OGH 12Os90/25i

OGH12Os90/25i17.9.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. September 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger als Vorsitzende sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Oshidari, Dr. Setz‑Hummel LL.M., Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi PMM in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Hinteregger in der Strafsache gegen * L* wegen des Verbrechens der terroristischen Straftaten nach §§ 15, 278c Abs 2 (iVm Abs 1 Z 1) StGB und weiterer strafbarer Handlungen und im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung des Genannten in einem forensisch‑therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 30. April 2025, GZ 17 Hv 9/25s‑247, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0120OS00090.25I.0917.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Berufung kommt dem Oberlandesgericht Graz zu.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * L* – soweit hier relevant – der Verbrechen der terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 2 (iVm Abs 1 Z 7) StGB (I/1) und nach §§ 15, 278c Abs 2 (iVm Abs 1 Z 1) StGB (I/2) sowie des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (II) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem ordnete das Erstgericht die Unterbringung des Genannten in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB an.

Rechtliche Beurteilung

[2] Die dagegen aus § 345 Abs 1 Z 4, 5 und 13 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

[3] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider begründet der Umstand, dass der psychiatrische Sachverständige die Sitzung nach Schluss der Verhandlung verließ (ON 246, 19), keine Verletzung des § 434d Abs 2 StPO. Diese Bestimmung schreibt nämlich die Anwesenheit des Sachverständigen nach der Erklärung des Vorsitzenden gemäß § 319 erster Halbsatz StPO nicht vor (12 Os 80/23s [Rz 4 ff]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 259; so im Ergebnis auch für das geschworenengerichtliche Verfahren Murschetz, WK‑StPO § 434d Rz 2; offenbar aus verfahrensökonomischen Gründen aA Strauss, Glosse zu 12 Os 80/23s, JSt 2024, 52, der aber nicht darlegt, inwiefern der Schutzzweck des § 434d Abs 2 StPO deren Berücksichtigung erfordert).

[4] Die weitere Verfahrensrüge (Z 5) wendet sich gegen die Abweisung (ON 246, 12) des mit (§ 126 Abs 4 erster Satz iVm) § 47 Abs 1 Z 3 StPO begründeten Antrags auf Enthebung des psychiatrischen Sachverständigen (ON 246, 10 iVm ON 226.2, 2 ff).

[5] Aus der Wendung „für die gesamte Dauer“ ergibt sich bei logisch systematischer Auslegung (vgl RIS‑Justiz RS0008787), dass im hier maßgeblichen Regelungsbereich des § 434d Abs 2 StPO die Verlesung von Befund und Gutachten oder die Vernehmung des Sachverständigen in der Hauptverhandlung für sich nicht (mehr) als „bei[...]ziehen“ zu qualifizieren sind. Vielmehr meint Beiziehen nicht nur die Vernehmung des Sachverständigen in der Hauptverhandlung, sondern auch dessen darüber hinausgehende Anwesenheit „für die gesamte Dauer“ der Hauptverhandlung (12 Os 80/23s [Rz 6 f]).

[6] Davon ausgehend erweist sich der erst im Beweisverfahren nach Vernehmung von Zeugen gestellte Antrag, den psychiatrischen Sachverständigen wegen des Anscheins seiner Befangenheit nicht der Hauptverhandlung beizuziehen, als verspätet, weil der Sachverständige – in Entsprechung des § 434d Abs 2 StPO – über Veranlassung des Vorsitzenden während der gesamten bis dahin stattgefundenen Hauptverhandlung anwesend war. Aus welchem Grund der Einwand nicht früher geltend gemacht werden konnte, wurde nicht dargetan (vgl RIS‑Justiz RS0113618 [T6, T7]; auch RIS‑Justiz RS0106259; Hinterhofer, WK‑StPO § 126 Rz 167; Ratz, Verfahrensführung und Rechtsschutz nach der StPO² Rz 663 f).

[7] Davon abgesehen ist allein die Erstattung des Sachverständigengutachtens zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit der Tochter des Angeklagten in einem von dieser angestrengten Unterhaltsverfahren gegen den Angeklagten ohne inhaltliche Befassung mit den hier zu klärenden, für die Anordnung der Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB erheblichen Tatsachen nach dem äußeren Anschein nicht geeignet, bei einem verständig würdigenden objektiven Beurteiler naheliegende Zweifel an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des Sachverständigen zu wecken (vgl Lässig, WK‑StPO § 47 Rz 1 iVm § 43 Rz 9 f). Dass der Sachverständige, der sich im Unterhaltsverfahren noch keine abschließende Meinung gebildet hat und sich subjektiv für nicht befangen erachtete (ON 246, 11), von einer „weitere[n] Bearbeitung“ im Unterhaltsverfahren Abstand nahm, um aufgrund seiner Bestellung im Strafverfahren nicht näher genannte „Konflikte zu vermeiden“, ist ebenso wenig geeignet, dessen Befangenheit iSd § 47 Abs 1 Z 3 StPO zu begründen. Zudem ist die Behauptung, das im Unterhaltsverfahren erstattete Gutachten vom 15. März 2024 sei „vollkommen unrichtig bzw jedenfalls unvollständig“, mangels Substantiierung einer Erwiderung nicht zugänglich (vgl im Übrigen Lässig, WK‑StPO § 47 Rz 1 iVm § 43 Rz 12).

[8] Schließlich richtet sich die Verfahrensrüge (Z 5) gegen die Abweisung (ON 246, 12) des Antrags auf „Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie“ zum Beweis dafür, dass eine Prognosetat mit schweren Folgen nicht zu erwarten sei (ON 246, 10 iVm ON 214.2, 2 ff).

[9] Allfällige Fehler der Prognoseentscheidung ressortieren im System der Nichtigkeitsgründe in den Regelungsbereich des zweiten Falls des § 345 Abs 1 Z 13 StPO. Konkret liegt Nichtigkeit aus Z 13 zweiter Fall dann vor, wenn diese Entscheidung zumindest eine der in § 21 Abs 1 (iVm Abs 2) StGB genannten Erkenntnisquellen (Person und Zustand des Rechtsbrechers sowie Art der Tat) vernachlässigt oder die aus diesen Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Prognoseentscheidung als willkürlich erscheinen lässt (RIS‑Justiz RS0113980 [T7], RS0118581 [T13]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 715 ff).

[10] Eine Bekämpfung aus Z 5 des § 345 Abs 1 StPO steht in Verbindung mit dem ersten, nicht jedoch mit dem zweiten Fall des § 345 Abs 1 Z 13 StPO offen (vgl RIS‑Justiz RS0113980 [T4], RS0118581; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 669). Deshalb geht die nach dem Antragsvorbringen auf die Gefährlichkeitsprognose bezogene Verfahrensrüge (Z 5) schon im Ansatz fehl (vgl 13 Os 134/97; Haslwanter in WK² StGB Vor §§ 21–25 Rz 11).

[11] Indem die Beschwerde weiters (nominell Z 13) eine willkürliche Prognoseentscheidung mit der Behauptung geltend macht, dass der Sachverständige befangen gewesen sei, zieht sie der Sache nach den Beweiswert des mündlich erstatteten Gutachtens in Zweifel. Solcherart erstattet sie bloß ein Berufungsvorbringen (vgl RIS‑Justiz RS0099869).

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 344 iVm § 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 344 iVm § 285i StPO).

[13] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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