frage, ob der Klägerin ein der Höhe nach nicht mehr strittiger Schockschadenersatz aufgrund einer Gefährdungshaftung der Beklagten nach den Bestimmungen des EKHG unter Berücksichtigung eines unstrittigen Mitverschuldens des Getöteten im Ausmaß von drei Viertel zusteht.

[12] Die Klägerin argumentiert, die Verletzungshandlung liege in der Tötung ihres Vaters. Schon die Schwere des den Schock verursachenden Schadens löse die Ersatzpflicht aus.

Dazu hat der Fachsenat erwogen:

[13] 1. Im Fall eines „Schockschadens“ ist – anders als bei bloßer Trauer – der Tatbestand des § 1325 ABGB erfüllt, wobei die Schädigung aber bloß die Reflexwirkung einer Erstschädigung ist. Die Rechtswidrigkeit wird dabei nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, die die Erstverletzung verhindern soll, sondern aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Dabei ist entscheidend, ob das Verhalten des Schädigers gerade auch gegenüber dem Dritten besonders gefährlich war, also die Verletzungshandlung in hohem Maße geeignet war, einen Schockschaden herbeizuführen. Das gilt bei der gebotenen typisierenden Betrachtung insbesondere dann, wenn der Schockschaden durch das Miterleben oder die Nachricht vom Tod oder einer schwersten Verletzung eines nahen Angehörigen hervorgerufen wurde (2 Ob 126/23b Rz 24 mwN).

[14] Anspruchsvoraussetzung ist der Eintritt des Todes oder schwerster Verletzungen beim Erstverletzten, weil ansonsten die Verletzungshandlung nicht die für eine Haftungsbegründung erforderliche besondere Gefährlichkeit für die Gesundheit des Angehörigen erreicht (2 Ob 136/11f Pkt 4.1. mwN).

[15] 2. Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen „bloßer“ Gefährdungshaftung (RS0122287 = 2 Ob 163/06v; vgl auch 2 Ob 39/09p Pkt 2.).

[16] 3. Der besondere Unrechtsgehalt der Verletzungshandlung gegenüber dem Schockgeschädigten liegt – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht in der Art und Weise der Herbeiführung des Erstschadens, sondern darin, dass die Tötung bzw die Herbeiführung schwerster Verletzungen an sich gegenüber Angehörigen in hohem Maß geeignet ist, einen Schockschaden herbeizuführen (vgl RS0117794; vgl auch Karner, EAnm zu 2 Ob 208/23m, ZVR 2024/167).

[17] Die Verletzungshandlung weist daher – unabhängig von der „Schwere“ der Verletzung jener Norm, die (nur) den Erstschaden verhindern will – gegenüber dem Schockgeschädigten einen besonderen Unrechtsgehalt auf bzw ist in hohem Maß geeignet, seine körperliche Integrität zu beeinträchtigen, wenn sie den Tod oder schwerste Verletzungen des Erstgeschädigten zur Folge hat.

[18] 4. Der Klägerin gebührt insgesamt unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Getöteten Schockschadenersatz in der noch begehrten Höhe.

[19] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Da beide Streitteile letztlich erfolglos gebliebene Berufungen erhoben haben, waren die wechselseitigen Kostenersatzansprüche insoweit zu saldieren (RS0035877).

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