OGH 15Os79/25v

OGH15Os79/25v10.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. September 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski und Dr. Sadoghi sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Rechtspraktikantin Schurich LL.M., LL.M. in der Auslieferungssache des * Y*, AZ 11 HR 120/23h des Landesgerichts St. Pölten, über den Antrag des Betroffenen auf Erneuerung des Verfahrens und seinen damit verbundenen Antrag auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0150OS00079.25V.0910.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Grundrechte

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Beschluss vom 17. März 2025, GZ 11 HR 120/23h‑63, erklärte das Landesgericht St. Pölten die von der Republik Türkei mit Ersuchen vom 4. November 2024 begehrte Auslieferung des türkischen Staatsangehörigen * Y* zur Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der vorsätzlichen Tötung gemäß Art 81/1, 82/1‑a und 35/1 des türkischen Strafgesetzbuchs für nicht (un‑)zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[2] Der dagegen erhobenen Beschwerde des Betroffenen gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 3. Juni 2025, AZ 22 Bs 109/25b, nicht Folge.

[3] Mit dem auf beide Entscheidungen bezogenen Antrag auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO wendet der Betroffene Verletzungen der Art 2, 3, 5 und 6 MRK ein.

[4] Soweit sich der Erneuerungsantrag gegen den – auch tatsächlich mit Beschwerde bekämpften – Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 17. März 2025 richtet, war er zurückzuweisen, weil Erneuerungsanträge nur gegen letztinstanzliche Entscheidungen nach Ausschöpfung des (vertikalen und horizontalen) Instanzenzugs möglich sind (RIS‑Justiz RS0122737 [T40]).

[5] In Fällen, in denen der Erneuerungswerber hinsichtlich einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowohl eine Verletzung des Art 3 als auch eine des Art 2 MRK rügt, prüft der EGMR – und daran anschließend der Oberste Gerichtshof – regelmäßig nur Art 3 MRK, weil sich der jeweilige Lebenssachverhalt und die zugrunde liegenden Gefährdungen nicht voneinander trennen lassen (13 Os 44/21a [Rz 5], 15 Os 95/24w [Rz 20]).

[6] Unter dem Aspekt des Art 3 MRK kann eine Auslieferung für den Aufenthaltsstaat eine Konventionsverletzung bedeuten, wenn ein konkretes Risiko besteht, dass die betroffene Person im Empfangsstaat einer Strafe oder Behandlung ausgesetzt wird, die die Schwelle zur unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung erreicht und daher mit Art 3 MRK unvereinbar ist. Die betroffene Person hat die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen, ernsthaften (gewichtigen) Gefahr einer Art 3 MRK nicht entsprechenden Behandlung schlüssig nachzuweisen, wobei der Nachweis hinreichend konkret sein muss. Dabei muss unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ein reales, anhand stichhaltiger Gründe belegbares Risiko bestehen, sie würde im Empfangsstaat der tatsächlichen Gefahr einer Art 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein (RIS‑Justiz RS0123229, RS0123201; Göth‑Flemmich/Riffel in WK2 ARHG § 19 Rz 7 f mwN). Der Nachweis konkreter Anhaltspunkte und stichhaltiger Gründe ist nur verzichtbar, wenn der ersuchende Staat eine ständige Praxis umfassender und systematischer Menschenrechtsverletzungen aufweist (RIS‑Justiz RS0123229 [T12]).

[7] Der Erneuerungswerber bringt vor, er habe sich als kurdischer Geschäftsmann, der aktiv die politische Partei * (nunmehr *) unterstütze, „mit Angehörigen einer mächtigen Mafiaorganisation angelegt“, die „beste Beziehungen zur türkischen Justiz und Politik“ unterhalte und die ihm nach dem Leben trachte. Er solle nach den Zusicherungen des türkischen Justizministeriums in einem Gefängnis angehalten werden, in welchem sich auch ein Mafiachef als Gefangener befinde. Vor dieser Bedrohung werde er nicht geschützt. Überdies sei er in der Türkei über Jahre hindurch systematisch gefoltert worden.

[8] Indem der Erneuerungsantrag bloß behauptet, die Zusicherung des türkischen Justizministeriums und das Schreiben der österreichischen Botschaft in der Türkei verhinderten diese Gefahr nicht mit der erforderlichen Sicherheit, verabsäumt er es, sich mit der diesbezüglichen Begründung des Oberlandesgerichts auseinanderzusetzen (vgl jedoch RIS‑Justiz RS0124359; vgl BS 5 ff, insbesondere BS 7 zur Haftanstalt *).

[9] Bei einem Erneuerungsantrag handelt es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf. Dies verkennt der Erneuerungswerber, soweit er eine Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit nach Art 5 MRK moniert. Diesbezüglich kommen nämlich ausschließlich die Bestimmungen des GRBG zur Anwendung (RIS‑Justiz RS0122737 [T26]).

[10] Verfahren über die Auslieferung fallen als solche grundsätzlich nicht in den Schutzbereich des Art 6 MRK, weil in ihnen nicht über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage im Sinn der Konvention entschieden wird (RIS‑Justiz RS0132638). Die Verfahrensgarantien des Art 6 MRK können für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nur dann (ausnahmsweise) Relevanz erlangen, wenn die betroffene Person nachweist, dass ihr im ersuchenden Staat eine offenkundige Verweigerung eines fairen Verfahrens („flagrant denial of justice“) droht (RIS‑Justiz RS0123200 [insbesondere T2 und T3]).

[11] Dieser Nachweis gelingt dem Antragsteller nicht, indem er vorbringt, das bisher gegen ihn in der Türkei geführte Verfahren sei „qualifiziert unfair“ gewesen, ein Abwesenheitsurteil wäre erst über Intervention seiner Verteidiger aufgehoben worden, ein Richter hätte ihm mitgeteilt, er wisse, dass er unschuldig sei, könne ihm jedoch nicht helfen, da er „unter Druck stehe“.

[12] Der Erneuerungsantrag war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

[13] Für eine Hemmung des Vollzugs der Übergabe bestand (wegen offenbarer Aussichtslosigkeit des Antrags) kein Anlass. Der darauf bezogene Antrag der betroffenen Person war ebenso zurückzuweisen (RIS‑Justiz RS0125705).

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