European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0150OS00087.25W.0910.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Sexualdelikte
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Der Antrag des Angeklagten S* auf außerordentliche Wiederaufnahme wird abgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * J* und * S* jeweils des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigen Person nach § 205 Abs 1 StGB (I./1./) und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 (Z 1) achter Fall, Abs 4 Z 1 SMG (I./2./), sowie J* überdies der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG (II./) schuldig erkannt.
[2] Danach haben – soweit hier von Bedeutung –
I./ J* und S* am 10. Februar 2024 in G* in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken
1./ eine wehrlose Person, und zwar die durch den Konsum von Alkohol und Cannabiskraut erheblich beeinträchtigte 14‑jährige * Ü*, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass sie mit ihr den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende Handlungen vornahmen, indem S* mit seinem Penis in ihren Mund eindrang und in ihren Mund ejakulierte, während J* sie digital penetrierte und sodann mit seinem Penis in ihre Scheide eindrang und einen Geschlechtsverkehr durchführte;
2./ vorschriftswidrig Suchtgift anderen überlassen, wobei sie durch eine Straftat nach § 27 Abs 1 Z 1 SMG einer Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglichten und selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als die Minderjährige waren, indem sie Cannabiskraut (enthaltend THCA und Delta‑9‑THC) an die minderjährige Ü* zum gemeinsamen Konsum überließen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Ihre dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden stützen die Angeklagten J* und S* jeweils auf Z 5 und 5a, letzterer überdies auf Z 9 lit a und b sowie 11 jeweils des § 281 Abs 1 StPO.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten J*:
[4] Seine Mängelrüge (Z 5 fünfter Fall) bekämpft zu I./1./ des Schuldspruchs die (die rechtliche Annahme der Wehrlosigkeit des Opfers im Sinn des § 205 Abs 1 StGB tragenden) Urteilskonstatierungen (US 4), wonach sich Ü* „aufgrund ihres Rauschzustandes“ kaum mehr bewegen habe können, „geschweige denn“ sei es ihr möglich gewesen, „sich gegen die folgenden Handlungen der Angeklagten zu wehren“.
[5] In seiner Beweiswürdigung verwies das Erstgericht (unter anderem) darauf, dass einem (nach den Sachverhaltsannahmen für den Zustand der Wehrlosigkeit des Opfers [mit‑]kausalen) „zumindest geringen Cannabiskonsum“ (US 4) weder der Umstand, dass rund drei Stunden nach dem Vorfall im Blut des Opfers kein THC nachgewiesen werden habe können, noch die darauf aufbauenden Ausführungen im eingeholten chemisch-toxikologischen Gutachten (ON 28, 3) entgegenstehen würden (US 6 f).
[6] Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) liegt vor, wenn das Urteil den eine entscheidende (hier: erhebliche) Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt. Ein solches Fehlzitat spricht die (eine „lückenhafte“ und „sinnentstellende“ Zitierung der gutachterlichen Ausführungen behauptende) Beschwerde fallbezogen gar nicht an. Denn die kritisierte Urteilspassage, wonach „die Nachweisbarkeitsdauer im Blut bei gelegentlichem (hier wohlgemerkt erstmaligem) [Cannabis‑]Konsum viele Stunden betragen kann, […] aber nicht muss“ (vgl US 6 f), betrifft aus dem Sachverständigengutachten gezogene Schlussfolgerungen der Tatrichter, welche jedoch von vornherein als Anfechtungsbasis ausscheiden (RIS‑Justiz RS0099431 [T1, T16]).
[7] Die Urteilsannahme betreffend den „zumindest geringen Cannabiskonsum“ des Opfers (US 4) und die isoliert herausgegriffene Urteilspassage (vgl aber RIS‑Justiz RS0119370), es sei „gar nicht abschätzbar […], inwieweit [dieses] den Rauch überhaupt inhaliert hat“, können – dem weiteren Beschwerdevorbringen (Z 5 dritter Fall) zuwider – nach den Kriterien der Logik und Empirie nebeneinander bestehen (vgl dazu RIS-Justiz RS0117402).
[8] Die Feststellung zu den den Zustand der Wehrlosigkeit begründenden Umständen blieb entgegen dem – im Rahmen der Tatsachenrüge erhobenen – Beschwerdeeinwand (Z 5 vierter Fall) keineswegs unbegründet. Vielmehr verwiesen die Tatrichter – im Einklang mit den Denkgesetzen und grundlegenden Erfahrungssätzen (vgl RIS-Justiz RS0118317) – insbesondere auf die den Cannabiskonsum einräumenden Angaben der Ü*, ihren (objektivierten) Alkoholisierungsgrad sowie ein ihren (nach der zu I./1./ genannten Tat) „massiv beeinträchtigten Zustand“ dokumentierendes (in der Hauptverhandlung abgespieltes) Video (US 7 f).
[9] Die auch in Bezug auf den Schuldspruch I./2./ Aktenwidrigkeit monierende Mängelrüge (Z 5 fünfter Fall), weil eine „lückenhafte“ und „sinnentstellende“ Zitierung der gutachterlichen Ausführungen zur Nachweisbarkeitsdauer von „THC“ erfolgt sei, kann auf die Erledigung des gleichgerichteten Einwands zu I./1./ des Schuldspruchs verwiesen werden.
[10] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) aus dem chemisch‑toxikologischen Sachverständigengutachten (ON 28) sowie den (im Urteil als nicht glaubhaft beurteilten – US 5 ff) Angaben des Angeklagten für ihren Standpunkt günstigere Schlussfolgerungen zieht, weckt sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (vgl RIS-Justiz RS0099674).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S*:
[11] Die zu I./1./ erhobene Mängelrüge (Z 5 fünfter Fall) kritisiert die Schlüsse der Tatrichter zu den die Wehrlosigkeit des Opfers begründenden Umständen (US 4 iVm US 7 f) mit eigenständigen Beweiswerterwägungen in Bezug auf dessen isoliert hervorgehobenen Angaben und ein Video (ON 4.9) als „aktenwidrig“. Solcherart wendet sie sich bloß unzulässig gegen die Beweiswürdigung des Schöffengerichts ohne ein Fehlzitat aufzuzeigen (vgl erneut RIS-Justiz RS0099431).
[12] Entgegen dem weiteren Beschwerdevorbringen (Z 5 dritter Fall) besteht zwischen den Feststellungen zum Überlassen von Suchtgift an Ü* (I./2./; US 4) und den zu deren Wehrlosigkeit angestellten Erwägungen des Erstgerichts (in Bezug auf I./1./ des Schuldspruchs), wonach „das Nichts‑mehr‑Mitbekommen von Frau Ü* durchaus auch mit dem Höhepunkt der Wirkung des konsumierten Alkohols auf die [...] mit Alkoholkonsum wenig erfahrene 14‑Jährige zu erklären sein kann“ (vgl US 7), kein logischer Widerspruch (zum Maßstab vgl RIS-Justiz RS0099651).
[13] Die weiters zu I./2./ erhobene Mängelrüge (Z 5 fünfter Fall) bezeichnet als aktenwidrig, dass die (in Bezug auf diesen Schuldspruch im Übrigen nicht entscheidenden [vgl RIS-Justiz RS0106268; Schwaighofer in WK2 SMG § 27 Rz 76]) Feststellungen zum Suchtgiftkonsum des Opfers (US 4) mit „den beweiswürdigenden Ausführungen des Erstgerichts“ zur „Nachweisbarkeitsdauer des Suchtgiftes (THCA, Delta‑9‑THC) im Blut“ nicht in Einklang zu bringen seien. Damit macht sie aber gerade kein Fehlzitat aus dem eingeholten chemisch‑toxikologischen Sachverständigengutachten (ON 17 und ON 28) geltend, sondern kritisiert in unzulässiger Weise die aus diesem Beweismittel gezogenen Schlussfolgerungen der Tatrichter (vgl RIS-Justiz RS0099431 [T1, T16]).
[14] Die Feststellungen zum Vorsatz des Angeklagten in Bezug auf die Minderjährigkeit der Ü* (I./2./; US 4) leitete das Erstgericht aus ihrem auf einem (in der Hauptverhandlung abgespielten) Video (ON 4.9) sowie „bei der kontradiktorischen Vernehmung“ dokumentierten äußeren Erscheinungsbild und Verhalten im Zusammenhalt mit allgemeiner Lebenserfahrung ab (US 7). Dies ist dem Rügevorbringen (Z 5 vierter Fall) zuwider unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (zum zulässigen Schluss auf die subjektive Tatseite aus äußeren Umständen vgl RIS-Justiz RS0116882 [T2]).
[15] Die gegen die Feststellungen zur Wehrlosigkeit des Opfers (US 4) gerichtete Tatsachenrüge (Z 5a) vermag mit den Hinweisen auf Beweisergebnisse, die ihrer Auffassung nach gegen einen Cannabiskonsum des Opfers und dessen Wehrlosigkeit sprechen würden, so insbesondere einzelne Passagen der Ü* sowie deren Mutter, die Angaben des Zeugen * A* und Teile der Verantwortung der Angeklagten, keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen aufzuzeigen (vgl RIS-Justiz RS0119583).Vielmehr wendet sie sich bloß nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld in unzulässiger Weise gegen die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO). Indem die weitere Tatsachenrüge (Z 5a) bloß auf die „Alkoholisierung des Zweitangeklagten“ verweist, stellt sie die Schuldsprüche I./1./ und I./2./ ebenso wenig in Frage.
[16] Die Rechtsrüge zu I./1./ (Z 9 lit a) behauptet das Fehlen von Konstatierungen zu den die Wehrlosigkeit des Opfers begründenden Umständen. Sie orientiert sich dabei jedoch nicht (vgl aber RIS-Justiz RS0099810) an den gerade dazu getroffenen (im Übrigen auch von ihr selbst zitierten) Feststellungen (US 4).
[17] Soweit die weitere Beschwerde (Z 9 lit a) betreffend I./1./ des Schuldspruchs Konstatierungen vermisst, denen zufolge „die geschlechtliche Handlung“ des Nichtigkeitswerbers „den Interessen“ des Opfers zuwiderlief und dieser Umstand für ihn auch „subjektiv erkennbar war“, übergeht sie erneut die erstgerichtlichen Sachverhaltsannahmen, wonach sich Ü* aufgrund ihres Rauschzustands nicht „gegen die folgenden Handlungen der Angeklagten“ wehren konnte, diese ihren wehrlosen Zustand erkannten und wussten, „dass sie [sie] unter Ausnützung dieses Zustands dadurch gemeinsam missbrauchten, dass sie mit ihr den Beischlaf bzw dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen vornahmen“, und dies auch wollten (US 4). Insbesondere legt die Rüge nicht dar, weshalb die (zur objektiven wie subjektiven Tatseite) getroffenen Feststellungen zu einem „Missbrauch“ im Sinn des § 205 Abs 1 StGB nicht zum Ausdruck bringen sollten, dass (auch) der Nichtigkeitswerber „das Opfer in einer gegen dessen Interessen gerichteten Weise ausnützte“ und die Tatrichter damit gerade nicht von dessen wirksamen Einwilligung in die im Urteil näher beschriebenen „qualifizierten“ geschlechtlichen Handlungen ausgingen (zur Auslegung des Tatbestandsmerkmals des Missbrauchs vgl RIS-Justiz RS0130916; Philipp in WK2 StGB § 205 Rz 11; Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB15 § 205 Rz 4; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 205 Rz 7 f; Hinterhofer, SbgK § 205 Rz 42 f).
[18] Indem die Rechtsrüge (nominell Z 9 lit b, der Sache nach Z 9 lit a) mit spekulativen Erwägungen zu einer „massiven bzw zumindest wesentlichen Alkoholisierung“ des Angeklagten den vom Erstgericht zu den Schuldsprüchen I./1./ und I./2./ festgestellten Vorsatz (US 4) bestreitet, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (neuerlich RIS-Justiz RS0099810). Weshalb die von der Rüge thematisierte Alkoholisierung der Bildung des Vorsatzes entgegenstehen sollte, vermag sie nicht zu erklären (vgl dazu RIS-Justiz RS0088967).
[19] Soweit die weitere Beschwerde (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 10) zu I./2./ moniert, es würden Feststellungen fehlen, aus denen „sich die Erkennbarkeit des Alters bzw der Minderjährigkeit“ der Ü* ergebe, geht sie an den Konstatierungen des Erstgerichts vorbei, wonach es beide Angeklagten „von Beginn weg“ ernstlich für möglich hielten und sich damit abfanden, dass die Genannte „unter 18 Jahre und jeder von ihnen volljährig und mehr als zwei Jahre älter als sie ist“ (US 4). Warum diese Sachverhaltsannahmen die für die Subsumtion nach § 27 Abs 4 Z 1 SMG erforderliche subjektive Tatseite, darunter die Wissenskomponente des bedingten Vorsatzes (in Bezug auf das Alter der Ü*), nicht ausreichend zum Ausdruck bringen sollten, macht das Beschwerdevorbringen nicht klar.
[20] Der gegen die Bejahung der Erweiterung der (durch § 205 Abs 1 StGB eröffneten) Strafbefugnis nach § 39 Abs 1 StGB (US 2 iVm US 10) gerichteten Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) zuwider beruhen Suchtmitteldelinquenz in Form des Überlassens von Suchtgift an andere (hier: § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG und § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG) und die urteilsgegenständliche Sexualstraftat sehr wohl auf der gleichen schädlichen Neigung, sind doch die fallbezogen in den Blick zu nehmenden strafbaren Handlungen allesamt (auch) gegen die körperliche Integrität Dritter gerichtet (vgl 11 Os 124/23d [Rz 6]; RIS-Justiz RS0092151).
[21] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).
[22] Der vom Angeklagten S* gestellte „Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens nach § 362 StPO“ war abzuweisen, weil er zur Stellung eines solchen Antrags nicht legitimiert ist (§ 362 Abs 3 StPO; RIS‑Justiz RS0101133). Der Vollständigkeit halber sei – auch mit Blick auf die Ausführungen des Angeklagten J* – angemerkt, dass sich der Oberste Gerichtshof nicht zu einer solchen Maßnahme veranlasst sieht.
[23] Die Kostenentscheidung gründet auf § 390a Abs 1 StPO.
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