European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0110OS00121.24I.0401.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen, demzufolge auch in den die Angeklagten * S*, * F*, H* R* und * H* betreffenden Aussprüchen über die Strafe, den Verfall und die privatrechtlichen Ansprüche gemäß § 369 Abs 1 StPO und § 366 Abs 2 StPO, aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an den Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz verwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten * F*, H* R* und * H* auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Gründe:
[1] Mit dem auch unbekämpft in Rechtskraft erwachsene Freisprüche des * S* und zweier anderer Angeklagter enthaltenden Urteil wurden folgende Angeklagte jeweils des Vergehens der Ketten‑ oder Pyramidenspiele, und zwar * S* nach § 168a Abs 1 Z 1 und Abs 2 StGB (I/1/) sowie * F*, H* R* und * H* jeweils nach § 168a Abs 1 Z 2 und Abs 2 StGB (I/2/), schuldig erkannt.
[2] Danach haben in G* und anderen Orten in Österreich
I/ von „14. Juni 2010“ bis Juni 2013 ein Gewinnerwartungssystem, dessen Teilnehmern gegen einen Einsatz ein Vermögensvorteil unter der Bedingung in Aussicht gestellt wurde, dass diesem oder einem damit im Zusammenhang stehenden System unter den gleichen Bedingungen weitere Teilnehmer zugeführt werden, und bei dem die Erlangung des Vermögensvorteils ganz oder teilweise vom bedingungsgemäßen Verhalten jeweils weiterer Teilnehmer abhing (Ketten- oder Pyramidenspiel), nämlich das System „MO*“, in welchem die Teilnehmer – über die Internet-Plattform „World of MO*“, auf welcher (Online‑)Pokerspielern (darüber hinaus) auch die Möglichkeit eröffnet wurde, Rückvergütungen („Rakebacks“) für Gebühren zu erlangen (US 9 f) – durch den Erwerb von „MO*-RIGHTS-Paketen“ nach einem „binären Verrechnungssystem“ eine oder mehrere „Positionen“ erhielten, welche mit „Bonifikationen“ verbunden waren, deren Erreichung und Auszahlung die Anwerbung dem jeweiligen Teilnehmer durch Registrierung zuzurechnender, weitere „RIGHTS“ bezahlender Teilnehmer voraussetzte (US 9 ff iVm US 14 ff), wobei sie durch die Tat eine größere Zahl von Menschen schwer schädigten,
1/ in Gang gesetzt und veranstaltet, und zwar * S*, indem er als wirtschaftlich Berechtigter von „MO*“ für zumindest 500 Teilnehmer, „nämlich die unter Punkt A.1. und Punkt B.2. der Anklageschrift genannten“ sowie zahlreiche weitere nicht mehr feststellbare Personen, die unternehmerischen Voraussetzungen schuf, ein hierarchisch gegliedertes Vertriebssystem aufbaute und betrieb, die Vorgaben zur Durchführung dieses Systems lieferte und die ersten Teilnehmer zur Einsatzleistung veranlasste,
2/ durch Zusammenkünfte und auf andere zur Anwerbung vieler Teilnehmer geeignete Weise verbreitet, indem sie jeweils das System „MO*“ potentiellen Interessenten mittels Laptops und Prospekten im Rahmen von Zusammenkünften, Vorträgen und Beratungsgesprächen sowie im Rahmen von Telefonakquise (US 19) präsentierten und als „Systemberater“ an Kunden vertrieben, und zwar
* F* von „20. Jänner 2011“ bis Juni 2013 im Hinblick auf die Teilnehmer * K* (US 17: Schaden 11.000 Euro), * Ra* (US 17: Schaden 17.500 Euro), „* E*“ (US 17: Schaden 130.743 Euro), * P* (US 17: Schaden 30.000 Euro), * B* (US 17: Schaden 14.600 Euro), * M* (US 17: Schaden 52.500 Euro), (US 18: H* und) S* Ho* (Schaden 30.000 Euro), * D* (US 18: Schaden 51.000 Euro), DI * Kl* (US 18: Schaden 47.000 Euro), H* St*, * N* (US 18: Schaden 54.303 Euro), * G* (US 18: geborene Stu*; Schaden 28.150 Euro), * Kö* (US 18: Schaden 18.670 Euro), * Hö* (US 18: Schaden 9.090 Euro), * W* (US 18: Schaden 26.810 Euro), * Pi* (US 18: Schaden 13.805 Euro), „KR * E*“, * Hi* (US 18: Schaden 5.334 Euro), * T* (US 18: Schaden 19.190 Euro), * Mi* (US 18: Schaden 4.655 Euro) (US 17, 19: und „viele weitere, nicht mehr feststellbare Personen“ mit Schaden „im Ausmaß von über 5.000 Euro“),
H* R* von „26. Dezember 2010“ bis Juni 2013 im Hinblick auf die Teilnehmer A* R*, * Ki*, * A*, * Bu* (US 18: Schaden 6.000 Euro), „* Ts*“, „* L*“, * H* (US 18: sowie * Wü*, * Ma* [Schaden 19.000 Euro], * Po* [Schaden 500 Euro], * U* [Schaden 60.000 Euro] und * Er* [Schaden 6.500 Euro]) „und weitere nicht mehr feststellbare Teilnehmer“ (US 19: mit Schaden „im Ausmaß von über 5.000 Euro“),
* H* von Dezember 2010 bis Juni 2013 im Hinblick auf die Teilnehmer H* St* (US 18: Schaden 199.000 Euro), K* St*, * De* (US 18: Schaden 29.000 Euro), * Pu* (US 18: Schaden 24.000 Euro), * Hu* (US 18: Schaden 3.000 Euro), * Pic* (US 18: Schaden 24.500 Euro), * Ko* (US 18 f: Schaden 24.900 Euro), * Kol* und * Ba* (US 18 f: und „viele weitere, nicht mehr feststellbare Personen“ mit Schaden „im Ausmaß von über 5.000 Euro“).
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich getrennt ausgeführte, inhaltlich jedoch weitgehend wortgleiche, von * F* und * H* auf Z 5, 9 lit a, Z 10a und 11 sowie von H* R* auf Z 5, 9 lit a und Z 11 (je) des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerden dieser Angeklagten.
[4] Zutreffend zeigen die Mängelrügen (Z 5 zweiter Fall) der Angeklagten * F*, H* R* und * H* auf, dass die Tatrichter das – seinerzeit von der Rechtsvertretung der „World of MO*“ eingeholte [ON 134 S 157]) – Gutachten (samt Befund) des Ing. * Tr* vom 26. September 2011 (ON 134 S 157 ff) bei der für die Feststellungen zur subjektiven Tatseite der Beschwerdeführer angestellten Beweiswürdigung (US 38, 41 und 43) unberücksichtigt ließen, obwohl diese ihren Tatvorsatz jeweils unter Berufung auf dieses Gutachten in Abrede gestellt hatten (vgl ON 402 S 8 f, ON 409 S 18 und 40, ON 523 S 9 sowie zusammenfassend ON 523 S 18 ff). Diesem (durch Verlesung) in der Hauptverhandlung vorgekommenen (ON 523 S 14), nach den tatrichterlichen Annahmen allen Angeklagten vollständig vorgelegenen (US 27) und nicht von ihnen selbst in Auftrag gegebenen (US 48) Gutachten zufolge handle es sich bei „World of MO*“ nicht um ein Ketten- oder Pyramidenspiel nach § 168a Abs 1 StGB, sondern um eine Kundenbindung durch Cashback- und Bonusmöglichkeiten für (Online‑)Pokerspieler „und Nutzer“ verfolgende Marketingorganisation, bei welcher kein „Cashback“ oder Bonus von der Zuführung weiterer Teilnehmer abhänge (ON 134 S 203 ff). Somit wäre bei der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite der Beschwerdeführer mit Blick auf ihre jeweiligen Verantwortungen auf diese Expertise einzugehen gewesen (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 432 sowie Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 40), zumal der angefochtenen Entscheidung (vgl US 17 ff) auch keine Konstatierungen zur Vornahme konkreter Tathandlungen dieser Angeklagten vor dem Zeitpunkt der Gutachtenserstellung zu entnehmen sind.
[5] Derselbe (von den Angeklagten * F*, H* R* und * H* erfolgreich geltend gemachte) Grund kommt auch dem Mitangeklagten * S* (vgl zu diesem US 25 f sowie ON 420 S 27 f, 31 f, 40, ON 523 S 11 und 15 f), der keine Nichtigkeitsbeschwerde ergriffen hat, zustatten (RIS‑Justiz RS0129172).
[6] Es war daher von Amts wegen so vorzugehen, als wäre der Nichtigkeitsgrund auch zu seinen Gunsten geltend gemacht worden (§ 290 Abs 1 zweiter Satz zweiter Fall StPO).
[7] In Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur war das angefochtene Urteil bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) wie aus dem Spruch ersichtlich aufzuheben (vgl RIS‑Justiz RS0100493 [insb T1], RS0101303 [insb T3]; Ratz, WK‑StPO § 289 Rz 7). In diesem Umfang war eine neue Hauptverhandlung anzuordnen und die Sache an den Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Graz (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO; RIS‑Justiz RS0100271 [insb T8, T9]) zu verweisen.
[8] Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten * F*, H* R* und * H* auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.
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