European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0010OB00116.25B.1111.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Konsumentenschutz und Produkthaftung, Unionsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
1. Das Verfahren wird fortgesetzt.
2. Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Abweisung des Feststellungsbegehrens unbekämpft in Rechtskraft erwuchsen, werden im Übrigen – sohin hinsichtlich der Abweisung des Zahlungsbegehrens von 8.100 EUR sA und der Kostenentscheidungen – aufgehoben. Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb am 11. 3. 2021 von einem Dritten um 27.000 EUR einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten PKW Mercedes V250CDI. Das Fahrzeug war erstmals am 10. 2. 2016 zum Verkehr zugelassen worden und wies beim Erwerb durch den Kläger einen Kilometerstand von etwa 180.000 km auf. Das Fahrzeug verfügt über einen Dieselmotor vom Typ OM 651 der Abgasklasse Euro 6b.
[2] Das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) beanstandete beim vorliegenden Fahrzeugtyp (zunächst) eine Funktion der Emissionskontrolle, die deren Wirksamkeit bei normalen Betriebsbedingungen aufgrund „verschiedener Strategien“ in unzulässiger Weise reduziere. Konkret seien bei der Abgasnachbehandlung zur Reduktion des NOx‑Ausstoßes im SCR‑Katalysator durch Einspritzung von Harnsäure (AdBlue) zwei unterschiedliche Modi zur Anwendung gekommen: Unter Prüfbedingungen (also während des NEFZ‑Testverfahrens) habe der Motor nach dem Start in einen vergleichsweise effektiven Modus zur NOx‑Reduktion geschaltet; nach Erreichen einer bestimmten emittierten Stickoxidmasse (und somit nach Ablauf des Prüfzyklus) habe dieser dauerhaft in einen weniger effektiven Modus geschaltet. Der effektivere Modus sei erst wieder nach einem Neustart zur Anwendung gekommen. Das KBA qualifizierte dies – also die unterschiedlichen Modi zur NOx-Reduktion – als unzulässige Abschalteinrichtung und forderte die Beklagte mit Bescheid vom 3. 8. 2018 zum Rückruf und zur Änderung dieser Funktion auf.
[3] Um dem nachzukommen entwickelte die Beklagte ein Software-Update, mit dem der von der Behörde beanstandete Mangel (unterschiedliche Modi bei der Abgasnachbehandlung) behoben wurde. Dieses Update wurde vom KBA „freigegeben“. Die Behörde erkannte darin keine unzulässige Abschalteinrichtung. Durch das Software-Update erfolgt eine Reduktion des NOx-Ausstoßes im realen Fahrbetrieb, es kommt allerdings zu einer stärkeren Belastung des Abgasstrangs und zu einer höheren Beanspruchung des Abgasrückführungs-Kühlers (AGR-Kühlers) und des AGR‑Ventils. Dass die Lebensdauer dieser Bauteile dadurch über den üblichen Verschleiß hinaus beeinflusst würde, steht nicht fest.
[4] Auch nach dem Software-Update besteht nach wie vor ein Thermofenster, das die Abgasbehandlung abhängig von der Außentemperatur regelt. Allerdings wurde das bereits ursprünglich (also bei Auslieferung) bestehende Thermofenster durch das Update auf einen Temperaturbereich von minus 10 Grad Celsius bis plus 40 Grad Celsius erweitert. Innerhalb dieses Temperaturbereichs erfolgt eine volle Abgasrückführung. Im unteren Temperaturbereich wird diese ab einer Außentemperatur von weniger als minus 10 Grad Celsius reduziert (ebenso im oberen Temperaturbereich ab plus 40 Grad Celsius).
[5] Das von der Beklagten entwickelte Software‑Update wurde auch im Fahrzeug des Klägers (noch bevor er dieses erwarb) implementiert.
[6] Dass der Motor eine Funktion aufgewiesen habe, die (anhand von Geschwindigkeits- und Beschleunigungsdaten; „Slipguard“) erkannt hätte, ob es sich am Prüfstand oder im Straßenbetrieb befindet, steht nicht fest.
[7] Der Kläger begehrt Zahlung von 8.100 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden aufgrund des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Er stützt sich – soweit in dritter Instanz noch relevant – auf einen Verstoß der Beklagten gegen Art 5 der VO 715/2007/EG sowie auf die §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB.
[8] Er sei beim Erwerb des Fahrzeugs davon ausgegangen, dass dieses den gesetzlichen Vorgaben entspreche. Tatsächlich sei es vom „Abgasskandal“ betroffen gewesen und habe eine unzulässige Abschalteinrichtung aufgewiesen, die auch durch das Software-Update nicht entfernt worden sei. Dass das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt dieses Update „genehmigt“ habe, ändere daran nichts. Die Unzulässigkeit der bei Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger (und nach wie vor) bestehenden Abschalteinrichtung ergebe sich primär daraus, dass das Emissionsverhalten des Motors in Abhängigkeit von der Außentemperatur geregelt werde. Dies sei nach der VO 715/2007/EG – auch nicht ausnahmsweise – zulässig, weil die temperaturabhängige Regelung der Abgasbehandlung nicht dem Schutz des Motors vor den Fahrbetrieb konkret gefährdenden Schäden diene. Ein Schutz außerhalb des Motors gelegener Bauteile (etwa des AGR-Ventils) könne die Abschalteinrichtung nicht rechtfertigen.
[9] Der Beklagten (ihren Repräsentanten) sei sowohl die Unzulässigkeit der ursprünglich bestehenden Abschalteinrichtung (unterschiedliche Modi zur Emissionssteuerung) als auch der nach dem Software-Update weiter bestehenden Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters bewusst gewesen. Der Kläger sei darüber von der Beklagten – wie alle Käufer des vorliegenden Fahrzeugtyps – in die Irre geführt worden. Jedenfalls habe sie bei der Ausstattung ihrer Fahrzeuge mit einer verbotenen Abschalteinrichtung fahrlässig gehandelt.
[10] Sein Schaden ergebe sich – sowohl im Fall einer Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung als auch bei arglistiger Irreführung – daraus, dass das Fahrzeug wegen der verbotenen Abschalteinrichtung einen (objektiven) Minderwert aufweise. Dieser betrage 30 % des gezahlten Kaufpreises. Hätte er von der verbotenen Abschalteinrichtung gewusst, hätte er höchstens diesen geminderten Kaufpreis bezahlt. Da nicht auszuschließen sei, dass dem Fahrzeug die Typgenehmigung entzogen werde, bestehe auch ein Feststellungsinteresse.
[11] Die Beklagte erhob die Einrede der internationalen und örtlichen Unzuständigkeit.
[12] In der Sache selbst wendet sie ein, dass im Fahrzeug zu keinem Zeitpunkt eine „Umschaltlogik“ implementiert gewesen sei, die hinsichtlich der Emissionskontrolle danach unterschieden hätte, ob sich das Fahrzeug im Prüfverfahren oder im normalen Straßenbetrieb befinde. Die angeblich unterschiedlichen Modi der Abgasnachbehandlung seien einerseits technisch erforderlich gewesen, andererseits (aufgrund der Beanstandung durch das Kraftfahrt-Bundesamt) durch das Software-Update beseitigt worden. Das Fahrzeug des Klägers habe daher zum Zeitpunkt des (nach diesem Update erfolgten) Erwerbs durch ihn keine unzulässige Abschalteinrichtung (mehr) aufgewiesen. Das nach dem Software-Update weiter bestehende Thermofenster für die Abgasrückführung von (nunmehr) minus 10 Grad Celsius bis plus 40 Grad Celsius stelle schon deshalb keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, weil eine „Abrampung“ (also die kontinuierliche Reduktion) der Abgasrückführung erst außerhalb dieser weiten Temperaturgrenzen einsetze, sodass während des überwiegenden Zeitraums eines Jahres eine uneingeschränkte Abgasrückführung erfolge. Diese – auch nach dem Software-Update vorgesehene – Abrampung sei erforderlich, um den Motor vor groben (auch von AGR‑Bauteilen ausgehenden) Schäden zu schützen und einen sicheren Fahrbetrieb zu gewährleisten. Es würde sonst eine Versottung des Abgasrückführungskühlers und daher in weiterer Folge ein Motorausfall drohen. Dem wirke das Thermofenster entgegen.
[13] Keinesfalls habe sie den Kläger getäuscht oder vorsätzlich (sittenwidrig) geschädigt.
[14] Dem Kraftfahrt-Bundesamt sei die Funktionsweise der Abgasrückführung sowie deren temperaturabhängige Steuerung (also das Thermofenster) bekannt gewesen. Die Beklage habe sich auf die Genehmigung des Software-Updates mit dem Thermofenster durch diese Behörde verlassen dürfen. Dessen Implementierung auch im Fahrzeug des Klägers könne ihr daher nicht – und schon gar nicht als vorsätzliche Irreführung – vorgeworfen werden. Vielmehr sei sie allenfalls einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlegen.
[15] Ein Entzug der EG-Typgenehmigung oder der Zulassung sei aufgrund der Genehmigung des Software‑Updates durch das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt nicht zu erwarten. Der Kläger könne das Fahrzeug ohne Einschränkungen verwenden. Es sei nicht fehlerhaft und dem Kläger durch dessen Erwerb kein Schaden entstanden.
[16] Das Erstgericht verwarf (rechtskräftig) die Einrede der mangelnden Zuständigkeit und wies das Klagebegehren ab.
[17] Es ging unter Zugrundelegung des eingangs dargelegten Sachverhalts davon aus, dass die Abgasrückführung bis zu einer Umgebungstemperatur von minus 10 Grad Celsius und somit über den weit überwiegenden Zeitraum eines Jahres uneingeschränkt wirksam sei. Das Software-Update stelle daher bei normalen Nutzungsbedingungen eine wirkungsvolle Begrenzung der Emissionen sicher. Es handle sich somit beim (verbliebenen) Thermofenster um keine Abschalteinrichtung im Sinn von Art 3 VO 715/2007/EG . Da das Software-Update auch keinen merkantilen Minderwert des Fahrzeugs bewirkt habe, sei das Klagebegehren auch aus diesem Grund abzuweisen.
[18] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts.
[19] Es ging davon aus, dass die Abgasrückführung nach den erstinstanzlichen Feststellungen – aufgrund des weiten Thermofensters von minus 10 Grad Celsius bis plus 40 Grad Celsius – den überwiegenden Zeitraum eines Jahres uneingeschränkt aktiv sei. Das Fahrzeug des Klägers habe daher beim Erwerb durch ihn keine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der VO 715/2007/EG (mehr) aufgewiesen. Seinem Argument, wonach sich die Feststellungen zum Temperaturbereich des Thermofensters (auch nach dem Vorbringen der Beklagten) nur auf Fahrten mit „betriebswarmen“ Motor bezögen, im Unionsgebiet aber in erheblichem Ausmaß auch Fahrten mit „betriebskaltem“ Motor durchgeführt würden, bei denen die Abgasrückführung überwiegend inaktiv sei, hielt das Berufungsgericht die „Feststellung“ der unbeschränkten Aktivität der Abgasrückführung im weit überwiegenden Zeitraum eines Jahres entgegen; davon abgesehen verstoße diese Behauptung auch gegen das Neuerungsverbot. Da auch kein Schaden des Klägers festgestellt worden sei, sei die Klage zu Recht abgewiesen worden. Das Feststellungsbegehren scheitere auch an künftig drohenden Nachteilen.
[20] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zur Frage des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 der VO 715/2007/EG zu.
[21] Die dagegen erhobene – von der Beklagten beantwortete – Revision des Klägers, in der er nur mehr die Stattgebung des Zahlungsbegehrens von 8.100 EUR sA begehrt, ist zulässig, weil die Vorinstanzen zu Unrecht davon ausgingen, dass in seinem Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Das Rechtsmittel ist aus diesem Grund mit seinem hilfsweisen Aufhebungsantrag auch berechtigt.
I. Zur Fortsetzung des Verfahrens:
Rechtliche Beurteilung
[22] Mit Beschluss vom 25. 3. 2025, 1 Ob 128/24s, hat der Oberste Gerichtshof das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über das Vorabentscheidungsersuchen vom 27. 10. 2023 des Landgerichts Ravensburg (Deutschland), Rechtssache C‑666/23 , unterbrochen. Nachdem das Urteil des EuGH nunmehr vorliegt, ist das Verfahren amtswegig fortzusetzen.
II. Zur Revision:
[23] 1. Die Revision richtet sich nur gegen die Abweisung des Zahlungsbegehrens. Die Abweisung des Feststellungsbegehrens erwuchs daher in Rechtskraft.
[24] 2. Zur Anspruchsgrundlage:
[25] 2.1. Unstrittig ist auf den vorliegenden Motor die VO 715/2007/EG anzuwenden. Der Oberste Gerichtshof legte bereits in seinem Urteil vom 25. 4. 2023 zu 10 Ob 2/23a (Rz 12 f) unter Verweis auf die Entscheidungen des EuGH zu C-100/21 (QB gegen Mercedes-Benz Group AG) und C-145/20 (Porsche Inter Auto und Volkswagen) dar, dass ein individueller Käufer, der einen genehmigten Fahrzeugtyp erwirbt, welcher daher mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftigerweise erwarten kann, dass die VO 715/2007/EG und insbesondere deren Art 5 eingehalten wird. Diese ursprünglich für das Vertragsverhältnis zwischen Käufer und Händler konstatierte berechtigte Verkehrserwartung ist auch für das außervertragliche Verhältnis zwischen einem Fahrzeugerwerber und dem Fahrzeughersteller – und dabei auch für den Erwerb eines Gebrauchtfahrzeugs (vgl 5 Ob 159/23b [Rz 20]; 9 Ob 42/23a [Rz 15]; 9 Ob 55/23p [Rz 35]) – relevant. Ein Käufer eines Kraftfahrzeugs hat daher gegen den Hersteller einen Anspruch darauf, dass sein Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn der VO 715/2007/EG ausgestattet ist. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung kann den Hersteller auch dann ersatzpflichtig machen, wenn er in keinem Vertragsverhältnis zum Käufer steht (10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 [insb Rz 12 ff]; 6 Ob 175/23p [Rz 45]; 7 Ob 40/24v [Rz 20] ua).
[26] 2.2. Nach der Rechtsprechung des EuGH stellen die Regelungen zur Übereinstimmungsbescheinigung eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Hersteller und dem individuellen Erwerber des Fahrzeugs her, woraus sich der Schutzgesetzcharakter der übertretenen Normen ergibt (EuGH C-100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 82). Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass sich das rechtswidrige Handeln des Herstellers in einer Aufklärungsverpflichtung erschöpft, weil eine gültige Übereinstimmungsbescheinigung den Inhalt haben muss, dass das Fahrzeug zum Zeitpunkt seiner Herstellung den einschlägigen unionsrechtlichen Normen entspricht (Art 3 Nr 36 Rahmen-RL 2007/46/EG ) und Zulassung, Verkauf und Inbetriebnahme von Fahrzeugen nur mit einer gültigen Übereinstimmungsbescheinigung (dieses Inhalts) zulässig wären (Art 26 Rahmen-RL 2007/46/EG ). Selbst eine wahrheitsgemäße Aufklärung durch den Hersteller könnte an der objektiven Rechtswidrigkeit des In‑Verkehr‑Bringens eines dem Art 5 VO 715/2007/EG widersprechenden Fahrzeugs nichts ändern, weil der Erwerber gegen den Hersteller einen Anspruch darauf hat, dass dieses nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ausgestattet ist (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG, Rn 89; 10 Ob 27/23b [Rz 16]; 9 Ob 42/23a [Rz 15]; 7 Ob 40/24v [Rz 22] ua).
3. Zum Vorliegen einer Abschalteinrichtung:
[27] 3.1. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Nach Art 3 Nr 10 der VO 715/2007/EG ist eine Abschalteinrichtung ein Konstruktionsteil, der die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
[28] 3.2. Ein Thermofenster, aufgrund dessen die volle Rückführung der Abgase nur innerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs erfolgt, wohingegen diese bei Temperaturen darüber oder darunter sukzessive reduziert wird, ist eine – grundsätzlich verbotene – Abschalteinrichtung gemäß Art 3 Nr 10 der VO 715/2007/EG (vgl 9 Ob 53/23v [Rz 11]; 5 Ob 94/24w [Rz 11]; 9 Ob 92/25g [Rz 16], jeweils mwN).
[29] 3.3. Bereits zu 7 Ob 40/24v hatte der Oberste Gerichtshof – wie hier – ein (von der auch hier beklagten Partei hergestelltes) Fahrzeug mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 zu beurteilen. Auch dort stand fest, dass der Temperaturbereich eines – wie hier bereits ursprünglich bestehenden – Thermofensters durch ein Software-Update auf minus 10 Grad Celsius bis plus 40 Grad Celsius erweitert wurde und eine vollständige Abgasrückführung nur innerhalb dieses Temperaturbereichs erfolgt (aaO Rz 9). Der 7. Senat ging davon aus, dass daher auch nach dem Software-Update ein Konstruktionsteil vorliege, deasdie Temperatur ermittle, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems, zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren (aaO Rz 31). Insoweit nahm er eine nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG (grundsätzlich; zu den Ausnahmen siehe unten) unzulässige Abschalteinrichtung an (ebenso 6 Ob 177/23g [Rz 33 f] sowie 4 Ob 66/24w [Rz 21] zu einem identen Thermofenster zum auch hier zu beurteilenden Motortyp). Dies gilt daher – entgegen der Ansicht der Vorinstanzen – auch für den vorliegenden Fall, in dem somit ebenfalls eine dem grundsätzlichen Verbot des Art 5 Abs 2 Satz 1 der VO 715/2007/EG unterfallende Abschalteinrichtung vorliegt.
[30] 4. Die Beklagte kann sich nicht auf die Ausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG , für deren Voraussetzungen sie die Behauptungs- und Beweislast trifft (1 Ob 149/22a [Rz 42 ff]; 6 Ob 175/23p [Rz 63]; 9 Ob 58/23d [Rz 53] ua), stützen:
[31] 4.1. Das in Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG normierte Verbot von Abschalteinrichtungen, welche die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, wird von drei in Abs 2 Satz 2 leg cit genannten Ausnahmen durchbrochen. Nach der Ausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG , auf welche sich die Beklagte beruft, wäre eine solche Einrichtung zulässig, wenn sie notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
[32] 4.2. Der EuGH hat bereits mehrfach klargestellt, dass eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, ungeachtet des Vorliegens der in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen nicht unter diese Verbotsausnahme fallen kann. Eine Abschalteinrichtung ist daher jedenfalls unzulässig, wenn sie aufgrund der klimatischen Bedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist. Nur wenn dies nicht der Fall ist, könnte die Einrichtung bei Erfüllung der Voraussetzungen der genannten Bestimmung überhaupt zulässig sein (etwa 6 Ob 175/23p [Rz 51]; 7 Ob 40/24s [Rz 27] mwN; dort jeweils zum auch hier zu beurteilenden Motortyp).
[33] 4.3. Selbst wenn man zugunsten der Beklagten davon ausginge, dass die vorliegende (auch nach dem Software-Update bestehende) Abschalteinrichtung (in Form des Thermofensters) aufgrund der klimatischen Bedingungen nicht den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren (aktiv sein) müsste, um den Motor vor Beschädigungen oder vor einem Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten, würde diese die Voraussetzungen des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG nicht erfüllen:
[34] 4.3.1. Da die dort normierte Ausnahme eng auszulegen ist (10 Ob 31/23s [Rz 27]), könnte eine Abschalteinrichtung nur ausnahmsweise zulässig sein, wenn von der Beklagten nachgewiesen würde, dass sie ausschließlich notwendig sei, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs darstellen. Dabei wäre eine Abschalteinrichtung nur dann notwendig im Sinn des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG , wenn zum Zeitpunkt der EG-Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden hätte können (etwa 1 Ob 150/22y [Rz 46]; 10 Ob 31/23s [Rz 27 f]; 9 Ob 58/23d [Rz 48]; 9 Ob 92/25g [Rz 20 f]). Darüber hinaus würde das Verbot, auf das sich Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG bezieht, ausgehöhlt und jeder praktischen Wirksamkeit beraubt, wenn es zulässig wäre, dass die Hersteller Fahrzeuge allein deshalb mit solchen Abschalteinrichtungen ausstatten, um den Motor vor Verschmutzung und Verschleiß zu schützen (9 Ob 92/25g [Rz 22 mit Verweis auf EuGH 17. 12. 2020, C‑693/18 , CLCV]).
[35] 4.3.2. Zu 7 Ob 40/24v hatte der Oberste Gerichtshof ebenfalls ein – nach dem Software-Update – (weiter) bestehendes Thermofenster zwischen minus 10 Grad Celsius und plus 40 Grad Celsius des auch hier vorliegenden Motortyps OM 651 zu beurteilen. Dort stand fest, dass dieses Thermofenster (welches ganz offensichtlich dem vorliegenden Thermofenster entspricht) „in erster Linie“ dem Schutz des ARG-Ventils und des AGR-Kühlers vor Versottung diene und implementiert worden sei, um die Dauerhaltbarkeit der AGR‑Bauteile zu garantieren. Wenn etwa das AGR-Ventil blockiere, wechsle das Fahrzeug in den Notlauf. Das könne zwar unter Umständen plötzlich sein, dadurch solle aber gerade eine Motorschädigung vermieden werden. Dass das Thermofenster die einzige technische Lösung und dieses ausschließlich notwendig gewesen sei, um unmittelbare Risiken für den Motor abzuwenden, die so schwer wögen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb darstellten, stehe gerade nicht fest (aaO Rz 35). Davon ausgehend gelangte der 7. Senat zum Ergebnis, dass – unter Berücksichtigung der Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG – eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege (aaO Rz 36). Zum selben Ergebnis gelangte der Oberste Gerichtshof auch in seiner Entscheidung zu 6 Ob 175/23p (dort ebenfalls zum Motortyp OM 651) auf Basis derselben Feststellungen zur (Schutz-)Funktion eines Thermofensters zwischen minus 5 Grad Celsius und plus 30 Grad Celsius (aaO Rz 66 ff).
[36] 4.3.3. Der gegenständliche Sachverhalt ist mit jenen Fällen vergleichbar, die den – zum gleichen Motortyp (OM 651) ergangenen – Entscheidungen (7 Ob 40/24v und 6 Ob 175/23p) zugrunde liegen. Auch im vorliegenden Fall hat die Beklagte die Voraussetzungen der Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a der VO 715/2007/EG nicht nachgewiesen.
[37] 4.4. Als Zwischenergebnis ergibt sich somit, dass auch nach dem Software-Update eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 5 Abs 2 Satz 1 der VO 715/2007/EG vorlag. Damit ist die Frage, ob die Beklagte im Hinblick auf den ihr vorgeworfenen Verstoß gegen diese Bestimmung rechtswidrig gehandelt hat, abschließend beantwortet (vgl RS0042031). Darauf, ob – wie der Kläger in seiner Revision behauptet – die Abschalteinrichtung nach dem Software-Update bei „betriebskaltem“ Motor überwiegend aktiv wäre, kommt es für diese Beurteilung nicht an.
5. Zum behauptetenRechtsirrtum:
[38] 5.1. Mittlerweile hat der EuGH mit Entscheidung vom 1. 8. 2025, C-666/23 , CM, DS gegen Volkswagen AG, zur Frage, inwieweit sich der Fahrzeughersteller auf einen Rechtsirrtum berufen kann, wie folgt Stellung genommen:
„1. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 385/2009 der Kommission vom 7. Mai 2009 geänderten Fassung sind in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge dahin auszulegen, dass sie im Rahmen einer vom Käufer eines Kraftfahrzeugs erhobenen Klage auf Ersatz des durch das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne dieses Art. 5 Abs. 2 verursachten Schadens den Hersteller des Fahrzeugs daran hindern, sich zu seiner Entlastung auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum hinsichtlich der Unzulässigkeit dieser Abschalteinrichtung zu berufen, der darauf zurückzuführen sein soll, dass für diese Abschalteinrichtung oder das damit ausgerüstete Fahrzeug von der zuständigen Behörde eine EG‑Typgenehmigung erteilt wurde oder diese Behörde, wenn sie von diesem Hersteller dazu befragt worden wäre, seine rechtliche Beurteilung bezüglich der angeblichen Zulässigkeit der betreffenden Abschalteinrichtung bestätigt hätte.
2. Art. 4 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 sowie Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 692/2008 der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung Nr. 715/2007 in der durch die Verordnung (EU) Nr. 566/2011 der Kommission vom 8. Juni 2011 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie verlangen, dass der Erwerber eines Fahrzeugs gegen den Fahrzeughersteller einen Anspruch auf Schadensersatz hat, wenn dem Erwerber wegen einer im Sinne dieses Art. 5 Abs. 2 unzulässigen Abschalteinrichtung, die vom Hersteller nach der EG‑Typgenehmigung für dieses Fahrzeug mittels eines Software-Updates installiert wurde, ein Schaden entstanden ist.“
[39] 5.2. Ein Rechtsirrtum kann daher von der Beklagten nicht geltend gemacht werden (9 Ob 92/25g [Rz 31 f]).
[40] 6. Die Rechtssache ist allerdings noch nicht spruchreif, weil die Sachverhaltsgrundlage zum Vorliegen eines Schadens ergänzungsbedürftig ist:
[41] 6.1. Der Schaden des Käufers besteht nach der Rechtsprechung in der objektiv eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs, die durch die Installation einer unzulässigen Abschalteinrichtung verursacht wird, weil damit die Gültigkeit der EG-Typgenehmigung und der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage steht und das Fahrzeug mit rechtlichen Unsicherheiten, etwa bei Anmeldung oder Verkauf, behaftet ist (vgl etwa 5 Ob 159/23b [Rz 10]; 8 Ob 76/23v [Rz 25] ua). Der Schaden tritt daher bereits „durch den Kaufvertrag“ ein (10 Ob 33/23k [Rz 15]; 8 Ob 1/24s [Rz 23], jeweils mwN). Er wäre nur dann zu verneinen, wenn das Fahrzeug zwar den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügte, aber trotzdem den konkreten Vorstellungen des Klägers entsprach (etwa 5 Ob 159/23b [Rz 10]; 8 Ob 76/23v [Rz 26]; 10 Ob 33/23k [Rz 15], je mwN).
[42] 6.2. Im vorliegenden Fall behauptet der Kläger, er hätte das mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattete Fahrzeug bei deren Kenntnis nicht (zum bezahlten Preis) gekauft. Die Beklagte bestreitet dies substanziiert. Da dazu keine Feststellungen getroffen wurden, bedarf es zur Frage, ob ein Schaden vorliegt, einer Ergänzung der Sachverhaltsgrundlage.
[43] 7. Der Vollständigkeit halber wird auch auf die für die Schadensbemessung maßgeblichen Grundsätze eingegangen:
[44] Der Ersatz aufgrund einer (zumindest fahrlässigen) Schutzgesetzverletzung ist nach unionsrechtlichen Vorgaben grundsätzlich im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des Kaufpreises festzusetzen. Der Kläger kann aber auch – wie im vorliegenden Fall – den tatsächlichen Minderwert des Fahrzeugs aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtung geltend machen. Dafür bedürfte es aber konkreter Feststellungen zu einer allfälligen Wertdifferenz im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags (etwa 4 Ob 90/24z [Rz 7 mwN]), welche hier fehlen. Die vom Erstgericht getroffene Feststellung, dass nach dem Aufspielen des Software-Update kein merkantiler Minderwert vorgelegen sei, basiert auf der unrichtigen Beurteilung, dass keine verbotene Abschalteinrichtung vorgelegen wäre, und kann daher nicht als Grundlage für die Beurteilung eines Minderwerts des Fahrzeugs mit einer solchen Abschalteinrichtung dienen.
[45] 8. Zusammengefasst sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im angefochtenen Umfang – also hinsichtlich des Zahlungsbegehrens – zur Verfahrensergänzung im aufgezeigten Sinn aufzuheben.
[46] 9. Im Hinblick auf die mittlerweile einheitliche höchstgerichtliche Rechtsprechung bedarf es nicht der von der Beklagten angeregten Vorabentscheidung, die im Wesentlichen auf eine neuerliche Befassung des EuGH zu den Voraussetzungen des Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung und eines tatsächlichen Schadens abzielen (vgl 7 Ob 40/24v [Rz 51]).
[47] 10. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
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