OGH 17Ob8/25p

OGH17Ob8/25p26.6.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Präsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Stefula und MMag. Sloboda, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* GmbH, *, vertreten durch die Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. S* GmbH, *, und 2. Mag. K*, dieser vertreten durch Mag. Adnan Cocalic, Rechtsanwalt in Graz, als Verfahrenshelfer, wegen zuletzt Feststellung und 1.463.950 EUR sA, über die außerordentliche Revision der zweitbeklagten Partei gegen das (Teil‑)Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 5. März 2025, GZ 3 R 25/25h‑121, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0170OB00008.25P.0626.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Insolvenzrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Der Zweitbeklagte war der einzige Geschäftsführer der erstbeklagten GmbH und kontrollierte ihre einzige Gesellschafterin, ebenfalls eine GmbH. Zudem war er der einzige Geschäftsführer einer von der Erstbeklagten kontrollierten GmbH (idF: Tochtergesellschaft).

[2] Am 1. 9. 2015 unterschrieb der Zweitbeklagte als Geschäftsführer beider Gesellschaften eine Vereinbarung zwischen der Erstbeklagten und ihrer Tochtergesellschaft über entgeltliche „Software‑/IT‑Dienstleistungen“ der Erstbeklagten für die Tochtergesellschaft. Entgegen der Präambel der Vereinbarung hatte die – erst zwei Monate davor gegründete – Erstbeklagte bis dahin keine Verträge mit anderen Unternehmen über solche Leistungen geschlossen. Auch danach bot sie solche Leistungen nicht für Dritte an.

[3] Aufgrund der Vereinbarung vom 1. 9. 2015 zahlte die Tochtergesellschaft bis 26. 8. 2020 1.463.950 EUR – den Klagebetrag – an die Erstbeklagte.

[4] Der Zweitbeklagte als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft hätte die Vereinbarung vom 1. 9. 2015 mit einem außenstehenden Dritten nicht geschlossen und ihm nicht 1.463.950 EUR gezahlt.

[5] Am 5. 8. 2020 eröffnete das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Tochtergesellschaft.

[6] Mit dem – insolvenzgerichtlich genehmigten – Kaufvertrag vom 11. 11. 2020 kaufte die Klägerin vom Insolvenzverwalter der Tochtergesellschaft „sämtliche im Eigentum der [Tochtergesellschaft] bzw. der Insolvenzmasse stehende, bilanzierte und nicht bilanzierte, materielle und immaterielle Vermögenswerte, welche rechtmäßig und rechtsgültig übertragen werden können, in Bausch und Bogen“, und erhielt diese übergeben und abgetreten.

[7] Der Kaufpreis betrug 1.620.000 EUR. Davon entfielen 50.000 EUR auf „sämtliche Ansprüche der Insolvenzmasse gegenüber jedermann, die geeignet sind, um Vermögenswerte, welcher Art auch immer, die vor dem Übergabestichtag im Eigentum des schuldnerischen Unternehmens standen und unrechtmäßig an einen Dritten übertragen wurden, zurückzuerlangen, aus welchem Rechtsgrund auch immer – insbesondere aber ausdrücklich nicht nur (i) Ansprüche aus dem Kapitalerhaltungsrecht, (ii) Schadenersatzansprüche, (iii) insolvenzrechtliche Anfechtungsansprüche – sofern damit ein Leistungsanspruch verbunden ist. Dasselbe gilt für Ersatzansprüche, sollte die Rückgabe solcher Vermögenswerte nicht (mehr) möglich und/oder tunlich sein“.

[8] Nach dem übereinstimmenden Willen der Kaufvertragsparteien sollten vom Kaufvertrag Leistungsansprüche gestützt auf §§ 82 f GmbHG, § 25 GmbHG und die Insolvenzanfechtungstatbestände – wie die hier geltend gemachten Ansprüche – umfasst sein.

[9] Die Klägerin begehrte von den Beklagten beim Insolvenzgericht – gestützt auf § 63a IO, §§ 82 f GmbHG und § 25 GmbHG – die Feststellung der Nichtigkeit der Vereinbarung vom 1. 9. 2015 wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr und die Zahlung von 1.463.950 EUR sA. Hilfsweise focht sie die Vereinbarung hinsichtlich der Erstbeklagten gemäß § 28 Z 1 IO an.

[10] Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und entgegneten, der behauptete Verstoß der Vereinbarung vom 1. 9. 2015 gegen §§ 82 f GmbHG liege ebensowenig vor wie die Voraussetzungen einer Haftung des Zweitbeklagten nach § 25 GmbHG sowie einer Anfechtung gemäß § 28 Z 1 IO.

[11] Das Verfahren gegen die Erstbeklagte ist infolge der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen seit 7. 4. 2021 unterbrochen.

[12] Das Erstgericht wies (mit einem Teilurteil) das Feststellungsbegehren gegen den Zweitbeklagten rechtskräftig ab und gab dem Zahlungsbegehren gegen den Zweitbeklagten statt. Die Stattgabe des Zahlungsbegehrens begründete es damit, dass der Zweitbeklagte als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft die Vereinbarung vom 1. 9. 2015 mit einem außenstehenden Dritten nicht geschlossen hätte und ihm nicht 1.463.950 EUR gezahlt hätte. Die Vereinbarung verstoße daher gegen §§ 82 f GmbHG. Der Zweitbeklagte hafte dafür nach § 25 GmbHG. Die Aktivlegitimation der Klägerin ergebe sich aus dem insolvenzgerichtlich genehmigten Kaufvertrag vom 11. 11. 2020, aufgrund dessen (auch) die Klageforderung abgetreten worden sei.

[13] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Zweitbeklagten gegen den dem Zahlungsbegehren stattgebenden Teil des Ersturteils nicht Folge. Die Revision sei nicht zulässig, weil sich keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO gestellt habe.

Rechtliche Beurteilung

[14] In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Zweitbeklagte keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung (§ 502 Abs 1 ZPO) auf:

[15] 1. Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens macht der Zweitbeklagte (behauptete) Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens geltend, die das Berufungsgericht verneint hat (Verstoß gegen § 405 ZPO; Stoffsammlungsmangel wegen der Zurückweisung von Beweisanträgen des Zweitbeklagten). Angebliche Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die das Berufungsgericht nicht als solche anerkannt hat, sind aber nicht revisibel (RS0042963).

[16] 2.1. Nach der Rechtsprechung liegt eine verbotene Einlagenrückgewähr (§§ 82 f GmbHG) vor, wenn eine Besserstellung des Gesellschafters gegenüber anderen Vertragspartnern der Gesellschaft aufgrund seiner Gesellschafterstellung erfolgt und diese zu Lasten der Gesellschaft geht (vgl 6 Ob 206/17p mwN). Maßgebend ist insbesondere, ob das Geschäft einem Fremdvergleich standhält und auch so geschlossen worden wäre, wenn kein Gesellschafter daraus einen Vorteil zöge (RS0105540). Dafür kommt es nicht nur auf die konkreten Konditionen des Geschäfts an, sondern vor allem darauf, ob mit einem gesellschaftsfremden Dritten überhaupt ein solches Geschäft geschlossen worden wäre (RS0105540 [T8]). Der maßgebliche Zeitpunkt ist jener des Vertragsabschlusses (vgl 6 Ob 132/10w).

[17] 2.2. Nach der klaren gesetzlichen Regelung (§ 25 Abs 1, Abs 3 Z 1 GmbHG) haftet der Geschäftsführer der Gesellschaft für die Verteilung von Gesellschaftsvermögen entgegen dem Verbot der Einlagenrückgewähr, wenn sie darauf beruhte, dass er bei seiner Geschäftsführung – schuldhaft (vgl RS0049459; RS0059528) – die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vernachlässigte. Die Frage, ob ein Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht vorliegt, ist stets aus der Sicht ex ante zu beantworten (6 Ob 58/20b, ErwGr 1.1.; 9 ObA 88/24t, ErwGr 2.1.).

[18] 2.3. Es hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, ob ein Geschäft gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstößt (17 Ob 12/24z, ErwGr 3.) und ob der Geschäftsführer seine gesetzliche Sorgfaltspflicht verletzt hat (vgl 9 ObA 88/24t, ErwGr 3.). Hat das Berufungsgericht den von der Rechtsprechung vorgegebenen rechtlichen Rahmen beachtet, ist die Revision daher nur zulässig, wenn sie die Unvertretbarkeit der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts aufzeigt (vgl RS0021095: „auffallende Fehlbeurteilung“; RS0044088: „grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm“).

[19] 3.1. Der Zweitbeklagte meint, die Vorinstanzen seien von der eingangs dargelegten Rechtsprechung abgewichen. Zum einen hätten sie die Drittüblichkeit der Vereinbarung vom 1. 9. 2015 im Lichte der §§ 82 f GmbHG nicht anhand des Vertragsinhalts im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt, sondern anhand der Gegenüberstellung der nach dem Vertragsabschluss erbrachten wechselseitigen Leistungen. Zum anderen hätten sie seine Haftung nach § 25 Abs 1, Abs 3 Z 1 GmbHG pauschal damit bejaht, dass sich die Vereinbarung vom 1. 9. 2015 ex post betrachtet als für die Tochtergesellschaft nachteilig erwiesen habe.

Beide Vorwürfe sind falsch: Tatsächlich haben die Vorinstanzen den Verstoß der Vereinbarung vom 1. 9. 2015 gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr und die Haftung des Zweitbeklagten (primär) mit der Feststellung begründet, dass der Zweitbeklagte als Geschäftsführer der Tochtergesellschaft die Vereinbarung vom 1. 9. 2015 mit einem außenstehenden Dritten nicht geschlossen und ihm nicht 1.463.950 EUR gezahlt hätte. Mit dieser Begründung setzt sich der Zweitbeklagte nicht auseinander; die entsprechende Feststellung blendet er aus. Schon deshalb gelingt es ihm nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzuzeigen. Eine unvertretbare Beurteilung des Berufungsgerichts im Einzelfall auf der Grundlage dieser Feststellung behauptet er nicht.

[20] 3.2. Das in der außerordentlichen Revision wiederholte Argument, das auf §§ 82 f GmbHG und § 25 GmbHG gestützte Zahlungsbegehren könne nur insofern berechtigt sein, als der Wert der Leistungen der Tochtergesellschaft aufgrund der Vereinbarung vom 1. 9. 2015 jenen der Leistungen der Erstbeklagten übersteige, behandelte das Berufungsgericht nicht inhaltlich. Zur Begründung verwies es (primär) darauf, dass der Zweitbeklagte in erster Instanz gar kein Vorbringen zur Werthaltigkeit der Leistungen der Erstbeklagten (für die Tochtergesellschaft) erstattet habe und das Argument daher gegen das Neuerungsverbot (§ 482 ZPO) verstoße.

Dem tritt die außerordentliche Revision nicht entgegen. Daher kann auch das weitere Vorbringen des Zweitbeklagten, es gebe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, welche konkreten (werthaltigen) Leistungen in die Beurteilung der Fremdüblichkeit einer Vereinbarung im Lichte der §§ 82 f GmbHG einzubeziehen seien, nicht die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision begründen.

[21] 4. Das Argument, das Zahlungsbegehren scheitere daran, dass die Beklagten eine notwendige Streitgenossenschaft mit der Tochtergesellschaft bilden würden, diese aber nicht geklagt worden sei, wurde im Berufungsverfahren nicht vorgebracht und kann in der Revision nicht nachgetragen werden (vgl RS0043338 [T27]). Im Übrigen gilt der Grundsatz, dass sämtliche Vertragsparteien eine notwendige Streitgenossenschaft bilden, nur im Rechtsstreit um die Feststellung der Nichtigkeit eines Vertrags, nicht jedoch bei bloßen Zahlungsbegehren (vgl Kodek, Einlagenrückgewähr und notwendige Streitgenossenschaft – eine Klarstellung, NZ 2021, 674; Spitzer/Schindl, [Notwendige] Streitgenossenschaft – Die Einlagenrückgewähr im Zivilprozess, ecolex 2021, 826). Demgemäß hat der Oberste Gerichtshof die Prüfung des Verbots der Einlagenrückgewähr in zahlreichen Entscheidungen ohne Prozessbeteiligung sämtlicher Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft bzw sämtlicher Vertragsparteien vorgenommen (zB 6 Ob 132/10w; 6 Ob 48/12w; 6 Ob 14/14y; 6 Ob 198/15h; 6 Ob 232/16k; 6 Ob 195/18x).

[22] 5.1. Die vom Zweitbeklagten als unvertretbar monierte Auslegung des Kaufvertrags vom 11. 11. 2020 im Lichte des festgestellten übereinstimmenden Willens der Kaufvertragsparteien steht mit der Rechtsprechung im Einklang: Ihr zufolge ist der übereinstimmende Parteiwille die oberste Norm des Vertrags (RS0017811). Ist ein solcher übereinstimmender Parteiwille über den Vertragsgegenstand und den Vertragsinhalt feststellbar, kommt es nicht darauf an, ob die Willensübereinstimmung auch einen hinreichend deutlichen Niederschlag in der Vertragsurkunde gefunden hat. Der (Konsensual‑)Vertrag ist jedenfalls so zustandegekommen, wie er von den Parteien übereinstimmend gewollt wurde. Bei einem solchen „natürlichen Konsens“ verliert der sonst rechtlich erhebliche objektive Erklärungswert seine Bedeutung (RS0017741; vgl RS0014005; RS0017839).

[23] 5.2. Die vom Zweitbeklagten als erheblich angesehene Rechtsfrage, ob die Abtretung von Forderungen aus einer verbotenen Einlagenrückgewähr (§§ 82 f GmbHG) dem Schuldner der abgetretenen Forderungen gegenüber unwirksam sein kann, wenn sie offenbar insolvenzzweckwidrig ist – die für seinen Standpunkt ins Treffen geführte Entscheidung 17 Ob 6/19k bejaht das nur für den „Sonderfall“ der Abtretung eines Insolvenzanfechtungsanspruchs –, stellt sich nicht: Das Berufungsgericht hat festgehalten, dass die (entgeltliche) Abtretung der Klageforderung nicht offenbar insolvenzzweckwidrig gewesen sei. Zur Begründung hat es darauf verwiesen, dass der Bestand der Klageforderung strittig und ihre Einbringlichkeit fraglich gewesen sei, weshalb auch das Prozesskostenrisiko des Zessionars hoch gewesen sei. Warum diese Beurteilung unvertretbar gewesen sein soll, legt der Zweitbeklagte nicht nachvollziehbar dar.

[24] 6. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.

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