European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100NC00008.23T.0425.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Akt wird dem Bezirksgericht Fürstenfeld zurückgestellt.
Begründung:
[1] Das Bezirksgericht Fürstenfeld führt zu AZ 23 Ps 59/22i ein Pflegschaftsverfahren betreffend den mj S* N*.
[2] Mit der an das Bezirksgericht Neunkirchen gerichteten, allerdings beim Bezirksgericht Fürstenfeld eingebrachten Eingabe vom 19. Jänner 2023 beantragte das Land Niederösterreich als Kinder‑ und Jugendhilfeträger, ihm in den Teilbereichen Pflege und Erziehung die Obsorge für die * 2023 im LKH Wiener Neustadt geborene K* N*, die Schwester von S* N*, zu übertragen. K* N* befinde sich seit ihrer Entlassung aus dem LKH Wiener Neustadt bei Pflegeeltern im Bezirk Neunkirchen.
[3] Mit Beschluss vom 25. Jänner 2023 sprach das Bezirksgericht Fürstenfeld zu AZ 23 Ps 59/22i gemäß § 44 JN aus, zur „weiteren Führung“ des Verfahrens hinsichtlich K* N* nicht zuständig zu sein und überwies das diese betreffende Verfahren an das Bezirksgericht Neunkirchen, in dessen Sprengel K* N* ihren ständigen Aufenthalt habe (und immer gehabt habe). Eine Zustellung des Beschlusses nahm es – entsprechend § 44 Abs 2 JN – nicht vor.
[4] Das Bezirksgericht Neunkirchen lehnte die Übernahme ohne Beschlussfassung ab und retournierte den Akt – ohne Zustellungen vorzunehmen – dem Bezirksgericht Fürstenfeld.
[5] Dieses legte die K* N* betreffenden Akten dem Obersten Gerichtshof „zur Entscheidung über den Kompetenzkonflikt“ vor.
[6] Nach der Aktenlage erfolgte bisher keine Zustellung des Beschlusses vom 25. Jänner 2023 an die Parteien.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die Aktenvorlage ist verfehlt.
[8] 1. Der Beschluss des Bezirksgerichts Fürstenfeld ist ausdrücklich als Überweisungsbeschluss gemäß § 44 JN bezeichnet (was angesichts des Aufenthalts von K* N* zur Zeit der Einleitung des Pflegschaftsverfahrens bzw der Antragstellung [§ 109 Abs 1 JN] auch konsequent ist [vgl RS0123195]). Dem Bezirksgericht Neunkirchen kommt daher keine Befugnis zu, dem eindeutig erklärten Entscheidungswillen des überweisenden Gerichts eine andere Bedeutung beizumessen. Wie der Oberste Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat, besteht für die „Umdeutung“ eines Überweisungsbeschlusses gemäß § 44 JN in einen Übertragungsbeschluss nach § 111 JN keine Rechtsgrundlage (9 Nc 1/15v; 9 Nc 9/11i ua).
[9] 2. Es liegt daher ein negativer Kompetenzkonflikt nach § 47 JN vor, sodass die Entscheidung – anders als bei Angelegenheiten nach § 7 Abs 1 Z 4 OGHG – im Fünfersenat zu erfolgen hat (RS0126085).
[10] 3. Voraussetzung für eine Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof nach § 47 JN ist, dass zwei einander widersprechende rechtskräftige Beschlüsse über die Zuständigkeitsversagung vorliegen (RS0118692; RS0046354; RS0046299 ua). Das ist hier nicht der Fall:
[11] Nur das Bezirksgericht Fürstenfeld hat die seiner Ansicht nach bestehende Unzuständigkeit beschlussmäßig ausgesprochen. Dieser Beschluss wurde den Parteien bisher aber nicht zugestellt, sodass er nicht in Rechtskraft erwachsen sein kann. Ein Beschluss, mit dem das Bezirksgericht Neunkirchen seine Unzuständigkeit ausgesprochen hätte, liegt nach der Aktenlage nicht vor.
[12] 4. Die Akten sind daher dem vorlegenden Gericht zurückzustellen.
[13] Da der Beschluss vom 25. Jänner 2023 unabhängig von seiner Zustellung an die Parteien (RS0046363) für das Adressatgericht so lange maßgebend bleibt, als er nicht in höherer Instanz rechtskräftig abgeändert wird (RS0081664), wird der K* N* betreffende Teilakt dem Bezirksgericht Neunkirchen zu übermitteln sein, das den Überweisungsbeschluss den Parteien zuzustellen hat (§ 44 Abs 2 JN). Sollte sich dieses als unzuständig erachten, wird es einen entsprechenden Beschluss zu fassen haben, wobei zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen schon jetzt darauf hingewiesen wird, dass das Adressatgericht nicht – wie das in der Ablehnung der Übernahme zum Ausdruck kommt – seine Unzuständigkeit mit der Begründung verneinen kann, das überweisende Gericht sei zuständig (RS0046315; RS0002439). Sofern das Bezirksgericht Neunkirchen dagegen zum Ergebnis kommen sollte, nach § 109 Abs 1 JN örtlich zuständig zu sein (vgl 5 Nc 20/21t [ErwGr2.1.]), scheidet ein Vorgehen nach § 44 JN aus; möglich wäre nur die Übertragung der Zuständigkeit gemäß § 111 JN (vgl 9 Nc 24/17d).
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