OGH 1Ob206/24m

OGH1Ob206/24m19.12.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel, Dr. Parzmayr und Dr. Pfurtscheller als weitere Richterinnen und Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K* B*, vertreten durch die Advokaturbüro Santner & Rudigier Anwaltspartnerschaft in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Gemeinde S*, vertreten durch die Blum, Hagen und Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, wegen Feststellung und Einverleibung einer Dienstbarkeit, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 10. Oktober 2024, GZ 3 R 165/24y‑32, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00206.24M.1219.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Voraussetzungen für eine Ersitzung nach § 1477 ABGB sind neben dem Zeitablauf echter und redlicher Besitz eines Rechts, das seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entsprochen hat, und der Besitzwille (RS0034138 [insbesondere T2]; RS0034283).

[2] 2. Nach den Feststellungen befand sich auf der Trasse, auf der der Kläger ein Fahrrecht behauptet, bis ca 1978 eine öffentliche Straße. Unterscheiden sich Nutzungen nicht von Handlungen im Rahmen des Gemeingebrauchs oder einer jedermann zustehenden örtlichen Übung, wird grundsätzlich kein Rechtsbesitz ausgeübt (vgl RS0009762 [insbesondere T6, T17]; RS0010140 [T4]).

[3] Die vom Kläger relevierte unrichtige Wiedergabe seines Vorbringens durch das Berufungsgericht, er behaupte für den Zeitraum des Bestehens der öffentlichen Straße nicht die Inanspruchnahme eines vom Gemeingebrauch verschiedenen Nutzungsrechts, begründet keine Aktenwidrigkeit (RS0041814). Die vom Berufungsgericht im Einzelfall (RS0042828) vorgenommene Auslegung seines Vorbringens ist im Übrigen jedenfalls vertretbar, geht doch seineBehauptung des Befahrens mit „LKW, Muli, PKW oder sonstigen Geräten“ nicht über den festgestellten Gemeingebrauch der bis 1978 bestehenden öffentlichen Straße hinaus, auf der auch Transporte mit Kraftfahrzeugen zu einer Mülldeponie durchgeführt wurden.

3. Zur verneinten Redlichkeit des Klägers:

[4] 3.1. Redlichkeit nach § 326 (in Verbindung mit § 1463) ABGB verlangt nicht den Glauben, Eigentümer zu sein, sondern nur den Glauben an einen gültigen Titel, also an die rechtmäßige Zugehörigkeit einer Sache im weiteren Sinn bzw – bei Dienstbarkeiten – an ein bestimmtes Nutzungsrecht an einer fremden Sache (RS0010172). Maßgeblich für die Redlichkeit ist der gute Glaube an die Rechtmäßigkeit der Besitzausübung (hier der Nutzung eines Weges), also das Vertrauen auf einen gültigen Titel (2 Ob 37/20k [Rz 1]; 1 Ob 232/20d [Rz 3], jeweils mwN). Der gute Glaube, das heißt die Redlichkeit des Besitzers, die während der gesamten Ersitzungszeit vorliegen muss, fehlt bereits dann, wenn dieser auch nur Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Besitzes hegen musste (3 Ob 125/21k [Rz 2] mwN; vgl RS0010137 [T1]).

[5] Da die Redlichkeit nach § 328 ABGB vermutet wird, obliegt dem Ersitzungsgegner der Beweis der Unredlichkeit (RS0010175 [T2]; RS0010185 [T5]; RS0034251 [T6]).

[6] 3.2. Die Beurteilung des Verhaltens des Besitzers als redlich oder unredlich hängt von den Umständen des konkreten Falls ab und bildet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0010184 [T13]; RS0010185 [T7]).

[7] 3.3. Nach den Feststellungen ging der Kläger, der sich auf die Ersitzung der Dienstbarkeit des Fahrrechts für die Zufahrt zu seiner land‑ und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaft an rund 20 Tagen im Jahr beruft, davon aus, dass der Nutzung des Weges keine Dienstbarkeitsvereinbarung zugrunde liegt. Vielmehr glaubt er nur deswegen zur Befahrung des Weges berechtigt zu sein, weil er den Weg jedenfalls über 40 Jahre uneingeschränkt genutzt hatte.

[8] Die Beurteilung der Vorinstanzen, die die Redlichkeit des Klägers verneinten, weil dieser das Bestehen des Fahrrechts allein aus der jahrzehntelangen Nutzung ableitet und gerade nicht aus einer die Nutzung rechtfertigenden (vermeintlichen) Vereinbarung, ist durch diese Rechtsprechung gedeckt (3 Ob 125/21k [Rz 4], NZ 2022/57, 201 [zustimmend Ehgartner]; vgl auch 4 Ob 64/24a [Rz 16 f]).

3.4. Zu den Argumenten des Revisionswerbers:

[9] Die Beklagte hat Vorbringen zur fehlenden Gutgläubigkeit des Klägers erstattet, sodass die dazu getroffenen Feststellungen von ihren Prozessbehauptungen gedeckt sind.

[10] Dass der Weg „bis 2015 – 2018“ die einzige Zufahrtsmöglichkeit des Klägers war, um mit Fahrzeugen zur Bewirtschaftung seiner Liegenschaft zu gelangen, hat keinen Zusammenhang mit seiner behaupteten Berechtigung zur Nutzung.

[11] Der Kläger erhielt von Anfang an einen Schlüssel zum Öffnen des Schrankens, den eine Nachbargemeinde im Einfahrtsbereich des Weges und damit auf dem Grundstück der Beklagten errichtet hatte. Das Berufungsgericht leitete daraus keinen Grund für den Kläger ab, auf die Zustimmung der Beklagten zur Nutzung des Weges zu vertrauen, weil der Schlüssel für das Bügelschloss von der Nachbargemeinde und eben nicht von der Beklagten ausgehändigt worden war. Der Kläger legt in der Revision nicht dar, warum das Verhalten der Nachbargemeinde, die Eigentümerin eines anderen Teils des Weges ist, der Beklagten zugerechnet werden könnte, sodass diese damit bei ihm den Eindruck erwecken hätte können, dass er zum Befahren des Weges berechtigt sei.

[12] Bereits vor 2013 hatte die Beklagte bei der Einfahrt des Weges das Schild „Allgemeines Fahrverbot“ angebracht und ab 2013 ein Schild mit dem Verbotszeichen „Gesperrt“ aufgestellt. Diese Schilder veranlassten den Kläger nicht zu Erkundigungen bei der Beklagten.

[13] Für weitere von der Beklagten in den Jahren 2011 und 2019 am Schranken angebrachte Schlösser erhielt der Kläger weder einen Schlüssel zur Verfügung gestellt noch den Zahlencode mitgeteilt. Dass die Beklagte im Jahr 2019 nach Intervention auch des Klägers letztlich das von ihr in diesem Jahr angebrachte Zahlenschloss entfernte, belegt nicht einen redlichen Besitz des Klägers während der gesamten Ersitzungszeit (§ 1477 ABGB).

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