European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00203.24B.0325.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Erbrecht und Verlassenschaftsverfahren
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird teilweise abgeändert, sodass er als Teilbeschluss lautet:
„Die Schließung und Realisierung folgender verlassenschaftszugehöriger Bankwerte sowie Überweisung des Realisats auf das von der Gerichtskommissärin geführte Anderkonto IBAN * bedarf keiner verlassenschaftsgerichtlichen Genehmigung:
1. E*
- *
- *
- *
- *
2. R*
- *
3. B*
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4. H*
- *“
Im Übrigen – also hinsichtlich folgender weiterer Vermögenswerte
1. E*
- *
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- *
2. R*
- *
- *
3. U*
- *
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4. S*
- *
- * –
werden die angefochtenen Beschlüsse aufgehoben. Die Verlassenschaftssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Begründung:
[1] Die Erblasserin verstarb 2023 ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung. Ihre Halbschwester, die nunmehrige Revisionsrekurswerberin, ist nach der Aktenlage die einzige Verwandte. Sie gab eine bedingte Erbantrittserklärung zur gesamten Verlassenschaft aufgrund des Gesetzes ab. Die Verlassenschaft verfügt über Aktiva von mehr als 1,6 Mio EUR, darunter Konten und Sparbücher bei diversen Banken sowie mehrere Wertpapierdepots samt Verrechnungskonten, aber auch Bargeld von knapp 30.000 EUR.
[2] Die Halbschwester beantragte die verlassenschaftsgerichtliche Genehmigung der Schließung und Realisierung aller näher genannten verlassenschaftszugehörigen „Bankwerte“ (Konten, Sparbücher und Wertpapierdepots) und die Überweisung des Realisats auf ein näher bezeichnetes Anderkonto der Gerichtskommissärin. Die Verlassenschaft habe laufende Verbindlichkeiten zu befriedigen, wobei zu erwarten sei, dass eine Abwicklung des Zahlungsverkehrs über die Bankwerte schleppend und mit Verzögerungen verlaufen werde. Mit Blick darauf drohten Schäden der Verlassenschaft im Fall von Zahlungsverzügen. Außerdem habe die Halbschwester kein Interesse an der Übernahme der Bankwerte. Die Realisierung und Schließung der Bankwerte sei daher zweckmäßig. Es handle sich um eine Veräußerungshandlung und nicht um eine Maßnahme der ordentlichen Verwaltung. Die Handlung sei für die Verlassenschaft jedenfalls nicht offenbar nachteilig.
[3] Das Erstgericht wies die Anträge ab, weil die Halbschwester die Funktion des Gerichtskommissärs verkenne. Die umfassende „Versilberung“ des Nachlassvermögens vor Einantwortung sei vom Gesetz nicht gedeckt. Tatsächliche fällige Verbindlichkeiten der Verlassenschaft könnten im Rahmen ordentlicher Verwaltung bedient werden.
[4] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Eine Vermögensumschichtung von risikoreichen in mündelsichere Veranlagungen bedürfe keiner Genehmigung. Für die Befriedigung laufender Verbindlichkeiten benötige die Halbschwester keine gerichtliche Genehmigung. Es gebe keine Anhaltspunkte für das Vorliegen besonders hoher Verbindlichkeiten. Das Verlassenschaftsvermögen solle bis zur Einantwortung ungeschmälert erhalten bleiben. Gründe für eine Auflösung sämtlicher Depots bzw Konten seien nicht ersichtlich.
Rechtliche Beurteilung
[5] Der dagegen gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs der Halbschwester ist zur Klarstellung zulässig. Er ist auch – teils im Sinn eines im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrags – berechtigt.
[6] Die Halbschwester argumentiert, dass sich die Vorinstanzen mit den Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung nach § 810 ABGB nicht ausreichend auseinandergesetzt hätten. Da mit der geplanten Überweisung auf ein Anderkonto der Gerichtskommissärin jedenfalls keine Schmälerung des Verlassenschaftsvermögens verbunden sei und die Rechtshandlungen nicht offenbar nachteilig seien, sei eine Genehmigung zu erteilen. Bei den beabsichtigten Umschichtungen von Vermögenswerten handle es sich um Veräußerungshandlungen, die nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehörten.
Dazu hat der Fachsenat erwogen:
[7] 1. Nach § 810 Abs 1 ABGB haben die erbantrittserklärten Erben von Gesetzes wegen ein subjektives Recht auf Benützung, Verwaltung und Vertretung des Nachlasses. Während es bei einer Verwaltungshandlung grundsätzlich um die Geschäftsführung nach innen geht, betrifft die Vertretung den Auftritt nach außen gegenüber Dritten (Schweda in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 810 ABGB Rz 14). Als „Veräußerung“ iSd § 810 Abs 2 ABGB sind wiederum alle Vorgänge zu werten, die im Weg einer Einzelrechtsnachfolge das endgültige Ausscheiden einer Sache aus dem Nachlassvermögen bewirken (5 Ob 168/22z Rz 7).
[8] Nach Vorliegen von Erbantrittserklärungen zum gesamten Nachlass bedürfen Maßnahmen der (auch außerordentlichen) Verwaltung keiner gerichtlichen Genehmigung mehr. Anderes gilt nach § 810 Abs 2 ABGB nur für die Veräußerung von Gegenständen aus dem Verlassenschaftsvermögen, sofern diese nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört (2 Ob 194/20y Rz 1 mwN; RS0122155). Eine Genehmigung von Veräußerungshandlungen im außerordentlichen Wirtschaftsbetrieb ist außerdem nach § 810 Abs 3 ABGB erst nach Inventarisierung der zu veräußernden Sache zulässig, wenn nach der Aktenlage – etwa im Fall einer bedingten Erbantrittserklärung – die Errichtung eines Inventars zu erwarten ist (vgl Schweda in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 810 ABGB Rz 14).
[9] Die Abgrenzung zwischen ordentlichem und außerordentlichem Wirtschaftsbetrieb nimmt die Rechtsprechung unter sinngemäßer Heranziehung der zu § 167 Abs 3 ABGB entwickelten Grundsätze vor (RS0122155 [T4, T7]). Angelegenheiten des ordentlichen Wirtschaftsbetriebs sind demnach (nur) solche, die nach Art und Umfang in die laufende oder gewöhnliche Vermögensverwaltung fallen, wobei als Kriterien insbesondere die Üblichkeit und das Risiko der zu beurteilenden Rechtshandlung für die Verlassenschaft sowie die Vorläufigkeit oder Endgültigkeit einer bestimmten Maßnahme eine entscheidende Rolle spielen (2 Ob 88/23i Rz 5 mwN).
[10] Genehmigungsmaßstab des § 810 Abs 2 ABGB ist (nur), dass die Handlung nicht „offenbar nachteilig“ für die Verlassenschaft ist (2 Ob 45/15d Punkt 2.2.).
[11] 2. Im ersten Schritt ist zu klären, ob es sich beim geplanten Realisieren der Girokonten, Sparkonten und Wertpapierdepots um eine Verwaltung des Nachlasses oder eine Veräußerung handelt.
[12] Handelt es sich um eine Verwaltungshandlung, bedarf diese aufgrund der Erbantrittserklärung der Halbschwester zum gesamten Nachlass selbst dann keiner Genehmigung durch das Gericht, wenn die Handlung dem außerordentlichen Wirtschaftsbetrieb zuzuordnen wäre.
[13] Handelt es sich hingegen um eine Veräußerung iSd § 810 Abs 2 ABGB, kommt in einem zweiten Schritt der Frage entscheidende Bedeutung zu, ob diese Veräußerung zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört oder nicht. Nur bei einer Veräußerung, die Teil des außerordentlichen Wirtschaftsbetriebs ist, wäre eine verlassenschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich (und spielte § 810 Abs 3 ABGB eine Rolle).
3. In der Literatur werden zur hier interessierenden Problematik folgende Ansichten vertreten:
[14] 3.1. Schweda (in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 810 ABGB Rz 40 f; ders, Kein Zugriff auf gesperrte Bankkonten mittels Amtsbestätigung, iFamZ 2019, 120 [127]) führt aus, dass der Verkauf verlassenschaftszugehöriger volatiler Werte – insbesondere von Aktien oder Fondsbeteiligungen – dem ordentlichen Wirtschaftsbetrieb zugeordnet werden könne, solange der Erlös auf verlassenschaftszugehörige Konten fließe. Gleiches gelte für die Veräußerung volatiler Werte mit anschließendem Reinvestment in risikoärmere oder mündelsichere Wertpapiere, wobei es auf die Risikoeinstufung des jeweiligen Investments ankommen werde. „Umschichtungen“ innerhalb einer Bank, bei denen gewährleistet sei, dass eine bankinterne Sperre bis zur rechtskräftigen Einantwortung bestehen bleibe, bedürften jedenfalls keiner verlassenschaftsgerichtlichen Genehmigung.
[15] 3.2. Verweijen (Verlassenschaftsverfahren³ 249) vertritt, dass „bloße Umschichtungen“ nicht zur außerordentlichen Verwaltung zählen. Bloße Umschichtungen bei ein und derselben Bank, wie etwa die Umwandlung von hochvolatilen Wertpapieren und Sparbüchern oder Sparkonten seien von § 810 ABGB als Verwaltungshandlung gedeckt (Verweijen in Schneider/Verweijen, AußStrG § 172 Rz 12). Bei Depotumschichtungen von volatilen in weniger volatile Wertpapiere handle es sich um „echte Verwaltungs- und Vertretungshandlungen“, solange das Depot auf die Verlassenschaft laute und die Werte dort bis zur Einantwortung liegen bleiben (Verweijen, Keine Barabhebungen oder Bankomatkarten mit einer Amtsbestätigung gem § 172 AußStrG, EF-Z 2018/122, 274).
[16] 3.3. Auch nach Fucik/Mondel (Verlassenschaftsverfahren² Rz 290) muss die bloße Umschichtung von Bankwerten zulässig sein. Nach Mondel (Die praktische Handhabung der Benützung, Verwaltung und Vertretung des Nachlasses, NZ 2006/54, 233) ist entscheidend, dass das Nachlassvermögen erhalten wird. Dem vertretungsbefugten Erben müsse es daher möglich sein, Bankwerte, deren Verzinsung er optimieren wolle, auf eine andere Anlageform bei der kontoführenden Stelle zu transferieren, solange er auf diese Werte nicht persönlich zugreifen könne, diese also weiterhin der bankinternen Sperre unterliegen würden.
[17] 3.4. Nach Spruzina (Zum Umfang des Vertretungsrechts des erbantrittserklärten Erben, EF‑Z 2019/6, 21; ebenso Spruzina/Jungwirth in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 810 Rz 15) kann der verwaltende erbantrittserklärte Erbe (zur gesamten Verlassenschaft) für die Verlassenschaft Konten neu anlegen, bestehende Konten auflösen und löschen und sämtliche Vermögenswerte von einer Bank zu einer anderen Bank transferieren. Es sei dabei aber klar, dass das Depot oder Konto bei der „neuen“ Bank auf die Verlassenschaft lauten müsse.
[18] 4. Die Literatur erkennt damit übereinstimmend an, dass ein bloßes Umschichten von Bankwerten jedenfalls zulässig sein müsse. Es überzeugt zwar im Grundsatz, dass keine Bedenken gegen das Umschichten durch präsumtive Erben bestehen, solange damit keine Gefahr einer Schmälerung des Nachlassvermögens oder eines Vorziehens der Einantwortung verbunden ist. Diese Voraussetzungen sind bei der beantragten Überweisung auf ein Anderkonto der Gerichtskommissärin erfüllt, die damit eine Verwahrung gemäß § 147 Abs 2 AußStrG vornimmt. Allerdings ist nach Ansicht des Senats – teils entgegen den dargestellten Literaturmeinungen – zu differenzieren, welche Bankwerte von den Umschichtungen betroffen sind.
[19] 4.1. Das Umschichten von Buchgeld von einem nachlasszugehörigen Girokonto oder Sparbuch auf ein dem Zugriff des präsumtiven Erben entzogenes Konto ist eine bei Vorliegen von Erbantrittserklärungen zum gesamten Nachlass jedenfalls keiner Genehmigung bedürfende Verwaltungshandlung.
[20] 4.2. Anders verhält es sich bei der geplanten Realisierung der Wertpapierdepots, mit denen die nach der Aktenlage (vermutlich) korrespondierenden Verrechnungskonten in einem nicht zu trennenden Zusammenhang stehen. Im beabsichtigten Verkauf der Wertpapiere liegt eine Veräußerungshandlung, weil der Verkauf zum endgültigen Ausscheiden der Wertpapiere aus dem Nachlassvermögen führt. Dass der Verkaufserlös (als Surrogat) Teil des (gesichert bleibenden) Verlassenschaftsvermögens wird, kann nicht zur Annahme des Vorliegens einer bloßen Verwaltungshandlung führen.
[21] Ob die geplante Veräußerung der Wertpapiere dem ordentlichen oder dem außerordentlichen Wirtschaftsbetrieb zuzuordnen ist, lässt sich auf Basis der getroffenen Feststellungen (und der Aktenlage) nicht beurteilen. Es fehlen bisher jegliche Informationen darüber, welche Art von Wertpapieren sich auf den aufzulösenden Depots befindet, ob diese über einen Börsenpreis/Marktpreis verfügen und welchen Anteil am Verlassenschaftsvermögen sie ausmachen. Dass der Verkaufserlös letztlich auf das Anderkonto der Gerichtskommissärin fließen soll, führt für sich genommen – entgegen Schweda in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 810 ABGB Rz 40 – nicht in jedem Fall dazu, vom Vorliegen einer dem ordentlichen Wirtschaftsbetrieb zuzuordnenden Maßnahme ausgehen zu können. Bedacht zu nehmen ist nämlich darüber hinaus jedenfalls auch auf die Veräußerungshandlung selbst, also deren Üblichkeit und das ihr innewohnende Risiko. Das Vorliegen einer Handlung des ordentlichen Wirtschaftsbetriebs liegt aber auch im Hinblick auf die Auflösung der Wertpapierdepots (samt Verrechnungskonten) grundsätzlich nahe, weil das Verlassenschaftsvermögen beim geplanten Vorgang erhalten bleibt und der (im üblichen Ausmaß liegende) Verkauf von volatilen Wertpapieren zu einem Börsenpreis oder Marktpreis wegen der damit einhergehenden Risikominimierung ohne Hinzutreten besonderer Umstände regelmäßig dem ordentlichen Wirtschaftsbetrieb zuzuordnen sein wird. Ob das zutrifft, wird im fortgesetzten Verfahren zu prüfen sein.
5. Ergebnis
[22] 5.1. Soweit die Anträge die Umschichtung von Buchgeld (Girokonten, Sparbücher) auf ein Anderkonto der Gerichtskommissärin betreffen, liegt eine bloße Verwaltungshandlung vor, die keiner abhandlungsgerichtlichen Genehmigung bedarf. Ungeachtet des im Revisionsrekurs enthaltenen Antrags auf Erteilung einer Genehmigung ist insoweit auszusprechen, dass die Anträge keiner verlassenschaftsgerichtlichen Genehmigung bedürfen (vgl 6 Ob 143/22f Rz 65).
[23] 5.2. Soweit die Anträge den Verkauf von Wertpapieren (und die anschließende Umschichtung des Erlöses) betreffen, wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren die Sachverhaltsgrundlage zu verbreitern haben, um beurteilen zu können, ob insoweit (ausnahmsweise) eine dem außerordentlichen Wirtschaftsbetrieb zuzuordnende Veräußerungshandlung vorliegt.
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