European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0130OS00026.25K.0604.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.
Den Angeklagten H* Ö* und L* Ö* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurden – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – H* Ö* zweier Vergehen (A und B) und L* Ö* eines Vergehens (A) des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 StGB idF BGBl 1974/60 schuldig erkannt.
[2] Danach haben in K* und andernorts zum Nachteil der Republik Österreichden geheimen türkischen Nachrichtendienst „Milli Istihbarat Teskilati“ („MIT“) unterstützt, und zwar
(A) H* Ö* und L* Ö* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB), indem sie im Oktober 2021 an Mitglieder des „MIT“ ein kompromittierendes Video übermittelten, das den österreichischen Staatsbürger, Religionslehrer und Vorbeter * K* beim Masturbieren zeigt, sowie
(B) H* Ö*, indem sie im August 2021 dem „MIT“ „bzw. anderen öffentlichen Stellen in der Türkei“ Informationen über in Österreich lebende türkische Staatsangehörige und österreichische Staatsbürger mit türkischer Abstammung in Form eines 300-seitigen Dossiers mit Namen von der „Gülen-Bewegung“ nahestehenden Personen und von Anhängern der „Fethullahistischen Terrororganisation“ („Fetö“) übermittelte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen wenden sich die von H* Ö* auf Z 9, von L* Ö* auf Z 8, 10a und 11 lit a jeweils des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden dieser beiden Angeklagten.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten H* Ö*:
[4] Die Rüge (Z 9) reklamiert einen Widerspruch, weil die von den Geschworenen (uneingeschränkt) bejahten, auf Vergehen des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 StGB idF BGBl 1974/60 abzielenden, Hauptfragen 1 und 4 (betreffend H* Ö*) sowie 2 (betreffend L* Ö*) (auch) den Angeklagten * B* als Mittäter nennen, obwohl die eine Beteiligung des B* an den diesbezüglichen Delikten betreffenden Hauptfragen 3 und 5 verneint wurden.
[5] Mit diesem Vorbringen spricht sie in Bezug auf die dem Schuldspruch der H* Ö* zugrunde liegenden Hauptfragen keine entscheidende Tatsache an (siehe aber RIS-Justiz RS0120126; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 66 und Rz 70 sowie § 281 Rz 443), zumal die Erfüllung des in Rede stehenden Tatbestands keine Mehrheit von Tätern erfordert.
[6] Im Übrigen liegt eine widersprüchliche Antwort der Geschworenen auf die an sie gestellten Fragen (Z 9 dritter Fall) nur dann vor, wenn im Wahrspruch Tatsachen festgestellt worden sind, die einander nach den Gesetzen logischen Denkens ausschließen (RIS-Justiz RS0100971 und RS0101003). Dies trifft aber im vorliegenden Fall einer Bejahung der Schuld der H* Ö* (Hauptfragen 1 und 4) und des L* Ö* (Hauptfrage 2), jedoch Verneinung der Schuld des B* (Hauptfragen 3 und 5) nicht zu (zur gebotenen gesonderten Fragestellung für jeden Angeklagten RIS-Justiz RS0118085 sowie Lässig, WK-StPO § 312 Rz 3 f).
[7] Das weitere Rügevorbringen erschöpft sich in unzulässiger Kritik an der Beweiswürdigung der Geschworenen (§ 258 Abs 2 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) nach Art einer im geschworenengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO iVm § 344 StPO).
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten L* Ö*:
[8] Indem die Instruktionsrüge (Z 8) moniert, es fehle der Rechtsbelehrung (hier § 321 StPO) an „äquivalente[n] und für einen Laien verständliche[n]“ Ausführungen, dass „Nachteile für die Republik Österreich nicht in reinen Privatinteressen liegen können“, dabei aber die genau dazu verfassten Passagen übergeht (S 10 f der Rechtsbelehrung), erweist sie sich als nicht prozessordnungsgemäß ausgeführt (RIS-Justiz RS0119071; Ratz, WK-StPO § 345 Rz 65).
[9] Selbiges gilt für die pauschale Behauptung, „der Begriff des Nachrichtendienstes“ werde suggestiv erklärt und (diesbezügliche Ausführungen in S 8 f der Rechtsbelehrung jedoch außer Acht lassend) es fehlten Erläuterungen zum Erfordernis des Vorliegens eines geheimen Nachrichtendienstes (RIS-Justiz RS0119549 und erneut RS0119071).
[10] Als nicht an der Gesamtheit der Rechtsbelehrung orientiert erweist sich auch die Kritik deren Unvollständigkeit in Bezug auf die subjektive Tatseite, übergeht sie doch jene Teile der Rechtsbelehrung, die das relevierte Erfordernis eines das gesamte Tatbild erfassenden Vorsatzes (§ 5 Abs 1 StGB) betreffen (S 3 f und 14 der Rechtsbelehrung).
[11] Mit dem Hinweis auf die leugnende Verantwortung der Angeklagten L* Ö* und H* Ö* weckt die Tatsachenrüge (Z 10a) beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken (dazu RIS‑Justiz RS0119583 [T7]) gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage 2 getroffenen Feststellungen zur objektiven und zur subjektiven Tatseite (zum Umfang der Eingriffsbefugnisse des Höchstgerichts siehe RIS-Justiz RS0118780 [T13, T16 und T17]). Indem sie ihre Einwände aus dem angeblichen Fehlen von Beweisen entwickelt, gelangt sie nicht zur prozessförmigen Darstellung (RIS-Justiz RS0128874 [T1]).
[12] Die Geltendmachung materieller Nichtigkeit im geschworenengerichtlichen Verfahren verlangt den Vergleich der im Wahrspruch der Geschworenen (§§ 330 bis 333 StPO) festgestellten Tatsachen mit der im Schuldspruch (§§ 260 Abs 1 Z 2, 270 Abs 2 Z 4 StPO iVm § 342 StPO) vorgenommenen Subsumtion. Der Rechtsirrtum muss aus dem Wahrspruch selbst unter Zugrundelegung der in diesem von den Geschworenen festgestellten Tatsachen abgeleitet werden (RIS-Justiz RS0101148, RS0101403 und RS0101527 [T1]).
[13] Diese Anforderungen verfehlt die Rechtsrüge (Z 11 lit a), indem sie auf die leugnende Verantwortung des Angeklagten L* Ö* verweist, die im Wahrspruch festgestellte subjektive Tatseite und die „Involvierung“ eines geheimen Nachrichtendienstes bestreitet, eigene beweiswürdigende Überlegungen anstellt und das Fehlen von Beweisen moniert.
[14] Soweit die Rüge zum Schuldspruch des Angeklagten L* Ö* behauptet, das konstatierte Versenden des Videos sei zu Unrecht als „für Österreich nachteilig“ inkriminiert worden, übersieht sie, dass die Beurteilung der Sachverhaltsgrundlagen des – in der Rechtsbelehrung erläuterten (RIS-Justiz RS0100721 [T27]) – normativen Tatbestandsmerkmals „zum Nachteil der Republik Österreich“ (zur Unterscheidung deskriptiver und normativer Tatbestandsmerkmale eingehend Kienapfel/Höpfel/Kert, Strafrecht AT17 Rz 8.13 ff und 8.20 f) auf der Feststellungsebene angesiedelt und somit den Geschworenen vorbehalten ist. Bejahen diese – wie hier – die Schuldfrage, ist davon auszugehen, dass sie eben jene Voraussetzungen als erwiesen angenommen haben, aufgrund derer das zu beurteilende Sachverhaltselement dem normativen Tatbestandsmerkmal „zum Nachteil der Republik Österreich“ entspricht. Dessen Bejahung ist daher einer Anfechtung mit Rechtsrüge entzogen (RIS-Justiz RS0119234 [T3], vgl [zum normativen Tatbestandsmerkmal „nationalsozialistisch“] Lässig in WK2 Vor VG Rz 2 sowie VG § 3g Rz 9 und 17).
[15] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß §§ 344, 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[16] Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 344, 285i StPO).
[17] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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