OGH 16Ok2/25t

OGH16Ok2/25t26.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Kartellobergericht durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Parzmayr und Dr. Annerl und die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Herzele und KR Dr. Handig als weitere Richter in den verbundenen Kartellrechtssachen der Antragsteller 1. Bundeswettbewerbsbehörde, 1030 Wien, Radetzkystraße 2, und 2. Bundeskartellanwalt, 1011 Wien, Schmerlingplatz 11, gegen die Antragsgegnerinnen 1. E* Corporation, *, Vereinigte Staaten von Amerika, vertreten durch Dr. Michael Mayr, Rechtsanwalt in Wien, und bpv Hügel Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. J*, Vereinigte Staaten von Amerika, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Prüfung eines Zusammenschlusses nach § 11 KartG, über die Rekurse der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 3. Dezember 2024, GZ 127 Kt 8/24z, 127 Kt 9/24x‑15, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0160OK00002.25T.0326.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Den Rekursen wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

[1] Gegenstand der beiden verbundenen Zusammenschlussverfahren sind die Prüfungsanträge der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers betreffend den am 12. September 2024 bei der Erstantragstellerin angemeldeten Zusammenschluss zwischen der Erstantragsgegnerin (als erwerbendes Unternehmen) und der Zweitantragsgegnerin (als zu erwerbendes Unternehmen bzw Zielgesellschaft) sowie die Frage, ob das zu erwerbende Unternehmen in erheblichem Umfang im Inland im Sinn des § 9 Abs 4 Z 4 KartG tätig ist.

[2] Die in den Vereinigten Staaten von Amerika niedergelassene Erstantragsgegnerin ist eine führende Anbieterin von Therapien für strukturelle Herzerkrankungen und die damit verbundene Überwachung von Intensivstationen. Das Unternehmen sieht sich als Pionier in der Entwicklung von Herzklappentherapien und ist weltweit ein führender Hersteller von Herzklappensystemen und Herzklappenreparaturprodukten, mit denen eine kranke oder defekte Herzklappe eines Patienten repariert oder ersetzt wird („transcatheter aortic valve replacement – TAVR“). Ihre Arbeit umfasst sowohl chirurgische als auch Transkatheter-Therapien für den Ersatz und die Reparatur von Herzklappen. Weiters ist die Erstantragsgegnerin in den Bereichen künstliche Mitral- und Trikuspidalklappen des Herzens sowie Überwachungssysteme betreffend die Sauerstoffversorgung des Gehirns und des Gewebes tätig. Sie verfügt über eine Niederlassung im Inland (Wien).

[3] Die Erstantragsgegnerin erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2023 einen weltweiten Umsatz von über 5,5 Mrd EUR, wovon 1,234 Mrd EUR in der Europäischen Union (EU) und 34,5 Mio EUR in Österreich erzielt wurden.

[4] Die Zweitantragsgegnerin entwickelt und vertreibt ein Transkatheter-Aortenklappenersatzprodukt für die Behandlung schwerer, symptomatischer Aortaklappen-Insuffizienz („aortic regurgitation – AR“). Sie wurde 2006 in Deutschland gegründet und verlegte 2014 ihren Hauptsitz in die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie besitzt eine Tochtergesellschaft in Deutschland und eine in Großbritannien. In Österreich verfügt sie über keine eigenständige Niederlassung. Seit Mai 2021 ist das TAVR-AR-System „Trilogy“ in Europa sowohl für die Behandlung von symptomatischer schwerer AR als auch symptomatischer schwerer Aorta-Stenose („AS“) zugelassen. Es handelt sich derzeit um das einzige von der Zweitantragsgegnerin vermarktete Medizinprodukt und das einzige in der EU zugelassene TAVR-AR-Produkt mit CE‑Kennzeichnung.

[5] Der weltweite Gesamtumsatz der Zweitantragsgegnerin im Geschäftsjahr 2023 betrug ca 19 Mio EUR, davon wurden 1,95 Mio EUR in der EU und 57.000 EUR in Österreich erzielt. Im Jahr 2024 erhöhte sich der Inlandsumsatz auf etwa 95.000 EUR. Die Zweitantragsgegnerin verkaufte bisher acht Trilogy-TAVR-AR-Systeme in Österreich (drei im Jahr 2023 und fünf im Jahr 2024) an einen einzigen Abnehmer (Betreiberin eines Krankenhauses).

[6] Die Erstantragsgegnerin plant, sämtliche Anteile der Zweitantragsgegnerin durch die Leistung von 500 Mio USD (ca 460 Mio EUR) in Form von Vorabzahlungen an die derzeitigen Anteilseigner der Zweitantragsgegnerin sowie zusätzliche „Meilensteinzahlungen“ von insgesamt bis zu 445 Mio USD (ca 410 Mio EUR) zu erwerben.

[7] Am 12. September 2024 meldete die Erstantragsgegnerin bei der Erstantragstellerin die beabsichtigte, vor dem Ende des Kalenderjahres 2024 durchzuführende Übernahme der Zweitantragsgegnerin durch Verschmelzung mit einer von der Erstantragsgegnerin allein kontrollierten Tochtergesellschaft an. Zur Anmeldepflicht führte die Erstantragsgegnerin aus, dass sie das Zusammenschlussvorhaben rein vorsorglich aus Vorsichtsgründen sowie ohne Präjudiz und Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung anmelde. Zwar würden die Umsatz- und Transaktionswertschwellen gemäß § 9 Abs 4 Z 1 bis 3 KartG erreicht, das Zielunternehmen sei jedoch derzeit nicht in erheblichem Umfang in Österreich tätig.

[8] Die Erstantragstellerin (im Verfahren 127 Kt 8/24z des Erstgerichts) beantragte (unter Hinweis auf die Verlängerung der Prüffrist nach § 11 Abs 1a KartG) am 24. Oktober 2024 die Prüfung des Zusammenschlusses. Angesichts einer relativ rezenten Produkteinführung auf einem sich gerade erst entwickelnden Markt und der Anwendung in wenigen spezialisierten Behandlungszentren sei der erzielte Umsatz kein geeigneter Indikator für das wettbewerbliche Potenzial. Es sei aber von erheblichen Umsatzsteigerungen auszugehen, sodass – insbesondere mit Blick auf den 100%igen Marktanteil der Zweitantragsgegnerin im Segment AR – von einer erheblichen Inlandstätigkeit der Zweitantragsgegnerin auszugehen sei.

[9] Der Zweitantragsteller (im Verfahren 127 Kt 9/24x des Erstgerichts)beantragte (unter Hinweis auf die Verlängerung der Prüffrist nach § 11 Abs 1a KartG) am 24. Oktober 2024 die Prüfung des Zusammenschlusses. Durch den Zusammenschluss werde ein Monopol der Zweitantragsgegnerin geschaffen und die Erstantragsgegnerin könne ihre bestehende marktbeherrschende Stellung absichern. Mit dem Antrag brachte er unter anderem die (ihm offenkundig entsprechend § 10 Abs 3 Z 1 KartG von der Erstantragstellerin weitergeleitete) Anmeldung der Erstantragsgegnerin vom 12. September 2024 bei.

[10] Mit Beschluss vom 28. Oktober (richtig:) 2024 verband das Erstgericht die Verfahren 127 Kt 8/24z und 127 Kt 9/24x gemäß § 39 Abs 1 KartG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Bestimmung des führenden Akts 127 Kt 8/24z.

[11] Die Antragsgegnerinnen wenden gegen die Anträge ein, dass der Zusammenschluss gemäß § 9 Abs 1 oder 4 KartG nicht anmeldepflichtig sei, weil weder die erforderlichen Umsatzschwellen erreicht würden, noch bei der Zweitantragsgegnerin eine erhebliche Inlandstätigkeit vorliege. Dies sei zuerst durch die Tatsache begründet, dass die Zweitantragsgegnerin über keinen Standort und keine Mitarbeiter im Inland verfüge. Zudem sei der Umsatz und die verkaufte Stückzahl von Produkten im Inland jedenfalls als marginal anzusehen. Schließlich zeige auch die geringe Abnehmerzahl in Österreich den mangelnden Inlandsbezug. Selbst bei einer Bejahung der Anmeldepflicht schaffe der Zusammenschluss keinen Anlass für wettbewerbliche Bedenken und lägen die Voraussetzungen nach § 12 KartG für eine Untersagung des Zusammenschlusses nicht vor.

[12] Das Erstgericht wies die Prüfungsanträge zurück. Eine Anmeldepflicht nach § 9 Abs 1 KartG scheide aus, weil die Umsätze der Zweitantragsgegnerin die Schwelle von 1 Mio EUR nicht überstiegen. Im Übrigen seien zwar die Voraussetzungen des § 9 Abs 4 Z 1 bis 3 KartG erfüllt, die Zweitantragsgegnerin sei aber nicht im Sinn des § 9 Abs 4 Z 4 KartG im erheblichen Umfang im Inland tätig. Dabei sei auf den Zeitpunkt der Anmeldung des Zusammenschlusses abzustellen, sodass zukünftige oder voraussichtliche Tätigkeiten nicht ausreichten. Dementsprechend hätten Prognosen zu einer Steigerung des Marktpotentials bzw Absatzvolumens in Österreich außer Acht zu bleiben. Die (aktuelle) Tätigkeit müsse marktbezogen sein und sei dem Ort zuzurechnen, an dem sich der Kunde befinde. Um die Erheblichkeitsschwelle zu erreichen, müsse die Tätigkeit nicht nur im Sinn eines Ausschlusskriteriums nicht marginal sein, sondern habe eine „bestimmte Gravitas“ zu erreichen, wobei auch der internationale Kontext und das Verhältnis des Umfangs der Tätigkeit des Zielunternehmens im Inland zum Umfang seiner Tätigkeit weltweit in den Blick zu nehmen seien. Sei beim Zielunternehmen die Inlandstätigkeit ausschließlich am Umfang der Inlandsumsatzerlöse festzumachen, so müssten diese anhand der die Anmeldungspflicht begrenzenden Umsatzschwellen des § 9 Abs 1 KartG beurteilt werden. Durch die inländischen Umsätze der Zweitantragsgegnerin von weit unter 1 Mio EUR lasse sich eine Inlandstätigkeit im erheblichen Umfang somit nicht begründen. Andere Aktivitäten im Inland, die die – aktuelle – Marktbedeutung des Zielunternehmens wesentlich bestimmten und sich nicht in Umsatzzahlen widerspiegelten, lägen nicht vor. Sie habe im Inland keine Niederlassung und verkaufe nur eine geringe Anzahl an Produkten an einen einzigen Kunden. Die Inlandstätigkeit der Zweitantragsgegnerin sei auch im internationalen Kontext von untergeordneter Bedeutung.

[13] Dagegen richten sich die Rekurse der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers, in denen sie beantragen, den Beschluss des Erstgerichts aufzuheben und dem Erstgericht die „Einleitung des inhaltlichen Prüfverfahrens“ unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund (Erstantragstellerin) bzw die „inhaltliche Prüfung des Zusammenschlussvorhabens“ (Zweitantragsteller) aufzutragen.

[14] Die Erstantragsgegnerin beantragt in der Rekursbeantwortung, den Rechtsmitteln nicht Folge zu geben, hilfsweise auszusprechen, dass der Zusammenschluss nicht untersagt wird.

[15] Die Zweitantragsgegnerin hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

[16] Die Rekurse sind nicht berechtigt.

1. Geltend gemachte Verfahrensmängel

[17] 1.1. Der Zweitantragsteller macht als Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens geltend, dass er sich im Prüfantrag vom 24. Oktober 2024 nicht zur Anmeldebedürftigkeit des Zusammenschlusses geäußert habe und er schon aufgrund der Anmeldung des Zusammenschlusses davon ausgehen habe müssen, dass sich die Frage der erheblichen Inlandstätigkeit gar nicht stelle. Erst aufgrund der Äußerung der Erstantragsgegnerin sei erkennbar gewesen, dass sie die Anmeldebedürftigkeit vor dem Kartellgericht in Frage stelle. Dadurch sei sein rechtliches Gehör verletzt worden und das Erstgericht habe es unterlassen, die Rechtsansicht zur erheblichen Inlandstätigkeit zu erörtern. Hätte der Zweitantragsteller die Möglichkeit gehabt, diesbezügliches Vorbringen zu erstatten, hätte er vorgebracht, dass die Zweitantragsgegnerin auf dem sachlich in Betracht kommenden Markt einen Marktanteil von 100 % habe und daher als Monopolist tätig werde, sodass es – unabhängig von den erzielten Umsätzen – im Inland im erheblichen Umfang tätig sei.

[18] 1.2.1. Das rechtliche Gehör einer Partei ist grundsätzlich ausreichend gewahrt, wenn ihr Gelegenheit gegeben wird, ihren Standpunkt darzulegen und sich zu allen Tatsachen und Beweisergebnissen, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden sollen, zu äußern (RS0119970; RS0005915 [T17]).

[19] 1.2.2. Gegenstand des Verfahrens über den Prüfungsantrag des Zweitantragstellers im Sinn des § 11 KartG war das in der Anmeldung gemäß § 10 KartG beschriebene Zusammenschlussvorhaben (vgl auch § 43 KartG). Der Zweitantragsteller nahm folgerichtig bereits im Prüfantrag auch inhaltlich auf diese Anmeldung (wie auch auf den Prüfungsantrag der Erstantragstellerin, die in ihrem Prüfungsantrag im Übrigen zur Frage der Anmeldebedürftigkeit des Zusammenschlussvorhabens Stellung nahm) Bezug und schloss sie dem Prüfungsantrag auch an. Das Erstgericht legte dem angefochtenen Beschluss somit keine Tatsachen oder Beweisergebnisse zugrunde, zu denen sich der Kläger nicht äußern konnte.

[20] 1.2.3. Die behauptete Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Erstgericht liegt daher nicht vor. Im Übrigen wäre das vom Zweitantragsteller im Fall einer Erörterung durch das Erstgericht erstattete Vorbringen nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu bewirken (siehe dazu unten ErwGr 2.3.2.3.), und der angefochtene Beschluss somit ohnedies zu bestätigen (§ 58 Abs 1 Z 1 AußStrG).

[21] 1.3.1. Nach § 182a ZPO (hier: iVm § 14 AußStrG, § 38 KartG) hat das Gericht das Sach- und Rechtsvorbringen der Parteien mit diesen zu erörtern und darf seine Entscheidung auf rechtliche Gesichtspunkte, die eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, nur stützen, wenn es diese mit den Parteien erörtert und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat.

[22] Dem Zweitantragsteller gegenüber besteht als Amtspartei keine über die allgemeine Anleitungs- und Belehrungspflicht hinausgehende erweiterte Manuduktionspflicht, wie sie sonst gegenüber rechtsunkundigen und nicht durch Rechtsanwälte vertretenen Parteien gemäß § 14 zweiter Satz AußStrG geboten ist (16 Ok 5/08). Auch geht die Anleitungspflicht nach § 182 ZPO nicht soweit, dass das Gericht auf die Partei beratend einzuwirken hätte, weil eine solche Anleitung die Besorgnis der Befangenheit auslöste und als parteilich zu werten wäre (RS0108818 [T2]).

[23] 1.3.2. Wie bereits oben (ErwGr 1.2.2.) ausgeführt, war Gegenstand des Verfahrens über den Prüfungsantrag des Zweitantragstellers im Sinn des § 11 KartG das in der Anmeldung gemäß § 10 KartG beschriebene Zusammenschlussvorhaben, auf die der Prüfungsantrag des Zweitantragstellers inhaltlich Bezug nahm und die ihm auch angeschlossen war. Dem Erstgericht ist daher kein Verfahrensfehler unterlaufen, wenn es den Zweitantragsteller nicht aufgefordert hat, sich zur Anmeldung hinsichtlich bestimmter weiterer Punkte zu äußern. Die Behauptung des Zweitantragstellers im Rekurs, dass er allein aufgrund der Tatsache der Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens davon ausgehen habe müssen, dass sich die Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 9 Abs 4 Z 4 KartG nicht stelle, übergeht den Inhalt der (als vorsorglich bezeichneten) Anmeldung, die das Vorliegen der erheblichen Inlandstätigkeit im Sinn des § 9 Abs 4 Z 4 KartG ausdrücklich in Abrede stellt (Rz 31 f).

[24] 1.3.3. Die behauptete Verletzung der Anleitungspflicht durch das Erstgericht liegt daher nicht vor. Im Übrigen wäre das vom Zweitantragsteller im Fall einer Erörterung durch das Erstgericht erstattete Vorbringen nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu bewirken (siehe dazu unten ErwGr 2.3.2.3.), sodass der geltend gemachte Verfahrensmangel auch nicht relevant wäre (vgl RS0037300 [T28]; RS0120056 [T7, T8]).

2. Zur Anmeldebedürftigkeit des Zusammenschlussvorhabens

2.1. Allgemeines

[25] 2.1.1. Gegenstand der kartellrechtlichen Zusammenschlusskontrolle ist das externe Unternehmenswachstum. Erfasst werden sollen Vorgänge mit (potentiell) konzentrativem Effekt, an denen mindestens zwei Unternehmen beteiligt sind. Zielrichtung der Fusionskontrolle ist es, wettbewerblich strukturierte Märkte möglichst zu erhalten und zu fördern und zu verhindern, dass eine marktbeherrschende Stellung entstehen oder verstärkt werden kann (RS0121884). Es geht um strukturpolitische Ziele und nicht um den Schutz einzelner Mitbewerber vor missbräuchlichem Verhalten. Die Fusionskontrolle hat damit den Charakter einer ordnungspolitischen Maßnahme, für die ausschließlich gesamtwirtschaftliche Gesichtspunkte maßgeblich sind (RS0121884 [T2]).

[26] 2.1.2. Die Zielrichtung der Zusammenschlusskontrolle liegt daher darin, präventiv das Interesse der Allgemeinheit an der Aufrechterhaltung einer „österreichischen“ Marktstruktur – mag sich diese auch etwa als Teil eines Weltmarktes präsentieren –, die einen funktionierenden Wettbewerb verspricht, zu fördern (RS0117535 [T3]). Es soll eine entsprechende Anzahl an potentiell mit einander konkurrierenden „selbständigen Marktteilnehmern“ auf diesem Markt erhalten bleiben (RS0117535 [T2]).

2.2. Aufgriffskriterien

[27] 2.2.1. § 9 KartG setzt für Zusammenschlüsse Aufgriffskriterien fest, bei deren Vorliegen ein Zusammenschlussvorhaben anzumelden (§ 10 KartG) und zu untersagen ist, sofern eine marktbeherrschende Stellung entsteht oder verstärkt wird oder wirksamer Wettbewerb sonst erheblich behindert wird (§ 12 Abs 1 Z 2 KartG). Sind diese Aufgriffskriterien im konkreten Fall nicht erfüllt, bedarf es keiner Anmeldung (§ 9 KartG) und ist ein beim Kartellgericht gestellter Prüfungsantrag von diesem zurückzuweisen (§ 12 Abs 1 Z 1 KartG). Seit der KartGNov 1993 (BGBl 1993/693) und bis zum KaWeRÄG 2017 (BGBl I 2017/56) stellte das Gesetz bei den Aufgriffskriterien ausschließlich auf Umsatzgrößen ab, die nach den Gesetzesmaterialien leichter zu handhaben seien als Marktanteile (RV 1096 BlgNR 18. GP  19). Waren diese Umsatzschwellen nicht überschritten, war der Zusammenschluss daher selbst dann nicht anmeldebedürftig, wenn er aufgrund der Anteile der beteiligten Unternehmen am relevanten Markt zu einer Monopolbildung führte.

[28] 2.2.2. Nach der Rechtsprechung bedarf die Vorprüfung, ob überhaupt ein allenfalls zu prüfender Zusammenschluss vorliegt, leicht abgrenzbarer Kriterien. Sie leitet dies aus dem Erfordernis der Rechtssicherheit für die den Zusammenschluss ins Auge fassenden Unternehmen, aus der wirtschaftlichen Notwendigkeit für diese, rasch geklärt zu bekommen, ob mit einer weiteren Prüfung zu rechnen ist oder der Zusammenschluss komplikationslos vollzogen werden kann, und – ganz allgemein – aus der vom Gesetzgeber geforderten zügigen Fusionskontrolle ab (16 Ok 12/97).

[29] 2.2.3. Mit dem KaWeRÄG 2017 wurde zusätzlich zu den Umsatzschwellen des § 9 Abs 1 KartG mit § 9 Abs 4 KartG eine Transaktionswertschwelle eingeführt. Danach bedürfen Zusammenschlüsse, auf die § 9 Abs 1 KartG nicht anwendbar ist, auch der Anmeldung bei der Bundeswettbewerbsbehörde, wenn die beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss Umsatzerlöse von weltweit insgesamt mehr als 300 Mio EUR und im Inland Umsatzerlöse von insgesamt mehr als 15 Mio EUR erzielten (§ 9 Abs 4 Z 1 und 2 KartG), der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als 200 Mio EUR beträgt (§ 9 Abs 4 Z 3 KartG) und das zu erwerbende Unternehmen in erheblichem Umfang im Inland tätig ist (§ 9 Abs 4 Z 4 KartG). Nach den Gesetzesmaterialien des KaWeRÄG 2017 soll den Wettbewerbsbehörden im Hinblick auf die Vermeidung von Monopolbildungen im sensiblen digitalen Wirtschaftsbereich eine wettbewerbsrechtliche Prüfkompetenz in Fällen zukommen, in denen § 9 Abs 1 KartG mangels Erreichens der Umsatzschwellenwerte nicht anwendbar ist, weil die Unternehmen, die zu einem hohen Preis gekauft werden, nur geringe Umsätze erzielen (ErläutRV 1522 BlgNR 25. GP  3). Ungeachtet dieses Schwerpunkts nach den Gesetzesmateralien ist der neue Tatbestand aber sektorunabhängig auf alle Wirtschaftsbereiche – und somit auch im vorliegenden Fall – anwendbar (Holzweber/Von der Thannen/Dietz in Holzweber/Dietz, Kommentar zur Fusionskontrolle [2023] § 9 KartG Rz 23; Ruech in Egger/Harsdorf‑Borsch, Kartellrecht § 9 KartG Rz 5, 22).

[30] 2.2.4. Mit der Einführung der Transaktionswertschwelle ging der Gesetzgeber nicht von dem oben geschilderten (ErwGr 2.2.1. f) Grundsatz ab, dass die Aufgriffskriterien leicht abgrenzbar sein müssen. Ganz im Gegenteil stellte der Ministerialentwurf zum KaWeRÄG 2017 noch nicht auf eine erhebliche Inlandstätigkeit ab, sondern darauf, dass von der Gegenleistung aufgrund der Marktpräsenz mindestens 5 Mio EUR „auf das Inland entfallen“ (248/ME 25. GP  2), wobei sich die Marktpräsenz nach den Erläuterungen aus der Tätigkeit im Inland ergeben sollte (Erläut 248/ME 25. GP  4). Der im Begutachtungsverfahren geäußerten Kritik einer schweren Handhabbarkeit des Kriteriums der anteiligen Gegenleistung (vgl Bundesministerium für Justiz 18/SN‑248/ME 3; Österreichischer Rechtsanwaltskammertag 12/SN‑248/ME 3; Oberlandesgericht Wien 11/SN‑248/ME 4; Studienvereinigung Kartellrecht 8/SN‑248/ME 5 ) wurde Rechnung getragen und eine praktikablere Regelung getroffen, die größere Rechtssicherheit verschafft (Mertel, Ausweitung der Zusammenschlusskontrolle durch das KaWeRÄG 2017, ÖZK 2017, 91 [94]). Die daraus erkennbare Absicht des Gesetzgebers, auch im Rahmen der Transaktionswertschwelle eine leicht handhabbare Regelung zu schaffen, ist bei der Auslegung der Transaktionswertschwelle zu berücksichtigen.

[31] 2.2.5. Im Rekursverfahren ist nicht strittig, dass die Umsatzschwellen des § 9 Abs 1 KartG (wegen der inländischen Umsatzerlöse der Zweitantragsgegnerin von weniger als 1 Mio EUR nach § 9 Abs 1 Z 2 KartG) nicht erfüllt sind, sodass sich daraus keine Anmeldebedürftigkeit des Zusammenschlussvorhabens ergibt. Strittig ist vielmehr, ob die Anmeldebedürftigkeit des Zusammenschlussvorhabens aus § 9 Abs 4 KartG folgt. Da die in § 9 Abs 4 Z 1 und 2 KartG genannten Umsatzerlöse überschritten sind und der Wert der Gegenleistung im Sinn des § 9 Abs 4 Z 3 KartG mehr als 200 Mio EUR beträgt, ist im vorliegenden Verfahren ausschließlich die Frage zu klären, ob die Zweitantragsgegnerin als zu erwerbendes (Ziel-)Unternehmen auch im Sinn des § 9 Abs 4 Z 4 KartG in erheblichem Umfang im Inland tätig ist.

2.3. Erhebliche Inlandstätigkeit

[32] Zu klären ist zunächst, auf welchen Zeitpunkt die Bestimmung abstellt. Sodann ist die Tätigkeit des Zielunternehmens im Inland und abschließend deren Umfang zu prüfen.

2.3.1. Maßgeblicher Zeitpunkt

[33] 2.3.1.1. Für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts kann zunächst auf die Systematik des § 9 KartG zurückgegriffen werden. Die darin normierten Umsatzschwellen stellen regelmäßig auf die Umsatzerlöse im letzten Geschäftsjahr „vor dem Zusammenschluss“ ab. Sie beziehen den maßgeblichen Zeitpunkt der Berechnung der Umsatzerlöse somit auf den Zeitpunkt (der Durchführung) des Zusammenschlusses (Reidlinger/Hartung, Das österreichische Kartellrecht5 [2025] 197; Ruech in Egger/Harsdorf‑Borsch, Kartellrecht § 9 KartG Rz 41; Urlesberger/Frank in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG3 § 9 Rz 49) und nicht auf jenen der Anmeldung oder gar der Entscheidung über die Anmeldebedürftigkeit des Zusammenschlusses. Auch § 9 Abs 4 Z 4 KartG verlangt, dass das Zielunternehmen entsprechend tätig „ist“, sodass die aktuelle Tätigkeit im Zeitpunkt der (geplanten) Durchführung des Zusammenschlusses maßgeblich ist (Feldner, § 9 Abs 4 KartG – Die praktische Bedeutung des neuen Schwellenwerts, ÖZK 2017, 149 [154]; Holzweber/Von der Thannen/Dietz in Holzweber/Dietz, Kommentar zur Fusionskontrolle [2023] § 9 KartG Rz 34; Ruech in Egger/Harsdorf‑Borsch, Kartellrecht § 9 KartG Rz 62). Mögliche oder geplante Tätigkeiten nach diesem Zeitpunkt reichen hingegen nicht aus (Urlesberger/Frank in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG3 § 9 Rz 27). Soweit in der (österreichischen) Literatur auf den Zeitpunkt der Anmeldung abgestellt wird (vgl Hoffer/Barbist, Das neue Kartellrecht3 [2017] 49), könnte sich dies allenfalls auf die Gesetzesmaterialien zur vergleichbaren Bestimmung in Deutschland (§ 35 Abs 1a Z 4 GWB) stützen (Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drs 18/10207 76), auf die in der Regierungsvorlage zum KaWeRÄG 2017 aber lediglich hingewiesen wird. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die darin angestellten Erwägungen hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunkts für die österreichische Rechtslage übernehmen wollte, liegen allerdings nicht vor.

[34] 2.3.1.2. Abzustellen ist im vorliegenden Fall somit auf die Tätigkeit der Zweitantragsgegnerin im Zeitpunkt der (geplanten) Durchführung des Zusammenschlusses, der nach der Anmeldung unstrittig mit „vor dem Ende des Kalenderjahres 2024“ anzusetzen ist. Das Vorliegen der Voraussetzung der Inlandstätigkeit im erheblichen Umfang ist daher nur im Hinblick auf das Ende des Kalenderjahres 2024 zu beurteilen, wohingegen mögliche oder sogar geplante zukünftige Tätigkeiten (in Folgejahren) nicht zu berücksichtigen sind. Den von der Erstantragstellerin und dem Zweitantragssteller behaupteten, nach diesem Zeitpunkt zu erwartenden Umsatzerlösen kommt daher keine Bedeutung zu, sodass es dazu auch keiner Feststellungen bedarf.

2.3.2. Tätigkeit im Inland

[35] 2.3.2.1. Da die Fusionskontrolle generell das Ziel hat, die Aufrechterhaltung der bestehenden Marktstruktur zu fördern und § 9 Abs 4 Z 4 KartG einen Inlandsbezug des Zielunternehmens erkennbar wegen der möglichen Auswirkungen auf diese Marktstruktur fordert (vgl ErläutRV 1522 BlgNR 25. GP  3, die von einer Beurteilung der „Inlandsauswirkung“ sprechen), sind nur Tätigkeiten relevant, die sich auf die Marktstruktur auswirken können. Die Inlandstätigkeit ist daher anhand einer marktbezogenen Tätigkeit zu messen (Feldner/Cavada, Der Leitfaden zur Transaktionswert-Schwelle, ÖZK 2018, 174 [178]; Holzweber/Von der Thannen/Dietz in Holzweber/Dietz, Kommentar zur Fusionskontrolle [2023] § 9 KartG Rz 34; Mertel, Ausweitung der Zusammenschlusskontrolle durch das KaWeRÄG 2017, ÖZK 2017, 91 [95]; Ruech in Egger/Harsdorf‑Borsch, Kartellrecht § 9 KartG Rz 63; Urlesberger/Frank in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG3 § 9 Rz 27).

[36] 2.3.2.2. Diese Tätigkeiten eines Unternehmens sind nach dem Willen des Gesetzgebers (nicht nur im digitalen Bereich) dem Ort zuzurechnen, an dem sich der Kunde befindet (ErläutRV 1522 BlgNR 25. GP  4), was mit dem Anliegen des Gesetzgebers im Einklang steht, nur die österreichische Marktstruktur betreffende Zusammenschlüsse zu erfassen, die durch die inländischen Kunden am besten repräsentiert wird, weil am Ort des Kunden der Wettbewerb um den Kunden stattfindet. Das Abstellen auf den Ort des Kunden führt dazu, dass die Tätigkeit inländischen Kunden zugeordnet werden können muss. Das in den Gesetzesmaterialien genannte Beispiel eines „Standorts“ im Inland, der zur Annahme einer erheblichen Inlandstätigkeit führen soll (ErläutRV 1522 BlgNR 25. GP  3), meint somit nicht jeden Standort, an dem sich Vermögen oder Betriebsmittel eines Unternehmens befinden, sondern eine Betriebsstätte, an der eine wirtschaftliche Tätigkeit gegenüber inländischen Kunden entfaltet wird (vgl Feldner/Cavada, Der Leitfaden zur Transaktionswert-Schwelle, ÖZK 2018, 174 [178]; Mertel, Ausweitung der Zusammenschlusskontrolle durch das KaWeRÄG 2017, ÖZK 2017, 91 [95]).

[37] 2.3.2.3. Ohne einen (mit wirtschaftlicher Tätigkeit gegenüber inländischen Kunden verbundenen) Standort sind nach den Gesetzesmaterialien die „anerkannten Maßzahlen der jeweiligen Branche“ maßgeblich (ErläutRV 1522 BlgNR 25. GP  3), die (nur) für in der Digitalbranche tätige Unternehmen beispielhaft aufgezählt werden (Nutzerzahlen oder Zugriffshäufigkeit einer Website). Die Materialien verwenden in diesem Zusammenhang den Begriff „Branche“ und nicht „Markt“, sodass nicht auf einen Markt im Sinn des § 21 KartG abzustellen ist. Andernfalls wäre auch die für Aufgriffskriterien geforderte leichte Handhabbarkeit durch möglicherweise komplexe Vorfragen der Marktabgrenzung gefährdet, die der Gesetzgeber bei Festlegung der Aufgriffskriterien aber bewusst vermied (siehe oben ErwGr 2.2.1. f und 2.2.4.). Aus diesem Grund kommt dem Umstand, dass das Zielunternehmen einen bestimmten Marktanteil am relevanten Markt in Österreich hat, bei der Frage der Inlandstätigkeit – entgegen der Rechtsauffassung der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers – keine entscheidende Bedeutung zu (vgl Ruech in Egger/Harsdorf‑Borsch, Kartellrecht § 9 KartG Rz 67, nach dem der Anteil am Markt in Österreich zwar ein Indiz sein könne, aber die Geschäftstätigkeit des Zielunternehmens entscheidend sei; kritisch zu einem Abstellen auf Marktanteile auch Feldner, § 9 Abs 4 KartG – Die praktische Bedeutung des neuen Schwellenwerts, ÖZK 2017, 149 [154]; aA OLG Wien als KG 27 Kt 9/21g, Salesforce; Feldner/Cavada, Der Leitfaden zur Transaktionswert-Schwelle, ÖZK 2018, 174 [178]).

[38] 2.3.2.4. Als in der Branche relevante Maßzahlen kommen alle Indikatoren in Betracht, die eine Zuordnung einer Tätigkeit zu Kunden im Inland ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist etwa die Erbringung von Dienstleistungen gegenüber oder der Vertrieb von Waren an Kunden in Österreich maßgeblich. Ob diese Leistungen entgeltlich oder unentgeltlich erfolgen, ist nicht von Bedeutung (vgl Matousek/Weiss/Gassler, Zusammenschlusskontrolle – Neuer Transaktionswerttest, ecolex 2017, 388 [391]; Mertel, Ausweitung der Zusammenschlusskontrolle durch das KaWeRÄG 2017, ÖZK 2017, 91 [95]; Ruech in Egger/Harsdorf‑Borsch, Kartellrecht § 9 KartG Rz 63), weil mit der Transaktionswertschwelle gerade solche Fälle erfasst werden sollten, in denen das Zielunternehmen (im Zeitpunkt des Zusammenschlusses) nur geringe Umsätze (die die Umsatzschwellen des § 9 Abs 1 KartG nicht erreichen) erwirtschaftet. Aus diesem Grund kommt dem Umstand, dass ein Zielunternehmen im Inland nur geringe Umsatzerlöse erwirtschaftet, im Rahmen des § 9 Abs 4 Z 4 KartG keine entscheidende Bedeutung zu, wenn und weil der hinreichende Bezug zum inländischen Markt durch andere Maßzahlen hergestellt wird. Dies schließt die Heranziehung solcher Umsatzerlöse als Maßzahl für die Bejahung einer hinreichenden Inlandstätigkeit aber auch nicht generell aus (siehe dazu noch unten ErwGr 2.3.3.3.).

[39] 2.3.2.5. Da die Erzielung von Umsätzen im Inland kein ausschlaggebendes Kriterium ist und der österreichische Markt wie dargelegt auch anderweitig als durch die Erwirtschaftung von Umsätzen ausreichend betroffen sein kann, setzt die Inlandstätigkeit keine bestehende Kundenbeziehung voraus, sondern kann sich die Inlandstätigkeit, etwa in Form von Werbung, auch an bloß potenzielle inländische Abnehmer richten (Mertel, Ausweitung der Zusammenschlusskontrolle durch das KaWeRÄG 2017, ÖZK 2017, 91 [95]; Ruech in Egger/Harsdorf‑Borsch, Kartellrecht § 9 KartG Rz 63). Bei bloßer Werbung im Inland kann allerdings die Erheblichkeitsschwelle fraglich sein (vgl Mertel, Ausweitung der Zusammenschlusskontrolle durch das KaWeRÄG 2017, ÖZK 2017, 91 [95], der die Anmeldebedürftigkeit bei bloßer Werbung im Inland verneint).

[40] 2.3.2.6. Ein entsprechender Wettbewerb um einen (zuordenbaren) Kunden findet allerdings bei der Erwirkung einer Zulassung eines Produkts oder Registrierung eines Patents (noch) nicht statt, sodass aus der EU-weiten Zulassung des von der Zweitantragsgegnerin vermarkteten Produkts oder der Registrierung eines (Europäischen) Patents für mehrere Staaten – entgegen der Rechtsansicht des Zweitantragstellers – (noch) keine Inlandstätigkeit der Zweitantragsgegnerin folgt. Auch die Anzahl oder das Entwicklungsstadium von (in Entwicklung befindlichen) „Pipeline-Produkten“, auf die sich der Zweitantragsteller als seiner Ansicht nach relevante Maßzahl für die Inlandstätigkeit der Zweitantragsgegnerin stützt, ist inländischen Kunden (noch) nicht zuordenbar und begründet in diesem Sinn keine aktuelle Tätigkeit der Zweitantragsgegnerin im Inland.

[41] 2.3.2.7. Ob auch im Inland vorgenommene Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten eine derartige Zuordnung zu (potentiellen) inländischen Kunden ermöglichen und daher einen ausreichenden Inlandsbezug herstellen können (so die Gesetzesmaterialen zum deutschen § 35 Abs 1a GWB, BT-Drs 18/10207 76; in diesem Sinn auch Feldner, § 9 Abs 4 KartG – Die praktische Bedeutung des neuen Schwellenwerts, ÖZK 2017, 149 [153]; Holzweber/Von der Thannen/Dietz in Holzweber/Dietz, Kommentar zur Fusionskontrolle [2023] § 9 KartG Rz 35; Ruech in Egger/Harsdorf‑Borsch, Kartellrecht § 9 KartG Rz 63; Urlesberger/Frank in Petsche/Urlesberger/Vartian, KartG3 § 9 Rz 28), bedarf hier keiner weiteren Untersuchung, weil solche Tätigkeiten der Zweitantragsgegnerin in Österreich unstrittig nicht ausgeübt wurden.

[42] 2.3.2.8. Da die Zweitantragsgegnerin im Zeitpunkt des Vollzugs des Zusammenschlusses Beziehungen zu inländischen Kunden hatte, weil sie ihr Produkt in Österreich an einen inländischen Abnehmer verkaufte, war sie im maßgeblichen Zeitraum im Inland tätig. Aus der Zulassung des von der Zweitantragsgegnerin vermarkteten Produkts, der Registrierung eines Patents oder der (bloßen) Marktreife eines noch im Entwicklungsstadium befindlichen Produkts („Pipeline-Produkt“) ist hingegen keine Inlandstätigkeit der Zweitantragsgegnerin abzuleiten. Andere (zulässige) Maßzahlen, an denen eine (aktuelle) Inlandstätigkeit festgemacht werden könnte, werden in den vorliegenden Rechtsmitteln nicht genannt und sind auch nicht ersichtlich.

2.3.3. Erheblichkeitsschwelle

[43] 2.3.3.1. Nach den Gesetzesmaterialien nimmt das Kriterium der erheblichen Inlandstätigkeit des § 9 Abs 4 Z 4 KartG Unternehmen mit marginalen Aktivitäten in Österreich vom Zusammenschlusstatbestand aus (ErläutRV 1522 BlgNR 25. GP  3). Im Fall eines Standorts in Österreich wird auch die Erheblichkeit der Tätigkeit angenommen, was ebenso Rückschlüsse auf die Größenordnung der Erheblichkeitsschwelle zulässt und Inlandsaktivitäten relativ geringen Umfangs genügen lässt. Diese Bedeutung ist mit dem Wortlaut des § 9 Abs 4 Z 4 KartG – im Sinn von „ins Gewicht fallend“ – vereinbar. Die Erheblichkeitsschwelle ist daher erfüllt, wenn die Tätigkeit des Zielunternehmens im Inland nicht bloß unbedeutend ist, weil diese mit Blick auf die inländische Marktstruktur nicht ins Gewicht fällt. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts ist die Wendung „in erheblichem Umfang“ somit nicht anders als in den Gesetzesmaterialien beschrieben zu verstehen. Im Übrigen kann die Frage, ob die Erheblichkeitsschwelle überschritten ist, nur anhand der konkret zur Verfügung stehenden Maßzahl(en) beantwortet werden. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es um die Beurteilung der Inlandsauswirkung der konkreten Tätigkeit auf den Wettbewerb in Österreich geht, sodass eine relativ gesehen marginale Aktivität – ausgedrückt in absoluten Maßzahlen – doch eine entsprechende Größenordnung erreichen kann.

[44] 2.3.3.2. Das Gesetz stellt dabei (nur) auf den Umfang der Tätigkeit des Zielunternehmens im Inland an sich ab, nicht aber auf den Wert der den inländischen Aktivitäten des Zielunternehmens zuordenbaren Gegenleistung (vgl zum Ministerialentwurf oben ErwGr 2.2.4., der in diesem Punkt gerade nicht Gesetz wurde). Das Verhältnis der Tätigkeit des Zielunternehmens im Inland im Vergleich zur Tätigkeit in anderen Ländern ist daher unerheblich (Feldner, § 9 Abs 4 KartG – Die praktische Bedeutung des neuen Schwellenwerts, ÖZK 2017, 149 [154]; Ruech in Egger/Harsdorf‑Borsch, Kartellrecht § 9 KartG Rz 67; aAHolzweber/Von der Thannen/Dietz in Holzweber/Dietz, Kommentar zur Fusionskontrolle [2023] § 9 KartG Rz 35).

[45] 2.3.3.3. Soweit sich eine Inlandstätigkeit aus Umsatzerlösen ableiten lässt (oben ErwGr 2.3.2.4.), ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber mit dem KaWeRÄG 2021 (BGBl I 2021/176) in § 9 Abs 1 Z 2 KartG eine zweite Inlandsumsatzschwelle vorsah und damit zu erkennen gegeben hat, dass Unternehmen mit Umsatzerlösen von nicht mehr als 1 Mio EUR die österreichische Marktstruktur nicht oder nur am Rande betreffen, weil diese wettbewerblich nicht bedenklich sind (vgl ErläutRV 951 BlgNR 27. GP  12). Inländische Umsatzerlöse, die diese Schwelle nicht erreichen, deuten daher auch nicht auf eine Tätigkeit im erheblichen Umfang hin. In einem solchen Fall müsste die Erheblichkeitsschwelle anhand anderer allenfalls zur Verfügung stehender Maßzahlen geprüft werden.

[46] 2.3.3.4. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die Zweitantragsgegnerin im maßgeblichen Zeitraum nicht im Sinn des § 9 Abs 4 Z 4 KartG im erheblichen Umfang im Inland tätig war. Sie hatte keinen Standort im Inland (auch nicht einen solchen, an dem wirtschaftliche Tätigkeiten gegenüber inländischen Kunden entfaltet worden wären) und ihre Geschäftstätigkeit bestand in den Kalenderjahren 2023 und 2024 darin, dass sie ihr Produkt insgesamt acht Mal an einen (einzigen) Abnehmer verkaufte. Weder deutet der im Kalenderjahr 2024 dadurch generierte Umsatz auf einen im Hinblick auf die österreichische Marktstruktur ins Gewicht fallenden Umfang ihrer Tätigkeit hin, noch ist ein solcher Umfang aus der (äußerst geringen) Anzahl der Kunden bzw der Geschäftsabschlüsse abzuleiten.

[47] Entgegen der Rechtsauffassung der Erstantragstellerin und des Zweitantragstellers kommt dem Umstand, dass die Erstantragsgegnerin bereit gewesen sei, einen hohen Kaufpreis für den Zusammenschluss mit der – nur geringe Umsätze erzielenden – Zweitantragsgegnerin zu zahlen, keine eigenständige Bedeutung zu. Dass der Wert der Gegenleistung die in § 9 Abs 4 Z 3 KartG normierte Höhe erreicht, ist unstrittig, lässt aber keine Rückschlüsse auf das Vorliegen der – gesondert zu prüfenden – erheblichen Inlandstätigkeit der Zweitantragsgegnerin nach § 9 Abs 4 Z 4 KartG zu.

[48] 2.4. Im Übrigen ist darauf zu verweisen, dass das deutsche Bundeskartellamt eine Anmeldepflicht des gegenständlichen Zusammenschlussvorhabens mangels Tätigkeit der Zweitantragsgegnerin in erheblichem Umfang in Deutschland verneinte.

[49] 3. Mangels Vorliegens einer erheblichen Inlandstätigkeit der Zweitantragsgegnerin im maßgeblichen Zeitraum, war der Zusammenschluss nicht nach § 9 Abs 4 KartG anmeldebedürftig. Das Erstgericht hat die Prüfungsanträge somit zutreffend gemäß § 12 Abs 1 Z 1 KartG zurückgewiesen.

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