OGH 10Ob60/24g

OGH10Ob60/24g11.2.2025

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Schober, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier und die Hofrätin Dr. Wallner-Friedl als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin P*, gegen den Antragsgegner E*, vertreten durch den Erwachsenenvertreter Mag. Florian Steinwendtner, Rechtsanwalt in Neulengbach, wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Antragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 11. September 2024, GZ 23 R 269/24t-42, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Purkersdorf vom 28. Juni 2024, GZ 1 Fam 4/23g‑38, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2025:0100OB00060.24G.0211.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Sozialrecht, Unterhaltsrecht inkl. UVG

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Antragsgegner hat die Kosten seines Revisionsrekurses selbst zu tragen.

 

Begründung:

[1] Die Antragstellerin ist die volljährige Tochter des Antragsgegners.

[2] Der Antragsgegner befand sich ab Mitte 2020 wiederholt in stationärer Behandlung in einer psychiatrischen Klinik. Seit Jänner 2021 befindet er sich in einem Pflegeheim. Er bezieht eine Berufsunfähigkeitspension sowie Pflegegeld.

[3] Sein monatliches Durchschnittseinkommen (ohne Pflegegeld) betrug inklusive Sonderzahlungen 2.110 EUR im Jahr 2020, 2.126 EUR im Jahr 2021, zwischen 2.224 EUR und 2.268 EUR im Jahr 2022 sowie 2.349 EUR im Jahr 2023. Seit Jänner 2024 beträgt die Berufsunfähigkeitspension 2.744,01 EUR pro Monat.

[4] Für die Kosten der Heimunterbringung hat der Antragsgegner einen sogenannten Verpflegskostenanteil (§ 324 Abs 3 ASVG) zu leisten, der ohne Pflegegeldanteil (vgl § 13 BPGG) 1.462,12 EUR im Jahr 2021, 1.483,71 EUR im Jahr 2022, 1.610,76 EUR im Jahr 2023 und 1.773,11 EUR seit Jänner 2024 beträgt.

[5] An krankheitsbedingten Mehraufwendungen hat er monatlich 45 EUR zu tragen.

[6] Die Antragstellerin begehrt, den Antragsgegner ab 1. Mai 2020 zur Leistung von (näher aufgeschlüsseltem) Unterhalt zu verpflichten. Sie lebe mit ihrem Bruder und ihrer Mutter in einer Doppelhaushälfte, die im Alleineigentum ihres Vaters stehe, der grundsätzlich auch die mit der Benutzung und Erhaltung der Liegenschaft verbundenen Aufwendungen (Müllentsorgung, Gemeindeabgaben etc) trage. Seit 15. Juni 2020 lebe ihr Vater krankheitsbedingt nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit ihr; mittlerweile befinde er sich in einem Pflegeheim. Im Juni 2023 habe sie das Bachelor-Studium Lehramt für Primärstufe abgeschlossen und absolviere seit Oktober 2023 das weiterführende Master-Studium. Im Juli 2021 und August 2022 habe sie jeweils als Ferialpraktikantin gearbeitet; seit dem Jahr 2020 gehe sie überdies einer geringfügigen Beschäftigung in einem Kletterpark nach. Der Antragsgegner habe keine weiteren Unterhaltspflichten; ein Unterhaltstitel bestehe bislang nicht.

[7] Der Vater wandte ein, der Unterhaltsbemessung sei nicht sein Durchschnittseinkommen zugrundezulegen, weil er davon 80 % für seine Heimunterbringung leisten müsse. Aufgrund seiner Erkrankung habe er überdies Sonderausgaben wie Krankheitskosten oder die Kosten seiner gerichtlichen Erwachsenenvertretung zu tragen, wodurch sein Einkommen zusätzlich geschmälert werde. Zudem habe sich seine Tochter die Ersparnisse durch die Zurverfügungstellung der Wohnung und Bezahlung der Wohnkosten auf ihren Unterhaltsanspruch anrechnen zu lassen. Nach Abschluss ihres Bachelor‑Studiums sei es ihr auch möglich, ein Einkommen als Pädagogin zu erzielen und ihre Fortbildung berufsbegleitend zu betreiben, sodass sie entsprechend anzuspannen sei.

[8] Das Erstgericht verpflichtete den Antragsgegner, der Antragstellerin auf Basis seines Pensionseinkommens für die Zeit von 16. Juni 2020 bis 31. März 2023 rückständigen Unterhalt von 9.540 EUR sowie ab April 2023 einen laufenden Unterhalt von monatlich 310 EUR zu zahlen. Die Naturalleistung in Form der Wohnversorgung und das eigene Einkommen der Antragstellerin seienzu berücksichtigen, nicht aber der Verpflegskostenanteil. Ein krankheitsbedingter Mehraufwand könne die Unterhaltsbemessungsgrundlage nämlich nur verringern, wenn der Unterhaltspflichtige einen solchen konkret nachweise. Das sei dem Antragsgegner nur hinsichtlich eines monatlichen Betrags von 45 EUR, nicht aber des Verpflegskostenanteils gelungen, weshalb davon auszugehen sei, dass dieser nur jene Lebenshaltungskosten abdecke, die er auch ohne Heimunterbringung aufwenden hätte müssen.

[9] Das Rekursgerichtbestätigte diese Entscheidung. Die in § 324 Abs 3 ASVG angeordnete Reduktion des Verpflegskostenteils (von 80 vH) auf 50 vH der Pension stelle nur auf das Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht ab; dass schon ein Titel vorliegen müsse, lasse sich dem Gesetz nicht entnehmen. Der Gesetzgeber gehe auch davon aus, dass der Betroffene im Rahmen der Unterbringung versorgt und betreut werde und damit die üblichen Ausgaben des täglichen Lebens sowie die Verpflegungskosten abgedeckt seien. Dem Antragsgegner bleibe zudem schon derzeit ein monatliches „Taschengeld“ (der nicht von der Legalzession erfasste Teil von 20 vH seiner Pension) von rund 500 EUR im Monat.

[10] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil zur Frage der Abzugsfähigkeit des Verpflegskostenanteils keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

[11] Mit seinem dagegen erhobenen Revisionsrekursbegehrt der Antragsgegner, die Sache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

[12] Die Antragstellerin beteiligte sich nicht am Revisionsrekursverfahren.

Rechtliche Beurteilung

[13] Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

[14] 1. Gemäß § 324 Abs 3 ASVG geht dann, wenn ein Renten- oder Pensionsberechtigter (unter anderem) auf Kosten eines Sozialhilfeträgers in einer der dort näher bezeichneten Einrichtungen verpflegt wird, für die Zeit dieser Pflege der Anspruch auf Rente bzw Pension (einschließlich allfälliger Zulagen und Zuschläge) bis zur Höhe der Verpflegungskosten, höchstens jedoch bis zu 80 % dieses Anspruchs auf den Sozialhilfeträger über. Der Anspruch auf die restlichen 20 % verbleibt dagegen im Sinne einer „Pensionsteilung“ dem Pensionsberechtigten ohne Zweckbindung und damit als eine Art „Taschengeld“ (2 Ob 228/21z Rz 22; Pfeil in Mosler/Müller/Pfeil, SV-Komm § 324 ASVG Rz 21 ua).

[15] Die Bestimmung statuiert eine Legalzession (vgl RS0109544), bei der der Anspruchsübergang unmittelbar bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen erfolgt, ohne dass es einer Anzeige oder sonstigen Erklärung bedarf (2 Ob 72/19f ErwGr 2.3; 3 Ob 45/11f ErwGr 3.4.; Pöltner/Pacic, ASVG § 324 Anm 9a ua). Sie setzt voraus, dass der Betroffene seinen Unterhalt (weitestgehend) in natura erhält. Die Formulierung „verpflegt“ ist dabei im Sinn einer Zurverfügungstellung von „Hotelleistungen“ zu verstehen, die – neben dem Betreuungs- und Hilfsaufwand (10 Ob 29/14h; VwGH 2009/10/0011 mwN ua) – sowohl Unterkunft und Verköstigung als auch die damit in Zusammenhang stehenden Dienstleistungen wie Wohnraum- oder Wäschereinigung und dergleichen umfassen (3 Ob 113/21w Rz 14; 2 Ob 228/21z Rz 29; Pfeil aaO § 324 ASVG Rz 15 f).

[16] 2. Der Antragsgegner verweist zutreffend darauf, dass zur Unterhaltsbemessungsgrundlage (nur) alle tatsächlich erzielten Einnahmen des Unterhaltspflichtigen in Geld oder geldwerten Leistungen zählen, über die er (auch) verfügen kann (RS0003799 [T18]; RS0013386 [T9]; RS0107262 [T21, T29]). Es trifft ebenfalls zu, dass ein krankheitsbedingter Mehraufwand des Unterhaltspflichtigen grundsätzlich die Bemessungsgrundlage vermindert (RS0085165; RS0047506; 6 Ob 58/17y ua; vgl auch RS0111082). Abzugsfähig sind solche Kosten aber nur soweit, als sie die ihm zur Verfügung stehenden Einnahme auch tatsächlich verringern. Das ist unter anderem dann nicht der Fall, wenn sie konkret von der Sozialversicherung oder durch zweckgewidmete Zuwendungen Dritter abgedeckt werden (8 Ob 1/13z ErwGr 5.3. und 7.; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht10 44 ua). Hier liegt eine damit vergleichbare Situation vor.

[17] 2.1. Nach dem Konzept des § 324 Abs 3 ASVG soll die „Verpflegung“ des Unterhaltsberechtigten in einer der dort genannten Einrichtung nicht zu einer Minderung des Unterhaltsanspruchs der gesetzlich unterhaltsberechtigten Angehörigen führen. Das wird erreicht, indem der auf den Sozialhilfeträger übergehende Anspruch von 80 vH der Pension auf (hier:) 50 vH verringert und der „frei“ gewordene Pensionsteil dem Unterhaltsberechtigten vorbehalten bzw unmittelbar ausbezahlt wird (§ 324 Abs 3 letzter Satz ASVG; vgl Initiativantrag 147/A zur 9. ASVG‑Novelle, 517 BlgNR 9. GP  95). Im Ergebnis tritt der Sozialhilfeträger daher zugunsten der unterhaltsberechtigten Angehörigen zurück, um deren Unterhaltsanspruch zu sichern.

[18] 2.2. Auf Kosten eines Trägers der Sozialhilfe in einer stationären Einrichtung untergebrachte Personen sollen daher nicht (auch nicht teilweise) von ihren Unterhaltspflichten befreit werden (10 Ob 29/14h; VwGH Ro 2018/10/0037 Rz 16; VwGH 2001/11/0052 ua). Demgemäß ist bei der Bemessung der Unterhaltspflicht auch von den gesamten, das heißt den ungeschmälerten Einkünften der untergebrachten Person auszugehen (so auch Neuhauser in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 231 Rz 268). Findet der so ermittelte Unterhaltsanspruch – wie hier – im „frei“ gewordenen Betrag Deckung, kommt es in letzter Konsequenz bloß dazu, dass ein Teil des andernfalls auf den Sozialhilfeträger übergehenden Anspruchs nunmehr dem Unterhaltsberechtigten gebührt, der Sozialhilfeträgerdie Kosten der Unterbringung in der Einrichtung aber weiter zur Gänze deckt und der untergebrachten Person jedenfalls der bisher überlassene Pensionsteil verbleibt. Ob die Kosten der Unterbringung einen ansonsten abzugsfähigen Mehraufwand darstellten, wirkt sich im Anwendungsbereich des § 324 Abs 3 ASVG daher auf die Situation des Unterhaltsschuldners im Ergebnis nicht aus.

[19] 2.3. Es kommt angesichts dessen nicht darauf an, ob der Abzug von 80 vH bzw 50 vH im Vergleich zu den durchschnittlich in Österreich aufgewandten Beträgen für Wohnen, Energie und Ernährung sachlich gerechtfertigt ist. Der Antragsgegner übersieht dabei ohnedies, dass mit der „Verpflegung“ iSd § 324 Abs 3 ASVG nicht nur diese Kosten abgedeckt werden (vgl oben 1.).

[20] 3. Warum die Unterhaltszahlungen ungeachtet der Regelung des § 324 Abs 3 ASVG die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners übersteigen oder er sich „sein Leben nicht mehr leisten“ können sollte, ist nicht nachvollziehbar: Der Antragsgegner hat seiner Tochter zwar Unterhalt im Umfang von 22 vH seiner Pension zu leisten, gleichzeitig reduziert sich aber auch die Legalzession um 30 vH.

[21] 4. Woraus er ableitet, für die Verringerung des übergehenden Anspruchs sei ein Unterhaltstitel erforderlich (vgl dagegen Pfeil aaO § 324 ASVG Rz 22), legt der Antragsgegner – wie schon in seinem Rekurs – nicht dar.

[22] 5. Im Ergebnis entsprechen die Entscheidungen der Vorinstanzen daher der Rechtslage.

[23] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 Satz 1 AußStrG.

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