OGH 11Os24/25a

OGH11Os24/25a6.5.2025

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Mai 2025 durch dieVizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Fürnkranz, Dr. Oberressl, Dr. Brenner und Mag. Riffel in Gegenwart der Rechtspraktikantin Boyer LL.M. (WU), LL.M. als Schriftführerin in der Strafsache gegen * L* wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 und 3 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen sowie im Verfahren zu dessen strafrechtlicher Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Schöffengericht vom 13. November 2024, GZ 39 Hv 96/24w-101, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Geymayer, des Angeklagten und seiner Verteidigerin Mag. Bernhofer‑Schnöll

 

1/ zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0110OS00024.25A.0506.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus ihrem Anlass werden das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, im Schuldspruch zu III/2/, demzufolge im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und der Beschluss nach § 494a StPO aufgehoben und es wird in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:

* L* wird vom wider ihn erhobenen Vorwurf gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen, er habe am 22. Februar 2024 in S* * O* durch eine intensive Berührung einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle, nämlich ihrer Brust, in ihrer Würde verletzt.

L* wird für die ihm weiterhin zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich ein Verbrechen des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 und 3 erster Fall StGB (I/) und jeweils mehrerer Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 2 StGB (II/1/ und 2/) und nach §§ 15, 218 Abs 1a StGB (III/1/), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (IV/1/) und nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (IV/2/) sowie der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (V/1/ und 2/) in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 39 Abs 1a StGB nach § 205 Abs 3 erster Fall StGB zu einer

Freiheitsstrafe von neun Jahren

verurteilt.

Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StPO wird die Vorhaft von 13. August 2024, 9:30 Uhr, bis 13. November 2024, 14:06 Uhr, auf die Freiheitsstrafe angerechnet.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

2/ den

Beschluss

gefasst:

Vom Widerruf der bedingten Entlassung im Verfahren AZ 27 BE 59/16g des Landesgerichts Innsbruck (vormals AZ 46 BE 63/16b des Landesgerichts Salzburg) wird abgesehen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * L* des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 und 3 erster Fall StGB (I/) und jeweils mehrerer Vergehen der sexuellen Belästigung und öffentlichen geschlechtlichen Handlungen nach § 218 Abs 2 StGB (II/1/ und 2/), nach §§ 15, 218 Abs 1a StGB (III/1/) und nach § 218 Abs 1a StGB (III/2/), der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (IV/1/) und nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (IV/2/) sowie der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (V/1/ und 2/) schuldig erkannt, hierfür zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und – gestützt auf die zu I/ zugrunde gelegte Tat als Anlasstat – nach § 21 Abs 2 StGB in einem forensisch-therapeutischen Zentrum untergebracht.

[2] Mit zugleich gefasstem Beschluss nach § 494a StPO wurde vom Widerruf der bedingten Entlassung im Verfahren AZ 27 BE 59/16g des Landesgerichts Innsbruck (vormals AZ 46 BE 63/16b des Landesgerichts Salzburg) abgesehen.

[3] Danach hat – soweit hier von Bedeutung – L* in S*

I/ am 29. September 2023 eine wehrlose Person unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er an ihr eine geschlechtliche Handlung vornahm, indem er die durch massiven Alkoholkonsum voll berauschte und immer wieder geistesabwesende * M* auszog und ihre Brüste sowie ihre Vagina intensiv berührte, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine Traumafolgestörung mit intensiver, krankheitswertiger Symptomschwere, zur Folge hatte;

III/2/ am 22. Februar 2024 * O* durch eine intensive Berührung an einer der Geschlechtssphäre zuzuordnenden Körperstelle, nämlich ihrer Brust, in ihrer Würde verletzt.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen den Schuldspruch zu I/ richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[5] Der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider wurde die Feststellung der Wehrlosigkeit der M* infolge starker Beeinträchtigung durch Alkohol (US 6 f) auf in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse, insbesondere auf ihre eigenen Angaben sowie auf den Amtsvermerk der Polizeibeamten über deren Wahrnehmungen betreffend den Zustand der Genannten nach dem Vorfall gestützt (US 13 ff), blieb also keineswegs unbegründet.

[6] Die Kritik am Fehlen von „Ausführungen“ zu bestimmten „Themenblöcken“ im Zusammenhang mit dem Begriff der Wehrlosigkeit zeigt weder Begründungsmängel noch Rechtsfehler mangels Feststellungen auf, sondern versucht der Sache nach, die Beweiswürdigung der Tatrichter (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer – im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) – Schuldberufung in Zweifel zu ziehen.

[7] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – zu verwerfen.

[8] Ebenso in Übereinstimmung mit dieser überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass der Schuldspruch zu III/2/ mit dem Angeklagten zum Nachteil gereichender materieller Nichtigkeit behaftet ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall iVm § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO).

[9] Zum Zeitpunkt der darauf bezogenen Anklageausdehnung (§ 263 Abs 1 StPO) in der Hauptverhandlung am 13. November 2024 (ON 100, 16) war keine Ermächtigung der O* – als diesbezüglich verletzter Person – aktenkundig (§ 218 Abs 3 iVm § 92 Abs 2 erster Satz StPO). Solcherart war in Ansehung dieser selbständigen Tat im materiellen Sinn der Schuldspruch aufzuheben und sogleich mit Freispruch vorzugehen (vgl RIS‑Justiz RS0100178 [insb T14], RS0100332 [T1]; Vogl, WK‑StPO § 92 Rz 21).

[10] Dies machte die Kassation des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung und des davon abhängigen Beschlusses nach § 494a StPO) erforderlich.

[11] Nach den Feststellungen zu den Vorstrafen (US 4 f) liegen die Voraussetzungen der Strafschärfung nach § 39 Abs 1 und Abs 1a StGB vor.

[12] Bei der Strafneubemessung innerhalb eines Strafrahmens von fünf bis zu zwanzig Jahren Freiheitsstrafe wirkten das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) und die einschlägigen Vorstrafen (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB – RIS-Justiz RS0091527 [insb T3]) erschwerend. Die tatkausale schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung (§ 34 Abs 1 Z 1 StGB), das teilweise Verbleiben beim Versuch (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB) und das teilweise Geständnis (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB) wurden mildernd berücksichtigt. Davon ausgehend erweist sich auf der Grundlage der – durch die Tatbegehung in der Probezeit gesteigerten (RIS-Justiz RS0090597) – Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) die im Spruch genannte Freiheitsstrafe als angemessen.

[13] Darauf waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft mit ihren Berufungen zu verweisen.

[14] Die Vorhaftanrechnung gründete sich auf § 38 Abs 1 Z 1 StGB (zur Anrechnung der Haftzeiten nach Fällung des Urteils erster Instanz vgl § 400 Abs 1 StPO).

[15] Einer Aufhebung der – unbekämpften (vgl § 294 Abs 2 vierter Satz StPO) – Anordnung der Unterbringung nach § 21 Abs 2 StGB bedurfte es fallkonkret (§ 289 StPO) nicht, zumal diese nicht auch auf der vom Freispruch betroffenen Tat beruht (US 3, 23 f).

[16] Das Absehen vom Widerruf hinsichtlich der bedingten Entlassung im Verfahren AZ 27 BE 59/16g des Landesgerichts Innsbruck (vormals AZ 46 BE 63/16b des Landesgerichts Salzburg) ergab sich bereits aus dem Verschlechterungsverbot (RIS-Justiz RS0100547).

[17] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (Lendl, WK-StPO § 390a Rz 12), beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte