BVwG W159 2101994-1

BVwGW159 2101994-128.4.2016

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W159.2101994.1.00

 

Spruch:

W159 2101994-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.02.2015, Zl. IFA XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.03.2016 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger Afghanistans und Angehöriger der Tadschikischen Volksgruppe, gelangte (als damals unbegleiteter Minderjähriger) unter Umgehung der Grenzkontrolle spätestens am 27.12.2012 nach Österreich und stellte an diesem Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der ebenfalls am gleichen Tag erfolgten Ersteinvernahme durch die Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes gab er zu seinen Fluchtgründen an, dass er in seiner Heimat keine Eltern mehr habe und bei seinem Onkel gewohnt habe, welche ihn sehr schlecht behandelt und geschlagen habe. Aus diesem Grunde habe er Afghanistan verlassen und sei in den Iran geflüchtet. Dort habe er illegal gelebt und habe illegal und schwer arbeiten müssen und habe keine Schule besuchen können. Perser hätten ihn geschlagen und ausgeraubt und habe er Probleme mit der iranischen Polizei gehabt.

Nach Zulassung des Asylverfahrens veranlasste das Bundesasylamt zunächst eine wissenschaftliche Altersfeststellung und hielt in der Folge Länderfeststellungen vor, wozu der Beschwerdeführer, damals vertreten durch das Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung für den 10. Bezirk, Magistrat der Stadt Wien, MA 11, Stellung nahm.

Der Beschwerdeführer wurde am 27.01.2015 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, ausgiebig einvernommen. Dabei legte er eine Mappe an Schulbesuchsbestätigungen vor. Der Beschwerdeführer gab an, dass er niemanden mehr in Afghanistan habe und das vor 4-5 Monaten auch sein Onkel väterlicherseits seinen Großvater in den Iran geholt habe, welche sich beide nunmehr im Iran aufhalten würden. Seine Mutter sei schon verstorben, als er etwa 2 Jahre alt gewesen sei. Sein Vater sei von den Taliban aufgegriffen worden und sei seither verschollen. Das sei in seinem 5. Lebensjahr gewesen. Er habe 2009/2010 bereits Afghanistan verlassen. Die Ausreise in den Iran habe er sich selbst finanziert. Zuletzt habe er bei seiner Tante mütterlicherseits im Iran gelebt und deren Mann habe ihm dann eine (illegale) Arbeit verschafft.

Er gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an und sei Moslem-Schiit. Politisch sei er niemals tätig geworden. Er sei auch niemals angehalten oder verhaftet worden und habe auch keine Probleme mit den Behörden gehabt.

Er habe seine Heimat deswegen verlassen, weil er von klein auf habe arbeiten müssen. Sein Onkel, bei dem er aufgewachsen sei, habe ihn nicht in die Schule gehen lassen und ihn lediglich ausgenützt. Sein Großvater habe ihn wohl gern gehabt, aber habe ihm auch nicht helfen können. Dieser sei herzkrank und auf die Hilfe anderer angewiesen. Als er als Kind einmal in der Moschee der Sunniten gewesen sei, habe ihn sein Onkel bei der Heimkehr verprügelt, was er nicht verstanden habe. In Afghanistan könne er nicht leben. In Österreich habe er die Möglichkeit gehabt, die Schule zu besuchen. Er könne nicht sagen, dass er in seiner Heimat jemals einer großen Bedrohung ausgesetzt gewesen sei, aber er habe sich unwohl gefühlt zu beobachten, wie mit Burschen aus ärmlichen Verhältnissen in den nördlichen Provinzen von männlichen Personen gespielt worden sei. Diese würden als "Bacha Bazi" bezeichnet, ihm sei so etwas jedoch nicht passiert. Er habe nur mitbekommen, dass gleichaltrige Burschen davon betroffen gewesen seien und er möge es nicht, wie ältere Männer mit diesen jungen Burschen umgehen würden.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien vom 04.02.2015, Zl. XXXX wurde unter Spruchteil I. der Antrag auf internationalen Schutz vom 27.12.2012 hinsichtlich der Zuerkennung des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, unter Spruchteil II. jedoch dem Antragsteller der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und unter Spruchteil III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 04.02.2016 erteilt.

In der Begründung des Bescheides wurden die oben bereits im wesentlichen Inhalt wiedergegebenen Einvernahmen dargestellt und Feststellungen zu Afghanistan getroffen. Beweiswürdigend wurde insbesondere dargelegt, dass der Antragsteller keine persönliche gegen ihn gerichtete Bedrohung vorgebracht habe. Deswegen wurde auch unter Spruchteil I. der Asylantrag abgewiesen. Subsidiärer Schutz wurde unter Spruchpunkt II. wegen der allgemeinen schlechten Sicherheitslage in Afghanistan iVm der Minderjährigkeit und dem fehlenden Familienbezug gewährt und auch eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Gegen diesen Bescheid, und zwar ausschließlich gegen Spruchpunkt I., erhob der Antragsteller Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer eine Verfolgung aufgrund seiner zunehmenden westlichen Orientierung sowie der Zugehörigkeit zur tadschikischen Volksgruppe und zur schiitischen Glaubensgemeinschaft befürchte, sowie dass ihn sein Onkel väterlicherseits abermals ausbeuten würde. Die belangte Behörde habe keine nachvollziehbare Beweiswürdigung getroffen und sich mit den Angaben des Beschwerdeführers nicht im Detail auseinandergesetzt. Es könne eine Verfolgungsgefahr auch dann bestehen, wenn es noch nicht zu Verfolgungshandlungen im Herkunftsstaat gekommen sei. Der Onkel väterlicherseits habe den Beschwerdeführer sehr schlecht behandelt. Aufgrund der schlechten finanziellen Situation seines Onkels, der drogenabhängig und spielsüchtig gewesen sei, habe der Beschwerdeführer befürchtet, dass ihn dieser eines Tages als "Bacha Bazi" verkaufen könnte und er gezwungen würde, für andere Männer zu tanzen und sexuelle Leistungen gegenüber fremden erwachsenen Männern erbringen zu müssen. Damit habe sich die belangte Behörde in keiner Weise auseinandergesetzt. Ebenso wenig habe sie Feststellungen zur Situation der Tadschiken und Schiiten getroffen. Die Behörde habe es auch ignoriert, dass der Beschwerdeführer vorgebracht habe, dass dieser mit der Denkweise der Menschen in seinem Dorf nicht zurecht gekommen wäre. Der Beschwerdeführer genieße die Möglichkeiten und Freiheiten, die er in Österreich habe. Schließlich wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, um dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben seine Fluchtgründe nochmals vor dem Bundesverwaltungsgericht darzulegen.

Das Bundesverwaltungsgericht beraumte eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung für den 03.03.2016 an, zu der sich die belangte Behörde für ihre Nichtteilnahme entschuldigen ließ. Der Beschwerdeführer erschien in Begleitung eines Mitarbeiters des XXXX, welcher Auszüge über die sogenannten Bacha Bazi (Tanzknaben) aus Wikipedia vorlegte.

Der Beschwerdeführer hielt sein bisheriges Vorbringen aufrecht und wollte dieses weder korrigieren noch ergänzen. Er gab an, die Staatsbürgerschaft von Afghanistan zu besitzen, Tadschike und schiitischer Moslem zu sein. Er sei am 23.02.1375 (= XXXX) in der Provinz Sar-e Pol, XXXX, im XXXX geboren und habe dort bis etwa zu seinem 13. Lebensjahr gelebt. Anschließend habe er drei bis dreieinhalb Jahre in XXXX im Iran gelebt, von wo er nach Europa ausgereist sei. Er sei in Afghanistan gar nicht in die Schule gegangen, habe jedoch häuslichen Unterricht bei seinem Großvater, der ihm schreiben und lesen in Dari beigebracht habe, erhalten. Seine beiden Eltern seien verstorben, seine Mutter bereits als er zwei oder drei Jahre alt gewesen sei. Als er fünf Jahre alt gewesen sei, hätten die Taliban seinen Vater festgenommen. Seither sei er verschollen und habe er keinerlei keine Informationen, ob dieser noch am Leben sei. Er sei dann in der Folge bei seinem Onkel väterlicherseits und bei seinem Großvater aufgewachsen. Sein Großvater habe in XXXX sehr viel Land besessen und sie hätten von der Landwirtschaft gelebt und zwar hätten sie die landwirtschaftlichen Grundstücke verpachtet gehabt. Sein Onkel habe ihn nicht gut behandelt. Dieser habe Angst gehabt, dass er die Ländereien seines Großvaters nach dessen Tod mit ihm teilen müsse. Er wisse nichts darüber, ob sein Onkel wirtschaftliche Probleme gehabt habe, aber er habe gespielt und habe Cannabis geraucht, dies sei aber dort ganz normal. Auch dass er ihn geschlagen habe, sei bei ihm normal gewesen. Als er einmal als Kind die sunnitische Moschee besucht habe, habe ihn sein Onkel bei der Heimkehr geschlagen und gefragt, warum er dort hingegangen sei. Er sei bloß aus Neugier hingegangen. Gefragt, ob er gedroht habe, ihn als Tanzknaben zu verkaufen, gab er an, dass Personen zu ihm nach Hause gekommen seien und die Inneneinrichtung mitgenommen hätten und sein Onkel ihn auch verkauft hätte. Gefragt, ob sein Onkel Spielschulden gehabt habe, die er nicht habe begleichen können und deswegen die Einrichtungsgegenstände mitgenommen worden seien, führte er aus, dass er das nicht gesagt habe, aber davon ausgehe.

Er sei aufgrund der schlechten Behandlung durch seinen Onkel und weil er sich nicht sicher gefühlt habe, als 13-Jähriger aus Afghanistan ausgereist. Zu diesem Zeitpunkt sei sein Großvater krank gewesen und habe ihn dieser daher nicht beschützen können. Er habe Angst gehabt, dass ihm sein Onkel aufgrund seiner Spielleidenschaft schlechtes antun könnte und sei er zu seiner Tante mütterlicherseits nach XXXX in den Iran übersiedelt. Ein Bekannter seines Großvaters, der ebenfalls in den Iran gereist ist, habe ihn mitgenommen. Er habe ca. eineinhalb Monate bei seiner Tante gelebt und wollte dort die Schule besuchen. Er habe aber keine Aufenthaltsberechtigung gehabt und sei ihm dies daher nicht möglich gewesen. Daraufhin habe der Mann der Tante ihm daraufhin eine Arbeit in einer Fabrik organisiert. Schon bei seinem Onkel habe er bei der Hausarbeit mithelfen müssen. Nachdem er in den Iran gegangen sei, sei er nicht mehr nach Afghanistan zurückgekehrt. Er habe auch in Afghanistan keine Familienangehörigen mehr, denn vor ca. eineinhalb Jahren sei auch sein Onkel väterlicherseits mit seinem Großvater in den Iran übersiedelt und habe er keine Informationen mehr über sie. Er habe nur noch Kontakt zu seiner Tante mütterlicherseits.

Ihm gehe es gut. Er habe keine gesundheitlichen oder psychischen Probleme. Er habe vor zwei Monaten eine Ausbildung begonnen, aber sie abgebrochen, weil sie ihm nicht gefallen habe und zwar habe er bei der Firma XXXX als Verkäufer gearbeitet. Er habe auch ein Semester lang ein Abendgymnasium besucht, dieses aber wieder abgebrochen, weil er eine Arbeit gefunden habe und nun sei er wieder auf Arbeitsuche. Er habe Deutschdiplome bis zum Niveau B1 erworben und möchte eine Ausbildung als Metalltechniker oder Gebäudetechniker, Dachdecker, Spengler oder Elektriker machen. Er habe sowohl eine österreichische Freundin, als auch österreichische Freunde. Bei Vereinen oder Institutionen sei er nicht. Was ihm passieren würde, wenn er nach Afghanistan zurückkehren müsse, könne er nicht sagen. Er habe schon als Kind mit 13 Jahren das Land verlassen und habe keinerlei Kontakte mehr zu Afghanistan. Ihm sei auch nichts Kulturelles von Afghansitan im Kopf geblieben. Außerdem habe er Angst, dort getötet zu werden. Er wisse nicht, was ihn dort erwarten würde und sei er ein ganz anderes Leben in Europa gewöhnt.

Den Verfahrensparteien wurden im schriftlichen Wege das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan sowie eine Länderanalyse der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zu Afghanistan: Bacha Bazi vom 11.03.2013 übermittelt.

Von der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme machte lediglich - nach Fristerstreckung - der Beschwerdeführer Gebrauch. Darin wiederholte er auszugsweise sein bisheriges Vorbringen und folgerte schließlich, dass nicht auszuschließen sei, dass der Beschwerdeführer bei einer allfälligen Rückkehr nach Afghanistan als "Tanzknabe" verkauft würde.

2. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

I. Feststellungen

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsbürger von Afghanistan, Tadschike und schiitischer Moslem und wurde am XXXX in der Provinz Sar-e Pol, XXXX, Dorf XXXX geboren und er hat dort bis zum Jahre 2009/2010 gelebt und anschließend in XXXX im Iran, von wo er nach Europa ausreiste. Seine Mutter ist schon verstorben, als er zwei bis drei Jahre alt war. Sein Vater wurde, als er fünf Jahre alt war, von den Taliban mitgenommen und ist seither verschollen. Er ist daraufhin bei seinem Onkel väterlicherseits und seinem Großvater aufgewachsen. Sein Großvater besaß große landwirtschaftliche Flächen, die verpachtet wurden. Sein Onkel hat ihn schlecht behandelt und immer wieder geschlagen (zum Beispiel als er einmal aus bloßer Neugier als Kind in die sunnitische Moschee gegangen ist). Sein Onkel hatte auch Spielschulden, aber er hat ihn nicht als "Tanzknaben" verkauft oder das versucht.

Im Iran war er illegal aufhältig und konnte keine Schule besuchen, hat aber (offenbar illegal) gearbeitet. Nachdem auch sein Onkel väterlicherseits und sein Großvater zwischenzeitig in den Iran übersiedelt sind, habe er keine Familienangehörigen mehr in Afghanistan. Kontakt habe er lediglich mit seiner Tante mütterlicherseits, welche in XXXX im Iran lebt. Er leidet unter keinen akuten gesundheitlichen oder psychischen Problemen. Der Beschwerdeführer hat in Österreich auch schon gearbeitet und Deutschdiplome bis zum Niveau B1 erworben. Er möchte nunmehr eine Ausbildung in einem Metallberuf absolvieren und verfügt über eine österreichische Freundin. Er ist unbescholten.

Zu Afghanistan wird folgendes festgestellt:

1. Politische Lage

Verfassung

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet, die schließlich im Januar 2004 ratifiziert wurde (IDEA o.D.) und auf der Verfassung aus dem Jahr 1964 basiert. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und dass alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.1.2004).

Afghanistans Präsident und CEO

Am 29. September 2014 wurde Ashraf Ghani als Präsident Afghanistans vereidigt (CRS 12.1.2015). Nach monatelangem Streit hatten sich Ghani und Abdullah auf eine gemeinsame Einheitsregierung geeinigt. Das Abkommen sieht vor, dass für den Zweitplatzierten bei der Wahl der Posten eines bislang nicht vorgesehenen Ministerpräsidenten geschaffen wird (FAZ 15.6.2014). Abdullah, der Verlierer der Präsidentschaftswahl, bekam den Posten des Geschäftsführers der Regierung bzw. "Chief Executive Officer" (CEO) der Regierung (CRS 12.1.2015). Diese per Präsidialdekret eingeführte Position weist Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers auf (AA 8.2015). Der CEO fungiert quasi als Premierminister, auch wenn eine Verfassungsänderung zur formalen Schaffung des Postens des Premierministers noch ausständig ist (CRS 12.1.2015).

Regierungsbildung

Obwohl Ghani ursprünglich versprochen hatte, 45 Tagen nach seiner Vereidigung eine Regierung zu präsentieren, zeichnete sich bald ab, dass dieses Versprechen nicht einghalten werden kann, da für die Regierungsbildung in Afghanistan für die Kabinettsposten die Koalitionspartner aus Ghanis und Abdullahs Lager gleichermaßen berücksichtigt werden müssen. Eine Regierung muss die starken regionalen und ethnischen sowie Stammesbindungen und -befindlichkeiten berücksichtigen, soll sie im ganzen Land akzeptiert sein. Ferner beabsichtigte Ghani, die Ministerien nur Personen mit Fachkenntnissen anzuvertrauen und keine bisherigen Minister oder Parlamentarier ins Kabinett aufzunehmen, um so die Voraussetzungen für einen kompetenten Neuanfang zu schaffen. Doch wird die Übung unter solchen Prämissen zusätzlich erschwert. Ghanis Kabinettsliste war in Afghanistan mit Erleichterung aufgenommen worden, weil das Land endlich eine handlungsfähige Regierung braucht. Zwar fragten sich Beobachter wie das Afghanistan Analysts Network einerseits, inwieweit eine junge und recht unerfahrene Regierung den Herausforderungen gewachsen sei. Anderseits wurde Ghanis Festhalten am Versprechen, keine politischen Schwergewichte der Vergangenheit in die Regierung aufzunehmen, durchaus anerkennend kommentiert (NZZ 22.1.2015).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung, Shuraye Melli, basiert auf einem Zweikammersystem, das sich in ein Unterhaus, Wolesi Jirga, und ein Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt, gliedert. Das Unterhaus setzt sich aus 249 Sitzen zusammen, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kuchi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 25.6.2015; vgl. CRS 15.10.2015 und CRS 12.1.2015).

Das Oberhaus setzt sich aus 102 Sitzen zusammen. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Ein Drittel der Sitze, wovon wiederum 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst, (CRS 12.1.2015; vgl. CRS 15.10.2015). Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßig vorgegebenen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für die Ernennung eines Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 25.6.2015

Eine der wesentlichen Neuerungen, welche die Parlamentswahlen 2005 und 2010 betrafen, war die "single non-transferable vote (SNTV)"-Regelung. Jedem Wahlkreis ist, proportional zur Bevölkerungszahl, mehr als ein Sitz im Parlament zugeteilt. Die Wähler des Wahlkreises können jeweils eine Stimme abgeben. Die Sitze des Wahlkreises gehen an die Kandidaten des Kreises in der Reihenfolge der Anzahl der von ihnen gewonnenen Stimmen. Dieses System ist weltweit sehr selten (UNAMA o.D.; vgl. NDI 2011; vgl. CRS 15.10.2015). Durch das System treten die Kandidaten individuell gegeneinander an und erlangen die Sitze nicht über Parteilisten (CRS 15.10.2015).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments (Unterhaus "Wolesi Jirga", Oberhaus "Meshrano Jirga") bleibt trotz wachsenden Selbstbewusstseins der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Generell leidet die Legislative aber nicht nur unter ihrer schwachen Rolle im Präsidialsystem, sondern auch unter dem unterentwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 6.11.2015).

Parteien

Die afghanische Parteienlandschaft ist wenig entwickelt und mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen in der Regel mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des Parteiensystems ist auch auf das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes zurückzuführen sowie auf das Wahlsystem (Direktwahl mit einfacher, nicht übertragbarer Stimme). Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen der verschiedenen politischen Lager immer wieder gestört. (AA 6.11.2015).

Oppositionsbewegungen und Parteien - ganz gleich ob Kommunisten oder rechtsreligiös - wurden gezwungen entweder unterzutauchen oder ins Exil zu gehen. Unter einer neuen und formellen Verfassung haben sich seit 2001 früher islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine Organisation politischen Glaubens oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratie sind. Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen, aber nicht immer durch Wahlerfolge (USIP 3.2015).

Die Machtstrukturen in Afghanistan sind vielschichtig und verwoben. Eignung, Befähigung und Leistung spielen oftmals eine untergeordnete Rolle bei der Verteilung politischer bzw. administrativer Ämter. Die Entscheidungen über viele Personalien, auch in entlegenen Provinzen, werden von der Zentralregierung in Kabul, häufig sogar vom Präsidenten getroffen. Im Vielvölkerstaat Afghanistan spielen informelle Beziehungsnetzwerke und der Proporz der Ethnien eine wesentliche Rolle. Die Machtverteilung wird national und auch lokal so austariert, dass die Loyalität einzelner Persönlichkeiten und Gruppierungen gesichert erscheint. Handeln lokale Machthaber entgegen der Regierungspolitik, bleiben Sanktionen allerdings häufig aus. Politische Allianzen werden in der Regel nach pragmatischen Gesichtspunkten geschmiedet. Dadurch kommt es, für Außenstehende immer wieder überraschend, zu Koalitionswechseln und dem Herauslösen von Einzelpersonen aus bestehenden politischen Verbindungen, unabhängig von Parteistrukturen (AA 6.11.2015).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches eine Neuregistrierung aller Parteien verlangte und ferner zum Ziel hatte ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie bisher die Unterschrift von 700 Mitgliedern vorzuweisen, mussten sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen einbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Partein von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung von Parteiunterstützungsbasen oder institutionalisieren Parteipraktiken bei (USIP 3.2015).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Der afghanische Friedens- und Versöhnungsprozess ist nach einem ersten direkten und öffentlichen Treffen zwischen Regierung und Taliban in diesem Jahr wieder ins Stocken geraten. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte, Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Beide Seiten haben sich aber grundsätzlich weiter zu Verhandlungen bereit erklärt. Die Reintegration versöhnungswilliger Insurgenten bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 6.11.2015).

Quellen:

2. Sicherheitslage

Im Zeitraum 1.8.-31.10.2015 verzeichnete die UNO landesweit 6.601 sicherheitsrelevante Vorfälle. Diese Vorfälle beziehen sich auf Arbeit, Mobilität und Sicherheit von zivilen Akteuren in Afghanistan. Dies bedeutet eine Steigerung von 19% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2014. 62% dieser Vorfälle fanden in den südlichen, südöstlichen und östlichen Regionen statt. Im Berichtszeitraum gelang es den Taliban neben Kunduz City weitere 16 Distriktzentren einzunehmen. Deren Großteil befindet sich im Norden (Badakhshan, Baghlan, Faryab, Kunduz, Sar-e Pul und Takhar), im Westen (Faryab) und im Süden (Helmand und Kandahar) des Landes. Den afghanischen Sicherheitskräften war es jedoch möglich bis Ende Oktober 13 Distriktzentren wieder zurückzuerobern (UN GASC 10.12.2015).

Im Zeitraum 1.6.-31.7.2015 registrierte die UNO landesweit 6.096 sicherheitsrelevante Vorfälle, ein Rückgang von 4,6% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die geographische Reichweite des Konfliktes fokussierte sich hauptsächlich auf die nord-östlichen Regionen rund um Kunduz, Badakhshan und Badghis, im Nordwesten auf die Provinz Faryab und im Südosten auf Nangarhar und im Süden auf Helmand. Der Großteil der Vorfälle wurde in den südlichen und östlichen Teilen des Landes registriert. In Kandahar, Nangarhar, Ghazni Helmand und Kunar wurden 44.5% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle des Berichtszeitraumes registriert (UN GASC 1.9.2015).

Einige Experten haben auf Leistungsverbesserungen der afghanischen Sicherheitskräfte hingewiesen (SCR 9.2015). Ein erhöhtes Operationstempo hat zu einer signifikant höheren Opferzahl unter den afghanischen Sicherheitskräften geführt (+27% im Zeitraum von 1.1. - 15.11.2015 im Vergleich zu 2014) (USDOD 12.2015). Ähnliche Zahlen nennt WP, mit 7.000 getöteten und und 12.000 verletzten Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte (+26% zum Jahr 2014). Im gesamten Jahr 2014 wurde hingegen von 5.000 getöteten afghanischen Polizisten und Soldaten berichtet (SCR 9.2015). Zudem haben die Taliban ihre Angriffe auf Sicherheitskräfte seit Beginn ihrer jährlichen Frühjahrsoffensive im April 2015 erhöht (BBC 29.6.2015).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast allen Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind im Allgemeinen fähig die größeren Bevölkerungszentren effektiv zu beschützen, bzw. verwehren es den Taliban, für einen längeren Zeitraum Einfluss in einem Gebiet zu halten. Gleichzeitig haben die Taliban bewiesen, dass sie ländliche Gegenden einnehmen, Schlüsselgebiete bedrohen (z.B. in Helmand) und gleichzeitig high-profile Angriffe in Kabul durchführen können (USDOD 12.2015). Laut Angaben der afghanischen Regierung, kontrollieren die Taliban nur vier der mehr als 400 Bezirke landesweit, aber es ist bekannt, dass diese Zahl stark untertrieben ist. Die afghanische Regierung hat außerdem oftmals nur Kontrolle über die Distriktzentren, aber nicht über die ländlichen Gebiete (The Long War Journal 22.9.2015)

Es gab Vorschläge zur Gründung regierungsfreundlicher Milizen - sogenannter lokaler Verteidigungskräfte - um die afghanischen Sicherheitskräfte zu unterstützen. Diese existieren angeblich bereits in einer Anzahl von Provinzen (UNGASC 10.12.2015).

Es gibt drei Gründe für das Wiederaufleben der Taliban: Erstens das Ende der US- amerikanischen und NATO-Mission Ende 2014, sowie der Abzug der ausländischen Kräfte aus Afghanistan, hat den militärischen Druck auf die Taliban verringert. Krisen in anderen Teilen der Welt (Syrien, Irak und Ukraine) nährten bei den Taliban die Hoffnungen auf ein Desinteresse der internationalen Gemeinschaft. Wenn Taliban militärische Stützpunkte, Distriktzentren und Check-Points Afghanistans überrennen, erbeuten sie jedes Mal Waffen für den Kampf gegen die afghanische Regierung. Zweitens vertrieb die pakistanische Militäroperation Zarb-e Azb in den Stammesgebieten Nordwaziristans im Juni 2014 tausende Aufständische - hauptsächlich Usbeken, Araber und Pakistanis - die nach Afghanistan strömten und in den Rängen der Taliban aufstiegen. Die Taliban lenkten ohnehin eine große Anzahl ihrer eigenen Kämpfer von Pakistan aus. Drittens mangelt es den afghanischen Sicherheitskräften an Ausbildung und Ausstattung, vor allem in den Bereichen Luftstreitkräfte und Aufklärung. Außerdem nützen die Taliban interne Machtkämpfe der Kabuler Zentralregierung und deren scheinbare Schwäche in verschiedenen Bereichen in Kabul aus (BBC 5.1.2016).

Rebellengruppen

Durch die Talibanoffensiven in den Provinzen Helmand und Kunduz entsteht der Eindruck, dass die afghanischen Sicherheitskräfte die Hauptbevölkerungszentren nicht kontrollieren können. Dies untergräbt das öffentliche Vertrauen, selbst dann, wenn es afghanischen Sicherheitskräften möglich ist, die Zentren zurückerobern, und überschattet die zahlreichen Erfolge der afghanischen Sicherheitskräfte (USDOD 12.2015).

Militärische Operationen im pakistanischen Nordwaziristan haben hunderte gut ausgebildete ausländische Kämpfer nach Afghanistan abgedrängt, wo sie nun die Taliban und den islamischen Staat unterstützen (WP 27.12.2015; vgl. Pakistan Today 22.12.2015; UN GASC 10.12.2015; Tolonews 21.12.2015).

Doch die Taliban haben auch mit Rückschlägen zu kämpfen. Nach der Nachricht vom Tod Mullah Omars hat sich die Bewegung zersplittert und Auseinandersetzungen zwischen Talibanführern begünstigen Fortschritte des IS, vor allem im östlichen Afghanistan (DS 6.1.2016).

Taliban und Frühlingsoffensive

Während der warmen Jahreszeit (ca. Mai - Oktober) spricht man von der "Fighting Season", in der die meist koordinierten, Angriffe von Aufständischen, in Gruppenstärke oder stärker, auf Einrichtungen der ANSF (Afghan Security Forces) oder GIROA (Government of Islamic Republic of Afghanistan) stattfinden. Manchmal sind auch Einrichtungen der IC (International Coalition) betroffen. Diese werden aber meist gemieden, da es sich hierbei um sogenannte

"harte Ziele" handelt. Gegen die IC werden nach wie vor nicht-konventionelle Mittel eingesetzt (Sprengfallen, Magnetbomben). Außerhalb der "Fighting Season" verlegen kampfwillige Aufständische ihre Aktivtäten in die Städte, da hier die ungünstige Witterung kein Faktor ist (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Die Taliban haben signifikante Verluste zu verzeichnen - abgesehen von der temporären Einnahme der Stadt Kunduz, war es ihnen nicht möglich ihre Hauptstrategie und ihre Operationsziele für die Fighting Season 2015 zu erreichen. Auch in Kunduz war es ihnen nicht möglich, das Territorium für einen längeren Zeitraum zu halten. Während der gesamten Fighting Season bewiesen die Taliban Erfahrung in der Durchführung von Angriffen und Bedrohungen von ländlichen Distrikten und zwangen so die afghanischen Sicherheitskräfte in eine reaktive Position (USDOD 12.2015).

Al-Qaida

Die amerikanischen Behörden gehen von einer Zahl von weniger als 100 Kämpfern der al- Qaida in Afghanistan aus. Die meisten von ihnen sind in den nordöstlichen Provinzen Afghanistans, wie Kunar, aktiv. Manche dieser Kämpfer gehören zu Gruppen, die an al- Qaida angegliedert und in Kunduz aktiv sind (CRS 22.12.2015).

Haqqani-Netzwerk

Die Gruppe wurde in den späten 1970er Jahren durch Jalaluddin Haqqani gegründet. Sie ist mit al-Qaida und afghanischen Taliban verbündet, sowie mit anderen terroristischen Organisationen in der Region (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani- Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (NYT 17.10.2014).

Obwohl angenommen wird, dass das Netzwerk der al-Qaida näher steht als den Taliban (CRS 9.10.2014), wurde nach der Meldung vom Tod Mullah Omars, Siraj Haqqani zum stellvertretenden Talibanführer befördert. Dies signalisiert, dass das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin eine wichtige Komponente des Taliban-geführten Aufstandes ist (USDOD 12.2015).

Der Aufstand des Haqqani-Netzwerks ist vermehrt in den östlichen Provinzen Khost, Paktia, Paktika und Kunar vorzufinden (DW 17.10.2014).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG)

Die radikal-islamistische Rebellengruppe Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG) [Anmerkung: auch Hizb-i-Islami Gulbuddin] wird von Mujahed Gulbuddin Hikmatyar geführt (CRS 22.12.2015). Er war ein ehemaliger Verbündeter der USA im Kampf gegen die Besatzungstruppen der Sowjetunion in den 1980er Jahren. Die HIG wird als kleiner Akteur in den Kampfzonen Afghanistans gesehen (CRS 9.10.2014). Sie ist über die Jahre für ihre Grausamkeit bekannt geworden, sodass sogar die Taliban sich von ihr abwendeten (BBC 2.9.2014). Die Gruppe

selbst ist ideologisch wie auch politisch mit al-Qaida und den Taliban verbündet. In der Vergangenheit kam es mit den Taliban jedoch zu Kämpfen um bestimmte Gebiete. (CRS 9.10.2014).

IS/ISIS/ISIL/Daesh - Islamischer Staat

Der Islamische Staat hat seinen Einfluss in Afghanistan seit Mitte des Jahres 2014 erhöht. Es wird berichtet, dass der Führer des Islamischen Staates Abu Bakr al-Baghdadi, Berichten zufolge, unter dem Talibanregime in Kabul gelebt und mit al-Qaida kooperiert hat. Die Präsenz der Gruppe in Afghanistan hat sich Anfang des Jahres 2013 aus mehreren kleinen afghanischen Taliban- und anderen Aufständischenfraktionen herausentwickelt (CRS 22.12.2015). Die Präsenz des islamischen Staates hat sich ausgeweitet, als immer mehr Talibanfraktionen dem IS Treue schworen. So kam es zur Einnahme kleiner Gebiete, hauptsächlich im östlichen Afghanistan, durch den IS (CRS 22.12.2015; vgl. Tolonews 12.7.2015). Ende 2015 gab es Berichte, über finanzielle Hilfe des IS für seinen afghanischen Zweig (CRS 22.12.2015). Ehemalige Kämpfer von al-Qaida, Taliban und Haqqani-Netzwerk steigen in den Rängen des IS auf (Pajhwok 26.5.2015).

Der afghanische Geheimdienst NDS hat eine Spezialeinheit damit beauftragt Razzien gegen den IS durchzuführen (Pajhwok 1.7.2015). Das afghanische Innenministerium konzentriert sich auf bessere Ausbildung und Ausrüstung der nationalen und lokalen Polizei, damit nicht die Notwendigkeit zur Selbstjustiz für Anrainer/innen entsteht (Pajhwok 26.5.2015).

Drogenanbau

Es ist im Jahr 2015 zu einer Reduzierung der Opiumproduktion um

3.300 Tonnen (48%) gekommen (UN News Centre 14.10.2015).

Zivile Opfer

Zwischen 1.1. und 30.6.2015 registrierte UNAMA 4.921 zivile Opfer (1.592 Tote und 3.329 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 6% bei getöteten bzw. von 4% bei verletzten Zivilisten (UNAMA 8.2015).

Konfliktbedingte Gewalt hatte in der ersten Hälfte 2015 Auswirkungen auf Frauen und Kinder. UNAMA verzeichnete 1.270 minderjährige Opfer (320 Kinder starben und 950 wurden verletzt). Das ist ein Anstieg von 23% im Vergleich zu den ersten sechs Monaten 2014. Es gab 559 weibliche Zivilopfer, davon wurden 164 Frauen getötet und 395 verletzt. Das bedeutet einen Anstieg von 13% gegenüber 2014 (UNAMA 8.2015).

Laut UNAMA waren 70% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben, 16% regierungsfreundlichen Kräften (15% den ANSF und regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen, sowie 1% den internationalen militärischen Kräften). UNAMA rechnete 4% der zivilen Opfer Unfällen mit Blindgängern zu (8.2015).

3.436 zivile Opfer (1.213 Tote und 2.223 Verletzte) gehen auf Operationen regierungsfeindlicher Elemente zurück. Das bedeutet einen Rückgang von 3% gegenüber 2014. UNAMA verzeichnete einen Anstieg von 78% bei zivilen Opfer aufgrund von komplexen Angriffen und Selbstmordattentaten, sowie einen Anstieg von individuellen Tötungen. UNAMA registrierte ebenso 46% Rückgang an zivilen Opfern in Bodenkämpfen und 21% Rückgang ziviler Opfer aufgrund von IEDs (improvised explosive devices) (UNAMA 8.2015).

Regierungsfreundliche Kräfte - speziell ANSF - waren auch weiterhin Grund für einen Anstieg bei zivilen Opfern im Jahr 2015. UNAMA registrierte hierzu 796 zivile Opfer (234 wurden getötet und 562 verletzt). Dies deutet einen Anstieg von 60% im Vergleich zum Jahr 2014. Der Großteil dieser zivilen Opfer geht auf Bodenkämpfe regierungsfreundlicher Gruppen, bei denen hauptsächlich Explosivwaffen, wie Mörser, Raketen oder Granaten verwendet wurden. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 waren regierungsfreundliche Gruppen für mehr zivile Opfer verantwortlich, als regierungsfeindliche Elemente. Im Jahr 2015 haben die ANSF ihre Anzahl von Operationen, die am Boden durchgeführt wurden, signifikant erhöht, um den Regierungsbildungsprozess zu unterstützen und Angriffen regierungsfeindlicher Elemente entgegenzuwirken (UNAMA 8.2015).

Die UNAMA verzeichnete 37% Anstieg bei Entführungen von Zivilisten durch regierungsfeindliche Elemente, und mehr Morde und Körperverletzungen an den Entführungsopfern. Von 76 Entführten Zivilisten wurden im Berichtszeitraum (1.1. - 30.6.2015) 62 getötet und 14 verletzt. UNAMA dokumentierte die Entführung von Zivilist/innen durch regierungsfeindliche Elemente für finanzielle Zwecke, zur Einschüchterung der Bevölkerung und um Zugeständnisse von anderen Parteien im Konflikt zu erhalten, z.B. Geiselaustausch (UNAMA 8.2015).

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte

In einem Bericht der norwegischen COI-Einheit Landinfo wurde im September 2015 berichtet, dass zuverlässige Dokumentation von konfliktbezogener Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen, existiert. Andererseits, konnte nur eingeschränkte Dokumentation zu konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer,

Informanten oder andere Gruppen lokale Angestellte ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 9.9.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Grundsätzlich sind Anfeindungen afghanischer Angestellter der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürgern verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis zu ISAF zurückzuführen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 10.11.2014). Des Weitern bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Job für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Quellen:

2.1. Provinz Kabul

Gewalt gegen Einzelne

40

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

69

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

103

Durchsetzung/Gewährleistung von Sicherheit

94

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

39

Andere Vorfälle

7

Insgesamt

352

Im Zeitraum 1.1. -

31.8.2015 wurden in der Provinz Kabul insgesamt 352 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 21.1.2016).

Provinzhauptstadt der Provinz Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan)Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.372.977 geschätzt (UN OCHA 26.8.2015).

Im Gegensatz zu den ländlichen Teilen Afghanistans, in denen das Gewaltniveau meist von jahreszeitenbedingter Witterung abhängt (erhöhte Angriffszahlen in den Sommermonaten), hängt die Sicherheitslage in Kabul stark von den politischen Entwicklungen innerhalb Afghanistans und internationalen Beziehungen ab (EI o.D.).

Die Sicherheitsumgebung in Kabul ist momentan extrem herausfordernd, Koordinierte Angriffe auf Regierungsgebäude und auf ausländische Organisationen, ist auf einem Niveau, wie zuletzt im November 2014 beobachtet wurde. Die allgemeine Gewalt, Selbstmordattentate, Autobomben und magnetisch angebrachte IEDs (improvised explosive devices) befinden sich im Großen und Ganzen auf dem Niveau von 2014.

2.2. Sar-ePul/Sar-i-Pul (EASO 21.1.2016; vgl. EASO 1.2015)

Gewalt gegen Einzelne

17

Bewaffnete Konfrontationen und Luftangriffe

90

Selbstmordattentate, IED-Explosionen und andere Explosionen

11

Durchsetzung/Gewährleistung von Sicherheit

11

Vorfälle ohne Bezug auf den Konflikt

0

Andere Vorfälle

0

Insgesamt

129

Im Zeitraum 1.1. -

31.8.2015 wurden in der Provinz Sar-e Pul, 129 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

Die nördliche Provinz Sar-i-Pul war bis 1988 Teil der Provinz Jawzjan. Sie grenzt im Norden an die Provinz Jawzjan, im Süden an Balkh, im Südosten an Samangan und im Westen an Ghor, Bamyan und Faryab. Sar-i-Pul wird als einer der ressourcenreichsten Provinzen gesehen. Sie hat große Reserven an Öl, Kupfer und anderen natürlichen Ressourcen. Gemeinsam mit der Provinzhauptstadt Sar-i-Pul hat die Provinz sieben administrative Einheiten: Sozma Qala, Sanga charakh, Sayyad, Kohistanat, Kosfandi und Balkhab (Pajhwok o.D.m). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 559.577 geschätzt (UN OCHA 26.8.2015).

Sar-e Pul zählt zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans, jedoch haben regierungsfeindliche bewaffnete Aufständische ihre Aktivitäten in letzter Zeit erhöht (Khaama Press 19.8.2015). Es wird angenommen, dass der Großteil der Aufständischen in der Provinz Sar-e Pul lokal Ansässige sind. Seit dem Jahr 2014 aber ist ein großer Zustrom an Taliban und ausländischen Aufständischen zu verzeichnen. Viele Aufständische kommen aus den Provinzen Badghis und Faryab und sind in etwa der Hälfte der sieben Distrikte der Provinz aktiv. Sie kontrollieren große Landstriche und kämpfen für die Taliban, aber auch das IMU (RFE/RL 9.2015). Es wird angenommen, dass afghanische Aufständische in einem Trainingscamp in der Provinz Ghor ausgebildet und dann in die Provinzen Faryab und Sar-e Pul gebracht werden (Pajhwok 5.8.2015).

Hunderte Dorfbewohner haben ihre Dörfer mit Waffengewalt gegen die Aufständischen verteidigt. Die Dorfbewohner kämpfen Seite an Seite mit afghanischen Soldaten und Polizei, und haben an einer wochenlangen Offensive gegen die Aufständischen teilgenommen. Gemeinsam haben sie fast 50 von den Aufständischen kontrollierte Dörfer wieder eingenommen (RFE/RL 6.5.2015).

In der Provinz werden militärische Operationen durchgeführt um manche Gegenden von Terroristen zu befreien (Press TV 8.1.2016;

Pajhwok 7.1.2016; Xinhua 3.1.2016; Business Standard 30.12.2015;

Khaama Press 18.9.2015)

3. Rechtsschutz/Justizwesen

Afghanistan ist eine Gesellschaft mit einer Vielzahl rechtlicher Traditionen, die historisch gesehen aus drei Komponenten bestehen:

dem staatlichen Gesetzbuch, dem islamisch- religiösen Gesetz (Scharia) und dem lokalen Gewohnheitsrecht. Die lokalen Gepflogenheiten beinhalten kulturelle und ethische Standards zur Beseitigung eines Disputs durch Mediation und Schlichtung in den Gemeinschaften (BU 23.9.2010).

Wegen des allgemeinen Islamvorbehalts darf laut Verfassung kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so dass nicht festgelegt ist, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und

seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und das Fehlen einer Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 6.11.2015).

Das Gesetz beinhaltet eine unabhängige Justiz, aber in der der Praxis ist die Justiz oft unterfinanziert, unterbesetzt, nicht adäquat ausgebildet, uneffektiv, Drohungen ausgesetzt, befangen, politisch beeinflusst und durchdringender Korruption ausgesetzt (USDOS 25.6.2015). Die meisten Gerichte sprechen uneinheitlich Recht, basierend auf dem kodifiziertem Gesetz, der Scharia (islamisches Gesetz) und lokalen Gepflogenheiten. Traditionelle Justizmechanismen bleiben auch weiterhin die Hauptgrundlage für viele Menschen, besonders in den ländlichen Gebieten (USDOS 25.6.2015 vgl. FH 28.1.2015). Die Einhaltung des kodifizierten Rechts variiert, wobei die Gerichte gesetzliche Vorschriften zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 25.6.2015). Laut Freedom House Report 2015 besteht der Oberste Gerichtshof in erster Linie aus Religionsgelehrten, die nur eine beschränkte Kenntnis der zivilen Rechtsprechung haben (USDOS 25.6.2015 vgl. FH 28.1.2015).

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an Kapazität um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu handhaben. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Verglichen mit 2012 gab es eine Steigerung in der Zahl der Richter, welche ein Rechtsstudium absolviert hatten (USDOS 25.6.2015). Es gibt etwa 1300 Richter im Land (SZ 29.9.2014). Präsident Ghani verfügte eine Reihe von Justizreformen, sodass im Oktober 2014 etwa 200 Richter und 600 Gerichtsangestellt aufgrund von Korruptionsvorwürfen entlassen wurden (FH 28.1.2015).

Das formale Justizsystem ist relativ stark verankert in den städtischen Zentren, wo die Zentralregierung am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten, wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben, schwächer ausgeprägt ist (USDOS 25.6.2015). Insbesondere in den ländlichen Gebieten wird von einem Großteil der Bevölkerung auf traditionelle Justizmechanismen oder Selbstjustiz zurückgegriffen (FH 28.1.2015).

Der Zugang zu Gesetzblättern und Regelwerken steigt an, die geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter und Staatsanwälte aber weiterhin eine Behinderung dar. In den großen Städten entscheiden die Gerichte nach dem Gesetz. In den ländlichen Gegenden hingegen ist der primäre Weg zur Beilegung krimineller oder ziviler Streitigkeiten, jener über lokale Älteste und Shuras (Ratsversammlungen), wobei allerdings auch rechtlich nicht sanktionierte Strafen ausgesprochen werden (USDOS 25.6.2.2015). Schätzungen lassen vermuten, dass 80% aller Streitigkeiten durch Shuras entschieden werden. In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (USDOS 25.6.2015; vgl. BFA Staatendokumentation 3.2014).

Quellen:

4. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen erhebliche Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine starke Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern nur schwer durchzusetzen. Sie müssen landesweit weiterhin gegen große Widerstände in der konservativen Bevölkerung verteidigt werden. Insbesondere geschlechtsspezifische Gewalt ist weitverbreitet; die Rechte von Frauen und Mädchen werden trotz fortschrittlicher Gesetzgebung nur unzureichend respektiert und umgesetzt (AA 6.11.2015).

Menschenrechte haben in Afghanistan eine klare gesetzliche Grundlage. Die 2004 verabschiedete afghanische Verfassung enthält einen umfassenden Grundrechtekatalog. Ferner, hat Afghanistan die meisten der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge - zum Teil mit Vorbehalten - unterzeichnet und/oder ratifiziert (AA 6.11.2015).

Als ein positives Signal wurde von Frauen- und Menschenrechtsgruppen gewertet, dass der ehemalige Präsident Karzai sich weigerte ein vom afghanischen Parlament erlassenes Gesetz zu unterzeichnen, welches Familienangehörigen eines Beschuldigten verbieten würde in strafrechtlichen Fällen auszusagen. Da ein Großteil gemeldeter Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt innerhalb der Familie geschehen, würde dies eine erfolgreiche strafrechtliche Verfolgung erschweren und weiters, Opfern von Vergewaltigung und häuslicher Gewalt, sowie jenen die Zwangsverheiratung und Kinderheirat ausgesetzt sind, Gerechtigkeit verwehren (AI 25.2.2015).

Quellen:

5. Religionsfreiheit

80% der Bevölkerung sind Anhänger des sunnitischen und 19% Anhänger des schiitischen Islams; 1% entfällt auf andere Religionen (The CIA World Factbook 20.10.2015). Es lebt offiziell noch ein Jude in Afghanistan, der sich um die verwaiste Synagoge kümmert (AA 16.11.2015).

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 16.11.2015; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 16.11..2015).

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch es wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern. Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 28.4.2015).

Angaben eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul berichtete, dass entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, Hazara keiner gezoelten Diskriminierung aufgrund ihrer Religungszugehörigkeit ausgesetzt sind (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

Die Bedingungen für Religionsfreiheit sind für andersdenkende sunnitische Muslime, aber auch schiitische Muslime, Sikhs, Christen und Bahais weiterhin schlecht. Die afghanische Verfassung verabsäumt es explizit die individuellen Rechte in Bezug auf Religionsfreiheit zu schützen und einfachgesetzliche Bestimmungen werden in einer Weise angewendet, die internationale Menschenrechtsstandards verletzt. Staatliche und nicht-staatliche Akteure führen Aktionen gegen Personen aus, die ihrer Ansicht nach "unislamische" Aktivitäten setzen (USCIRF 30.4.2015).

Die sunnitische hanafitische Rechtsprechung gilt für alle afghanischen Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von ihrer Religion (AA 6.11.2015; vgl. AA 2.3.2015). Für die religiöse Minderheit der Schiiten gilt in Personenstandsfragen das schiitische Recht (AA 31.3.2014; vgl. USDOS 14.10.2015; vgl. USDOS 26.5.2015).

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, waren sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen, sogar Gewalt. Dieses Vorgehen war nicht systematisch (USDOS 14.10.2015). Im Mai 2014 zum Beispiel trat Sham Lal Bathija als erster Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada an (RFERL 15.5.2014). Im März übergab er formell diese Position an seinen Nachfolger Dawood Qayomi (Afghan Embassy 18.3.2015). Sham Lal Bathija war bereits in der Vergangenheit als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express16.5.2012).

Quellen:

5.1. Schiiten

Etwa 19% der Bevölkerung sind schiitische Muslime und damit die größte religiöse Minderheit des Landes. Der Großteil der afghanischen Schiiten gehört der ethnischen Gruppe der Hazara an (USCIRF 30.4.2015). Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind im Alltagsleben in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema) als auch im Hohen Friedensrat sind auch Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 16.11.2015; vgl. AA 2.3.2015).

Die Situation der afghanischen schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert. Während des Untersuchungszeitraumes war es schiitischen Muslim/innen allgemein möglich ihre traditionelle Ashura Feierlichkeiten und Rituale, ohne Hindernisse, öffentlich durchzuführen (USCIRF 30.4.2015; vgl. FH 28.4.2015). Trotzdem ist die schiitische Minderheit mit gesellschaftlichen Diskriminierungen konfrontiert (USDOS 28.7.2014). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religungszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

Der letzte große Zwischenfall, bei dem mindestens 55 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt wurden, fand 2011 während der Ashura-Feiern in Form eines Selbstmordattentats in einer heiligen Stätte in Kabul statt (BBC 5.9.2013; vgl. AA 2.3.2015; vgl. AA 16.11.2015). Die politischen Kräfte des Landes zeigten sich über die Vorfälle erschüttert, verurteilten die Attentate und riefen zur Einigkeit auf. Im Jahr 2015 verlief das Aschura-Fest in Afghanistan friedlich (AA 16.11.2015).

Die Verfassung garantiert, dass das schiitische Gesetz in Personenstandsangelegenheiten angewendet wird, in denen alle Parteien Schiiten sind (USDOS 14.10.2015). Im Jahr 2009 wurde ein Gesetz durchgesetzt, das viele konstitutionelle Rechte der schiitischen Frauen schmälert. Erbschafts-, Heiratsfragen und Angelegenheiten persönlicher Freiheit werden von den konservativen schiitischen Autoritäten festgesetzt (USDOS 25.6.2015; vgl. BFA Staatendokumentation 3.2014).

Die Ismailiten, die sich selbst zum schiitischen Islam rechnen, machen etwa 5% der Bevölkerung aus (USDOS 28.7.2014; vgl. -CRS 12.1.2015). Es gibt wenige Berichte in Bezug auf gezielte Diskriminierung gegen Ismailiten (USDOS 25.6.2015). Auch unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschwerten sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 14.10.2015).

Quellen:

6. Ethnische Minderheiten

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 16.11.2015; vgl. Max Planck Institut 27.1.2004).

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2015 mehr als 32.5 Millionen Menschen (CIA 20.10.2015). Davon sind 42%-45% Pashtunen, 25% Tadschiken, rund 10% Hazara, 10% Usbeken. Es existieren noch mehrere andere religiöse und ethnische Minderheiten (CRS 12.1.2015). wie z.B. Aimaken 4%, Turkmenen 3%, Balutschen 2% und andere kleinere ethnische Gruppen (CIA 24.6.2014).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 16.11.2015). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 25.6.2015).

Ethnische Pashtunen sind die größte Ethnie in Afghanistan. Sie sprechen Paschtu/Pashto, aber die meisten ihrer Regierungsvertreter sprechen auch Dari (CSR 12.1.2015). Die Pashtunen haben mehr Sitze in beiden Häusern des Parlaments, aber nicht mehr als 50% der Gesamtsitze. Es gibt keinen Beweis, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Es gibt keine Gesetze, welche die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben verhindern. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, dass sie keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 25.6.2015). Unter den vielen Volksgruppen bilden die Paschtunen zwar die Mehrheit im Staat, dominieren aber nur im Süden, im Norden hingegen eher die persisch-sprachigen Tadschiken (DW 26.4.2014; vgl. GIZ 10.2015). Die Pashtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.7.2015).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt (16.11.2015): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan

AA - Auswärtiges Amt (2.3.2015): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan

Brookings - The Brookings Institution (31.7.2015): Afghanistan Index,

http://www.brookings.edu/~/media/Programs/foreign-policy/afghanistan-index/index20150731.pdf?la=en , Zugriff 27.10.9.2015

CIA - Central Intelligence Agency (24.6.2014): The World Factbook Afghanistan,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html Zugriff 11.9.2014

CIA - Central Intelligence Agency (20.10.2015): The World Factbook:

Afghanistan,

https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/af.html , Zugriff 22.10.2015

CRS - US Congressional Research Service (12.1.2015): Afghanistan:

Politics, Elections, and Government Performance, http://www.fas.org/sgp/crs/row/RS21922.pdf , Zugriff 27.10.2015

DW - Deutsche Welle (26.4.2014): Abdullah ist keine Integrationsfigur für Afghanistan, http://www.dw.de/abdullah-ist-keine-integrationsfigur-f ür-afghanistan/a- 17593741, Zugriff 11.9.2014

GIZ (10.2015): Afghanistan,

http://liportal.giz.de/afghanistan/gesellschaft/ , Zugriff 27.10.2015

Max Planck Institut (27.1.2004): Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan,

http://www.mpipriv.de/files/pdf4/verfassung_2004_deutsch_mpil_webseite.pdf , Zugriff 27.10.2015

USDOS - US Department of State (25.6.2015): Country Report on Human Rights Practices 2014 - Afghanistan, http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2014&dlid=236632 , Zugriff 13.10.2015

6.1. Tadschiken

Die dari-sprachige Minderheit der Tadschiken ist die zweitgrößte und zweitmächtigste Gemeinschaft in Afghanistan. Sie macht etwa 25% der Bevölkerung in Afghanistan aus (CRS 12.1.2015).

Der Hauptführer der "Nordallianz", eine politisch-militärische Koalition ist Dr. Abdullah Abdullah (CRS 12.1.2015., dessen Mutter eine Tadschikin ist und sein Vater Pashtune. Er selbst identifiziert sich politisch gesehen als Tadschike, da er auch ein hochrangiger Berater von Ahmad Shah Masoud, war. Er ist mittlerweile der "Chief Executive Officer" in Afghanistan und sollte den Posten des Premierministers im Jahr 2016 annehmen (CRS 12.1.2015). Der im März 2014 verstorbene Vizepräsident Muhammad Fahim, war Tadschike, wie auch sein Nachfolger, der ehemalige Sprecher des Unterhauses Yunus Qanooni. Der Verteidigungsminister Bismillah Khan Mohammedi ist ebenfalls ein Tadschike. Die Tadschiken sind der Kern der "Nordallianz (CRS 12.1.2015).

Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (Brookings 31.7.2015).

Quellen:

Brookings - The Brookings Institution (31.7.2015): Afghanistan Index,

http://www.brookings.edu/~/media/Programs/foreign-policy/afghanistan-index/index20150731.pdf?la=en , Zugriff 27.10.2015

CRS - US Congressional Research Service (12.1.2015): Afghanistan:

Politics, Elections, and Government Performance, http://www.fas.org/sgp/crs/row/RS21922.pdf , Zugriff 27.10.2015

7. Kinder

Vor allem in den Rängen von Armee und Polizei, aber nicht nur dort, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein großes Problem. Das Thema ist gesellschaftlich tabuisiert und wird nicht selten unter dem Deckmantel kultureller Gepflogenheiten ("Bacha Bazi", so genannte "Tanzjungen") verschwiegen und verharmlost (AA 16.11.2015; vgl. USDOS 25.6.2015). Die afghanische Menschenrechtskommission AIHRC hat sich 2014 mit einer nationalen Studie des Themas angenommen. Die Befragung zeigt den weitverbreiteten Missbrauch von Jungen zwischen 10 und 18 Jahren. Ein Großteil der Täter hat keinerlei Unrechtsbewusstsein. Die Jungen werden oft von armen Familien verkauft, sexuell missbraucht, weiter gehandelt oder auch getötet. Die Jungen und ihre Familien werden oft von ihrer sozialen Umgebung verstoßen; eine polizeiliche Aufklärung findet nicht statt. Das Thema wurde jüngst auch von internationalen Medien aufgenommen, als es zu Vorwürfen gegen die US-Armee kam, den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in den ANDSF bewusst geduldet zu haben (AA 16.11.2015).

Das von der AIHRC geleitete Komitee zum Thema Bacha Bazi, reichte beim Justizministerium einen Gesetztesentwurf ein, um diese Praxis zu kriminalisieren. Nach intensiver medialer Auseinandersetzung über vermeintliche Misshandlungen durch afghanische Sicherheitskräfte, ordnete der Präsident am 23. September 2015, die Errichtung einer Körperschaft - bestehend aus dem Büro der Generalstaatsanwaltschaft, dem Innenministerium und der AIHRC - zur Untersuchung, Überwachung und Einrichtung eines Überwachungsmechanimus an, um sexuellen Missbrauch von Kindern zu verhindern und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen (UN GASC 10.12.2015)

Quellen:

8. Homosexuelle

Die afghanische Verfassung kennt kein Verbot der Diskriminierung auf Grund sexueller Identität oder Orientierung. Entsprechende Forderungen im Rahmen des Universal Periodic Review Verfahrens im Januar 2014 in Genf, gleichgeschlechtliche Paare zu schützen und nicht zu diskriminieren, wies die afghanische Vertretung (als eine der wenigen nicht akzeptierten Forderungen) zurück. Bisexuelle und homosexuelle Orientierung sowie transsexuelles Leben werden von der breiten Gesellschaft abgelehnt. Es findet daher ausschließlich im Privaten statt. Laut Art. 247 des afghanischen Strafgesetzbuches werden neben unehelichem Geschlechtsverkehr auch solche Sexualpraktiken, die üblicherweise mit männlicher Homosexualität in Verbindung gebracht werden, mit langjährigen Haftstrafen bis zu 20 Jahren sanktioniert. Neben der sozialen Ächtung von Bisexuellen, Homosexuellen und Transsexuellen verstärken Bestimmungen und Auslegung des islamischen Rechts (der Scharia, die z.T. von noch konservativeren vor-islamischen Stammestraditionen beeinflusst wird) mit Androhungen von Strafen bis hin zur Todesstrafe den Druck auf die Betroffenen. (AA 16.11.2015). Über die Durchführung von Strafverfahren wegen homosexueller oder transsexueller Handlungen liegen dem Auswärtigen Amt keine Erkenntnisse vor (AA 2.3.2015).

Das Gesetz kriminalisiert einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Aktivitäten, es wurde berichtet, dass Belästigungen, Gewalt und Inhaftierungen durch die Polizei auch weiterhin anhalten. NGOs berichten, dass die Polizei schwule Männer verhaftet, ausraubt und vergewaltigt (USDOS 25.6.2015). Es gibt kein Gesetz, das Diskriminierung und Belästigung aufgrund von sexueller Orientierung oder "gender identity" thematisiert. Mitgliedern der LGBT-Gemeinschaft hatten keinen Zugang zu Gesundheitsleistungen und können aufgrund ihrer sexuellen Orientierung aus ihren Jobs entlassen werden (USDOS 25.6.2015). Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Freiheiten von LGBT-Personen zu schützen, blieben im Untergrund, da sie nicht legal registriert werden konnten (USDOS 25.6.2015 vgl. AA 16.11.2015). Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft wurden auch weiterhin diskriminiert, misshandelt, vergewaltigt und verhaftet (USDOS 25.6.2015).

Obwohl soziale Tabus gegen offen gleichgeschlechtliche Orientierung anhielten, konnte in Kabul zum Teil angeblich eine veränderte Sichtweise festgestellt werden (USDOS 19.4.2013).

Quellen:

Ergänzend wird verfahrensbezogen folgendes festgestellt:

Bacha Bazi, zu Deutsch Tanzknaben, ist eine heute noch in einigen Regionen Afghanistans praktizierte Form der Kinderprostitution in vielfältigen Formen. Beim namensgebenden "Knabenspiel" tanzt und singt ein Junge (Bacha) in Frauenkleidern vor einer Gruppe von Männern. Der Junge zeigt sich den Männern mit Zärtlichkeiten gefällig. In vielen Fällen kommt es zu sexuellen Handlungen. Bachas, die meist zwischen 12 und 16 Jahren alt sind, müssen meist verheirateten Männern dienen und sie sexuell befriedigen. Für die Männer in gehobener Stellung stellt ihr Bacha ein Statussymbol dar. Für die meist aus armen Familien stammenden Jungen bedeutet die Beziehung zu einem Mann in erster Linie die einzige Einkommensquelle. Daneben gibt es Jungen, die ihren Eltern abgekauft werden und die sklavenähnlich bei einem Zuhälter leben. Während die Kinderprostitution in Afghanistan verboten ist, so erscheint der mehr oder weniger heimliche Umgang von Bachas im Pupertätsalter nach den überkommenen Moralvorstellungen der Stammestradition für manche Männer als tolerabel und als Teil der gesellschaftlichen Norm zum Unterschied von verpönten sexuellen Handlungen unter gleichgeschlechtlichen Erwachsenen.

Die Schönheit der häufig mit Kohl geschminkten Knaben, die möglichst feminin erscheinen sollen, wird in Gedichten gepriesen. Ähnliche Phänomene gab es bereits in der antiken griechischen und in der persischen Kultur und auch im osmanischen Reich. Obwohl nach den Gesetzten der Scharia die Knabenliebe untersagt ist, scheint dies aber gesellschaftlich akzeptiert gewesen zu sein. Nach der überkommenen Vorstellung gilt ein Mann erst mit vollem Bartwuchs als solcher, für die Tanzknaben hingegen ist es wichtig, dass sie bartlos sind. Der Tanzknabe nimmt die sonst den Frauen vorbehaltene passive Rolle ein. Mit spätestens 20 Jahren ist das Leben als Bacha beendet. Unter der Herrschaft der Taliban (1996-2001) war die Praxis der Tanzknaben strikt verboten und wurde drakonisch bestraft (Wikipedia, freie Internetenzyklopädie).

Nach Ende der Talibanherrschaft kam es zu einem Wiederaufleben der Tanzknabentradition. Die erwachsenen Männer, die sexuellen Missbrauch an Tanzknaben begehen, bleiben meistens straffrei (SFH Länderanalyse Afghanistan Bacha Bazi vom 11.03.2013).

Beweis wurde erhoben durch Ersteinvernahme des Beschwerdeführers durch die Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes am 27.12.2012, durch Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien am 27.01.2015 und durch Befragung im Rahmen der öffentlichen mündlichen Beschwerdeverhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 03.03.2016, durch wissenschaftliche Altersfeststellung im Auftrag des (ehemaligen) Bundesasylamtes, durch Vorhalt von Länderinformationsblättern sowohl durch das (ehemalige) Bundesasylamt als auch durch das Bundesverwaltungsgericht, durch Vorlage einer Schulbesuchsbestätigung sowie eines Auszuges aus der freien Internetenzyklopädie Wikipedia über "Bacha Bazi" durch den Beschwerdeführer bzw. seinen Vertreter und schließlich durch Vorhalt einer Länderanalyse der Schweizer Flüchtlingshilfe zu Afghanistan:

Bacha Bazi durch das Bundesverwaltungsgericht.

2. Beweiswürdigung:

Die länderspezifischen Feststellungen entstammen einer aktuellen Zusammenstellung der Staatendokumentation (die nicht nur für die Länderinformationen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, sondern auch für das Bundesverwaltungsgericht zuständig ist) jüngsten Datums, welche auf einer ausgewogenen Sammlung zahlreicher seriöser, aktueller, internationaler, staatlicher und nicht staatlicher Quellen beruht, die in den obigen Länderfeststellungen zitiert wurden.

Ergänzt wurden diese um verfahrensbezogene Feststellungen zum Problemkreis Tanzknaben in Afghanistan, welche vor allem auf den äußerst informativen und vom Beschwerdeführervertreter selbst vorgelegten Auszügen aus der freien Internetenzyklopädie Wikipedia beruhen sowie einer Länderanalyse der Schweizer Flüchtlingshilfe. Da dem Rechtsstandpunkt der belangten Behörde auf Abweisung der Beschwerde stattgegeben wurde, was auch nicht notwendig, diesbezüglich hinsichtlich der vom Beschwerdeführer selbst vorgelegten Unterlagen das Parteiengehör einzuräumen. Der Beschwerdeführervertreter ist den vorgehaltenen Unterlagen nicht entgegengetreten, sondern hat lediglich die für den Standpunkt seines Mandanten sprechenden Passagen hervorgestrichen und daraus gefolgert, dass der Beschwerdeführer nach wie vor aktuell bedroht wäre, als "Tanzknabe" bei einer Rückkehr nach Afghanistan verkauft zu werden. Im Übrigen hat jedoch weder der Beschwerdeführer noch sein Vertreter den Länderfeststellungen widersprochen und geht das Bundesverwaltungsgericht von diesen aus.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers wird wie folgt gewürdigt:

Das Vorbringen eines Asylwerbers ist dann glaubhaft, wenn es vier Grunderfordernisse erfüllt (diesbezüglich ist auf die Materialien zum Asylgesetz 1991 [RV 270 BlgNR 18. GP ; AB 328 BlgNR 18. GP ] zu verweisen, die wiederum der VwGH-Judikatur entnommen wurden).

1. Das Vorbringen des Asylwerbers ist genügend substantiiert. Dieses Erfordernis ist insbesondere dann nicht erfüllt, wenn der Asylwerber den Sachverhalt sehr vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt, nicht aber in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen.

2. Das Vorbringen muss, um als glaubhaft zu gelten, in sich schlüssig sein. Der Asylwerber darf sich nicht in wesentlichen Aussagen widersprechen.

3. Das Vorbringen muss plausibel sein, d.h. mit den Tatsachen oder der allgemeinen Erfahrung übereinstimmen. Diese Voraussetzung ist u. a. dann nicht erfüllt, wenn die Darlegungen mit den allgemeinen Verhältnissen im Heimatland nicht zu vereinbaren sind oder sonst unmöglich erscheinen und

4. Der Asylwerber muss persönlich glaubwürdig sein. Das wird dann nicht der Fall sein, wenn sein Vorbringen auf gefälschte oder verfälschte Beweismittel abgestützt ist, aber auch dann, wenn er wichtige Tatsachen verheimlicht oder bewusst falsch darstellt, im Laufe des Verfahrens das Vorbringen auswechselt oder unbegründet einsilbig und verspätet erstattet oder mangelndes Interesse am Verfahrensablauf zeigt und die nötige Mitwirkung verweigert.

Vorausgeschickt wird, dass im Asylverfahren das Vorbringen des Asylwerbers als zentrales Entscheidungskriterium herangezogen werden muss (so schon VwGH vom 16.01.1987, Zl. 87/01/0230, VwGH vom 15.03.1989, Zl. 88/01/0339, UBAS vom 12.05.1998, Zahl:

203.037-0/IV/29/98 uva.m.)

Das Vorbringen des Beschwerdeführers ist einigermaßen und klar und konkret, wenn auch nicht sehr ausführlich. Ziemlich vage hat der Beschwerdeführer ausgeführt, dass ihn sein Onkel, bei dem er aufgewachsen ist, "nicht gut behandelt hat". Auch zu dem Beschwerdevorbringen, dass der Onkel des Beschwerdeführers rauschgiftsüchtig und ein Spieler gewesen sei, hat er nur relativ kursorische Angaben gemacht, hinsichtlich der Rauschgiftsucht dies eingeschränkt, dass er nur Cannabis geraucht habe und dies in Afghanistan ganz normal sei. Dass der Beschwerdeführer dieses Beschwerdevorbringen weder eindeutig bestätigt hat, noch sein Vorbringen "aufgebauscht" hat, spricht hingegen wieder für die Glaubwürdigkeit seiner Ausführungen. Er konnte die schlechte Behandlung auch nur teilweise näher ausführen, gab jedoch ganz konkret an, dass ihn sein Onkel geschlagen habe und nannte auch einen Vorfall, wo er ihn anscheinend besonders geschlagen hat, nachdem dieser als Kind aus bloßer Neugier eine sunnitische Moschee besucht habe (obwohl die Familie der schiitischen Glaubensrichtung zugehört). Der Beschwerdeführer hat jedenfalls ganz eindeutig angegeben, dass er nicht als Tanzknabe verkauft bzw. missbraucht wurde und dass nicht einmal der Versuch eines solchen Missbrauchs von seinem Onkel unternommen wurde. Er hat somit bloß von der (abstrakten) Gefahr als Tanzknabe verkauft zu werden, gesprochen.

Auch zu dem unmittelbaren Anlass seiner Ausreise als 13-Jähriger aus Afghanistan führte er lediglich die "schlechte Behandlung" durch seinen Onkel und dass er sich nicht bei seinem Onkel nicht sicher gefühlt habe, da sein Großvater krank gewesen sei, an.

Obwohl der Beschwerdeführer nunmehr volljährig ist, hat er keineswegs ein konkretes Vorbringen hinsichtlich einer "westlichen Orientierung" bzw. einer völligen Ablehnung des afghanischen Gesellschaftssystems erstattet und auch bei den Rückkehrbefürchtungen hat er lediglich seine "Entwurzelung in Afghanistan" sowie eine unspezifische Angst (offenbar wegen der allgemeinen Sicherheitssituation) getötet zu werden, angeführt.

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der Beschwerdeführer ein durchaus klares, konkretes und nicht aufgebauschtes (wenn auch passagenweise recht vages) Vorbringen erstattet hat und das Bundesverwaltungsgericht diesem Vorbringen insoweit Glaubwürdigkeit zubilligt, als dieses in die obigen personenbezogenen Feststellungen eingeflossen ist.

3. Rechtliche Beurteilung

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG) nicht getroffen.

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Einleitend ist festzuhalten, dass Gegenstand des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht lediglich die Frage der Asylgewährung ist, zumal dem Beschwerdeführer bereits (unangefochten) subsidiärer Schutz erteilt wurde.

Aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer Angehöriger der tadschikischen Volksgruppe und der schiitischen Religion ist, lässt sich nach den obigen diesbezüglich eindeutigen Länderfeststellungen keineswegs eine aktuelle asylrelevante Verfolgungsgefahr ableiten.

Der Beschwerdeführer hat als zentrale Beschwerdebehauptung die Gefahr vorgebracht, bei einer Rückkehr nach Afghanistan als "Tanzknabe" verkauft und missbraucht zu werden. Er hat jedoch diesbezüglich kein hinreichend konkretes Vorbringen, dass er bereits vor seiner Ausreise aus Afghanistan als Tanzknabe missbraucht wurde bzw. nicht einmal, dass der Versuch unternommen wurde, ihn als solchen zu verkaufen, vorgebracht. Es bestand somit lediglich eine abstrakte und keineswegs eine hinreichend konkrete Gefahr.

Darüber hinaus steht der Beschwerdeführer nunmehr knapp vor seinem

20. Geburtstag und weisen nach den obigen übereinstimmenden Länderfeststellungen Tanzknaben ein Alter von 11/12 bis 16 Jahren auf. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 10.09.2015, Zl. RA2015/220/0001-10 ganz eindeutig ausgeführt, dass wenn ein männlicher Jugendlicher bereits älter als 18 Jahre ist, keine Gefahr mehr besteht, dass er als "Tanzjunge" missbraucht wird. Dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen fehlt es somit eindeutig an einem aktuellen Bezug.

Soweit sich der Beschwerdeführer auf seine "schlechte Behandlung" durch seinen Onkel beruft, so ist abseits davon, ob diese nun von der Intensität überhaupt als asylrelevant eingestuft werden könnte, als Volljähriger keineswegs verhalten, sich im Einflussbereich seines Onkels aufzuhalten. Darüber hinaus handelt es sich dabei jedenfalls um eine private Verfolgung, welche nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann asylrelevant wäre, wenn eine mangelnde staatliche Schutzgewährung aus einem GFK-Grund erfolgen würde (VwGH vom 26.11.2014 Ra2014/19/0059, VwGH vom 18.11.2015 Ra2014/18/0162-9). Dafür bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte.

Soweit der Beschwerdeführer schließlich einen "westlichen Lebensstil" und eine Ablehnung des afghanischen Gesellschaftssystems vorbringt, so hat er dazu keineswegs ein eindeutiges Sachvorbringen erstattet, sondern lediglich auf seine "Entwurzelung" in Afghanistan hingewiesen (die auch als Grund für den bereits erteilten subsidiären Schutz angesehen werden kann).

Auch aus der allgemeinen Sicherheitssituation (allein) in Afghanistan lässt sich nicht einmal die Gewährung von subsidiären Schutz begründen (jüngst VwGH vom 23.02.2016 Ra2015/01/0134-7), umso weniger die Gewährung von Asyl.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im vorliegenden Fall erweist sich die ordentliche Revision gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG insofern als nicht zulässig, als der gegenständliche Fall tatsachenlastig ist und die Beweiswürdigung den entscheidenden Punkt darstellt, sodass dieser keinerlei Rechtsfragen - schon gar nicht von grundsätzlicher Bedeutung - aufwirft. Wie unzweifelhaft der rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist, weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (noch von jener des Asylgerichtshofes) ab, noch fehlt es zu irgendeinem Sachverhaltsaspekt des gegenständlichen Falles an einer Rechtsprechung und kann auch nicht davon gesprochen werden, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf den gegenständlichen Fall uneinheitlich zu beurteilen wäre.

Vielmehr beruht die gegenständliche Entscheidung insbesondere auf der jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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