OGH 11Os8/25y

OGH11Os8/25y1.4.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. April 2025 durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz, Dr. Oberressl, Dr. Brenner und Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin Brüggler LL.M., BSc in der Strafsache gegen * W* wegen Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. November 2024, GZ 91 Hv 30/24h‑47.2, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0110OS00008.25Y.0401.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * W* jeweils mehrerer Verbrechen des Beischlafs mit Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (I A 1), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I A 2 und B), der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (II A und III) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II B) sowie jeweils mehrerer Vergehen der (richtig) pornographischen Darstellungen mit Unmündigen nach § 207a Abs 3 StGB idF vor BGBl I 2004/15 und der pornographischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 3 zweiter Satz StGB idF vor BGBl I 2023/135 (IV), des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 erster Fall StGB idF BGBl 1974/60 (V) und der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (VI) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in W* – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung –

(I) mit einer unmündigen Person, nämlich seiner am * 1988 geborenen Tochter *,

(A) vom Oktober 1992 bis 1999 in zumindest drei Angriffen, indem er jeweils mit seinem Penis zur vaginalen Penetration ansetzte,

(1) bis zum 30. September 1998 den außerehelichen Beischlaf und

(2) ab dem 1. Oktober 1998 den Beischlaf sowie

(B) im Jahr 1999, indem er mit seinen Fingern ihre Schamlippen öffnete und mit seinem Penis vaginal in sie eindrang, den Beischlaf

unternommen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Nur gegen den Schuldspruch I A wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Der Erledigung der Mängelrüge (Z 5) sei vorangestellt, dass (sowohl die zur jeweiligen Tatzeit als auch die zum Urteilszeitpunkt geltende Fassung des) § 206 Abs 1 StGB – soweit hier von Bedeutung – ein „Unternehmen“ des Beischlafs verlangt. „Unternehmen“ des Beischlafs bedeutet „Ansetzen“ zum Beischlaf, also ein (zumindest) „versuchtes“ Eindringen mit dem Penis in die Scheide der Unmündigen. Dafür genügt ein – äußerlicher – Kontakt der Geschlechtsteile von Täter und Opfer, der vom Vorsatz des Täters getragen ist, den Beischlaf auszuführen, also mit seinem Penis in die Scheide des Opfers einzudringen (RIS-Justiz RS0095114 [insbesondere T5, T6 und T7]; Philipp in WK2 StGB § 206 Rz 10).

[5] Zu den vom Schuldspruch I A umfassten Taten hat das Schöffengericht festgestellt, dass der Beschwerdeführer jeweils mit Penetrationswillen (US 7) „von hinten den Scheideneingang“ des Opfers „mit seinem erigierten Penis“ „berührte“, den er solcherart „zum Eindringen ansetzte“ (US 6).

[6] Der Rüge zuwider lassen diese Feststellungen an Deutlichkeit (Z 5 erster Fall) nichts vermissen.

[7] Ihren Einwand, die Urteilsfeststellungen würden den angefochtenen Schuldspruch (und im Übrigen auch eine allfällige Subsumtion der davon umfassten Taten nach § 207 Abs 1 StGB) nicht tragen, versäumt die Rechtsrüge (Z 9 lit a), auf der Basis des (oben referierten) Urteilssachverhalts zu entwickeln. Damit bringt sie den herangezogenen (materiell‑rechtlichen) Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung (RIS-Justiz RS0099810).

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

[9] Über die Berufung hat das Oberlandesgericht zu entscheiden (§ 285i StPO).

[10] Hinzugefügt sei, dass das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht mit – nicht geltend gemachter – materieller Nichtigkeit (teils aus Z 10, teils aus Z 11 zweiter Fall des § 281 Abs 1 StPO) behaftet ist.

[11] Der in § 61 Abs 1 zweiter Satz StGB angeordnete Günstigkeitsvergleich ist für jede Tat (im materiellen Sinn) gesondert vorzunehmen (RIS-Justiz RS0089011). Das Ergebnis dieser Prüfung ist entweder, dass – streng fallbezogen in einer konkreten Gesamtschau der möglichen Unrechtsfolgen (RIS-Justiz RS0119085 [insbesondere T1], RS0119545 [T1], RS0089014) – die Strafgesetze zur Tatzeit günstiger oder jene zum Urteilszeitpunkt zumindest gleichgünstig für den Täter sind (vgl RIS-Justiz RS0112939; zur Auslegung des Begriffs „Strafgesetze“ in § 61 StGB Ratz, WK-StPO § 288 Rz 36). Je nachdem ist die Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) der einzelnen Tat – in vollem Umfang (RIS-Justiz RS0091798) – entweder nach den Tatzeit- oder nach den Urteilszeitgesetzen vorzunehmen. Eine Mischung der verschiedenen Rechtsschichten ist insoweit also unzulässig (RIS-Justiz RS0119085 [T4, T5], RS0088953; zum Günstigkeitsvergleich in vergleichbaren Konstellationen eingehend 11 Os 81/21b, 11 Os 125/21y, 13 Os 9/22f und 11 Os 24/22x, je mwN).

[12] Von vornherein verfehlt ist demnach die Unterstellung der vom Schuldspruch I umfassten, teils § 206 Abs 1 StGB idgF (I A 2 und B), teils § 206 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (I A 1) subsumierten Taten jeweils zugleich nach § 211 Abs 1 StGB in der (von der Tatzeitfassung dieser Norm verschiedenen) geltenden Fassung (VI, US 15) und nach der (von der Urteilszeitfassung dieser Norm verschiedenen) Tatzeitfassung (BGBl 1974/60) des § 212 Abs 1 StGB (V); ebenso die Unterstellung der vom Schuldspruch II B umfassten Taten nach § 207 Abs 1 StGB idgF in Idealkonkurrenz mit § 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 (V).

[13] Auf der Basis des Urteilssachverhalts erfüllen alle vom Schuldspruch I umfassten Taten (Unternehmen des Beischlafs [und nicht bloß einer von § 206 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 1998/153 nicht erfassten, dem Beischlaf gleichwertigen geschlechtlichen Handlung] an der unmündigen Tochter) die Tatbestandselemente des § 206 Abs 1 StGB (I), des § 212 Abs 1 (idgF: Z 1) StGB (V) und des § 211 Abs 1 StGB (VI) jeweils in der zum Tat- und in der zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung. Sie waren daher (unter Berücksichtigung des § 28 Abs 1 StGB) nach § 206 Abs 1 StGB sowohl zur jeweiligen Tatzeit als auch zum Zeitpunkt der Urteilsfällung in erster Instanz jeweils mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren bedroht. Hiervon ausgehend wäre jede dieser Taten in vollem Umfang der – demnach in ihrer fallkonkreten Gesamtauswirkung nicht ungünstigeren (§ 61 zweiter Satz StGB) – geltenden Gesetzesfassung dieser strafbaren Handlungen zu subsumieren gewesen.

[14] Bei den vom Schuldspruch I A umfassten Taten kam es nach den Urteilsfeststellungen übrigens (zwar zum „Unternehmen“ [§ 206 Abs 1 StGB], aber) – anders als von § 211 Abs 1 StGB vorausgesetzt – nicht zum (wenngleich vom Angeklagten intendierten – US 7) „Vollzug“ des Beischlafs (zum Erfordernis Philipp in WK2 StGB § 211 Rz 7 und 9). Letztere strafbare Handlung wäre daher durch die vom Schuldspruch I A (und VI) umfassten Taten – unter dem Aspekt der Strafbemessung relevant (Z 11 zweiter Fall; RIS‑Justiz RS0122138) – bloß in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB) verwirklicht.

[15] Jede der vom Schuldspruch II und III umfassten Taten wiederum bestand – nach dem Urteilssachverhalt – in geschlechtlichen Handlungen (intensivem Massieren im Scheidenbereich) gegenüber einer der unmündigen Töchter des Angeklagten, die aber weder als „Unternehmen“ des Beischlafs noch – mangels eines insoweit festgestellten Penetrationsvorsatzes (vgl US 7; Philipp in WK2 StGB § 206 Rz 12) – einer diesem gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung (vgl § 206 Abs 1 StGB idgF) zu beurteilen sind. Hiervon ausgehend erfüllen all diese Taten die Tatbestandsmerkmale des § 207 Abs 1 StGB und des § 212 Abs 1 StGB (und jeweils keiner weiteren strafbaren Handlung) in der zum jeweiligen Tat- und in der zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung. § 207 Abs 1 StGB, der somit gemäß § 28 Abs 1 StGB den Ausschlag gibt, war zu allen Tatzeiten (II A und III: idF BGBl 1974/60, II B: idF BGBl I 1998/153) gleich streng strafbedroht wie in seiner zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung, nämlich mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Demzufolge wäre jede dieser Taten § 207 Abs 1 StGB und § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF zu unterstellen gewesen, welche Subsumtion jeweils nicht ungünstiger (§ 61 zweiter Satz StGB) ist als eine rechtliche Unterstellung der vom Schuldspruch II A und III umfassten (von 1992 bis zum 30. September 1998 begangenen) Taten nach § 207 Abs 1 StGB und nach § 212 Abs 1 StGB jeweils idF BGBl 1974/60 und der vom Schuldspruch II B umfassten (vom 1. Oktober 1998 bis 1999 begangenen) Taten nach § 207 Abs 1 StGB idF BGBl I 1998/153 und § 212 Abs 1 StGB in der (bis zum 30. April 2004 geltenden) Fassung BGBl 1974/60.

[16] Die aufgezeigten Subsumtionsfehler (Z 10) haben sich in concreto nicht zum Nachteil (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) des Angeklagten ausgewirkt und waren daher von Amts wegen nicht aufzugreifen (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff). Aufgrund der hier getroffenen Klarstellung ist das Oberlandesgericht bei seiner Berufungsentscheidung – in der es auch der dargestellten Nichtigkeit des Strafausspruchs (Z 11 zweiter Fall) Rechnung tragen kann – nicht an die Fehlsubsumtion gebunden (RIS-Justiz RS0118870).

[17] Der Kostenausspruch gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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