OGH 16Ok6/25f

OGH16Ok6/25f19.5.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Kartellobergericht durch den Hofrat Dr. Annerl als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher und den Hofrat Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1030 Wien, Radetzkystraße 2, gegen die Antragsgegnerinnen 1. P* AG, 2. P* GmbH, 3. T* GmbH, 5. T* GmbH, jeweils *, und 6. G. *gesellschaft m.b.H., *, alle vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Wien, wegen Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 KartG, hier über den Antrag der Einschreiterin Gemeinde *, vertreten durch die Brand Rechtsanwälte GmbH in Wien, auf Akteneinsicht, über den Rekurs der Einschreiterin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 18. März 2025, GZ 26 Kt 5/21m‑96, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0160OK00006.25F.0519.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antrag der Einschreiterin auf Akteneinsicht vom 12. Februar 2024 nicht abgewiesen, sondern zurückgewiesen wird.

 

Begründung:

[1] Mit rechtskräftigem Beschluss vom 17. 2. 2022 verhängte das Erstgericht über die Antragsgegnerinnen wegen Zuwiderhandlungen gegen § 1 KartG 2005 und Art 101 AEUV durch Preisabsprachen, Marktaufteilungen sowie einen unzulässigen Informationsaustausch in Bezug auf öffentliche und private Ausschreibungen im Bereich Hoch- und Tiefbau im Zeitraum von Juli 2002 bis Oktober 2017 eine Geldbuße von 62,35 Mio EUR. Diese Entscheidung wurde am 25. 7. 2022 in der Ediktsdatei veröffentlicht. Von der Veröffentlichung wurden nur Angaben zu prognostizierten (Konzern-)Umsätzen der Erstantragsgegnerin sowie bestimmte Verweise auf Urkunden zu Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen ausgenommen.

[2] Die Einschreiterin beantragte bereits mit (erstem) Antrag vom 6. 12. 2022 Akteneinsicht in den verfahrenseinleitenden Antrag und die weiteren Schriftsätze der Antragstellerin, in die von ihr vorgelegten Urkunden, in Schriftsätze der Antragsgegner und in die von diesen vorgelegten Urkunden, in Schriftsätze und vorgelegte Urkunden des Bundeskartellanwalts sowie in Verhandlungsprotokolle, Beschlüsse und Verfügungen des Kartellgerichts, insbesondere in den in Rechtskraft erwachsenen Beschluss über die Verhängung der Geldbuße, jeweils ausgenommen Vergleichsausführungen und allfällige Kronzeugenerklärungen.

[3] Das Erstgericht wies diesen (ersten) Antrag mit Beschluss vom 31. 1. 2023 ab. Dem dagegen erhobenen Rekurs gab der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht mit Beschluss vom 2. 5. 2023 zu 16 Ok 1/23t nicht Folge.

[4] Mit als „zweiter Antrag auf Akteneinsicht“ bezeichnetem Schriftsatz vom 12. 2. 2024 beantragte die Einschreiterin (neuerlich) Akteneinsicht in jene Teile des Aktes des Kartellgerichts, in denen sie als Geschädigte bzw Opfer namentlich genannt werde, aus denen sich die Firmenwortlaute oder abstrakten Umschreibungen der anderen Mittäter, die die Einschreiterin geschädigt hätten, ergäben, und/oder aus denen der Inhalt der die Einschreiterin betreffenden kartellrechtswidrigen Absprachen, ihr Schaden oder sonstige Informationen, die für die Erhebung einer Schadenersatzklage relevant seien, ersichtlich seien. Ausgenommen seien Vergleichsausfertigungen und allfällige Kronzeugenerklärungen.

[5] Zur Begründung verwies sie vor allem auf ihren ersten Antrag auf Akteneinsicht vom 6. 12. 2022. Ergänzend führte die Einschreiterin aus, dass sich aus dem „jeweiligen Werkvertrag, den [sie] jeweils nur mit einem einzigen der Kartellanten abgeschlossen habe“ nicht ergebe, welche kartellrechtswidrige Vereinbarung ihr Vertragspartner mit anderen Kartellteilnehmern getroffen habe. Auch der zweite Antrag auf Akteneinsicht bezwecke, herauszufinden, mit welchen anderen Unternehmen sich die Antragsgegner im Zusammenhang mit den von der Einschreiterin erteilten Aufträgen abgesprochen hätten. Da diese der Einschreiterin nicht bekannt seien, könne sie ihre zivilrechtlichen Ersatzansprüche ohne die angestrebte Akteneineinsicht nicht „gegen alle Haftenden gemeinsam“ durchsetzen. Sie verfüge auch über keine Information dazu, ob sie durch die anderen Kartellteilnehmer „substanziell“ geschädigt worden sei, sodass sie nicht einschätzen könne, ob die Einleitung eines Haftungsprozesses wirtschaftlich sinnvoll sei. Ihr Interesse als Opfer der Kartellabsprachen sei jedenfalls höher zu bewerten, als das Geheimhaltungsinteresse der daran beteiligten Unternehmer.

[6] Die Antragstellerin sowie der Bundeskartellanwalt verwiesen zu diesem (zweiten) Antrag auf Akteneinsicht auf ihre Stellungnahmen zum ersten Antrag der Einschreiterin.

[7] Die Antragsgegnerinnen sprachen sich gegen die neuerlich angestrebte Akteneinsicht aus.

[8] Das Erstgericht wies auch den zweiten Antrag der Einschreiterin auf Akteneinsicht ab. Es verwies auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu vergleichbaren Anträgen, wonach die an einem Kartellverstoß beteiligten Unternehmer für den dadurch verursachten Schaden solidarisch hafteten und der Geschädigte seinen gesamten Schaden gegenüber einem Kartellanten geltend machen könne, weshalb ihm die Identität sämtlicher (weiterer) Kartellbeteiligten nicht bekannt sein müsse. Es sei auch nicht ersichtlich, warum die Einsicht in den Kartellakt ein effektives und gebotenes Mittel zur privatrechtlichen Durchsetzung des Wettbewerbsrechts gegenüber jenen Personen sein soll, die von der Wettbewerbsbehörde (in jenem Verfahren, in dem der Antrag auf Akteneinsicht gestellt worden sei) gar nicht „belangt“ worden seien. Der (Kartell‑)Geschädigte müsse im Haftungsprozess nur den – sich aus der veröffentlichten Bußgeldentscheidung ergebenden – Kartellverstoß sowie den Eintritt seines Schadens behaupten und beweisen. Die Abwägung, ob die gerichtliche Geltendmachung von Ersatzansprüchen wirtschaftlich sinnvoll sei, habe die Einschreiterin selbst vorzunehmen und lasse kein geschütztes Interesse an der angestrebten Akteneinsicht erkennen.

Rechtliche Beurteilung

[9] Der dagegen erhobene – von den Antragsgegnerinnen beantwortete – Rekurs der Einschreiterin ist nicht berechtigt:

[10] 1. Nach ständiger Rechtsprechung sind auch im außerstreitigen Verfahren ergangene Entscheidungen der materiellen und formellen Rechtskraft fähig (§ 43 Abs 1 AußStrG; RS0007171). Sie entfalten daher Einmaligkeits‑ und Bindungswirkung (RS0007171 [T13]). Dies gilt auch für im Kartellverfahren gefasste Beschlüsse (16 Ok 3/22g [Rz 114]; 16 Ok 3/24p [Rz 8]).

[11] 2. Die Rechtskraftwirkung setzt die Identität der Parteien, der Begehren und des rechtserzeugenden Sachverhalts voraus (RS0108828; RS0041340; 16 Ok 7/16i [ErwGr 2.2]).

[12] 3. Die Identität der Parteien des Verfahrens über den ersten Antrag auf Akteneinsicht und des Verfahrens über den hier zu beurteilenden, zweiten solchen Antrag der Einschreiterin liegt unzweifelhaft vor.

[13] 4. Auch die Begehren sind (teilweise) ident:

[14] 4.1. Im ersten (rechtskräftig abgewiesenen) Antrag beschrieb die Einschreiterin die Aktenstücke, auf die sich die Akteneinsicht beziehen sollte, formal nach dem jeweiligen Einbringer (Parteien) oder Urheber (Gericht), führte dabei aber letztlich sämtliche im vorliegenden Verfahren in Betracht kommenden Verfahrensbeteiligten an. Dieser Antrag – und damit auch die diesen abweisende Entscheidung – umfasste also den gesamten Akteninhalt mit den – auch im zweiten Antrag – genannten Ausnahmen.

[15] 4.2. Im vorliegenden Antrag wurde der Gegenstand der Akteneinsicht zwar inhaltlich – durch ein Abstellen auf eine namentliche Nennung oder inhaltliche Betroffenheit der Einschreiterin – umschrieben (mit im Vergleich zum ersten Antrag inhaltsgleichen Ausnahmen). Diese andere Umschreibung des Gegenstands der gewünschten Akteneinsicht ändert aber nichts daran, dass sie sich ausschließlich auf solche Aktenstücke bezieht, hinsichtlich derer eine Akteneinsicht bereits rechtskräftig abgelehnt wurde. Damit lag dem zweiten Antrag inhaltlich dasselbe Begehren zugrunde, wie dem ersten Antrag (der darüber hinausging).

[16] 5. Es besteht auch eine Identität des rechtserzeugenden Sachverhalts bzw des dazu erstatteten Vorbringens:

[17] 5.1. Die Einschreiterin begründete ihren zweiten Antrag auf Akteneinsicht damit, dass sie ohne diese keine Kenntnis von sämtlichen an den Kartellabsprachen beteiligten Unternehmern erlangen könnte. Darauf stützte sie sich aber bereits in ihrem ersten Antrag.

[18] 5.2. In ihrem zweiten Antrag argumentiert die Einschreiterin auch damit, dass sie die konkrete Höhe ihres Schadens ohne die angestrebte Akteneinsicht nicht bemessen könne, weshalb sie nicht einschätzen könne, ob eine gerichtliche Geltendmachung von Ersatzansprüchen wirtschaftlich sinnvoll sei. Auch darauf – nämlich auf das Argument, sie könne den ihr durch die Wettbewerbsverstöße verursachten Schaden ohne Akteneinsicht nicht bemessen – hat die Einschreiterin aber schon ihren ersten Antrag gestützt.

[19] 5.3. In der zum ersten Antrag auf Akteneinsicht ergangenen Entscheidung (16 Ok 1/23t [Rz 35]) ging der Senat auch auf das – auch im zweiten Antrag ins Treffen geführte – Argument ein, die Einschreiterin sei nicht „Täterin“ (Schädigerin), sondern „Opfer“ (Geschädigte) des Wettbewerbsverstoßes, woraus sie ihre besondere Schutzwürdigkeit im Akteneinsichtsverfahren ableitet.

[20] 6. Die Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft einer abweisenden Entscheidung stünde einer neuerlichen Geltendmachung desselben Begehrens dann nicht entgegen, wenn ein ursprünglich wegen eines unvollständigen Sachvorbringens („echt“; vgl RS0041402 [T1]) unschlüssiges Begehren durch Vortrag vollständiger Tatsachenbehauptungen schlüssig gestellt worden wäre (RS0041402; 16 Ok 3/24p [Rz 13]). Der Senat hielt dem ersten Antrag der Einschreiterin (zusammengefasst) entgegen, dass sie nicht dargelegt habe, warum ihr die Geltendmachung eines aus den festgestellten Wettbewerbsverletzungen abgeleiteten Ersatzanspruchs trotz Veröffentlichung der Bußgeldentscheidung unter Berücksichtigung aller ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Informationsgewinnung – darunter auch ihre eigenen Unterlagen zu ihren Bauvorhaben – ohne die angestrebte Akteneinsicht praktisch unmöglich oder übermäßig erschwert wäre. Dazu enthält aber auch ihr zweiter Antrag keine ausreichend konkreten Angaben.

[21] 7. Zusammengefasst wäre der – hier zu beurteilende – (zweite) Antrag der Einschreiterin auf Akteneinsicht somit schon vom Erstgericht wegen rechtskräftig entschiedener Sache zurückzuweisen gewesen. Der angefochtene Beschluss wird daher mit der Maßgabe bestätigt, dass dieser nicht abgewiesen, sondern zurückgewiesen wird.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte