OGH 2Ob148/25s

OGH2Ob148/25s18.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj 1. L*, geboren * 2008, und 2. A*, geboren * 2009, wegen Genehmigung einer Pflegschaftsrechnung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Minderjährigen, vertreten durch den mit der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung betrauten U*, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. Juni 2025, GZ 45 R 129/25s‑629, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00148.25S.0918.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 26. 5. 2021 (2 Ob 45/21p) wurde im Hinblick auf die gemäß Art 14 des Vertrags zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über Rechtshilfe, Beglaubigung, Urkunden und Vormundschaft vom 13. 3. 1956 (BGBl 1956/213) in der Fassung des ergänzenden Vertrags vom 1. 6. 1966 (BGBl 1968/99) aufgrund eines (als erwiesen angenommenen) Umzugs der Minderjährigen ebenfalls begründete internationale Zuständigkeit Liechtensteins und die ausreichende Wahrnehmung der Interessen der Minderjährigen durch die dortigen Pflegschaftsgerichte von der Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens in Österreich gemäß § 110 Abs 2 JN abgesehen.

[2] Mit Beschluss vom 25. 10. 2023 (2 Ob 199/23p [2 Ob 211/23p]) wies der Oberste Gerichtshof einen außerordentlichen Revisionsrekurs der Minderjährigen, mit dem sich diese gegen die von den Vorinstanzen abgelehnte Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens wendeten, mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurück. Selbst bei einer allfälligen Rückübersiedlung der Minderjährigen sei aufgrund der aufrechten Wahrnehmung der Interessen der Minderjährigen durch die Pflegschaftsgerichte in Liechtenstein ein Absehen von der Verfahrensfortsetzung nicht korrekturbedürftig.

[3] Nun wiesen dieVorinstanzen – soweit noch Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens – einen Antrag des mit der Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung betrauten Rechtsanwalts, die für die beiden Minderjährigen für den Zeitraum 29. 8. 2024 bis 31. 12. 2024 erstatteten Pflegschaftsrechnungen zu bestätigen, zurück.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Minderjährigen ist nicht zulässig.

[5] 1. Der mangels Vorliegens einer Materie des § 62 Abs 2 AußStrG unrichtig erfolgte Ausspruch des Rekursgerichts, der Revisionsrekurs sei jedenfalls unzulässig, hat bloß belehrenden Charakter und bindet weder die Parteien noch die Gerichte (§ 59 Abs 3 zweiter Satz AußStrG; vgl zum Streitverfahren: RS0042424 [T1]).

[6] Das Rekursgericht hätte daher aufgrund des Vorliegens eines Entscheidungsgegenstands rein vermögensrechtlicher Natur (vgl zur Genehmigung der Schlussrechnung eines Erwachsenenvertreters: RS0007110 [T50]) eine Bewertung vornehmen und aussprechen müssen, ob der Revisionsrekurs wegen Vorliegens einer Rechtsfrage der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG zulässig ist (vgl zum Streitverfahren RS0042424 [T4]). Eine Zurückstellung des Aktes an das Rekursgericht kann aber unterbleiben, weil der Oberste Gerichtshof an einen Zulässigkeitsausspruch nicht gebunden wäre (§ 71 Abs 1 AußStrG), der Entscheidungsgegenstand im Hinblick auf das Vermögen, das den Gegenstand der Pflegschaftsrechnung bildet, eindeutig 30.000 EUR übersteigt (RS0007073 [T10]), und der Revisionsrekurs ohnehin als außerordentlicher Revisions‑rekurs ausgeführt ist (vgl RS0042424 [T2]; RS0042438 [T5]).

[7] 2. Eine Rechtsfrage der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG zeigen die Minderjährigen aber nicht auf.

[8] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hat in seinen diese Pflegschaftssache betreffenden Vorentscheidungen schon darauf hingewiesen, dass zum Wohl der Minderjährigen jedenfalls parallele Verfahren mit der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zu vermeiden sind (2 Ob 199/23p [2 Ob 211/23p], Rz 9) und (daher) eine – auch hier vom Revisionsrekurs letztlich angestrebte – Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens zur Wahrung des Wohls der Minderjährigen nur bei Vorliegen einer echten Rechtsschutzlücke in Betracht kommt (2 Ob 45/21p, Rz 69), wobei für die nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilende Verfahrensfortsetzung die faktische Nähe nur ein zu berücksichtigender Umstand ist (2 Ob 199/23p [2 Ob 211/23p], Rz 9). Maßgeblich ist, ob durch die Behörden des ausländischen Staates die Interessen der Minderjährigen ausreichend gewahrt werden (RS0099363).

[9] Wenn die Vorinstanzen unter Hinweis auf die aufrechte, aktiv ausgeübte Pflegschaftsgerichtsbarkeit in Liechtenstein und den zu vermeidenden Konflikt einander widersprechender Entscheidungen davon ausgegangen sind, dass die Voraussetzungen für eine Fortführung des Pflegschaftsverfahrens und eine daran anknüpfende Prüfung der Pflegschaftsrechnung nicht vorliegen, ist dies zum Wohl der Minderjährigen nicht korrekturbedürftig.

[10] 2.2. Auch mit dem Argument, die Minderjährigen seien entgegen der bisher als erwiesen angenommenen Sachverhaltsgrundlage nie nach Liechtenstein übersiedelt, sondern hätten durchgehend eine Schule in Wien besucht, sodass die Gerichte in Liechtenstein nie zuständig geworden und ihre Entscheidungen daher gemäß Art 15a des Vertrags zwischen der Republik Österreich und dem Fürstentum Liechtenstein über Rechtshilfe, Beglaubigung, Urkunden und Vormundschaft vom 13. 3. 1956 (BGBl 1956/213) in der Fassung des ergänzenden Vertrags vom 1. 6. 1966 (BGBl 1968/99) nicht anzuerkennen seien, wird keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung im Zusammenhang mit der nach § 110 Abs 2 JN zu beurteilenden Verfahrensfortsetzung aufgezeigt.

[11] Zwar ist Voraussetzung für ein (weiteres) Absehen von der Verfahrensfortsetzung nach § 110 Abs 2 JN, dass die Entscheidungen der liechtensteinischen Gerichte im Inland anerkennungsfähig sind (RS0124499 = 2 Ob 274/08w). Eine Anerkennung kommt nach der vom Revisionsrekurs genannten Vertragsbestimmung (iVm Art 15b und Art 14 Abs 1) nur in Betracht, wenn die anzuerkennende Entscheidung vom Gericht jenes Staates erlassen wurde, in dem die Pflegebefohlenen (schutzberechtigten Personen) ihren ständigen Aufenthalt haben (2 Ob 45/21p, Rz 52).

[12] Einen ständigen Aufenthalt in Liechtenstein haben die dortigen Gerichte aber auch unter Zugrundelegung des vom Teilobsorgeberechtigten behaupteten, durchgehenden Schulbesuchs der Minderjährigen in Wien seit 2014 bzw 2015 unter Hinweis auf den sonstigen Aufenthalt in Liechtenstein bejaht.

[13] Soweit der Revisonsrekurs meint, der Fürstliche Oberste Gerichtshof habe in Widerspruch zu Art 14 des Vertrags den ständigen Aufenthalt der Minderjährigen (nur) vom ständigen Aufenthalt des Wahlvaters in Liechtenstein abgeleitet, missversteht er dessen Ausführungen, die insoweit lediglich als Hilfsargument dienten.

[14] Die Behauptung, allein der Besuch einer internationalen Schule in Österreich stehe – bei sonstigem Aufenthalt in Liechtenstein – einem (auch) dortigen „ständigen Aufenthalt“ iSd Art 14 Abs 1 des Vertrags entgegen, basiert auf Überlegungen zum „gewöhnlichen Aufenthalt“ iSd § 109 Abs 1 JN. Einerseits legt der Revisionsrekurs nicht dar, weshalb die Vertragsbestimmung gänzlich deckungsgleich auszulegen sein soll. Andererseits ist die Dauer des Aufenthalts für sich allein auch bei Beurteilung des „gewöhnlichen Aufenthalts“ iSd § 109 Abs 1 JN kein ausschlaggebendes Moment (vgl RS0046577 [T9]), und eine Person kann ihren gewöhnlichen Aufenthalt auch an mehreren Orten haben (RS0046583 [T2]; Simotta in Fasching/Konecny 3 § 66 JN Rz 31).

[15] 2.3. Auch der bloße Umstand, dass über einen Antrag des Teilobsorgeberechtigten, „das vor dem Fürstlichen Landgericht zu verschiedenen Geschäftszahlen anhängige Pflegschaftsverfahren für L*, sowie A*, zu beenden und im Wege der Amtshilfe das Einvernehmen mit dem österreichischen Pflegschaftsgericht herzustellen bzw die Pflegschaftssache an das österreichische Pflegschaftsgericht abzutreten“ noch nicht entschieden wurde, begründet noch keine ausreichende Rechtsschutzlücke, die das Vorgehen der Vorinstanzen unvertretbar erscheinen ließe.

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