European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0170OB00006.25V.0626.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Insolvenzrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
[1] Die in Österreich ansässige Schuldnerin war von der Klägerin mit mehreren Straßenbauprojekten in Polen beauftragt worden, darunter – mit Vertrag vom 30. 7. 2010 – das Projekt P* und – mit Vertrag vom 18. 5. 2011 – das Projekt O*. Für den Fall eines Rücktritts vom Vertrag aus von der Auftragnehmerin (Schuldnerin) zu vertretenden Gründen war jeweils unter anderem eine Vertragsstrafe in Höhe von 10 % des jeweiligen Vertragsbetrags vereinbart.
[2] Über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit Beschluss des Handelsgerichts Wien als Insolvenzgericht vom 19. 6. 2013 das Sanierungsverfahren – als Hauptinsolvenzverfahren im Sinn der EuInsVO – eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Beschluss vom 20. 6. 2013 bestellte das Insolvenzgericht Dr. R* zur besonderen Verwalterin für die Verwaltung der ausländischen Niederlassungen der Schuldnerin. Mit Beschluss vom 24. 6. 2013 ordnete das Insolvenzgericht die Schließung des Unternehmens der Schuldnerin an.
[3] Dr. R* trat mit Schreiben vom 1. 7. 2013 nach § 21 IO von den Verträgen zurück.
[4] Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 4. 7. 2013 wurde die Bezeichnung des Insolvenzverfahrens auf „Konkursverfahren“ abgeändert.
[5] Die Klägerin erstattete im Insolvenzverfahren der Schuldnerin eine Forderungsanmeldung mit folgenden hier interessierenden Teilforderungen:
„ 5.1. Projekt P*
5.1.1. Vertragsstrafe in Höhe von 10% der Vertragssumme
Grundlage der Bauverträge sind die FIDIC 1999. Diese wurden durch den Abschluss von Besonderen Vertragsbedingungen zu den FIDIC 1999 ergänzt.
Bescheinigungsmittel: wie bisher
Gemäß Punkt 8.7. dieser besonderen Vertragsbedingungen haben die Vertragsparteien eine Vertragsstrafe in Höhe von 10% der nach Punkt 1.1.4.1. genehmigten Vertragssumme für eine etwaige Vertragsauflösung aus vom Unternehmer zu vertreten den Gründen vereinbart. Nach Punkt 1.1.4.1. ist darunter der im Vertrag genannte Anbotspreis (brutto) zu verstehen. Dieser wiederum beträgt gemäß Punkt 4.1. des Vertrages Nr. 3GDDKiA/O-PO/R-2/92/2009 PLN 948.232.276,21. 10% davon entsprechen einem Betrag von PLN 94.823.227,621.
Unter Berücksichtigung des oben dargestellten Umrechnungskurses am Tag der Insolvenzeröffnung ergibt sich sohin eine Konkursforderung von EUR 22.493.945.59 , die hiermit zur Anmeldung gebracht und deren Feststellung begehrt wird. […]
6. Projekt O*
6.1.2. Vertragsstrafe in Höhe von 10% der Vertragssumme
Gemäß Punkt 8.7. der besonderen Vertragsbedingungen haben die Vertragsparteien eine Vertragsstrafe in Höhe von 10% der nach Punkt 1.1.4.1. genehmigten Vertragssumme für einen etwaigen Vertragsrücktritt aus den vom Unternehmer zu vertreten den Gründen vereinbart. Nach Punkt 1.1.4.1. ist darunter der im Vertrag akzeptierte Vertragsbetrag zu verstehen. Dieser wiederum beträgt gemäß Punkt 4.1. des Bauvertrages vom 18.05.2011 der auf PLN 147.719.897,53.[sic!] 10% davon entsprechen einem Betrag von PLN 14.771.989,75. Unter Berücksichtigung dieser oben dargestellten Umrechnungskurse am Tag der Insolvenzeröffnung ergibt sich sohin eine Konkursforderung in Höhe von EUR 3.504.208,22 .“
[6] Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage nach Klageänderung und Einschränkung nach § 110 IO (unter anderem) die Feststellung, dass ihr von der in der Forderungsanmeldung genannten Vertragsstrafe von 22.493.945,59 EUR ein Teilbetrag von 12.431.315,71 EUR und von der in der Forderungsanmeldung genannten Vertragsstrafe von 3.504.208,22 EUR ein Teilbetrag von 1.750.815,22 EUR als Insolvenzforderung zustehe (Punkte 1.1. und 1.2. des Klagebegehrens).
[7] Das Erstgericht trug – nach Einschränkung des Verfahrens auf diese Punkte des Klagebegehrens im dritten Rechtsgang – der Klägerin die Einbringung eines Schriftsatzes zur Darlegung der von ihr „allenfalls behaupteten konkreten Schäden im Zusammenhang mit den beiden Bauprojekten P* und O* […] bzw in wie weit diese allfälligen Schäden im Rahmen der geltend gemachten Vertragsstrafen im Zusammenhang mit diesen beiden Bauverträgen enthalten sind oder nicht“ auf. Die Klägerin führte im aufgetragenen Schriftsatz aus, aufgrund der in der vorherigen Tagsatzung vom Gericht vorgenommenen Verfahrenseinschränkung seien „Schadenersatzansprüche, welche diese Vertragsstrafenansprüche übersteigen, [...] aktuell nicht Streitgegenstand“, sodass für solche Schadenersatzansprüche die Klägerin aktuell auch nicht beweisen müsse, dass ihr die Vertragsstrafenansprüche übersteigende Schäden entstanden seien; dass die Vertragsstrafen überhöht seien, wäre vom Beklagten zu beweisen.
[8] Die Beklagte bestritt auch dieses Vorbringen und beantragte die Abweisung der Klage.
[9] Das Erstgericht wies die Klage hinsichtlich der Punkte 1.1. und 1.2. des Klagebegehrens ab; es legte seinem Teilurteil – soweit für das Verständnis des Revisionsurteils von Bedeutung – folgenden Sachverhalt zugrunde:
[10] Die Parteien haben im Rahmen der Bauverträge für die Projekte P* und O* die Anwendung des FIDIC Red Book 1999 – eines Mustervertrags der Fédération Internationale des Ingénieurs Conseils – vereinbart, dessen Punkt 15.2. in seiner deutschen Übersetzung auszugsweise lautet:
„15.2. Kündigung durch den Arbeitgeber
Der Arbeitgeber ist berechtigt den Vertrag zu kündigen, wenn der Auftragnehmer:
(a) Punkt 4.2. [Leistungssicherheit] oder eine Mitteilung gemäß Punkt 15.1. [Aufforderung der Richtigstellung] nicht einhält.
(b) die Arbeiten einstellt oder anderweitig eindeutig die Absicht bekundet, seine Verpflichtungen im Rahmen des Vertrags nicht weiter zu erfüllen;
(c) ohne vernünftige Rechtfertigung
(i) die Arbeiten im Einklang mit Punkt 8 [Beginn, Verzögerungen oder Aussetzung] nicht fortführt, oder
(ii) einer gemäß Punkt 7.5. [Ablehnung] oder Punkt 7.6. [Nachbesserung] übermittelten Mitteilung nicht binnen 28 Tagen nach Erhalt Folge leistet,
(d) […]
(e) Gegenstand eines Konkursverfahrens oder zahlungsunfähig wird, liquidiert wird, ein Insolvenzeröffnungs- oder Konkursverwaltungsbeschluss gegen ihn ergeht, einen Vergleich mit seinen Gläubigern abschließt oder seine Tätigkeit unter einem Konkursverwalter, Treuhänder oder Geschäftsführer zugunsten seiner Gläubiger ausübt oder wenn (nach anwendbarem Recht) eine Maßnahme getroffen wird oder ein Ereignis eintritt, das/die eine diesen Handlungen oder Ereignissen ähnliche Auswirkung hat, oder
(f) […]
Der Arbeitgeber kann den Vertrag in jedem dieser Fälle oder Umstände unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 14 Tagen gegenüber dem Auftragnehmer kündigen und den Auftragnehmer von der Baustelle verweisen. Der Arbeitgeber ist jedoch berechtigt, den Vertrag im Falle von Abs (e) oder (f) mit sofortiger Wirkung zu kündigen.
Die Entscheidung des Arbeitgebers, den Vertrag zu kündigen, berührt keine anderen vertraglichen oder anderweitigen Rechte des Arbeitgebers.
[...]“
[11] Die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten besonderen Vertragsbedingungen enthalten unter anderem folgende Klausel (Punkt 8.7.):
„Der Unternehmer zahlt an den Besteller Vertragsstrafen:
[…]
(c) für Vertragsrücktritt aus den vom Unternehmer zu vertretenden Gründen – 10% der genehmigten Vertragssumme nach der Klausel 1.1.4.1.
[…]
Die Parteien haben einen Anspruch auf einen weiteren Schadenersatz, der die Vertragsstrafen übersteigt und den tatsächlich entstandenen Schäden entspricht.“
[12] Mit Schreiben vom jeweils 21. 6. 2013 erklärte die Klägerin gegenüber der Schuldnerin ihren Rücktritt von den Bauverträgen Projekt P* und Projekt O*, dies „aus Gründen, die der Auftragnehmer zu verantworten hat“, und „auf der Grundlage der Subklausel 15.2 (b) und (c)“ – im Rücktrittsschreiben betreffend das Projekt P* nominell auch nach lit (a) – sowie mit dem Hinweis, der Rücktritt erfülle „auch die in der Subklausel 15.2 (e) und im Art 635 des polnischen Zivilgesetzbuchs in Verbindung mit Art 656 des polnischen Zivilgesetzbuchs festgelegten Voraussetzungen“. Eine Nachfrist für die Durchführung weiterer Arbeiten bzw für das Fertigstellen der Bauarbeiten setzte bzw gewährte die Klägerin der Schuldnerin mit diesen Schreiben nicht.
[13] Mit Schreiben vom jeweils 1. 7. 2013 trat die mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom 19. 6. 2013 bestellte besondere Verwalterin Dr. R* gemäß § 21 IO von den beiden Bauverträgen zurück. Sie erlangte von der Existenz der beiden Vertragskündigungsschreiben der Klägerin vom 21. 6. 2013 erstmals mit Schreiben vom 11. 7. 2013 Kenntnis. Zum Zeitpunkt des Zugangs dieses Schreibens hatte sie bereits selbst mit Schreiben vom 1. 7. 2013 den Vertragsrückritt gegenüber der Klägerin gemäß § 21 IO erklärt. Im Schreiben vom 11. 7. 2013 wurde bestätigt, dass das Rücktrittschreiben Dris. R* vom 1. 7. 2013 der Klägerin bereits zugegangen war.
[14] Dem Beklagten gelangten die Vertragskündigungsschreiben der Klägerin vom 21. 6. 2013 erst im Zuge des gegenständlichen Gerichtsverfahrens zur Kenntnis.
[15] Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin war der Klägerin vor Erstellung der beiden Kündigungsschreiben vom 21. 6. 2013 bereits bekannt.
[16] Der Beklagte war von der Insolvenzeröffnung (19. 6. 2013) bis zur Schließung des Unternehmens der Schuldnerin am 24. 6. 2013 bemüht, den Betrieb des Unternehmens aufrecht zu erhalten; das Unternehmen wurde in diesem Zeitraum bis 24. 6. 2013 auch tatsächlich fortgeführt. Eine weitere Unternehmensfortführung scheiterte letztlich daran, dass es nicht möglich war, den laufenden Betrieb der Schuldnerin zu finanzieren.
[17] Beim Projekt O* wurden am 19. 6. 2013 alle Baugeräte von der Schuldnerin abgeholt. Sie beendete an diesem Tag ihre Bauarbeiten auf dieser Baustelle. Bis dahin waren ihre Arbeiten auf der Baustelle sehr gut vorangeschritten. Das Projektende war für den 27. 6. 2013 vorgesehen gewesen, wobei es sich um eine bereits verlängerte Frist gehandelt hatte. Am 19. 6. 2013 waren die Arbeiten der Schuldnerin bei diesem Projekt zu 87,68 % abgeschlossen. Aufgrund der Beendigung der Arbeiten durch die Schuldnerin musste die Klägerin eine Neuausschreibung durchführen. Die Arbeiten waren dann tatsächlich etwa im Juni 2015 abgeschlossen.
[18] Die Arbeiten beim Projekt P* wurden bis April 2013 in gutem Tempo von der Schuldnerin vorangetrieben. Ab Mai 2013 ließ das Tempo der Bauarbeiten nach. Am 19. 6. 2013 gab es mittags, nachdem am Vormittag noch gearbeitet worden war, Signale, dass die Schuldnerin die Bauarbeiten einstellen werde. Die Schuldnerin wurde seitens der Klägerin erfolglos zur Fortsetzung der Arbeiten aufgefordert. Per 21. 6. 2013 waren circa 72 % der Arbeiten dieses Projekts abgeschlossen. Für seine Fertigstellung musste die Klägerin eine Neuausschreibung durchführen. Das Projekt wurde tatsächlich am 16. 9. 2014 abgeschlossen.
[19] Das Berufungsgericht bestätigte das klageabweisende Teilurteil des Erstgerichts. Es führte – soweit für das Verständnis des Revisionsurteils von Relevanz – aus, der Vertragsrücktritt der besonderen Verwalterin vom 1. 7. 2013 habe keinen Anspruch der Klägerin auf die begehrten Vertragsstrafen ausgelöst, weil es gemäß §§ 21 iVm 25b IO unzulässig sei, Vertragsstrafen unabhängig vom tatsächlich eingetretenen Schaden für den Fall des Rücktritts des Insolvenzverwalters bzw der besonderen Verwalterin zu verlangen. Auf einen eigenen Rücktritt könne sich die Klägerin nicht berufen. Der von ihr im Rücktrittsschreiben angezogene Beendigungsgrund nach Punkt 15.2. (e) der Vertragsbedingungen verstoße gegen § 25b Abs 2 IO. Ebensowenig rechtfertigten Punkt 15.2. (a), (b) und (c) der Vertragsbedingungen ihren Rücktritt, weil sie hierfür eine Kündigungsfrist von 14 Tagen einhalten hätte müssen. Zudem habe sie das Vorbringen des Beklagten, auch nach dem auf das Vertragsverhältnis anzuwendenden polnischen Zivilrecht handle es sich beim Vertragsrücktritt um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, nicht bestritten; bei Zugang ihrer Rücktrittserklärungen an die besondere Verwalterin Dr. R* sei aber deren eigener Vertragsrücktritt nach § 21 IO bereits wirksam und es seien dadurch die beiden Bauverträge beendet gewesen. Vor diesem Hintergrund könne offenbleiben, ob die Kündigungen (Rücktrittsschreiben) der Klägerin § 25a IO entsprachen. Zum Verzug als Vertragsrücktrittsgrund nach Art 635 iVm 656 des polnischen Zivilgesetzbuchs vertrat das Berufungsgericht (erkennbar) die Ansicht, es handle sich dabei um dispositives Recht, welches hier durch Punkt 15.2. des vereinbarten Mustervertrags verdrängt werde; der sich darin findende Satz „Die Entscheidung des Arbeitgebers, den Vertrag zu kündigen, berührt keine anderen vertraglichen oder anderweitigen Rechte des Arbeitgebers.“ ändere hieran nichts, weil er sich offensichtlich auf andere Rechte als die Kündigung an sich beziehe.
[20] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision mit der Begründung für zulässig, dass keine Rechtsprechung dazu vorliege, inwieweit Vertragsstrafen bei Rücktritten des Masseverwalters gemäß § 21 IO nach § 25b IO unzulässig sind.
[21] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die aus dem Rechtsmittelgrund des § 503 Z 4 ZPO erhobene Revision der Klägerin mit einem auf Klagestattgebung gerichteten Abänderungsantrag.
[22] Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
[23] Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, im Ergebnis aber nicht berechtigt.
[24] I. Gemäß § 103 Abs 1 Satz 1 IO sind in der Anmeldung (unter anderem) „der Betrag der Forderung und die Tatsachen, auf die sie sich gründet, […] zu bezeichnen“. Es müssen also Grund und Höhe der behaupteten Ansprüche aus der Forderungsanmeldung abgeleitet werden können (RS0111042 [T2]; 6 Ob 212/18x [Pkt 2.]). Die Forderungsanmeldung selbst muss die anspruchsbegründenden Tatsachen enthalten (5 Ob 309/87; 8 Ob 16/94; RS0089657 [T5]). Mit anderen Worten muss die Forderungsanmeldung schlüssig sein (8 Ob 288/99g; 17 Ob 22/19p [Pkt II.3.]). Ist dies nicht der Fall steht § 110 Abs 1 IO – wonach ein Gläubiger, dessen Forderung in Ansehung der Richtigkeit oder Rangordnung streitig geblieben ist, deren Feststellung, sofern der streitige Rechtsweg zulässig ist, mit Klage geltend machen kann – der Erhebung der Prüfungsklage auch dann entgegen, wenn die angemeldete Forderung das Prüfungsverfahren durchlaufen hat (RS0111042 [T2]).
[25] Die hier interessierenden, oben wiedergegebenen Teile der Forderungsanmeldung sind – entgegen der Revisionsbeantwortung – schlüssig. Die Klägerin behauptete stimmig in ihrer Anmeldung hinsichtlich beider Bauvorhaben jeweils eine Vertragsstrafenvereinbarung bestimmten Inhalts, aus der sich eine zehnprozentige Vertragsstrafe von zum einen 22.493.945,59 EUR, zum anderen 3.504.208,22 EUR ergebe. Dass sie als Insolvenzforderungen hiervon – nach Einschränkung – letztlich nur einen Teilbetrag von 12.431.315,71 EUR bzw 1.750.815,22 EUR festgestellt haben möchte, ist ebenso wenig zu beanstanden (vgl § 55 Abs 3 JN, statt vieler Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht6 [2024] Rz 503).
[26] II. 1. Die zwischen der Klägerin und der Schuldnerin geschlossenen Verträge unterliegen unstrittig polnischem Recht. Es handelt sich um Bauverträge nach Art 647 ff des polnischen Zivilgesetzbuchs (plZGB).
Die Verträge nennen als Voraussetzung der Vertragsstrafen von jeweils 10 % einen „Vertragsrücktritt aus den vom Unternehmer zu vertretenden Gründen“. Ein von diesem Vertragswortlaut abweichender gemeinsamer Wille der Vertragsparteien wurde im Verfahren weder behauptet, noch ist ein solcher aus den Feststellungen ersichtlich. Auch aus dem Vertragszweck ergibt sich keine Notwendigkeit für eine Abweichung vom Vertragswortlaut. Für einen solchen Fall sieht das polnische Zivilrecht vor, dass vom Vertragswortlaut auszugehen ist (Art 65 § 2 plZGB; vgl Liebscher/Zoll in Liebscher/Zoll, Einführung in das polnische Recht [2005] § 5 Rz 24; Motyka-Mojkowski, Polnisches Zivilrecht AT I [2010] Rz 233).
[27] Die revisionsgegenständlichen Vertragsstrafen setzen damit jeweils voraus, dass sich die Klägerin auf einen Vertragsrücktritt berufen kann und dass dieser „aus vom Unternehmer zu vertretenden Gründen“ erfolgte.
[28] 2. Wie vom Berufungsgericht bereits ausgeführt und von den Parteien im Revisionsverfahren mit Grund nicht angezweifelt, bestimmt im vorliegenden Fall aufgrund von Art 4 Abs 2 lit e der hier noch anzuwendenden EuInsVO 2000 aber das österreichische Recht als das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung, wie sich das Insolvenzverfahren auf laufende Verträge des Schuldners auswirkt (lex fori concursus; vgl 1 Ob 24/18p [Pkt 1.2.]). Das betrifft insbesondere die Frage, ob und inwieweit dem Insolvenzverwalter (hier: der besonderen Verwalterin) ein Recht zur außerordentlichen Vertragsbeendigung zukam (§§ 21 ff IO) sowie die Behandlung für den Insolvenzfall vereinbarter vertraglicher Lösungsmöglichkeiten (§ 25b IO; Maderbacher in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze [2007] Art 4 EuInsVO Rz 36 f).
[29] 3. Damit war – ungeachtet der Anwendung polnischen Rechts auf die Bauverträge – hier die besondere Verwalterin nach § 21 IO zum Vertragsrücktritt befugt (vgl zur – insofern unveränderten – Rechtslage nach der EuInsVO 2015 Widhalm-Budak in Konecny, Insolvenzgesetze [2017] § 21 IO Rz 170 und Perner in KLS, IO2 [2022] § 21 Rz 12; ebenso zur Rechtslage vor dem EG-Beitritt Österreichs 4 Ob 542/92 = RS0064404 und Gamerith in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 I [2000] § 21 Rz 54).
[30] 4. Die Klägerin hält in ihrer Revision ihren Rechtsstandpunkt aufrecht, bereits wegen des Rücktritts der besonderen Verwalterin berechtigt zu sein, die vertraglich vereinbarten Vertragsstrafen als Insolvenzforderungen geltend zu machen.
[31] 4.1. Gemäß § 25b Abs 1 IO – vor dem IRÄG 2010: § 25a KO – können sich die Vertragsteile auf Vereinbarungen, wodurch die Anwendung der §§ 21 bis 25a IO im Verhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt wird, nicht berufen. Ein Ausschluss oder eine Beschränkung im Sinne dieser Vorschrift liegt nach der Rechtsprechung bereits vor, wenn dem Insolvenzverwalter (im vorliegenden Fall: der besonderen Verwalterin) die Ausübung eines ihm in den §§ 21 ff IO eingeräumten Rechts auch nur – sei es rechtlich, sei es wirtschaftlich – erschwert wird (zu §§ 23 iVm 25a KO: 8 Ob 210/97i = ecolex 1998, 397 [Riel]). Die Literatur vertritt ebensolches (Fichtinger/Foglar-Deinhardstein, Die Zulässigkeit von Lösungsklauseln für den Insolvenzfall nach dem IRÄG 2010, insbesondere bei Kreditgeschäften, ÖBA 2010, 818 [823 f]; A. Weber, Das Schicksal von Konventionalstrafen in der Insolvenz, ZIK 2012, 168 [169]; Konecny, Vertragsauflösung nach der IO, in Jaufer/Nunner-Krautgasser/Schummer, Stellung der Gläubiger im Insolvenzverfahren [2015] 3 [23 f]; Widhalm-Budak in Konecny, Insolvenzgesetze [2017] § 21 IO Rz 279 f; Dellinger/Oberhammer/Koller, Insolvenzrecht5 [2023] Rz 307).
[32] 4.2. § 25b Abs 1 IO ist jedenfalls erfüllt, wenn der bloße Umstand, dass der Insolvenzverwalter sich zur Ausübung des ihm nach § 21 IO offenstehenden Rücktritts entschließt, zur Grundlage einer Pönalforderung gegen ihn gemacht wird (1 Ob 51/05i [Pkt 1.]).
[33] 4.3. In einem solchen Fall wird überwiegend angenommen, dass zwar die Pönalvereinbarung nicht unwirksam sei, die Pönale dem Vertragspartner aber nur insoweit zustehe, als ihm tatsächlich Schäden entstanden sind (5 Ob 304/76; 1 Ob 51/05i [Pkt 1.]; RS0032080; Fichtinger/Foglar-Deinhardstein aaO 823; Konecny aaO 23 f). Dafür, dass die tatsächlichen Schäden geringer als die vereinbarte Konventionalstrafe ist, trägt nach der Entscheidung 5 Ob 304/76 der Insolvenzverwalter die Behauptungs‑ und Beweislast. Der Oberste Gerichtshof führte als Grund hierfür den allgemeinen Grundsatz an, dass die Behauptungs- und Beweislast denjenigen treffe, der eine für ihn günstige Rechtsnorm in Anspruch nehmen will. Für den Fall eines Beweisnotstands des beklagten Masseverwalters wurde in der Entscheidung angemerkt, dass dann „die Klägerin im Rahmen des Zumutbaren wohl die Pflicht [trifft], ihr zur Verfügung stehende Beweismittel nicht vorzuenthalten, denn es widerspräche Treu und Glauben, wenn sich die Klägerin, deren geschäftlichen Verhältnisse und Möglichkeiten dem beklagten Masseverwalter nicht überschaubar sind, hinter den allfälligen Beweis-schwierigkeiten ihres Prozessgegners verschanzen würde“.
[34] 4.4. Es wird in der Literatur aber auch die Ansicht vertreten, ohne Berücksichtigung des dem Vertragspartner tatsächlich entstandenen Schadens an die Ausübung des Rücktrittsrechts anknüpfende Vertragsstrafen seien nach § 25b Abs 1 IO unzulässig. Als Begründung hierfür wird angegeben, dem Vertragspartner stehe ohnehin der Schadenersatzanspruch nach § 21 Abs 2 IO offen, weshalb es keiner „geltungserhaltenden Reduktion“ der Vertragsstrafeklausel bedürfe (so Widhalm-Budak aaO Rz 280 [iVm Rz 279]).
[35] Diese Ansicht überwiegt zudem – bei im Wesentlichen gleicher Rechtslage – in Deutschland; hier wird ausdrücklich auch eine für den Fall des Rücktritts des Insolvenzverwalters nach – § 21 IO entsprechend – § 103 InsO vereinbarte Schadenspauschalierung als nach – § 25b IO entsprechend – § 119 InsO unzulässig erachtet, „weil dann der Insolvenzverwalter darlegen und beweisen müsste, dass die Nichterfüllungsforderung tatsächlich geringer ist als die Schadenspauschale, zu seinen Lasten also die Darlegungs- und Beweislast umgekehrt würde“ (so Huber in MünchKommInsO4 [2019] § 119 Rz 57 [aE]; ebenso Sinz in Uhlenbruck, InsO15 [2019] § 119 Rz 3; Marotzke in Kayser/Thole, Insolvenzordnung11 [2023] § 119 Rz 177). Dass die Auferlegung einer Vertragsstrafe für den Fall der Nichterfüllungswahl unzulässig ist, judiziert auch der BGH (IX ZR 162/04 = NZI 2006, 229 [Rz 27]).
[36] 4.5. Der Fachsenat schließt sich der zuletzt genannten Ansicht an. Es reicht anerkanntermaßen für die Unwirksamkeit einer Vereinbarung nach § 25b IO, dass mit ihr dem Insolvenzverwalter die Ausübung eines ihm nach §§ 21 bis 25a IO zukommenden Rechts bloß erschwert wird. Die Umkehr der Behauptungs- und Beweislast stellt eine solche Erschwerung dar. Daran änderte auch eine allfällige, in 5 Ob 304/76 angedachte Pflicht der dem Insolvenzverwalter gegenüberstehenden Partei, diesem für den Fall eines Beweisnotstands keine Beweismittel vorzuenthalten, nichts, weil auch diesfalls ein non liquet darüber, ob der Gegenpartei im Ausmaß der vereinbarten Vertragsstrafe überhaupt Schäden entstanden sind, zu Lasten des Insolvenzverwalters ginge, wohingegen ihm ohne die vereinbarte Vertragsstrafe von der Gegenpartei für deren Schadenersatzanspruch nach § 21 Abs 2 Satz 3 IO nachzuweisen wäre, dass dieser durch seinen Vertragsrücktritt Schäden in bestimmter Höhe entstanden (vgl zu § 103 InsO zB Wegener in Uhlenbruck, InsO15 [2019] § 103 Rz 175 mwN).
[37] § 25b Abs 1 IO steht damit einer Auslegung der gegenständlichen Vertragsstrafeklausel dahin, dass sie auch für einen vom Insolvenzverwalter bzw hier von der besonderen Verwalterin erklärten Vertragsrücktritt gelte, entgegen. Der Vertragsrücktritt der besonderen Verwalterin nach § 21 IO vermochte daher nicht die vereinbarte Vertragsstrafe von 10 % auszulösen.
[38] 5. Die Klägerin hält in der Revision ihren Standpunkt aufrecht, selbst berechtigt nach polnischem Zivilrecht wegen Verzugs des Schuldners vom Vertrag zurückgetreten zu sein, sodass dadurch im Sinne der Vertragsstrafeklausel ein Rücktritt vom Vertrag aus von der Auftragnehmerin (Schuldnerin) zu vertretenden Gründen vorliege.
[39] 5.1. Das plZGB sieht in seinem XVI., dem Bauvertrag gewidmeten Titel in Art 656 unter anderem vor, dass auf die Folgen der Verspätung des Unternehmers mit der Beendigung des Objekts wie auch auf das Recht des Bauherrn, vor der Fertigstellung des Objekts vom Vertrag zurückzutreten, die Vorschriften über den Werkvertrag entsprechende Anwendung finden. Die verwiesene werkvertragsrechtliche Vorschrift des Art 635 plZGB sieht das Recht des Bestellers vor, ohne Setzung einer zusätzlichen Frist noch vor Ablauf der Frist zur Fertigstellung des Werks vom Vertrag zurückzutreten, wenn sich der Unternehmer mit – hier interessierend – der Beendigung des Werks so verspätet, dass es nicht wahrscheinlich ist dass er dieses innerhalb des vereinbarten Zeitraums fertigstellt.
[40] 5.2. Tritt der Insolvenzverwalter vom Vertrag nach § 21 Abs 1 IO zurück, sind ab der Wirksamkeit der Rücktrittserklärung weder von der Masse noch vom Vertragspartner Leistungen zu erbringen: Die weitere Erfüllung unterbleibt endgültig, also auch nach Insolvenzaufhebung (Perner in KLS, IO2 [2022] § 21 Rz 40 mwN; vgl auch RS0064493 [T1]). Mag der Schuldner sich vor dem Rücktritt des Insolvenzverwalters bereits in Verzug befunden haben (vgl Konecny, Vertragsauflösung wegen Zahlungsverzugs und Schuldnerinsolvenz, in FS Krejci [2001] 1809 [1818 f]), liegt nach dem Rücktritt mithin kein Verzug mehr vor (Widhalm-Budak in Konecny, Insolvenzgesetze [2017] § 21 IO Rz 287). Schon aus diesem Grund sind Vorschriften, die dem Vertragspartner bei Leistungsverzug ein Rücktrittsrecht einräumen, nach dem Rücktritt des Insolvenzverwalters nicht mehr erfüllt (Widhalm-Budak aaO [zum Rücktritt nach § 918 ABGB]; iglS zum deutschen Recht, insbesondere dem ausgeschlossenen Rücktritt des Vertragspartners nach § 323 Abs 1 BGB, Wegener in Uhlenbruck, InsO15 [2019] § 103 Rz 106 f mwN [mit der Einschränkung, dass dies nur für die Dauer des Insolvenzverfahrens gelte]; Bärenz, Von der Erlöschenstheorie zur Theorie der insolvenzrechtlichen Modifizierung – zur Dogmatik der neuen BGH-Rechtsprechung zu § 103 InsO, NZI 2006, 72 [75]; Huber in MünchKommInsO4 [2019] § 103 Rz 139; Huber in Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch6 [2020] § 34 Rz 32; Christiani in Nerlich/Kreplin/Rhode, Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung4 [2023] § 37 Rz 19; Gogger in Gogger/Fuhst, Insolvenzgläubiger-Handbuch4 [2020] § 3 Rz 29, 31).
[41] Für das von der Klägerin angezogene Rücktrittsrecht nach Art 635 iVm 656 plZGB kann nichts anderes gelten, setzt dieses doch eine solche Verspätung des Unternehmers mit der Beendigung des Werks voraus, dass eine fristgerechte Fertigstellung des Werks unwahrscheinlich ist, mithin einen wahrscheinlichen Verzug (vgl Bobrzyński/Liebscher/Zoll in Liebscher/Zoll, Einführung in das polnische Recht [2005] § 7 Rz 135 f; Steudner, Polnisches Schuldrecht BT III [2010] Rz 454, 463, 488).
[42] Dass der Rücktritt nach Art 635 iVm 656 plZGB eine empfangsbedürftige Willenserklärung ist, stellt die Klägerin nicht in Abrede. Als der Rücktritt der Klägerin (mit Schreiben vom 21. 6. 2013) der besonderen Verwalterin Dr. R* zuging, war deren Rücktrittserklärung aber bereits durch Zugang an die Klägerin wirksam geworden und befand sich damit die Schuldnerin jedenfalls nicht mehr in Verzug. Damit ist aber der von der Klägerin erklärte Rücktritt nicht wirksam erfolgt. Aus ihm kann damit aber auch keine Vertragsstrafe abgeleitet werden.
[43] 6. Die Klägerin hält in ihrer Revision weiters ihren Standpunkt aufrecht, wirksam nach den von ihr angezogenen Unterpunkten lit a, b und c von Punkt 15.2. des FIDIC-Mustervertrags 1999 und damit aus von der Schuldnerin zu vertretenden Gründen vom Vertrag zurückgetreten zu sein und damit Anspruch auf die vereinbarten Vertragsstrafen zu haben. Sie bestreitet dabei die Richtigkeit der Ansicht des Berufungsgerichts, sie habe in Hinsicht auf lit a bis c der zitierten Vertragsbestimmung schon mangels Einhaltung der vorgesehenen 14-tägigen Frist die Verträge nicht wirksam gekündigt. Weiters beharrt die Klägerin auch darauf, nach lit e der genannten Vertragsbestimmung wirksam zurückgetreten zu sein und damit die Vertragsstrafen beanspruchen zu können.
[44] 6.1. In der Literatur wird es als nicht eindeutig betrachtet, ob bei jenen Rücktrittsgründen, für die Punkt 15.2. des FIDIC-Mustervertrags 1999 eine Kündigungsfrist von 14 Tagen vorsieht, wie die hier von der Klägerin angezogenen Gründe nach lit a, b und c, die Kündigung 14 Tage im Vorfeld anzukündigen und anschließend zu erklären ist, oder ob eine Erklärung ausreicht, mit der für den Fall, dass der Beanstandung nicht innerhalb der Frist entsprochen werden sollte, bereits der Rücktritt erklärt wird (vgl Breyer in Straube/Aicher/Ratka/Rauter, Handbuch Bauvertrags‑ und Bauhaftungsrecht II [2017] Kap 13.3.11.2; Demblin/Mörth, FIDIC Bau‑ und Anlagenbauverträge2 [2019] Rz 480). Dass ein ohne die vom Mustervertrag klar geforderte Nachfrist von 14 Tagen erklärter Rücktritt wirksam sei, wird in der Literatur hingegen – soweit ersichtlich – nicht vertreten. Vielmehr wird formuliert, der Auftraggeber habe „eine 14-tägige Nachfrist zu setzen, bevor eine Vertragsauflösung möglich ist“ (Gallistel, Der Bauvertrag nach den FIDIC Conditions [Teil III], ZVB 2018, 184 [184]).
[45] Die Annahme der Wirksamkeit einer Kündigung ohne Setzung der im Vertrag verlangten Nachfrist ist schon deshalb abzulehnen, weil dem Werkunternehmer dadurch das Recht genommen würde, innerhalb der Nachfrist das Fehlende noch nachzuholen. Gerade wenn – wie hier – an den Rücktritt eine so wesentliche Rechtsfolge wie eine zehnprozentige Vertragsstrafe geknüpft wird, ist zu fordern, dass dieser vertragsgemäß erfolgte, was hier aber zu verneinen ist.
[46] Ob eine Leistungsfrist laut FIDIC‑Mustervertrag 1999 dann nicht gesetzt werden muss, wenn bereits klar ist, dass der andere Teil die (weitere) Leistung dauerhaft verweigern wird, kann hier offen bleiben, weil im Zeitpunkt des Rücktrittsschreibens am 21. 6. 2013 die Bautätigkeiten zwar eingestellt waren, deren endgültiges Unterbleiben aber erst mit dem Vertragsrücktritt der besonderen Verwalterin vom 1. 7. 2013 feststand.
[47] 6.2. Für den Kündigungsgrund nach Punkt 15.2. lit e des Mustervertrags ist demgegenüber keine Kündigungsfrist vorgesehen.
[48] Das – wie in Punkt II.2. ausgeführt insofern anzuwendende – österreichische Recht erklärt aber in § 25b Abs 2 IO (außer bei – hier nicht vorliegenden – Verträgen nach § 20 Abs 4 IO) die Vereinbarung eines Rücktrittsrechts oder der Vertragsauflösung für den Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für unzulässig. Ob die Vorschrift zur Vermeidung von Umgehungen auch abseits eines unmittelbar an die Insolvenzeröffnung anknüpfenden Rücktrittsrechts anzuwenden ist, etwa wenn an eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage oder – wie in der gegenständlichen Klausel – sogar (auch) an die Zahlungsunfähigkeit angeknüpft wird, ist strittig (restriktiv Nunner-Krautgasser, IRÄG 2010: Insolvenzverfahren und Vertragsauflösungssperre, in Konecny, Insolvenz-Forum 2009 [2010] 81 [101]; grundsätzlich extensiv: Konecny, Das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010, ZIK 2010, 82 [86]; Anzenberger, Vertragsauflösungssperre und Umgehungsmöglichkeiten, in Nunner-Krautgasser/Kapp/ Clavora, Insolvenz‑ und Sanierungsrecht Jahrbuch 2013 [2013] 221 [229 ff]; Perner in KLS, IO2 [2022] § 25b Rz 9).
[49] Ein näheres Eingehen hierauf kann schon deshalb unterbleiben, weil sich die Klägerin in ihrer Revision mit der Beurteilung des Berufungsgerichts, § 25b Abs 2 IO mache auch eine Umgehung, etwa durch Anknüpfung an die Zahlungsunfähigkeit, unzulässig und die Klägerin könne wegen des (damit vorliegenden) Verstoßes gegen diese Gesetzesvorschrift ihren Rücktritt nicht auf die Subklausel 15.2. lit e stützen, nicht auseinandersetzt. Setzt sich eine Revision mit einer von mehreren Anspruchsgrundlagen (hier: Kündigungsgründe) und deren Behandlung durch das Berufungsgericht nicht auseinander, ist sie insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RS0043605 [T2]).
[50] 6.3. Im Übrigen übergeht die Klägerin bei ihrer Geltendmachung von Kündigungsgründen nach Punkt 15.2. des Mustervertrags, dass ein solcher Rücktritt nur ex nunc erfolgt (Hamerl in Weselik/Hamerl, Handbuch des internationalen Bauvertrags [2015] 241; Gallistel aaO 185; Mahnken in Fuchs/Grieger, Handbuch internationales Baurecht [2021] Kap 3 Rz 300). Wo – wie hier – der Vertrag bereits wirksam nach § 21 IO beendet wurde, ist für einen erst danach wirksam werdenden ex nunc wirkenden Vertragsrücktritt der anderen Vertragspartei kein Raum mehr.
[51] Hinzu kommt, dass der vom Erstgericht zur Ermittlung des polnischen Rechts hinzugezogene Sachverständige ausführte, dass nach diesem nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur der Masseverwalter berechtigt ist, vom Vertrag zurückzutreten und die andere Partei ihre Berechtigung zum Vertragsrücktritt verliert. Auch hiervon ausgehend kann den nach der Insolvenzeröffnung erfolgten Vertragsrücktritten der Klägerin keine Wirksamkeit zuerkannt werden und ist es folglich auch nicht zulässig, aus ihnen die verfahrensgegenständlichen Vertragsstrafen von jeweils 10 % abzuleiten.
[52] 7. Die Tatbestandsvoraussetzungen der gegenständlichen Vertragsstrafeklausel sind damit nicht erfüllt. An den Rücktritt der besonderen Verwalterin nach § 21 IO kann die Vertragsstrafe aufgrund von § 25b Abs 1 IO nicht angeknüpft werden; ein eigener wirksamer Rücktritt der Klägerin liegt nicht vor, dies weder nach Punkt 15.2. lit a, b, c oder e des Mustervertrags noch nach Art 635 iVm 656 plZGB. Die Bestätigung des klageabweisenden erstgerichtlichen Teilurteils durch das Berufungsgericht ist folglich nicht zu beanstanden. Der Revision war der Erfolg zu versagen.
[53] 8. Eine Kostenentscheidung ist aufgrund des erstgerichtlichen Kostenvorbehalts gemäß § 52 Abs 3 Satz 1 ZPO nicht zu treffen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)