OGH 10ObS129/24d

OGH10ObS129/24d18.3.2025

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und FI Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*, vertreten durch die Korn & Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz, LL.M., Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. September 2024, GZ 12 Rs 92/24 x‑27, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. Mai 2024, GZ 16 Cgs 289/22a‑22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:010OBS00129.24D.0318.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil unter Einschluss des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils zu lauten hat:

„1. Es wird festgestellt, dass die klagende Partei bis zum Feststellungszeitpunkt 1. Juli 2022 507 Beitragsmonate der Pflichtversicherung – Erwerbstätigkeit, acht Beitragsmonate der Pflichtversicherung – Teilversicherung und acht Ersatzmonate, somit insgesamt 523 Versicherungsmonate erworben hat.

2. Es wird festgestellt, dass die von der klagenden Partei erworbenen Versicherungsmonate im Zeitraum von 1. August 2003 bis 31. Dezember 2017 Schwerarbeitsmonate im Sinne des § 607 Abs 14 ASVG bzw § 4 Abs 4 APG in Verbindung mit der SchwerarbeitsV sind.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 502,70 EUR (darin 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der 1963 geborene Kläger war von 1. August 2003 bis 30. November 2014 als Bäckermeister und Geschäftsführer einer GmbH tätig.

[2] Seine tägliche Arbeitszeit betrug durchschnittlich 11,5 Stunden an sechs Tagen der Woche. Von seiner täglichen Arbeitszeit entfielen rund 8 Stunden auf handwerkliche Tätigkeiten in der Backstube und 3,5 Stunden auf administrative, organisatorische und Bürotätigkeiten als Geschäftsführer. Er hatte dabei im Wesentlichen einen Rhythmus mit einer immer gleichen Arbeitszeitverteilung:

[3] Freitags und samstags begann er zwischen 22:00 Uhr und 23:00 Uhr und montags bis donnerstags gegen 00:30 Uhr zu arbeiten. Er arbeitete sodann jeweils bis 07:30 Uhr. Vormittags und nachmittags erledigte er noch administrative Bürotätigkeiten samt Abrechnung der Registrierkasse in der Dauer von zusammen etwa 3,5 Stunden pro Tag. Vereinzelt war der Kläger auch nur untertags tätig, wobei nicht festgestellt werden konnte, ob diese Tagdienste vor, nach oder zwischen zumindest sechs Nachtdiensten stattgefunden haben.

[4] Mit Bescheid vom 10. Oktober 2022 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger bis zum Feststellungszeitpunkt (1. Juli 2022) insgesamt 523 Versicherungsmonate erworben hat und anerkannte die Versicherungsmonate im Zeitraum von 1. Dezember 2014 bis 31. Dezember 2017 als Schwerarbeitsmonate. Die Anerkennung weiterer Schwerarbeitsmonate in der Zeit von 1. August 2003 bis 30. November 2014 lehnte sie dagegen ab.

[5] Mit seiner Klage begehrt der Kläger, auch die im Zeitraum von 1. August 2003 bis 30. November 2014 erworbenen Versicherungsmonate als Schwerarbeitsmonate festzustellen. In dieser Zeit habe sein Arbeitstag meistens um Mitternacht begonnen: Bis 07:30 Uhr habe er in der Backstube gearbeitet, dann von 09:00 Uhr bis 12:00 Uhr sowie von 17:00 Uhr bis 18:00 Uhr Bürotätigkeiten erledigt und zuletzt die Registrierkasse abgerechnet. Er habe damit regelmäßig im Schicht- bzw Wechseldienst und zumindest an sechs Tagen im Kalendermonat mindestens sechs Stunden zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr gearbeitet.

[6] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage, weil die angeführten Tätigkeiten die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV nicht erfüllten. Der Kläger sei nicht im Rahmen eines Schicht- oder Wechseldienstes tätig gewesen.

[7] Das Erstgericht wies das auf Feststellung von Schwerarbeitsmonaten gerichtete Begehren ab. Die besonders belastenden Arbeitsbedingungen, die zurAnnahme von Schwerarbeitsmonaten führten, lägen in der unregelmäßigen Nachtarbeit im Rahmen eines Schicht- oder Wechseldienstes, die notwendigerweise einen Wechsel zwischen Tag- und Nachtdienst voraussetze. Dazu sei es hier nicht gekommen, weil der Kläger reine Nachtarbeit geleistet habe. Eine Störung des Schlafrhythmus durch unregelmäßige Nachtarbeit liege daher nicht vor.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Zwar habe der Kläger sowohl in der Nacht als auch am Tag gearbeitet. § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV sei jedoch in ein arbeitszeitrechtliches Regime eingebettet, sodass zwischen den wechselnden Diensten jeweils eine dem § 12 AZG bzw § 7 BäckAG 1996 entsprechende Ruhezeit (von 11 Stunden) liegen müsse. Diese sei bei einer Tätigkeit des Klägers sowohl in der Nacht als auch vormittags und nachmittags nicht eingehalten worden.

[9] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil die Frage, ob auch regelmäßig über den gesamten Kalendertag verteilte Arbeitsleistungen ohne Ruhezeit davor und danach von § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV erfasst seien, in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bislang nicht geklärt sei.

[10] Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, der Klage stattzugeben. Hilfsweise stellt er auch Aufhebungsanträge.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Beklagte begehrt, der Revision nicht Folge zu geben.

[12] Die Revision ist zulässig, weil den Vorinstanzen eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Sie ist aus diesem Grund auch berechtigt.

[13] 1. Aufgrund der (gesetzmäßig ausgeführten) Rechtsrüge des Klägers ist die Frage, ob die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV vorliegen, nach allen Richtungen zu prüfen (RS0043352). Dieser Prüfung halten die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht stand.

[14] 2. Der Kläger stützt sich im Revisionsverfahren nur mehr auf § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV. Nach dieser Bestimmung gelten Tätigkeiten dann als besonders belastend bzw als Schwerarbeit (§ 607 Abs 14 ASVG bzw § 4 Abs 4 APG), wenn sie in einem Schicht- oder Wechseldienst auch während der Nacht (unregelmäßige Nachtarbeit), das heißt, zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr, jeweils im Ausmaß von mindestens sechs Stunden und zumindest an sechs Arbeitstagen im Kalendermonat erbracht werden, sofern in diese Arbeitszeit nicht überwiegend Arbeitsbereitschaft fällt.

[15] 2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung stellt reine Nachtarbeit kein Belastungsmoment im Sinn der SchwerarbeitsV dar, das zum Vorliegen von Schwerarbeit führt (RS0126106 [T2]; 10 ObS 81/22t Rz 16 ua). Ebenso wenig begründen regelmäßig geleistete 24‑Stunden-Dienste Schwerarbeitszeiten im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV (10 ObS 104/17t ErwGr 4.). Die besonders belastenden Arbeitsbedingungen bestehen vielmehr in der unregelmäßigen Nachtarbeit im Rahmen eines Schicht- oder Wechseldienstes, die notwendigerweise einen Wechsel zwischen Tagdienst und Nachtdienst voraussetzt (RS0126106; Pöltner/Pacic, ASVG SchwerarbeitsV Anm 3 [Band 6 Anhang] ua). Es muss daher ein Schicht- oder Wechseldienst (im Rahmen eines periodischen Dienst- bzw Schichtplans) erbracht werden, das heißt, es muss vor, nach oder zwischen den sechs Nachtdiensten zumindest ein Wechsel zu einem Tagdienst stattfinden (10 ObS 145/23f Rz 14; 10 ObS 39/17h ErwGr 2.; Rainer/Pöltner in Mosler/Müller/Pfeil SV‑Komm § 4 APG Rz 136; Milisits, Schwerarbeitsverordnung 22 ua).

[16] 2.2. Der Oberste Gerichtshof hat dazu schon klargestellt, dass § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV auf „einzelne“ Dienste abstellt und der Wortlaut der Bestimmung eine Teilung eines Dienstes in verschiedene Abschnitte nicht zulässt (10 ObS 104/17t ErwGr 4.; 10 ObS 118/15y ErwGr 4.). Werden Dienste immer am Tag (zu gleicher Zeit) begonnen und in jedem dieser Dienste auch Nachtarbeit erbracht, liegt daher kein Wechsel von einem Tag- zu einem Nachtdienst, sondern „nur“ ein (einheitlicher) Dienst vor (10 ObS 104/17t ErwGr 4.).

[17] 2.3. Das Vorliegen eines Dienstes im Sinn des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV während der Nacht setzt voraus, dass zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr im Ausmaß von mindestens sechs Stunden gearbeitet wird. Ein Dienst ist nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung daher (nur) dann ein Nachtdienst, wenn innerhalb der angegebenen Uhrzeiten zumindest sechs Stunden gearbeitet wird. Trifft das nicht zu, ist der (einheitliche) Dienst ein Tagdienst, auch wenn Arbeit in der Nacht geleistet wird. Nach der Konzeption des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV ist ein Dienst daher entweder ein Nachtdienst, wenn die Tätigkeit zeitlich entsprechend gelagert ist, oder, wenn die Voraussetzungen des Nachtdienstes nicht erfüllt sind, ein Tagdienst (10 ObS 4/25y Rz 11, 12).

[18] 2.4. Hier hat der Kläger an den ersten vier Tagen seiner Arbeitswoche (Montag bis Donnerstag) „erst“ von 00:30 Uhr an gearbeitet. Damit hat er bis 06:00 Uhr die nach § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV erforderliche Arbeitszeit von sechs Stunden jedenfalls, das heißt unabhängig von der Lage der in § 6 Abs 1 BäckAG 1996 vorgesehenen, nicht zur Arbeitszeit zählenden Ruhepause (10 ObS 81/22t Rz 36), nicht erreicht. Die von Montag bis Donnerstag geleisteten Dienste sind daher jeweils Tagdienste. Demgegenüber hat er in den darauf folgenden zwei Tagen (Freitag und Samstag) seine Tätigkeit in der Backstube „schon“ zwischen 22:00 Uhr und 23:00 Uhr begonnen und gegen 07:30 Uhr beendet, sodass er bis 06:00 Uhr zumindest 6 Stunden gearbeitet hat. Die Dienste am Freitag und Samstag sind daher jeweils Nachtdienste. Dass der Kläger jeweils auch vormittags und nachmittags gearbeitet hat, wirkt sich auf die Qualifikation als Tag- oder Nachtdienst nicht aus, weil es dafür nur darauf ankommt, ob er sechs Arbeitsstunden im relevanten Zeitraum des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV geleistet hat.

[19] 2.5. Vor diesem Hintergrund stellt sich die vom Berufungsgericht formulierte Zulassungsfrage nicht, weil der Kläger am Sonntag, also nach den zwei Nachtdiensten am Freitag und Samstag, nicht gearbeitet hat und damit unter Einhaltung der Ruhezeiten (vgl §§ 7, 9 BäckAG 1996 bzw § 12 AZG) ein Wechsel zu den am Montag beginnenden vier Tagdiensten stattgefunden hat.

[20] 3. Zusammenfassend wechselte der Kläger wöchentlich von zwei Nacht- zu vier Tagdiensten, wobei dazwischen ein ganzer Tag Ruhezeit lag. Der für die Annahme unregelmäßiger Nachtarbeit erforderliche Wechsel zwischen Tag- und Nachtdienst liegt daher vor. Da die Beklagte nie bestritten hat, dass der Kläger im klagsgegenständlichen Zeitraum (1. August 2003 bis 30. November 2014) zumindest an sechs Arbeitstagen pro Kalendermonat Nachtdienste (im dargestellten Sinn) geleistet hat, sind die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Z 1 SchwerarbeitsV erfüllt.

[21] 4. Der Revision ist daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern.

[22] 4.1. Zwar ist nach der jüngeren Rechtsprechung nur über den Feststellungsanspruch nach § 247 Abs 2 ASVG und nicht über den gesamten Bescheidinhalt (die Feststellung auch der insgesamt erworbenen Versicherungsmonate im Sinn des § 247 Abs 1 ASVG) neuerlich abzusprechen (RS0084896 [T9]; 10 ObS 140/22v Rz 25 ua). Die darüber ergangene Entscheidung des Erstgerichts erwuchs aber in Rechtskraft.

[23] 4.2. Die im bekämpften Bescheid festgestellten Schwerarbeitszeiten (von 1. Dezember 2014 bis 31. Dezember 2017) sind dagegen sehr wohl neuerlich festzustellen, weil ein Bescheid nach § 247 Abs 2 ASVG durchErhebung einer Klage insoweitzur Gänze außer Kraft tritt, auch wenn damit nur die Feststellung zusätzlicher Schwerarbeitszeiten begehrt wird (vgl RS0084896; 10 ObS 103/17w ErwGr 2.5.8.; aA Panhölzl in Mosler/Müller/Pfeil SV-Komm 247 ASVG Rz 6).

[24] 5. Im Verfahren erster und zweiter Instanz wurden keine Kosten verzeichnet. Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Das Verfahren nach § 247 Abs 2 ASVG hat eine Feststellung im Sinn des § 77 Abs 2 ASGG zum Gegenstand (vgl 10 ObS 1/15t ErwGr 3.).

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