European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0020OB00012.25S.0325.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind schuldig, denbeklagten Parteien die mit 2.826,46 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 471,08 EUR USt) binnen 14 Tagen anteilig (erstklagende Partei: 1.300,17 EUR, zweitklagende Partei: 1.526,28 EUR) zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Am 31. 7. 2022 stürzte ein vom Erstbeklagten pilotiertes, von der Zweitbeklagten gehaltenes und bei der Drittbeklagten versichertes Kleinflugzeug in das Dach des Einfamilienhauses der Kläger. Bei diesem – vom Erstbeklagten verschuldeten – Absturz wurde das Dach beschädigt. Der Erstbeklagte und seine Ehefrau als Passagierin wurden dabei schwerst verletzt. Zur Zeit des Flugzeugabsturzes waren die Kläger nicht daheim. Sie unternahmen einen Ausflug, als sie einen Anruf erhielten, dass ein Flugzeug in ihr Haus gestürzt war, weshalb sie sofort nach Hause fuhren. Das Flugzeug war im Bereich des Schlafzimmers in das Dach gestürzt. Das Haus war für die Kläger nach dem Unfall für etwa ein halbes Jahr nicht mehr bewohnbar. Die Kläger waren durch diesen Vorfall geschockt. Sie stellten sich vor, was passiert wäre, wenn sie währenddessen zu Hause gewesen wären. Zudem hatten sie existenzielle Ängste wegen der Schäden an ihrem Haus. Diese Umstände führten bei beiden Klägern zu einer psychischen Beeinträchtigung von Krankheitswert.
[2] Die Erstklägerin begehrte zuletzt 19.050 EUR sA, der Zweitkläger zuletzt 21.050 EUR sA (enthalten jeweils 50 EUR an Generalunkosten); beide begehrten die Feststellung der Haftung der Beklagten für Spät- und Dauerfolgen. Sie hätten durch die Geschehnisse einen Schockschaden erlitten. Ihre gesundheitliche Beeinträchtigung rechtfertige ein Schmerzengeld in der geltend gemachten Höhe und den Ersatz der entstandenen Generalunkosten.
[3] Die Beklagten wandten – soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz – ein, der den Klägern zugefügte erhebliche Sachschaden rechtfertige keine Zuerkennung eines Schockschadens. Die Kläger hätten weder den Verlust von Angehörigen erleiden müssen, noch seien sie unmittelbar unfallbeteiligt gewesen, weil sie sich zum Unfallzeitpunkt nicht in der Nähe ihres Hauses aufgehalten hätten.
[4] Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren der Erstklägerin mit 13.550 EUR sA und dem Zahlungsbegehren des Zweitklägers mit 16.050 EUR sA sowie beiden Feststellungsbegehren statt. Die Zahlungsmehrbegehren wies es unbekämpft ab. Der Umstand, dass ein Flugzeug in das Haus der Kläger gestürzt sei und es für ein halbes Jahr unbewohnbar gemacht habe, sei ein außergewöhnliches und traumatisches Erlebnis gewesen, das das zuerkannte Schmerzengeld rechtfertige.
[5] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten großteils Folge. Es sprach den Klägern lediglich jeweils 50 EUR sA an Generalunkosten zu. Die Kläger seien am Unfall selbst nicht beteiligt gewesen. Die mit der massiven Beschädigung ihres Hauses verbundene Beeinträchtigung der immateriellen Interessen der Kläger sei wertungsmäßig mit der Tötung oder schwersten Körperverletzung eines nahen Angehörigen nicht vergleichbar, weshalb ein Ersatzanspruch für den erlittenen Schockschaden insgesamt ausscheide.
[6] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage zu, ob der Ersatz von Schockschäden infolge der (massiven) Beschädigung eines Wohnhauses zustehe.
[7] Gegen den klagsabweisenden Teil erheben die Kläger Revision mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Stattgebung der restlichen Zahlungsbegehren sowie der Feststellungsbegehren.
[8] Die Beklagten beantragen, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
[10] Die Kläger begehren weiterhin den Ersatz des von ihnen nach den Feststellungen erlittenen Schadens in Form ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung nach dem Absturz des Flugzeugs.
1. Zum anwendbaren Recht:
[11] Die Anwendung österreichischen Schadenersatzrechts ist zurecht nicht strittig. Das Montrealer Abkommen regelt wie das Warschauer Abkommen nur die Schäden von beförderten Personen und Sachen im Fall entgeltlicher Beförderung. Bodenschäden sind davon jedenfalls nicht erfasst (vgl Junker in MüKo zum BGB9 Art 4 Rom II-VO Rn 134 ff; Spickhoff in BeckOK BGB73 Art 4 Rom II-VO Rn 33). Mangels staatsvertraglicher Regelung ist daher nach Art 4 Abs 1 Rom II-VO anzuknüpfen und das Recht des Staats des Schadenseintritts – hier Österreich – anzuwenden.
2. Allgemeine Voraussetzungen für den Ersatz eines Schockschadens:
[12] Die Rechtswidrigkeit bei Erleiden eines sogenannten Schockschadens, also einer krankheitswertigen psychischen Beeinträchtigung aufgrund der (primären) Schädigung eines Dritten oder des Miterlebens eines Unfalls, wird nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, die die Erstverletzung verhindern soll, aber aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung – im Rahmen einer typisierten Betrachtung – in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen (vgl RS0116865; RS0117794).
3. Die bisherige Rechtsprechung zum Ersatz des Schockschadens kann wie folgt zusammengefasst werden:
[13] 3.1. Ein solcher Zuspruch kann einerseits erfolgen, wenn nahe Angehörige einen Schock mit Krankheitswert erleiden, dadurch in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt werden und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind. Für den Zuspruch des Schockschadens an nahe Angehörige ist nicht entscheidend, ob diese den Schock durch das Miterleben des Unfalls oder durch die bloße Nachricht vom Tod oder einer schwersten Verletzung des Angehörigen erleiden („Fernwirkungsschaden“: vgl RS0117794).
[14] 3.2. Eine weitere Konstellation, in der die Rechtsprechung Schockschäden als ersatzfähig anerkennt, ist eine unmittelbare Beteiligung eines Dritten – der nicht notwendiger Weise ein naher Angehöriger des Getöteten oder schwerst Verletzten sein muss – am Unfallgeschehen (vgl 2 Ob 285/75 und 2 Ob 120/02i zu einer ganz unmittelbaren Unfallbeteiligung). Hier bewirkt das Miterleben des Unfalls die erforderliche spezifische Gefährlichkeit der Verletzungshandlung gegenüber dem aus Sicht des Schädigers Dritten, wobei das unmittelbare Miterleben des Unfallgeschehens einer „Sonderbeziehung“ zwischen nahen Angehörigen wertungsmäßig gleichgehalten werden kann.Nicht jedes zufällige Beobachten eines Unfalls aus sicherer Entfernung ist dafür ausreichend, vielmehr ist entscheidend, dass der Dritte der Erstschädigung „objektiv in so gravierender Weise direkt ausgesetzt“ ist.Der Dritte wird dabei gleichsam in das Unfallgeschehen einbezogen, weil er sich entweder selbst als ernstlich gefährdet betrachten musste oder zur unmittelbaren Hilfeleistung verpflichtet ist (vgl zu dieser „qualifizierten Unfallbeteiligung“ auch 2 Ob 208/23m mwN zur Rechtsprechung des BGH, sowie Huber, ÖJZ 2024/88, der eine „örtliche und zeitliche Nahebeziehung beim Unfall“ ausreichen lässt). Das zufällige Miterleben eines Unfallgeschehens und die daraus resultierende bloße Anwesenheit bei einem schrecklichen Ereignis ist dagegen dem allgemeinen Lebensrisiko zuzuordnen (vgl dazu Karner, Rechtsprechungswende bei Schock- und Fernwirkungsschäden Dritter?, ZVR 1998, 182 [188]; derselbe, Zur Ersatzfähigkeit von Schock- und Trauerschäden – eine Bilanz, in: FS Danzl [2017] 87 [94 f]).
3.3. Zur Frage eines zu ersetzenden Schockschadens im Zusammenhang mit einer Sachbeschädigung hat die höchstgerichtliche Rechtsprechung bisher wie folgt Stellung genommen:
[15] 3.3.1. In der Entscheidung 2 Ob 100/05b lehnte der Oberste Gerichtshof eine Zuerkennung eines Schockschadens im Zusammenhang mit der Beschädigung eines Kfz ab, weileine von der Rechtsordnung anerkannte Sonderbeziehung zwischen Mensch und Auto nicht evident sei.
[16] 3.3.2. Die Rechtsprechung steht auch dem Ersatz eines Schockschadens, den die Tötung eines geliebten Haustieres verursacht hat, nach wie vor ablehnend gegenüber, obwohl sich der Stellenwert, den die Rechtsordnung Tieren (als Sachen) zumisst, im Lauf der Zeit geändert hat, was an den §§ 285a und 1332a ABGB zu sehen ist (vgl dazu ausführlich 10 Ob 3/20v mwN).
4. An dieser Rechtsprechung ist auch im vorliegenden Fall festzuhalten:
[17] 4.1. Ein Angehörigenverhältnis besteht zwischen den Klägern und den Unfallbeteiligten nicht, weshalb die Zuerkennung eines Schockschadens in Form eines Fernwirkungsschadens ausscheidet.
[18] 4.2. Die Kläger waren während des Unfallgeschehens nicht einmal in der Nähe ihres Hauses, bei ihrer Rückkehr war die Rettungsaktion bereits in vollem Gange, weshalb eine unmittelbare Unfallbeteiligung, sei es als Unfallopfer oder durch die Verpflichtung zur Hilfeleistung, als Zurechnungsgrund ausscheidet. Daran vermag auch das von den Klägern im Rahmen ihrer Revision ins Treffen geführte Miterleben der Bergung der Verletzten nichts zu ändern. Weder waren die Insassen Angehörige der Kläger, noch ist aufgrund der im Gang befindlichen Bergung durch die bereits anwesenden Rettungskräfte eine Hilfeleistungspflicht der Kläger entstanden, die sie in die Nähe einer unmittelbaren Unfallbeteiligung gebracht hätte. Ein objektives in gravierender Weise direktes Ausgesetzt-Sein, wie es die Rechtsprechung (vgl Pkt 3.2.) für eine unmittelbare Unfallbeteiligung fordert, entstand damit auch durch das Miterleben der restlichen Bergungsarbeiten nicht.
[19] 4.3. Die Kläger stützen ihren Anspruch auf Ersatz ihres Schockschadensauf die massive Beschädigung ihres Hauses, die sich aufgrund des in das Dach gestürzten Flugzeugs, dessen Teile unter anderem aus dem Schlafzimmer entfernt werden mussten, ganz besonders dramatisch dargestellt habe. Eine von der Rechtsordnung zu schützende Sonderbeziehung zwischen Mensch und Sache, die der Beziehung zu einem nahen Angehörigen wertungsmäßig auch nur annähernd gleichzuhalten wäre, ist aber auch im Fall der Beschädigung eines Wohnhauses nicht anzunehmen. Wenngleich die hier vorliegende Sachbeschädigung aufgrund ihrer unvorhersehbaren Dramatik und der im höchstpersönlichen Lebensbereich der Kläger hinterlassenen Spuren keine alltägliche und ein daraus resultierender Schock auch nachvollziehbar ist, ist eine Ausweitung der Haftung eines Schädigers für Schockschäden aufgrund der Beschädigung einer Sache weiterhin abzulehnen.
[20] 5. Die Kläger argumentieren auch mit der sie massiv belastenden Vorstellung, was gewesen wäre, wenn sie während des Unfalls zu Hause gewesen wären.
[21] 5.1. Kernfrage beim Ersatz von Schock- und auch Trauerschäden ist, wie bereits eingangs ausgeführt, die vorzunehmende Abgrenzung zum allgemeinen Lebensrisiko. Psychische Beeinträchtigungen aufgrund des Umstands, dass jemand einer Gefahr durch Zufall entrinnt, gehören in die Kategorie des von jedermann selbst zu tragenden Lebensrisikos. Es kann jeden Menschen gleichermaßen – auch unvorhergesehen – treffen, dass er nur durch Zufälligkeiten in seiner Lebensgestaltung von einem potentiell gefährlichen Ereignis verschont bleibt. Solche Ereignisse können auch einen sehr großen, im Vorfeld gar nicht bestimmbaren Personenkreis treffen. Hier erfordert auch die Rechtssicherheit eine klare Grenzziehung, um eine uferlose Ausweitung der Haftung zu vermeiden.
[22] 5.2. Erforderlich für die Zuerkennung eines Schockschadens an Dritte, die nicht als nahe Angehörige anzusehen sind, ist jedenfalls, dass der Dritte bei gebotener wertungsmäßiger Gesamtbetrachtung der Erstschädigung objektiv in gravierender Weise direkt ausgesetzt war, was im Fall, dass der Dritte der Erstschädigung aufgrund seiner Abwesenheit entgangen ist, gerade nicht der Fall ist. Ein Ersatzanspruch für eine einer derartigen Situation nachfolgende psychische Beeinträchtigung muss daher scheitern.
[23] 5.3. Aufgrund der hier grundsätzlich erforderlichen typisierenden Betrachtungsweise (vgl Pkt 2.), ist für die Kläger aus den in der Revision angestellten Überlegungen zur – nach Ansicht der Kläger vorliegenden – Adäquanz im Einzelfall nichts zu gewinnen.
[24] 6. Zusammenfassend ist damit festzuhalten, dass weder die massive Beschädigung ihres Hauses noch ihre Sorge hinsichtlich anderer möglicher Kausalverläufe in diesem Zusammenhang einen Ersatzanspruch der Kläger für die dadurch von ihnen erlittenen Beeinträchtigungen rechtfertigt.
[25] 7. Der Revision war damit insgesamt nicht Folge zu geben.
[26] 8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 46 Abs 1 iVm § 50 ZPO. Die Kläger haften für die Kosten der Revisionsbeantwortung als formelle Streitgenossen nur nach dem Verhältnis ihrer Beteiligung am Rechtsstreit (RS0125635 [T1]).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)