OGH 23Ds3/25f

OGH23Ds3/25f15.4.2025

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 15. April 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Musger als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Mag. Stolz und Dr. Müller als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, über den Einspruch und die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer * vom 11. November 2024, GZ 2024/02 (verbunden mit D 2024/09, D 2024/11 und D 2024/12)‑39, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0230DS00003.25F.0415.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

Dem Einspruch wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer * verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis, das auch einen rechtskräftigen Freispruch enthält, wurde * in Abwesenheit mehrerer Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

1./ am 23. Oktober 2023 seinen damaligen Kanzleipartner * in Anwesenheit der Kanzleimitarbeiterinnen * T* und * L* als „Drecksau“ oder „Dreckschwein“ bezeichnet;

2./ von dem seit 15. Jänner 2024 auf seinem Anderkonto erliegenden Fremdgeld seiner ehemaligen Mandantin * S* in Höhe von 4.425,64 Euro nach Beendigung des Vollmachtsverhältnisses am 23. Jänner 2024 lediglich einen Betrag von 3.201 Euro auf das Anderkonto ihres neuen Rechtsvertreters * zur Auszahlung gebracht und sich den Differenzbetrag von 1.224,24 Euro einbehalten, ohne gegenüber * S* Rechnung gelegt zu haben;

3./ in seinen Schreiben an Rechtsanwalt * vom 14. März, 18. März und 27. März 2024 die anwaltliche Grußformel außer Acht gelassen sowie die vom Kammeranwalt aufgetragene Stellungnahme vom 26. März 2024 an den – lediglich in „cc“ gesetzten – Anzeiger * ohne den Beisatz „zur persönlichen Eröffnung“ weitergeleitet, obwohl er den Anzeiger in dieser Stellungnahme unsachlich und beleidigend angriff;

4./ in seinem E‑Mail vom 9. Februar 2024 an Rechtsanwalt * die anwaltliche Grußformel außer Acht gelassen und diesem treuloses Verhalten sowie schulmeisterisches Gehabe vorgeworfen, „welches und vieles andere er am Kollegen für geschmacklos halte“.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Schuld und Strafe, die der Sache nach auch einen Einspruch gegen die in seiner Abwesenheit getroffene Entscheidung enthält (§ 35 DSt; vgl 3 Bkd 4/11, AnwBl 2011/8300, 530 [Klingsbigl]; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 35 DSt Rz 10).

[4] Dem Einspruch kommt Berechtigung zu.

[5] Gemäß § 35 DSt kann in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten die Verhandlung durchgeführt und das Disziplinarerkenntnis gefällt werden, wenn er zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, ihm die Ladung ordnungsgemäß zugestellt wurde und er dennoch ohne ausreichende Entschuldigung nicht teilnimmt.

[6] Abweichend von der Regelung des § 427 Abs 3 StPO, die darauf abstellt, ob der Angeklagte durch ein unabweisbares Hindernis abgehalten wurde, in der Hauptverhandlung zu erscheinen, lässt also § 35 DSt die Durchführung einer Verhandlung in Abwesenheit des Beschuldigten nur dann zu, wenn dieser an der Verhandlung ohne ausreichende Entschuldigung nicht teilnimmt (RIS‑Justiz RS0057027).

[7] Mit dem Disziplinarrat jeweils – zulässig, zumal im Anlassfall als „erwünscht“ betrachtet (vgl ON 8 S 2; vgl auch RIS‑Justiz RS0127859 [T4]; 26 Ds 4/21v) – per E‑Mail übermittelten (zudem zum Akt genommenen und bei den Entscheidungen sowohl über das Vertagungsersuchen als auch über die Durchführung der Disziplinarverhandlung in Abwesenheit berücksichtigten) Schreiben vom 4. November 2024 (ON 28) und vom 6. November 2024 (ON 30 und 32) teilte der Disziplinarbeschuldigte (zusammengefasst) mit, dass er an der für den 11. November 2024, 15:15 Uhr, vor dem Disziplinarrat in * anberaumten Disziplinarverhandlung (siehe die dem Disziplinarbeschuldigten am 28. Oktober 2024 zugestellte Ladung ON 27) nicht teilnehmen könne, weil er am selben Tag von 10 Uhr bis voraussichtlich 14 Uhr vor dem Bezirksgericht * (zu AZ *) eine (fortgesetzte) Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung – einschließlich einer „abschließenden Gutachtenserörterung“ – zu verrichten habe. Er ersuche daher um Abberaumung der Disziplinarverhandlung und Anberaumung eines neuen Termins.

[8] Zur Bescheinigung des Entschuldigungsgrundes legte er eine – nur hinsichtlich der Namen der Prozessparteien anonymisierte – Ladung des Bezirksgerichts * (vom 23. September 2024) für den genannten Verhandlungstermin vor (ON 32).

[9] Eine Terminkollision mit einer anderen Verhandlung, an welcher der Disziplinarbeschuldigte als Parteienvertreter teilzunehmen hat, stellt schon mit Blick auf § 6 RL‑BA 2015 einen iSd § 35 DSt ausreichenden Entschuldigungsgrund dar (vgl RIS‑Justiz RS0057027 [T2]), gehört es doch zu den vornehmsten Berufspflichten eines Rechtsanwalts, die Interessen seines Klienten zu wahren und seine eigenen Interessen sowie Rücksichten auf Kollegen – damit auch die Teilnahme an einer ihn betreffenden Disziplinarverhandlung – in den Hintergrund zu stellen (vgl 28 Ds 8/18t).

[10] Fallbezogen lag daher ein durch die beigelegte Ladung ausreichend bescheinigter Entschuldigungsgrund vor, sodass die Disziplinarverhandlung am 11. November 2024 nicht in Abwesenheit des Disziplinarbeschuldigten durchgeführt hätte werden dürfen.

[11] Es war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – in nichtöffentlicher Sitzung in Stattgebung des Einspruchs das Erkenntnis aufzuheben und die Neudurchführung der Verhandlung anzuordnen.

[12] Die mit dem Einspruch verbundene Berufung des Disziplinarbeschuldigten ist damit gegenstandslos (vgl Bauer, WK-StPO § 427 Rz 22).

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