BVwG W176 2010284-1

BVwGW176 2010284-12.9.2014

AVG 1950 §57 Abs3
B-VG Art.130 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4
GEG §6 Abs2
GEG §6b
GEG §7 Abs1
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5
AVG 1950 §57 Abs3
B-VG Art.130 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4
GEG §6 Abs2
GEG §6b
GEG §7 Abs1
VwGVG §27
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2014:W176.2010284.1.00

 

Spruch:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Florian NEWALD als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, vertreten durch die "ÖBUG" Dr. Nikolaus Wirtschaftstreuhand KG, gegen den Bescheid des Präsidenten des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 04.06.2014, Zl. Jv 1790/14g-33a (239 REV 1653/14s), zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 1, 2 und 5 iVm § 27 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 (VwGVG), behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Zahlungsauftrag (Mandatsbescheid) vom 09.04.2014 schrieb die Kostenbeamtin des Landesgerichts Wiener Neustadt der Beschwerdeführerin Gebühren gemäß § TP 9 lit. b Z 1 Gerichtsgebührengesetz, BGBl. Nr. 501/1984 (GGG), idH von 8.426,- EUR sowie eine Einhebungsgebühr gemäß § 6a Abs. 1 Gerichtliches Einbringungsgesetz, BGBl. Nr. 288/1962 (GEG), idH von 8,- EUR vor.

2. Gegen diesen Zahlungsauftrag brachte die Beschwerdeführerin binnen offener Frist eine Vorstellung ein. Diese langte am 05.05.2014 beim Präsidium des Landesgerichts Wiener Neustadt ein.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 04.06.2014 entschied der Präsident des Landesgerichts Wiener Neustadt über die Vorstellung, dass der (unter Punkt 1. dargestellte) Zahlungsauftrag (Mandatsbescheid) aufrecht bleibt.

4. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde.

5. Mit Schreiben vom 24.07.2014 legte der Präsident des Landesgerichts Wiener Neustadt die Beschwerde samt Bezug habenden Verwaltungsunterlagen dem Bundesverwaltungs-gericht vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die gegen den Zahlungsauftrag (Mandatsbescheid) vom 09.04.2014 erhobene Vorstellung langte am 05.05.2014 bei der belangten Behörde ein. Diese sprach mit Bescheid vom 04.06.2014 über die Vorstellung ab.

1.2. Die belangte Behörde leitete innerhalb von zwei Wochen ab Einlangen der Vorstellung keine Ermittlungsschritte ein.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Diese Feststellungen ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsunterlagen, insbesondere aus dem Mandatsbescheid, welcher eindeutig als solcher bezeichnet und von der Kostenbeamtin erlassen wurde, sowie der Vorstellung und dem angefochtenen Bescheid.

2.2. Die Feststellung, wonach die Behörde innerhalb von zwei Wochen keine Ermittlungsschritte eingeleitet hat, ergibt sich ebenfalls aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, welcher keine Hinweise auf die Einleitung von Ermittlungsschritten (weder innerhalb dieses Zeitraumen noch danach) bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides enthält.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1.1. Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz, BGBl. I Nr. 10/2013 (BVwGG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels materienspezifischer Sonderregelung besteht somit gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit.

3.1.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. Nr. 51/1991 (AVG), mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes, BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984, BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.1.3. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

3.2. Zu Spruchpunkt A):

3.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

§ 28 Abs. 5 VwGVG lautet: Hebt das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf, sind die Behörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Aus der Literatur ergibt sich, dass es sich bei einer Aufhebung gem. § 28 Abs. 5 VwGVG um eine materielle Erledigung der Rechtssache in Form eines Erkenntnisses handle. Diese Form der negativen Sachentscheidung sei von der Formalerledigung nach § 28 Abs. 3 2. Satz und Abs. 4 VwGVG zu unterscheiden. Eine neuerliche Entscheidung der Verwaltungsbehörde über den Gegenstand werde bei ersatzloser Behebung regelmäßig nicht mehr in Betracht kommen, wenngleich im Einzelfall über den zugrundeliegenden (unerledigten) Antrag dennoch abermals zu entscheiden sein könne.

3.2.2. Gemäß § 6 Abs. 2 GEG können Kostenbeamte auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren Entscheidungen (Mandatsbescheide) im Namen der Behörde erlassen. Gegen einen vom Kostenbeamten erlassenen Bescheid ist nur das Rechtsmittel der Vorstellung (§ 7 Abs. 1 leg.cit.) zulässig.

Die Erläuterungen zu dieser Bestimmung (2357 der Beilagen XXIV.GP, S 7) halten fest, dass der Begriff "Mandatsbescheid" iSd § 57 AVG zu verstehen ist.

Aus § 6b GEG ergibt sich nunmehr eindeutig, dass für das Verfahren zur Einbringung von Gerichtsgebühren die Bestimmungen des Gerichtsorganisationsgesetzes, RGBl. Nr. 217/1896 (GOG); mit Ausnahme des § 91, und subsidiär des AVG anzuwenden sind.

In einem ersten Schritt stellt daher das Bundesverwaltungsgericht fest, dass das AVG und damit auch dessen § 57 betreffend Mandatsbescheide in Verfahren nach dem GEG subsidiär anzuwenden ist, so nicht eine Spezialregelung vorgeht. Wais/Dokalik, Gerichtsgebühren11, § 6b, Anm. 3, halten diesbezüglich fest, dass § 57 AVG durch § 6 Abs. 2 GEG verdrängt werde.

Dieser Schluss trifft jedoch nur teilweise zu: Die lex specialis im konkreten Fall ist § 7 GEG, welcher Sonderbestimmungen für Vorstellungen im Bereich des gerichtlichen Einbringungsrechts vorsieht und in seinem Abs. 1 abweichend von § 57 Abs. 2 AVG normiert, dass auch angeordnet werden kann, die Vorstellung bei der das Grundverfahren führenden Dienststelle einzubringen. Was § 57 Abs. 3 AVG anbelangt, enthält das GEG jedoch keine lex specialis, weshalb keine Verdrängung des § 57 Abs. 3 AVG durch das GEG erfolgt. Auch ist zu berücksichtigen, dass kraft gesetzlicher Anordnung des § 6b GEG das AVG subsidiär gilt. Anders verhält es sich mit als "Vorstellung" bezeichneten Rechtsmitteln in Materien, in denen das AVG keine Anwendung findet (vgl. dazu VwGH 30.03.2004, 2002/06/0160, zur damaligen Fassung der RAO) bzw. in Materien, in denen die Vorstellung abschließend geregelt ist (zB §§ 42ff Studienförderungsgesetz 1992, BGBl. Nr. 305/1992, StudFG, worin eine Frist von zwei Monaten für eine Vorentscheidung über die Vorstellung vorgesehen ist und § 57 Abs. 3 AVG damit keine Anwendbarkeit findet; vgl. dazu VwGH 14.09.1994, 94/12/0081).

Vor diesem Hintergrund ergibt sich, dass § 57 Abs. 3 AVG auf Mandatsbescheide gemäß § 6 Abs. 2 GEG Anwendung findet.

3.2.3. § 57 Abs. 3 AVG lautet: Die Behörde hat binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten, widrigenfalls der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft tritt. Auf Verlangen der Partei ist das Außerkrafttreten des Bescheides zu bestätigen.

Aus der Judikatur und Literatur zu dieser Bestimmung ergibt sich, dass bei Unterlassen von Ermittlungsschritten der Mandatsbescheid ipso iure außer Kraft tritt (VwGH 25.04.1991, 91/06/0010; Hengstschläger/Leeb, AVG, § 57 Rz 38). Unter Ermittlungsverfahren ist ein Verfahren zur Feststellung des für die Anordnung maßgebenden Sachverhalts oder zur Gewährung von Parteiengehör zu verstehen (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 57 Rz 39 mwN).

Eine besondere Form für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens ist nicht vorgesehen, doch muss die Behörde eindeutig zu erkennen geben, dass sie sich durch die Anordnung von Ermittlungen mit der Angelegenheit befasst (VwGH 01.10.1991, 91/11/0058; 23.01.2007, 2006/11/0159; Hengstschläger/Leeb, AVG, § 57 Rz 40 mwN). Es muss sich dabei um ein aktenkundiges Verhalten handeln (VwGH 11.02.1992, 92/11/0006). Ausreichend ist auch ein bloß innerbehördlicher Vorgang, wie etwa die Anfrage an eine andere Abteilung (VwGH 11.02.1992, 92/11/0006) oder auch die Wiederholung von Ermittlungsschritten (VwGH 01.10.1991, 91/11/0058).

Die Prüfung der Rechtzeitigkeit einer Vorstellung zählt grundsätzlich zu den Ermittlungsschritten (VwGH 19.02.1986, 85/11/0231), ist aber auf den ersten Blick zu sehen, dass die Vorstellung rechtzeitig eingebracht worden war, bedarf es keiner weiteren Ermittlungen. Der erwähnte erste Blick aber stellt keinen Verfahrensschritt dar - abgesehen davon, dass er aktenmäßig gar nicht zum Ausdruck kommt, sodass es nach der Aktenlage offen ist, ob die Erstbehörde der Rechtzeitigkeit der Vorstellung überhaupt Beachtung geschenkt hat (VwGH 21.10.1994, 94/11/0202).

Ist ein Bescheid gemäß § 57 Abs. 3 erster Satz von Gesetzes wegen außer Kraft getreten, so darf die Oberbehörde bei sonstiger Unzuständigkeit nicht dahin entscheiden, dass der Spruch dieses Bescheides in bestimmter Weise (in Erledigung einer Vorstellung) abgeändert werde (VwGH 24.06.1983, 83/02/0139). Daraus ergibt sich nach Rechtsmeinung des Bundesverwaltungsgerichtes gleichfalls, dass auch bei Bestätigung eines außer Kraft getreten Mandatsbescheides in Erledigung einer Vorstellung Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist. Die Unzuständigkeit der Behörde führt im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch dann, wenn sie vom Beschwerdeführer nicht geltend gemacht wurde, zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides (VwGH 25.04.1991, 91/06/0010).

3.2.4. Auch wenn keine besondere Form für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens vorgesehen ist, so muss doch eindeutig erkennbar sein, dass Ermittlungen eingeleitet wurden. Im vorliegenden Fall ist aus den Verwaltungsakten keine Einleitung von Ermittlungsschritten innerhalb von zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung bei der belangten Behörde dokumentiert.

Dies hat zur Folge, dass der Mandatsbescheid vom 09.04.2014 kraft gesetzlicher Anordnung des § 57 Abs. 3 AVG außer Kraft getreten ist. Die belangte Behörde hätte folglich nicht mehr über die Vorstellung gegen den Mandatsbescheid entscheiden dürfen, sondern allenfalls selbst erstmals über die Gebühr nach TP 9 GGG gemäß § 6 Abs. 1 GEG mittels Bescheid entscheiden können. Auf Verlangen der Partei hat die Behörde das Außerkrafttreten eines Mandatsbescheides schriftlich zu bestätigen (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 57 Rz 43). Im Ergebnis führt dies dazu, dass die belangte Behörde am 04.06.2014 für die Erlassung des angefochtenen Bescheides unzuständig war.

Das Bundesverwaltungsgericht hält daher fest, dass dem angefochtenen Bescheid eine Rechtswidrigkeit iSd Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG anlastet und dieser folglich gemäß § 28 Abs.1, 2 und 5 iVm § 27 VwGVG zu beheben ist.

3.2.5. Der Umstand, dass der Mandatsbescheid außer Kraft getreten ist, hat nicht zur Folge, dass in dieser Angelegenheit res iudicata vorliegt. Die Behörde ist somit nicht gehindert, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und sodann in der Sache neuerlich zu entscheiden (VwGH 22.09.1992, 92/11/0071; 10.08.2000, 2000/07/0038; Hengstschläger/Leeb, AVG, § 57 Rz 44 mwN).

3.2.6. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Im Falle der Stattgabe einer Beschwerde, anders als bei einer Abänderung, kann damit eine mündliche Verhandlung entfallen (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 24 VwGVG, Anm. 8).

3.3. Zu Spruchpunkt B): Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Im gegenständlichen Fall liegt keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vor, ob § 57 Abs. 3 AVG auch auf Mandatsbescheide gemäß § 6 Abs. 2 GEG anzuwenden ist.

Es war somit insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

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